Internet-Law

Onlinerecht und Bürgerrechte 2.0

5.11.13

Der Datenschutz bietet keine Handhabe gegen die Überwachungspraxis der Geheimdienste

Vor kurzem habe ich darauf hingewiesen, dass die geplante Datenschutzgrundverordnung die Überwachungsthematik nicht regelt und ein Zusammenhang zwischen NSA-Affäre und der Reform des europäischen Datenschutzrechts, trotz anderslautender Aussagen von Polikern unterschiedlicher Couleur, schlicht nicht besteht.

Das hat mir in einem Kommentar von Ralf Bendrath bei CARTA den Vorwurf eingebracht, ich hätte insoweit nicht auf die geplante Neuregelung eines Art. 43a Datenschutzgrundverordnung hingewiesen. Diese geplante neue Vorschrift regelt den Transfer von Daten in Drittstaaten (außerhalb der EU) bzw. die Offenlegung von Daten aufgrund von Anfragen aus solchen Drittstaaten. Dieser Einwand ist dennoch nicht geeignet, meine ursprüngliche Aussage auch nur abzuschwächen. Denn es bleibt dabei, dass die Datenschutzgrundverordnung die Datenerhebung und Datenübermittlung durch Geheimdienste sowie durch Polizei- und Sicherheitsbehörden überhaupt nicht regelt.

Wieso die geplante Regelung eines Art. 43a Datenschutzgrundverordnung Geheimdienste und Polizeibehörden nicht weiter irritieren muss, möchte ich anhand eines aktuellen Beispiels veranschaulichen. Die Washington Post berichtet gerade, dass die NSA in großem Umfang Daten direkt von Google und Yahoo absaugt, aber nicht in den USA, sondern mithilfe des britischen Geheimdienstes GCHQ und vielleicht auch anderer europäischer Geheimdienste auf dem Gebiet der EU. Die Washington Post zitiert dazu eine bemerkenswerte Aussage aus einem NSA-Papier:

Such large-scale collection of Internet content would be illegal in the United States, but the operations take place overseas, where the NSA is allowed to presume that anyone using a foreign data link is a foreigner.

Europäische Geheimdienste liefern der NSA also die Daten, die US-Dienste in den USA aus rechtlichen Gründen gar nicht sammeln dürften. Und nach dieser Logik scheint die weltweit vernetzte Geheimdiensttätigkeit mittlerweile ganz grundsätzlich zu funktionieren. Die Dienste verschiedenster Staaten umgehen so ganz gezielt die Bindungen ihres jeweiligen nationalen Rechts.

Diese Praxis wird von der Datenschutzgrundverordnung nicht erfasst, weshalb sie auch nach Inkrafttreten der Verordnung uneingeschränkt fortgesetzt werden kann. Ebenfalls nicht erfasst ist auch die Datenerhebung durch europäische Geheimdienste wie den Bundesnachrichtendienst. Wenn der BND also in Frankfurt Internetdaten an Netzknotenpunkten in großem Stil erhebt, dann wird auch diese Praxis durch die geplante Datenschutzgrundverordnung in keinster Weise in Frage gestellt.

Wenn insoweit der Schutz der Daten europäischer Bürger gewährleisten werden soll, dann muss die EU genau an diesem Punkt ansetzen und den Datenaustausch zwischen europäischen Geheimdiensten bzw. Sicherheitsbehörden und denen aus Drittstaaten regeln. Solange das nicht passiert, sollte die Politik aufhören zu behaupten, die europäische Datenschutzreform hätte irgendeine Auswirkung auf die Schnüffelpraxis von Geheimdiensten. Das hat sie nämlich definitiv nicht.

posted by Stadler at 11:13  

3.11.13

Geheimdienste gefährden unsere Demokratie

Die Geschichte der Menschheit ist geprägt von Gewaltherrschaft und autoritären Staats- und Gesellschaftsformen. Diese Geschichte hat uns gelehrt, dass die unkontrollierte Ausübung von Macht stets zu Missbrauch und zur Unterdrückung von weiten Teilen einer jeden Gesellschaft führt. Das Gegenmodell von der Herrschaft des Volkes (Demokratie) hat sich erst in der jüngeren Geschichte nachhaltig durchgesetzt, aber wie wir wissen, noch längst nicht überall.

Grundbedingung eines demokratischen Rechtsstaats ist es, staatliche Macht einer strikten Kontrolle zu unterziehen. Das gesamte staatliche Handeln ist an die Verfassung und die einfachen Gesetze gebunden. Ein solcher Staat ist geprägt von einer Herrschaft des Rechts und steht damit im Gegensatz zu Willkür- und Polizeistaaten. Dieses Rechtsstaatsprinzip, das im Grundgesetz in Art. 20 Abs. 3 verankert ist, geht Hand in Hand mit dem Demokratieprinzip, das in Deutschland durch Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 GG gewährleistet wird.

Das Prinzip des demokratischen Rechtsstaats lässt sich also dahingehend zusammenfassen, dass die staatliche Macht einer strikten Kontrolle unterliegt. Diese Kontrolle wird durch unabhängige Gerichte gewährleistet sowie durch ein vom Volk gewähltes Parlament.

Das Rechtsstaatsprinzip müsste im Grunde uneingeschränkt auch für Geheimdienste gelten, faktisch tut es das aber nicht. Der gerichtliche Rechtsschutz ist in diesem Bereich deutlich eingeschränkt. Eine parlamentarische Kontrolle existiert nur in der Theorie. Faktisch ist sie so ausgestaltet, dass sie beliebig und vor allen Dingen sanktionslos umgangen werden kann. Und das ist auch politisch gewollt. Selbst dann, wenn beispielsweise der BND in kriminelle Machenschaften verwickelt ist, hat dies für die Behörde keinerlei Konsequenzen, wie der Fall „Bodenkamp“ belegt.  Die Bundesregierung unterstützt solche Machenschaften vielmehr durch gezielte Verschleierungstaktik. Geheimdienste können also in einem rechtsstaatlichen Vakuum agieren und die Politik lässt sie gewähren.

Die unkontrollierte Ausübung von Macht erfasst in demokratischen Gesellschaften also nicht mehr den gesamten Staat, sondern sie hat sich eine Nische gesucht, nämlich die der Geheimdienste. Dort wird in dem Wissen, dass die gerichtliche Kontrolle unzureichend ist und die parlamentarische Kontrolle nur eine Placebo-Funktion erfüllt, weiterhin ungeniert Recht gebrochen und das Rechtsstaatsprinzip mit Füßen getreten. Vermutlich glauben einige der Akteuere dieses Systems sogar, damit einer legitimen, höheren Staatsräson zu folgen. In den USA und Großbritannien sind die Auswüchse ganz augenscheinlich noch schlimmer, weil die besagte Kontrolle dort schon formal kaum vorgesehen ist.

Was wir in den letzten zehn Jahren beobachten können, ist eine ungehemmte Ausweitung der Überwachungstätigkeit der Dienste. Die ständig zunehmenden technischen Möglichkeiten gehen in vielen Staaten mit einer personellen Aufrüstung einher. Der demokratische Fremdkörper Geheimdienste könnte sich deshalb als Krebsgeschwür entpuppen, das den Gesamtorganismus Demokratie erfasst. Es geht hier nicht mehr um ein einzelnes Grundrecht – weshalb viele aktuelle Diskussionen zu kurz greifen – sondern um unsere Demokratie im Ganzen.

Wenn die Tatsache, dass Geheimdienste unsere Demokratie gefährden, nicht zügig in das öffentliche Bewusstsein vordringt, dann wird es der freiheitlich-demokratische Rechtsstaat nicht nur, aber auch, hierzulande in Zukunft nicht leicht haben, sich zu behaupten. Dass konservative Politiker in Deutschland beispielsweise die Internetüberwachung noch ausweiten wollen, kann man aktuell bei Heise nachlesen.

Wir dürfen diese unkontrollierte Ausübung von Macht nicht zulassen und deshalb den Staat im Staate mit dem Namen Geheimdienst in der bisherigen Form nicht gewähren lassen. Eine demokratische Gesellschaft muss dem System Geheimdienst den Kampf ansagen.

Wer thematisch verwandte Texte von mir lesen will, dem sei nochmals „Von der Hinterlist einer lichtscheuen Politik“ und „Geheimdienste und Bürgerrechte“ empfohlen.

posted by Stadler at 20:59  

29.10.13

Machen Geheimdienste die Welt sicherer?

Der britische Premierminister droht der Presse mittlerweile mit Zensur, sollte die Berichterstattung über „schädliches Material„, das von Edward Snowden stammt, nicht aufhören. Die Presse müsse laut Cameron gesellschaftliches Verantwortungsgefühl zeigen. Gleichzeitig wird immer wieder behauptet, die Tätigkeit von Geheimdiensten würde Menschenleben retten. Cameron sagt zum Beispiel über die Snowden-Enthüllungen, dass die Welt durch sie nicht sicherer, sondern gefährlicher werde.

Die ausufernde Überwachungstätigkeit der Dienste wird also mit ihrem angeblichen gesellschaftlichen Nutzen begründet, der sich freilich in den USA und im Vereinigten Königreich stets an einer nationalen Perspektive ausrichtet. Dass so argumentiert wird, ist nicht überraschend. Denn sobald sich auf breiter Basis die Erkenntnis durchsetzt, dass Geheimdienste den Menschen nicht nutzen, sondern vielmehr eine Gefahr darstellen, dann würde damit die letzte Fassade fallen. Selbst Politikern wie Obama oder Cameron wäre es dann nicht mehr möglich, die Tätigkeit ihrer Geheimdienst öffentlich zu verteidigen.

Es ist deshalb, jenseits der Diskussion um die Beschneidung der Bürgerrechte und auch jenseits des Mantras von der Balance zwischen Sicherheit und Freiheit, notwendig, zwei Grundthesen zu hinterfragen:

1. Die Geheinmdienste retten Menschenleben, ihre Tätigkeit macht die Welt sicherer

Wenn es darum geht, darzustellen, welche konkreten und ernsthaften Anschlagspläne durch die Tätigkeit von Geheimdiensten tatsächlich vereitelt worden sind, wird es sowohl in den USA als auch in Deutschland immer äußerst dünn. In Deutschland greift die Bundesregierung dann zumeist auf die Sauerlandgruppe zurück, aber selbst dieser einzige Beispielsfall erweist sich bei näherer Betrachtung als eher zweifelhaft.

Demgegenüber steht das Wissen, dass falsche Geheimdienstinformationen den Irakkrieg ausgelöst haben und dass amerikanische Dienste in den letzten gut zehn Jahren hunderte von Menschen entführt und gefoltert haben. Bei US-Drohnenangriffen in Pakistan sind tausende Menschen ums Leben gekommen, die zur Ortung dieser Zielpersonen erforderlichen Informationen stammen zumeist von Geheimdiensten.

Es lässt sich deshalb mit Fug und Recht behaupten, dass Geheimdienste diese Welt unsicherer machen und, dass sie sicherlich mehr Menschenleben vernichtet als gerettet haben. Diesen zentralen Aspekt habe ich in zwei Blogbeiträgen „„Vom Nutzen der Geheimdienste für unsere Sicherheit“ und „Empört Euch!“ näher dargelegt.

2. Die Geheimdienste betreiben doch nur Terrorbekämpfung

Spätestens der Umstand, dass die USA das Handy von Bundeskanzlerin Merkel überwacht haben, dürfte auch dem letzten Zweifler deutlich gemacht haben, dass die vordergründige Zielsetzung amerikanischer Geheimdienste die der Polit- und Wirtschaftsspionage ist. Weil man das aber natürlich offiziell nicht einräumen kann, ist der Vorwand der Terrorbekämpfung willkommen. Die amerikanische und auch die britische Politik will stets vorab über die politischen Vorhaben und Ziele anderer Staaten und Institutionen wie der EU oder der UN informiert sein. Der amerikanischen Wirtschaft wird durch Industriespionage ein Wettbewerbsvorteil gegenüber konkurrierenden Unternehmen anderer Staaten verschafft. Vor diesem Hintergrund erweist sich die Tätigkeit von Geheimdiensten im Grunde nur als Fortsetzung des Kriegs mit anderen Mitteln. Nationalstaaten bekämpfen den Rest der Welt, um des eigenen Vorteils willen. Es ist daher die Aufgabe des Völkerrechts, die Tätigkeit von Geheimdiensten ebenso zu ächten wie kriegerische Auseinandersetzungen. Auch wenn die Erreichung dieses Ziels vielen unrealistisch erscheinen mag, wird man es ernsthaft diskutieren und ins Auge fassen müssen.

posted by Stadler at 17:20  

28.10.13

Darf die NSA in Deutschland die Telekommunikation überwachen?

Der Historiker Josef Foschepoth – dessen Forschung mit Sicherheit verdienstvoll ist – behauptet regelmäßig, die NSA würde deutsche Bürger und deutsche Politiker auch nach deutschem Recht ganz legal abhören. Nachzulesen zuletzt in einem aktuellen Interview mit ZEIT-Online.

Zum Beleg seiner These beruft sich Foschepoth stets auf Verträge zwischen Deutschland und den ehemaligen Alliierten. Konkret sagt er gegenüber ZEIT-Online, dass die ehemaligen Westmächte die gleichen geheimdienstlichen Rechte wie nach dem G10-Gesetz in einem Zusatzvertrag zum Nato-Truppenstatut von 1959 dauerhaft erhalten hätten.

Juristisch betrachtet sind die Aussagen von Foschepoth schlicht falsch. Beschränkungen des Grundrechts aus Art. 10 GG dürfen nur auf Grund eines Gesetzes angeordnet werden. Das von Foschepoth herangezogene Zusatzabkommen zum NATO-Truppenstatut ist kein Gesetz in diesem Sinne, weshalb eine solche Vereinbarung Deutschlands mit den USA, dem UK und Frankreich nicht mit der Verfassung vereinbar wäre.

So weit braucht man aber gar nicht zu gehen, denn ein Blick in das Zusatzabkommen macht sehr schnell deutlich, dass die von Foschepoth behaupteten Überwachungsbefugnisse dort überhaupt nicht geregelt sind.

In einem Interview mit der SZ erläuterte Foschepoth, dass sich beide Seiten in dem Zusatzabkommen zu engster Zusammenarbeit verpflichten, was insbesondere „die Sammlung, den Austausch und den Schutz aller Nachrichten“ beinhaltet. Und genau hierauf stützt Foschepoth seine Schlussfolgerung von der Überwachungsbefugnis der NSA.

Er bezieht sich damit offenbar auf Art. 3 Abs. 2 a) dieses Zusatzabkommens, der wie folgt lautet:

Die in Absatz (1) vorgesehene Zusammenarbeit erstreckt sich insbesondere

(a) auf die Förderung und Wahrung der Sicherheit sowie den Schutz des Vermögens der Bundesrepublik, der Entsendestaaten und der Truppen, namentlich auf die Sammlung, den Austausch und den Schutz aller Nachrichten, die für diese Zwecke von Bedeutung sind;

Es stellt bereits eine äußerst kühne These dar, aus dieser Formulierung in dem Abkommen eine Befugnis zur Post- und TK-Überwachung ableiten zu wollen, die den Befugnissen des G10-Gesetzes entspricht. Denn ein Mindestmaß an Bestimmtheit und Normklarheit muss jede Regelung aufweisen. Man kann deshalb unschwer feststellen, dass dieses Zusatzabkommen den USA und anderen Staaten keinerlei Befugnisse verleiht, in Deutschland Maßnahmen der TK-Überwachung durchzuführen. Eine Vereinbarung mit diesem Inhalt existiert nicht. Zumal Art. 3 Abs. 3 b) des Abkommens klarstellt, dass keine Vertragspartei zu Maßnahmen verpflichtet ist, die gegen ihre Gesetze verstoßen würden. Eine derartige Überwachungsbefugnis zugunsten ausländischer Staaten wäre nach deutschem Recht aber nicht nur verfassungswidrig, sondern wegen §§ 98 und 99 StGB auch strafrechtlich relevant.

Die Thesen Foschepoths kann man deshalb mit Fug und Recht als abwegig bezeichnen.

Damit ist natürlich noch nichts darüber ausgesagt, ob frühere Bundesregierungen nicht von einer entsprechenden Tätigkeit ausländischer Geheimdienste Kenntnis hatten und dies geduldet haben. Mit einer derartigen Duldung hätte die Bundesregierung sich allerdings ihrerseits rechtswidrig verhalten. Legal hören amerikanische Dienste in Deutschland jedenfalls nicht ab.

posted by Stadler at 11:46  

25.10.13

NSA-Affäre: Was nun Frau Merkel?

Der Kollege Axel Spieß stellt sich im Beck-Blog die Frage, welche rechtlichen Maßnahmen die Bundesregierung von Deutschland aus ergreifen könnte, um gegen das Ausspähen des Handys von Angela Merkel vorzugehen. Er spricht eine Klage vor dem IGH und Ermittlungen der Bundesanwaltschaft an und hält diese Maßnahmen für unwahrscheinlich bzw. nicht erfolgsversprechend.

Kündigung des Swift-Abkommens

Die Aussetzung des Safe-Harbor-Abkomens wird von Spieß ebenfalls angesprochen. Insoweit liegt die Entscheidung, ebenso wie beim Swift-Abkomen, allerdings bei der EU. Das ändert freilich nichts daran, dass Deutschland sich offensiv dafür einsetzen könnte, das Swift-Abkommen zu kündigen. Die Vorzeichen hierfür sind nicht so ungünstig, nachdem sich bereits das EU-Parlament für eine Kündigung des Swift-Abkommens ausgesprochen hat. Deutschland könnte hierfür eine Mehrheit der Mitgliedsstaaten organisieren. Die Kündigung des Safe-Harbor-Abkommens wäre aufgrund des intensiven Datenaustausches im geschäftlichen Bereich sicherlich ein ambitioniertes Vorhaben, das kurzfristig kaum denkbar erscheint.

Zusammenarbeit zwischen BND und NSA beenden

Die Bundesregierung könnte außerdem die intensive Zusammenarbeit zwischen dem BND und amerikanischen Diensten beenden oder zumindest auf Eis legen. Gerade auch in Richtung des BND wäre ohnehin einiges zu veranlassen und aufzuklären. Auch die Anerkennung Edward Snowdens als politisch verfolgt, wäre ein starkes politisches Signal.

Nachdem die US-Geheindienste sowohl die UN, die EU als auch die Bundesregierung und die französische Regierung überwachen, ist nunmehr endlich eine scharfe und spürbare Reaktion geboten.

All das wird voraussichtlich aber nicht passieren, denn dieses Land wird schließlich immer noch von Angela Merkel regiert. Dass diese Bundesregierung der US-Überwachungsmaschinerie nichts entgegenzusetzen hat, zumal hierfür bereits der politische Wille fehlt, hat sie ausreichend unter Beweis gestellt. Vielleicht führen die aktuellen Erkenntnisse aber auch dazu, dass im politischen Berlin noch einige von denen aufwachen, die sich bislang geweigert haben, die Welt so zu sehen wie sie ist. Man sollte die Hoffnung nicht aufgeben, auch wenn diese Bundesregierung bislang wenig Anlass zur Hoffnung gegeben hat.

posted by Stadler at 09:10  

24.10.13

Die Datenschutzgrundverordnung regelt die Überwachungsthematik nicht

In der gestrigen Pressemitteilung der Bundestagsfraktion der Grünen zur Zustimmung des Innenausschusses des EU-Parlaments zum Entwurf der geplanten Datenschutz-Grundverordnung steht ein bemerkenswerter Satz:

Endlich besteht die Chance, dass Daten europaweit effektiv geschützt werden – auch im Internet und gegen die Zugriffe von Geheimdiensten außerhalb der EU.

Ist das wirklich so? In einem Blogbeitrag zum Kanzlerduell hatte ich vor einigen Wochen erläuert, weshalb die Aussagen Angela Merkels zur NSA-Affäre und zum EU-Datenschutz falsch sind. Hat man also den Entwurf der Verordnung in diesem Punkt entscheidend nachgebessert? Es sieht auf den ersten Blick nicht so aus. In Art. 2 Nr. 2 des vom Innenausschuss beschlossenen Verordnungsentwurfs heißt es jetzt (die Streichung stellt die Änderung im Vergleich zur vorherigen Entwurfsfassung dar):

2. This Regulation does not apply to the processing of personal data:
(a) in the course of an activity which falls outside the scope of Union law , in particular national security;
(…)
(e) by competent public authorities for the purposes of prevention, investigation, detection or prosecution of criminal offences or the execution of criminal penalties.

Die Streichung des Insbesonderezusatzes zur nationalen Sicherheit hat m.E. nur kosmetische Funktion und bewirkt keine materielle Änderung. Die Datenerhebung durch Behörden im präventiven und repressiven polizeilichen Bereich wird ebensowenig erfasst, wie die Datenerhebung aus Gründen der (nationalen) Sicherheit durch irgendeinen Nationalstaat.

Aufschlussreich ist dazu auch der Erwägungsgrund 14:

This Regulation does not address issues of protection of fundamental rights and freedoms or the free flow of data related to activities which fall outside the scope of Union.

Der gesamte Bereich der TK-Überwachung – auch der durch ausländische Dienste – fällt also nach wie vor nicht in den Anwendungsbereich der geplanten EU-Verordnung. Man sollte sich insoweit also weder von der Union noch von den Grünen etwas anderes erzählen lassen.

posted by Stadler at 12:30  

15.10.13

Die Post-Privacy-Falle

Michael Seemann – aka mspro – ist seit Jahren einer der Protagonisten der Post-Privacy-Debatte. Seine nicht ganz neuen Thesen durfte er aktuell im Lichte der NSA-Affäre für ZEIT-Online wieder einmal aufwärmen. Warum die Verfechter einer Post-Privacy-Gesellschaft zwar in Teilen eine zutreffende Zustandsbeschreibung liefern, aber im Ergebnis zu falschen und gefährlichen Schlussfolgerung gelangen, habe ich vor zweieinhalb Jahren bereits einmal ausführlich erläutert. Der Titel meines damaligen Beitrags lautete „Von der informationellen Selbstbestimmung zur informationellen Fremdbestimmung“. An den Argumenten hat sich auch durch die NSA-Affäre nichts verändert, ganz im Gegenteil.

Man kann die Zustandsbeschreibung Seemanns teilen, wonach Privatheit oder informationelle Selbstbestimmung für viele Menschen keinen Wert mehr darstellt und ihnen auch nicht klar ist, warum dieser Grundwert, der durch ein Grundrecht geschützt ist, in der modernen Gesellschaft überhaupt noch von Relevanz sein sollte. Die NSA-Affäre bewegt die Menschen deshalb nicht, weil die Rechtsverletzung die dort stattfindet, den meisten Menschen zu abstrakt ist und viele auch meinen, sie seien davon nicht betroffen. Das Manko besteht also darin, dass es der Netzgemeinde und den Bürgerrechtlern bisher nicht gelungen ist, die Rechtsverletzungen durch Geheimdienste zu illustrieren, sie ausreichend zu veranschaulichen.

Wer wie Seemann das Ende des Privatsphärenbegriffs postuliert, um dann im selben Atemzug zu erklären, dass die NSA die Demokratie bedroht, eröffnet damit nur ein neues Paradoxon und gibt zu erkennen, dass sein Denken von einem tiefen Unverständnis des Wesens der Freiheitsrechte geprägt ist. Würde etwa jemand ernsthaft behaupten wollen, die Versammlungsfreiheit sei am Ende, nur weil sich die Gesellschaft gerade in einer Phase befindet, in der immer weniger Menschen bereit sind, für ihre Überzeugung auf die Straße zu gehen? Wohl kaum. Ebensowenig wird man das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung für beendet erklären, nur weil viele Menschen sich daran gewöhnt haben, ihre Daten bereitwillig preiszugeben.

Es gilt zu erkennen, dass das was Seemann als Privatsphäre oder Privacy betrachtet, nur einen Baustein im Gesamtkonzept der Freiheitsrechte darstellt. Allen Freiheitsgrundrechten gemeinsam ist der Ansatz, dass man als Bürger das Recht hat, vom Staat möglichst in Ruhe gelassen zu werden. Wenn dieses Recht am Ende ist, dann gibt es gar keine Handhabe mehr gegen Überwachung. Wer Privatheit für erledigt erklärt, der erklärt damit das Konzept der Freiheitsrechte insgesamt für gescheitert.

Das Gegenteil von Privacy ist die Transparenz aller Daten. Transparenz bedeutet Kontrolle. Aus diesem Grunde muss der freiheitlich-demokratische Staat, der vom Spannungsverhältnis Staat-Bürger geprägt ist, dafür sorgen, dass die öffentliche Gewalt transparent agiert und maximal kontrolliert wird, während dem Bürger die größtmögliche Intransparenz zuzubilligen ist. Wer das Ende der Privatheit propagiert, ermöglicht damit den gläsernen und transparenten Bürger. Diese Forderung steht deshalb in der Tradition der Unfreiheit. Die Vorstellung von einer Gesellschaft, die keine Privatssphäre mehr kennt, atmet den Geist des Totalitarismus.

John F. Nebel hat in einer lesenswerten Replik auf die Thesen Michael Seemanns darauf hingewiesen, dass das Postulat vom Ende der Privatheit nichts an den Machtverhältnissen ändert. Die Mächtigen werden nach dem Ende der Privatheit nicht nur weiter überwachen, sondern sie werden dies sogar noch unbeschwerter und exzessiver tun können. Denn das Abwehrrecht des Bürgers, das wir in Deutschland als Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung kennen, gibt es als Korrektiv dann ja nicht mehr. Der These, wonach der Begriff der Privatsphäre nicht mehr als Argument gegen Überwachung taugt, ist daher vehement zu widersprechen. Das Recht auf Privatsphäre ist vielmehr das Einzige, was wirklich als Argument gegen staatliche Überwachung taugt. Das Bundesverfassungsgericht hat die informationelle Selbstbestimmung aus gutem Grund auch aus der Menschenwürde hergeleitet. Jeder Mensch muss nämlich das Recht haben, sich als Individiuum in Freiheit selbst zu verwirklichen und er muss sich keiner Behandlung aussetzen, die ihn zum bloßen Objekt von Machtinteressen degradiert. Und genau darum geht es sowohl in der Überwachungs- als auch in der Privacy-Debatte. Wir müssen die Bedeutung von Privatheit besser und vor allen Dingen anschaulicher erklären. Es gibt keine anderen geeigneten „Narrative“ und auch Michael Seemann erklärt nicht, wie er die Debatte anders führen will. Es wäre für Seemann jetzt endlich an der Zeit gewesen, einen konstruktiven Ausweg aus der „Privatsphären-Falle“ aufzuzeigen. Aber einen solchen Vorschlag bleibt er einmal mehr schuldig.

posted by Stadler at 12:36  

1.10.13

NSA-Affäre: USA verweigern Schriftsteller Ilija Trojanow die Einreise

Die Schriftstellerin Juli Zeh berichtet auf Facebook, dass ihrem Schriftstellerkollegen Ilija Trojanow die Einreise in die USA ohne Begründung verweigert wurde. Trojanow wollte zu einem Germanistenkongress in die Staaten reisen, zu dem er eingeladen war.

Trojanow hat sich immer wieder sehr deutlich gegen staatliche Überwachung positioniert. Vor einigen Jahren veröffentlichte er zusammen mit Juli Zeh die Streitschrift „Angriff auf die Freiheit“ zum Thema innere Sicherheit und Einschränkung der Grundrechte. Trojanow hat sich auch zu der aktuellen NSA-Affäre mehrfach zu Wort gemeldet und ist u.a. Mitinitiator eines diesbezüglichen offenen Briefs an Bundeskanzlerin Merkel.

Juli Zeh kommentiert das Einreiseverbot gegen Trojanow mit folgenden Worten:

Formulieren wir es mal positiv: Unser aller Engagement zeigt Wirkung. Es wird zur Kenntnis genommen.

Formulieren wir es negativ: Es ist eine Farce. Die reine Paranoia. Menschen, die sich für Bürgerrechte stark machen, werden als Staatsfeinde behandelt.

Es ist beängstigend, wie die USA mit Kritikern umgeht. Das aktuelle Vorgehen der US-Behörden erinnert immer stärker an die politischen Hetzjagden der McCarthy-Ära.

posted by Stadler at 11:21  

26.9.13

Weitere Verfassungsbeschwerde gegen Dresdener Funkzellenabfrage

Nach den Verfassungsbeschwerden von Abgeordneten gegen einen exzessiven und rechtsstaatlich bedenklichen Fall einer sog. Funkzellenüberwachung während einer Demonstration in Dresden am 19.02.2011, wehrt sich nun auch eine Anwaltskollegin mit einer Verfassungsbeschwerde gegen die polizeiliche Maßnahme.

Rechtsanwältin Kristin Pietrzyk hatte zunächst  bei der Staatsanwaltschaft Dresden beantragt Auskunft darüber zu erteilen, ob sie von den Telekommunikationsüberwachungsmaßnahmen am 18./19.02.2011 in Dresden betroffen ist.

Die Staatsanwaltschaft teilte der Anwältin mit, dass ihre Bestandsdaten, also Name und Anschrift, zu ihrer Rufnummer erhoben worden sind und zwar sowohl in Verfahren nach § 129 StGB als auch in Verfahren nach § 125a StGB.

Daraufhin beantragte die Anwältin beim Amtsgericht Dresden festzustellen, dass sowohl die Maßnahme der Erhebung der Telekommunikationsdaten als auch die Vollziehung der Maßnahme rechtswidrig waren. Zudem wurde Akteneinsicht beantragt, die die Staatsanwaltschaft nur sehr eingeschränkt gewährt hat.

Die Anträge der Anwältin wurden schließlich im Beschwerdeverfahren vom Landgericht Dresden (teilweise) zurückgewiesen.

Die Anwältin macht mit ihrer Verfassungsbeschwerde eine Verletzung ihrer Grundrechte des Fernmeldegeheimnisses, des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung und der Berufsfreiheit geltend.

Es ist erfreulich, dass die Praxis der Funkzellenabfrage nunmehr in Karlsruhe überprüft wird. Denn die Funkzellenabfrage gehört mittlerweile zum Standardrepertoire der TK-Überwachung und wird häufig eingesetzt.

Möglicherweise noch erfolgsversprechender werden allerdings die Verfassungsbeschwerden von Versammlungsteilnehmern sein, weil insoweit zusätzlich ein Eingriff in das Recht auf Versammlungsfreiheit geltend gemacht werden kann.

posted by Stadler at 11:24  

25.9.13

Verfassungsschützer falten doch nur Zitronen

Der alte Kalauer „Wer glaubt, dass Verfassungsschützer die Verfassung schützen, der glaubt auch, dass Zitronenfalter Zitronen falten“ entpuppt sich in zunehmendem Maße als bittere Wahrheit. Der niedersächsische Verfassungsschutz hat jahrelang sieben Journalisten überwacht. Als Andrea Röpke, eine der betroffenen Journalistinnen, von der Behörde Auskunft über die zu ihrer Person gespeicherten Daten verlangte, wurden die Akten kurzerhand gelöscht. Andrea Röpke hat deswegen jetzt Strafanzeige wegen Urkundenunterdrückung erstattet.

Dass Verfassungsschutzbehörden Bürgerrechtler und kritische Demokraten überwachen, anstatt ihre Aufgaben wahrzunehmen, ist allerdings keine neue Erkenntnis. Es gibt hierzu eine ganze Reihe bekanntgewordener Fälle, die erschreckend sind.

Angesichts der Fakten stellt man sich die Frage, wie lange es noch dauern wird und dauern kann, bis das Konzept des Verfassungsschutzes ganz grundsätzlich auf den Prüfstand kommt. Der frühere Bundesbeauftragte für den Datenschutz Hans-Peter Bull hat unlängst in einem juristischen Fachaufsatz unter dem Titel „Die Verfassung schützen aber richtig“ den Umbau der Verfassungsschutzbehörden zu wissenschaftlichen Instituten gefordert und die Übertragung ihrer Aufgaben zur Verhinderung und Verfolgung politisch motivierter Gewaltstraftaten auf die Polizeibehörden. Einen ähnlichen, bereits recht gut ausgearbeiteten Vorschlag, der aber wenig Beachtung fand, hatten die Grünen im letzten Jahr vorgelegt.

Diese Vorschläge und Ansätze bieten eine ausreichende Grundlage für eine konkrete Umgestaltungsdiskussion. Was allein fehlt, ist der politische Wille dazu, diesen notwendigen Schritt zu vollziehen. Offenbar ist das öffentlich bekannte Ausmaß des Versagens und vor allem des gezielten Rechtsbruchs immer noch nicht ausreichend, um vor allem die großen Parteien zu einem Umdenken zu bewegen.

posted by Stadler at 11:02  
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