Diejenigen, denen als Reaktion auf den erst jetzt bekannt gewordenen rechten Terror, wieder einmal nicht mehr einfällt als die Forderung nach einem neuen NPD-Verbotsverfahren, müssen sich die Frage stellen, ob ein früheres NPD-Verbot tatsächlich die Morde verhindert hätte, über die wir jetzt diskutieren. Wenn das nicht der Fall ist – und nichts spricht dafür, dass es so ist – dann ist die Forderung jedenfalls die falsche Antwort auf die Taten der Terrorgruppe, die sich Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) nennt.
Der Werdegang dieser „Terrorzelle“ spricht ebenfalls nicht für ein neues NPD-Verbotsverfahren. Die Mitglieder dieser Terrorgruppe haben nach einer Phase des offenen Agierens in der rechten Szene den Gang in den Untergrund angetreten und sich dazu entschlossen, ausländische Mitbürger zu ermorden. Es steht zu befürchten, dass es hunderte oder gar tausende Menschen in Deutschland gibt, die ähnlich ticken. Ein NPD-Verbot würde die Radikalisierung dieser Szene vermutlich noch beschleunigen und befördern, sowie die Bereitschaft dieser Leute den Weg des Terrors einzuschlagen, deutlich erhöhen. Wer ein NPD-Verbot fordert, muss sich deshalb darüber im Klaren sein, dass seine Forderung die Gefahr der Zunahme des rechten Terros beinhaltet.
Gegen ein Parteiverbot, auch eines der NPD, sprechen m.E. aber auch ganz allgemeine Erwägungen. Während man in den 50’er Jahren noch gute Gründe für ein Verbot extremistischer Parteien finden konnte, sind diese Gründe mittlerweile entfallen. Die deutsche Demokratie muss als so gefestigt angesehen werden, dass man ihr auch den erfolgversprechenderen offenen Kampf gegen rechte Parteien zutrauen darf.
Ein demokratischer Staat kommt nicht umhin, sich offen und direkt mit seinen Feinden auseinandersetzen. Das betrifft nicht nur Politiker und Polizeibeamte, sondern jeden einzelnen von uns. Wir können uns der Pflicht, unseren freiheitlichen Rechtsstaat zu verteidigen nicht dadurch entledigen, dass wir es der Politik oder der Rechtsprechung überlassen, Verbote auszusprechen.
Gesinnungen lassen sich nicht verbieten. Sie lassen sich allenfalls zurückdrängen, aber nur indem man aufklärt und eine große Bevölkerungsmerheit gleichzeitig offen zeigt und artikuliert, dass für Nationalsozialismus, Rassismus, Fremdenhass und Antisemitismus in diesem Land kein Platz ist. Ein Parteiverbot erscheint da vielleicht als die bequemere Lösung, aber es wäre die Reaktion eines ängstlichen Staates, der sich selbst und seiner Bevölkerung nicht viel zutraut. Diese Haltung entspricht jedenfalls nicht meinem Demokratieverständnis.
Die Bundesregierung hat bereits im Jahr 2001 einen Antrag beim Bundesverfassungsgericht gestellt, die NPD für verfassungswidrig zu erklären und aufzulösen. Mit Beschluss vom 18. März 2003 hat das Gericht das Verbotsverfahren wegen eines nicht behebbaren Verfahrenshindernisses eingestellt. Das bedeutet, dass sich das Verfassungsgericht mit der Frage, ob die materiellen Voraussetzungen eines NPD-Verbots vorliegen, erst gar nicht befasst hat. Der Grund für die Einstellung war eine Durchseuchung der NPD mit V-Leuten der Verfassungsschutzbehörden.
Das BVerfG hat entschieden, dass die Beobachtung einer politischen Partei durch V-Leute, die Mitglieder des Bundesvorstands oder eines Landesvorstands sind, unmittelbar vor und während der Durchführung eines Verfahrens vor dem Bundesverfassungsgericht zur Feststellung der Verfassungswidrigkeit der Partei in der Regel mit den Anforderungen an ein rechtsstaatliches Verfahren nicht vereinbar ist. Denn die staatliche Präsenz auf der Führungsebene der Partei macht nach Ansicht des BVerfG eine staatliche Einflussnahmen auf deren Willensbildung und Tätigkeit unvermeidbar.
Seit dem Jahre 2003 wurden die V-Leute in den Führungsgremien der NPD aber keineswegs abgezogen oder reduziert, sondern vielmehr noch weiter erhöht. Wenn man jetzt liest, der Bundesinnenminister befürworte ein NPD-Verbotsverfahren ohne vorherigen Abzug aller V-Leute, so dürfte dieses Vorhaben im Lichte der Entscheidung des Verfassungsgerichts von vornherein zum Scheitern verurteilt sein. Die Hoffnung Friedrichs beruht wohl allein darauf, dass ein personell veränderter zweiter Senat die Frage des Verfahrenshindernisses anders beurteilen könnte als 2003. Aber selbst dann wäre damit nur das Verfahren als solches in Gang gesetzt, was noch nichts über seinen Ausgang besagt. Die Bundesregierung müsste nämlich zunächst Beweismaterial vorlegen, das nicht von V-Leuten stammt. Sollte die Begründung des Verbotsantrags wiederum in nicht unerheblichem Umfang auf Äußerungen von Parteimitgliedern gestützt werden, die nachrichtendienstliche Kontakte unterhalten haben, dann ist auch das ein Umstand, der dem Gebot der Verlässlichkeit und Transparenz des Parteiverbotsverfahrens widerspricht.
Die juristischen Erfolgsaussichten eines NPD-Verbotsverfahren sind deshalb, ungeachtet sonstiger schwerwiegender Bedenken, als eher schlecht einzustufen.
Dass die Politik als Reaktion auf die rechten Morde dennoch derzeit ganz vehement ein Verbot der NPD fordert, hat m.E. zwei naheliegende, aber sachfremde Gründe.
Politiker versuchen stets Handlungsfähigkeit zu demonstrieren, um auf Biegen und Brechen den Eindruck der Hilflosigkeit zu vermeiden. Vielen Politikern erscheint es deshalb offenbar vorzugswürdig, eine bei näherer Betrachtung zweifelhafte Maßnahme zu fordern, als gar keine Lösung anbieten zu können.
Außerdem besteht ganz offensichtlich ein erhebliches Interesse daran, von einem behördlichen und politischen Versagen abzulenken. Der Umstand, dass die Morde über 10 Jahre hinweg nicht aufgeklärt wurden und noch nicht einmal als rechter Terror erkannt worden sind, stellt ein eklatantes Versagen deutscher Strafverfolgungsbehörden und Nachrichtendienste dar. Dieses Versagen hat auch strukturelle Gründe und fällt deshalb auf die politisch Verantwortlichen in den Bundesländern aber auch im Bund zurück. In dieser Situation ist eine Diskussion über ein NPD-Verbotsverfahren, die die eigentlich zu führende Debatte medial überlagert oder gar verdrängt, natürlich von erheblichem politischen Interesse.
Die Forderung nach einem NPD-Verbotsverfahren stellt deshalb eine gefährliche politische Camouflage dar, der kein vernunftbegabter Mensch auf den Leim gehen sollte.