Internet-Law

Onlinerecht und Bürgerrechte 2.0

31.8.12

Sind die neuen Rundfunkbeiträge verfassungswidrig?

Der Passauer Jurist Ermano Geuer hat sich unlängst eine gewisse mediale Aufmerksamkeit verschafft, indem er gegen die Reform des Rundfunkgebührenrechts, die zum 01.01.2013 in Kraft treten soll, eine sog. Popularklage zum Bayerischen Verfassungsgerichtshof erhoben hat.

In Bayern kann grundsätzlich jeder, der eine Vorschrift des Landesrechts für unvereinbar mit der bayerischen Verfassung hält, eine sog. Popularklage erheben. Und genau mit diesem Instrumentarium versucht Geuer die Neuregelung des Rundfunkbeitragsstaatsvertrags 2013 zu Fall zu bringen. Und dieses Vorhaben ist keineswegs abwegig, nachdem bereits der renommierte Verfassungsrechtler Christoph Degenhart – allerdings im Rahmen eines Auftragsgutachtens – die Reform als verfassungswidrig eingestuft hat.

Die Argumentation in der Klageschrift vom  25.05.2012 – die mir vorliegt – erscheint durchaus stichhaltig.

Geuer rügt zunächst einen Verstoß gegen den Gleichheitssatz, insbesondere, dass diejenigen, die über Rundfunkgeräte verfügen und diejenigen, die keine Rundfunkgeräte besitzen, gleichermaßen zu der Beitragspflicht herangezogen werden. Diese Ungleichbehandlung verstärkt sich nach Ansicht Geuers gegenüber Unternehmern sogar noch, weil für Inhaber von Betriebsstätten zusätzlich das sachfremde Kriterium der Anzahl der Beschäftigten herangezogen wird.

Geuer vertritt insoweit die Ansicht, dass es für Betroffene möglich bleiben muss, sich auf das Nichtvorhandensein von Rundfunkgeräten zu berufen.

Spannend ist ein weiteres Argument Geuers. Denn er hält den „Rundfunkbeitrag“ in Wirklichkeit für eine Steuer und zwar eine sog. Zwecksteuer. Denn laut Geuer stellen die Beiträge gerade keine Gegenleistung für die Nutzung bzw. Nutzungsmöglichkeit von Rundfunkprogrammen dar, weil es auf diese Nutzung bzw. Nutzungsmöglichkeit überhaupt nicht mehr ankommt.

Die Bundesländer haben aber für eine solche Zwecksteuer keine Gesetzgebungskompetenz, diese liegt vielmehr beim Bund, weshalb der Staatsvertrag nach Ansicht Geuers auch formell verfassungswidrig ist.

Der Staastvertrag verstößt nach Ansicht Geuers außerdem gegen die Berufsfreiheit der Betriebsstätteninhaber. Denn der Unternehmer hat keine Möglichkeit mehr, sich der Rundfunkgebührenfinanzierung zu entziehen. Er muss nämlich auch dann bezahlen, wenn in seinem Betrieb überhaupt keine Rundfunkempfangsgeräte vorhanden sind. Und eine Vermutung für den Empfang von Rundfunkprogrammen besteht in Betrieben sicherlich weit weniger als in Privathaushalten. Und an dieser Stelle wird das Argument Geuers, dass es sich in Wirklichkeit um eine Steuer handelt, wohl am Deutlichsten. Denn der Unternehmer zahlt im Regelfall nicht für die tatsächliche Möglichkeit Rundfunk empfangen zu können.

Geuer macht ferner geltend, dass die Regelung in § 8 RBeitrStV die informationelle Selbstbestimmung der Wohnungsinhaber und Betriebsstätteninhaber verletzt, weil durch die Vorschrift faktisch eine Meldepflicht gegenüber der GEZ geschaffen wird. Eine Erfassung sämtlicher Wohnungen, Betriebsstätten und dienstlicher Kraftfahrzeuge ist nach Ansicht Geuers aber nicht zulässig, um die letztlich im Interesse der Rundfunknutzer und damit der Grundrechtsträger liegende Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu sichern.

Man darf auf den Ausgang dieses Verfahrens gespannt sein. Sollte der Bayerische Verfassungsgerichtshof den Staatsvertrag nicht kippen, besteht für unmittelbar Betroffene freilich immer noch die Möglichkeit Verfassungsbeschwerde zum BVerfG zu erheben.

 

posted by Stadler at 22:59  

31.8.12

Alternativentwurf einer EU-Datenschutzverordnung

Die Kollegen Härting und Schneider, die schon seit längerer Zeit eine weitreichende Reform des Datenschutzrechts fordern, haben nunmehr eine ausformulierte Alternative zum Entwurf einer Datenschutzgrundverordnung, den die EU-Kommission vor einigen Monaten vorgelegt hatte, vorgestellt.

Der Vorschlag von Härting und Schneider läuft auf einen Paradigmenwechsel hinaus, der mir zumindest im Grundsatz aber auch notwendig erscheint.

Wesentlich am Vorschlag von Härting/Schneider ist die Differenzierung zwischen personenbezogenen und sensiblen Informationen. Damit würde im Datenschutzrecht erstmals eine Abstufung nach dem Inhalt und der Bedeutung der Information für den Betroffenen vorgenommen. Das geltende Datenschutzrecht schützt alle personenbezogenen Daten gleichermaßen und zwar völlig unabhängig davon, wie schwer beispielsweise eine Weitergabe der konkreten Infomation für den Betroffenen tatsächlich wiegt. Als sensible Informationen sehen Härting/Schneider allerdings nur solche an, die der Intimsphäre des Betroffenen entstammen. Das ist meines Erachtens nicht sachgerecht, weil es eine ganze Reihe sensibler Daten gibt, die nicht aus der Intimsphäre stammen, an denen aber dennoch ein berechtigtes Geheimhaltungsinteresse des Betroffenen bestehen kann. Die Differenzierung von Härting/Schneider ist zwar grundsätzlich sinnvoll, die Gleichsetzung sensibler und intimer Daten erscheint allerdings zu eng.

Zweiter zentraler Aspekt des Entwurfs von Härting/Schneider ist eine Abkehr vom Verbotsprinzip. Das geltende Datenschutzrecht geht davon aus, dass eine Verarbeitung personenbezogener Daten zunächst grundsätzlich verboten ist, es sei denn, der Betroffene willigt ein oder eine gesetzliche Vorschrift erlaubt die Datenverarbeitung ausdrücklich (Verbot mit Erlaubnisvorbehalt). Schneider und Härting wollen demgegenüber als Grundsatz festschreiben, dass die Datenverarbeitung zunächst erlaubt sein soll. In ihrem § 5 Abs. 2 S. 1 heißt es deshalb:

Die Erhebung personenbezogener Informationen ist erlaubt.

Diese grundsätzliche gesetzliche Erlaubnis wird nach dem Konzept von Härting/Schneider dann dadurch eingeschränkt, dass der Datenverarbeiter verpflichtet ist, Rücksicht auf die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen zu nehmen. Anstelle eines Verbots mit Erlaubnisvorbehalt tritt ein Abwägungsgebot.

Lediglich dann, wenn es sich um Angaben handelt, die Aussagen über die Privat- oder Intimsphäre des Betroffenen enthalten und – allein oder in Verbindung mit anderen Angaben – ein aussagekräftiges Bild der Persönlichkeit ermöglichen, sind die Betroffenen von der Erhebung der Informationen zu unterrichten, sofern keine eigenen, überwiegenden Interessen des Dritten einer Unterrichtung entgegenstehen. Der Betroffene ist dann berechtigt, der Verarbeitung, Übermittlung und Nutzung der Informationen zu widersprechen, sofern seine schutzwürdigen Interessen der Datenverarbeitung entgegenstehen.

Diese Widerspruchslösung für Daten, die aus der Privat- oder Intimsphäre des Betroffenen stammen, ist allerdings schwerlich mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Schutz des Persönlichkeitsrechts vereinbar. Denn Informationen, die der Intimsphäre des Betroffenen entstammen genießen danach absoluten, solche der Privatsphäre zumindest noch überwiegenden Schutz. Das bedeutet, Informationen aus der Intimsphäre des Betroffenen dürfen überhaupt nicht weitergegeben oder veröffentlicht werden, solche aus der Privatsphäre nur dann, wenn ein besonders bedeutsames Interesse der Allgemeinheit gegeben ist. Vor diesem Hintergrund genügt die bloße Möglichkeit zu widersprechen, den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht.

Diese Problematik wird in dem Entwurf von Härting/Schneider aber letztlich dadurch wieder abgemildert, dass § 8 Abs.1 des Entwurfs für die Verabreitung sensibler Informationen eine vorheriger Zustimmung (Einwilligung) des Betroffenen oder eine gesetzliche Gestattung verlangt. Für diese sensiblen Daten, die allerdings wie gesagt auf Informationen aus der Intimsphäre beschränkt sind, kehren Härting/Schneider dann eben doch zum Prinzip des Verbots mit Erlaubnisvorbehalt zurück.

Die Erstellung von Bewegungsprofilen und Nutzerprofilen wollen Härting/Schneider übrigens nur dann von einer Einwilligung des Betroffenen abhängig machen, wenn die Auswertung Aussagen über die Intimsphäre enthalten kann.

Der Alternativentwurf von Härting/Schneider stimmt zwar von seiner Stoßrichtung her, bietet im Detail aber Anlass zur Kritik. Nachdem der Entwurf allerdings, wie eingangs gesagt, einen datenschutzrechtlichen Paradigmenwechsel bewirken würde, ist nicht damit zu rechnen, dass sich für diesen Ansatz in der (aktuellen) politischen Diskussion eine europaweite Mehrheit finden wird.

posted by Stadler at 10:40  

30.8.12

Der Koordinator Softwarentwicklung beim BKA sollte Beamter sein!

Das Hessische Landesarbeitsgericht hat mit Urteil vom 26.06.2012 (Az.: 13 Sa 51/12) entschieden, dass für den Posten eines Koordinators Softwarentwicklung beim BKA eine Beschränkung des Bewerberkreises auf Beamte zulässig ist, weil die Stelle unter den sogenannten Funktionsvorbehalt des Artikel 33 Abs. 4 GG fällt. Nach dieser Vorschrift des Grundgesetzes ist die Ausübung hoheitlicher Befugnisse als ständige Aufgabe in der Regel Beschäftigten zu übertragen, die in einem öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnis stehem, sprich Beamten.

Diese Einschätzung finde ich insofern bemerkenswert, weil man ansonsten keine Probleme damit hat, die Entwicklung eingriffsintensiver Software, wie beispielsweise beim sog. Behördentrojaner geschehen, vollständig privaten Softwareklitschen zu überlassen, die dann auch noch Programme von eher zweifelhafter Qualität abliefern.

posted by Stadler at 18:15  

30.8.12

Bushido muss wegen Persönlichkeitsrechtsverletzung Schadensersatz leisten

Der Rapper Bushido wurde vom Landgericht Berlin zur Zahlung eines Schadensersatzes von 8.000 EUR an eine Mitwirkende des Trash-Formats „Big Brother“, wegen durchaus deftiger Beleidigungen verurteilt. Die Klägerin hatte von dem Proll-Rapper allerdings 100.000 EUR gefordert und war deshalb vor Gericht überwiegend unterlegen.

Die Sache wäre nicht weiter erwähnenswert, hätte sich das Landgericht Berlin in seinem Urteil vom 13.08.2012 (Az. 33 O 434/11) nicht einer bemerkenswerten Argumentation bedient:

Ein höherer Betrag erscheint dem Gericht unter Berücksichtigung folgender Gesichtspunkte unangebracht: Bei der Intensität der Persönlichkeitsrechtverletzung war zu berücksichtigen, dass Äußerungen von Rappern wie B… mit ihrer teilweise unsachlichen und überzogenen Tendenz vom verständigen Durchschnittsbürger nicht für bare Münze genommen werden. Weiter war zu berücksichtigen, dass sich die Klägerin freiwillig in eine Situation begeben hat, die zwangsläufig die teilweise Preisgabe mindestens ihrer Privatsphäre bewirkte. Die Klägerin wusste, dass sie während ihres Containeraufenthalts 24 Stunden täglich über P…/S… für jedermann in allen Lebenslagen zu beobachten sein würde (im Ergebnis über 3 Monate), dass sie sich als Person mit äußeren und inneren Charakteristika einem Wettkampf mit etwa einem Dutzend anderen Containerbewohner stellte, dass sie zweiwöchentlich eine potentielle Ausscheidungsnominierung zu gewärtigen hatte, dass diese Nominierung nicht nur von den Containerbewohnern, sondern von diesbezüglich Interessierten online, offline und real kommentiert werden würde und dass sie während ihres Containerlebens einer Kontaktsperre nach außen unterlag. Die Klägerin hat sich gezielt der Öffentlichkeit ausgeliefert und sich in eine deprivatisierte Situation begeben, möglicherweise im Hinblick auf einen 6-stelligen Gewinn und eine hohe Medienpräsens. Weiter war zu berücksichtigen, dass nach Ansicht des Gerichts erhebliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass es der Klägerin letztlich nur um den Erhalt einer möglichst hohen Zahlung geht: Dafür spricht die deutlich überzogene Forderung von 100.000,00 € bei gleichzeitiger Wiederholung der angegriffenen Äußerungen gegenüber der Presse. Die Klägerin hat gegenüber einem völlig neuen und großen Adressatenkreis (Leser des Berliner Kuriers und RTL-Konsumenten) die – ihrer Darstellung nach – unerträglich belastenden Äußerungen freiwillig überhaupt erst in Umlauf gebracht.

Ob sich der Umstand, dass Bushido ohnehin niemand für voll nimmt, auf die Höhe des Schadensersatzes bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen auswirkt, darf man für eine gewagte These halten. Das zweite Argument des Gerichts ist dann allerdings stichhaltiger. Wenn die Klägerin die Äußerungen von Bushido gegenüber der Presse gezielt wiederholt und damit überhaupt erst dazu beigetragen hat, dass ein größeres Publikum davon Kenntnis nimmt, dann kann ihr der Schutz ihrer Ehre nicht sonderlich wichtig sein.

Mal sehen, ob die Klägerin das Kammergericht bemühen will. Bushido dürfte mit dieser Entscheidung jedenfalls gut bedient sein.

posted by Stadler at 10:58  

29.8.12

Die Kritik am Porno-Pranger wächst

Die Ankündigung der Regensburger Anwaltskanzlei U&C eine Liste mit Gegnern von Filesharingabmahungen im Internet zu veröffentlichen, stößt überwiegend auf Kritik. Mittlerweile prüft auch das bayerische Landesamt für Datenschutzaufsicht den Fall.

Zu dem Thema habe ich dem Bayerischen Fernsehen ein Interview gegeben und auch hier im Blog rechtlich Stellung genommen. Auch der renommierte Verfassungsrechtler Christoph Degenhart sieht in einer solchen Veröffentlichung eine Persönlichkeitsrechtsverletzung. Sollte die Regensburger Abmahnkanzlei ihre Ankündigung tatsächlich wahr machen, wird es interessant sein zu sehen, wie viele Betroffene sich dagegen gerichtlich zur Wehr setzen werden. Denn eine große Anzahl an einstweiligen Verfügungen, die sich dann (auch) direkt gegen die Rechtsanwälte richten könnten, würde die Kanzlei sicherlich vor erhebliche Probleme stellen.

posted by Stadler at 22:12  

29.8.12

Wen betrifft das Leistungsschutzrecht für Presseerzeugnisse jetzt eigentlich?

Die Bundesregierung hat das Leistungsschutzrecht für Presseerzeugnisse heute tatsächlich verabschiedet. Die beschlossene „Kabinettsvorlage“ ist mittlerweile auch offiziell über den Server des BMJ abrufbar. Wenn man der alten Regel folgt, dass kein Gesetz so aus dem Bundestag rauskommt, wie es als Entwurf reingegangen ist, könnten sich im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens durchaus noch Änderungen ergeben, zumal die Opposition nicht zustimmen will und es auch nicht als sicher gelten darf, dass die Reihen von Union und FDP geschlossen hinter dem Vorhaben stehen.

Darüber, was das Leistungsschutzrecht jetzt eigentlich genau regelt und wer davon betroffen ist, wird medial bereits wild spekuliert.

Dass es in der Sache um sog. Snippets geht, ist seit längerer Zeit klar. Ebenso wie der Umstand, dass gewerbliche Suchmaschinen wie Google oder Bing, aber auch verschiedenste Special-Interest-Suchdienste, betroffen sind. Für Suchmaschinenanbieter besteht das Problem schon darin, dass bereits normale Suchmaschinentreffer erfasst sein dürften. Denn die Begründung des  Referentenentwurfs bezieht sich ausdrücklich auf die BGH-Entscheidung “Metall-auf-Metall” die zum Leistungsschutzrecht des Tonträgerherstellers ergangen ist. Das Leistungsschutzrecht des Tonträgerherstellers umfasst selbst “kleinste Tonfetzen”, wie der BGH in der Metall-auf-Metall-Entscheidung wörtlich ausführt. Übertragen auf ein Leistungsschutzrecht für Verlagsprodukte bedeutet dies, dass auch kleinste Textbestandteile, sogar einzelne Wörter, vom Schutz umfasst sind.

Die Einführung eines solchen Leistungsschutzrechts wird voraussichtlich dazu führen, dass Google Verlagsinhalte gezielt aussperrt, sofern es mit dem betreffenden Verlag keine ausdrückliche Vereinbarung gibt. Das allerdings dürfte kaum im Sinne der großen Verlage sein, weil ihre Inhalte dann über Suchmaschinen nämlich nicht mehr auffindbar sein werden.

Spannend ist außerdem die Frage, welche weiteren Dienste vom Leistungsschutzrecht betroffen sein werden. Das Gesetz spricht von gewerblichen Diensteanbietern, die Inhalte entsprechend – also wie Suchmaschinen – aufbereiten. Darunter fallen nach meiner Einschätzung News-Aggregatoren wie Google News, Yahoo, nachrichten.de, Virato oder Rivva – sofern man den Dienst als gewerblich qualifiziert.

Betroffen sein könnten durchaus aber auch verlagseigene Presseschauen, wie sie zum Beispiel die SZ seit kurzem anbietet, oder Dienste, die RSS-Feeds einbinden oder automatisiert Linksammlungen erzeugen. Denn hier wird auch ähnlich einer Suchmaschine automatisiert aufbereitet. Auch wenn der Hyperlink als solcher vom Leistungsschutzrecht nicht erfasst wird, reicht es, wenn als Linktext die Überschrift des Presseartikels oder eine prägnante Textpassage gewählt wird.

Soweit SPON meint, Dienste wie Rivva seien nicht betroffen, weil sie eine Auswahl an Textanrissen und Links aufgrund einer eigenen Wertung präsentierten, so ist das eine Schlussfolgerung, die die geplante Gesetzesformulierung keinesfalls hergibt. Man hat unlängst in anderem Zusammenhang erst wieder sehen können, dass der Bundesgerichtshof auch nicht viel auf die Gesetzesmaterialien und die politischen Äußerungen im Gesetzgebungsverfahren gibt.

Das Zitatrecht bietet, entgegen anderslautender Darstellungen, übrigens auch keinen Ausweg an. Denn Suchmaschinen und ähnliche Dienste zitieren nicht, jedenfalls nicht im urheberrechtlichen Sinne. Ein Zitat setzt nämlich immer voraus, dass man eigene Gedanken zum Ausdruck bringt und sich mit dem zitierten Werk inhaltlich auseinandersetzt. Und genau das können automatisiert arbeitende Dienste nicht leisten.

posted by Stadler at 17:00  

28.8.12

Leistungsschutzrecht: Das lobbyistische Tauziehen geht weiter

Zu dem geplanten Leistungsschutzrecht für Presseerzeugnisse liegt zwischenzeitlich ein dritter Referentenentwurf vor, der nach Angaben des Kollegen Moenikes nunmehr auch als Beschlussvorlage morgen auf der Tagesordnung der Sitzung der Bundesregierung stehen soll. Die geplante Vorschrift des § 87g Abs. 4 UrhG wird in diesem neuen Entwurf wie folgt gefasst:

Zulässig ist die öffentliche Zugänglichmachung von Presseerzeugnissen oder Teilen hiervon, soweit sie nicht durch gewerbliche Anbieter von Suchmaschinen oder gewerbliche Anbieter von Diensten erfolgt, die Inhalte entsprechend aufbereiten. Im Übrigen gelten die Vorschriften des Teils 1 Abschnitt 6 entsprechend.

In der 2. Entwurfsfassung, die den ursprünglichen Entwurf deutlich entschärft hatte, um insbesondere Blogger außen vor zu lassen, lautete die Formulierung insoweit noch:

Zulässig ist die öffentliche Zugänglichmachung von Presseerzeugnissen, soweit sie nicht durch die Anbieter von Suchmaschinen erfolgt. Im Übrigen gelten die Vorschriften des Teils 1 Abschnitt 6 entsprechend.

Man hat also auf die Kritik, dass die 2. Entwurfsfassung auf eine Lex Google hinausläuft, reagiert und deshalb bewusst auch gewerbliche News-Aggregatoren einbezogen.

Google hatte unlängst seine Kritik am geplanten Leistungsschutzrecht erneuert und von einem systemfremden und weltweit beispiellosen Eingriff in die Architektur des Internets gesprochen.

Den Verlauf der Diskussion zum Thema Leistungsschutzrecht habe ich in diesem Blog durch eine ganze Reihe von Beiträgen begleitet.

Update:
Lese gerade die Meldung einer Presseagentur (dapd), die unter Berufung auf die SZ schreibt:

Die Verlinkung und „Nutzung im Rahmen der Zitierfreiheit“ bleibe auch für Suchmaschinen künftig kostenlos.

Wo auch immer diese Aussage herstammt, sie ist unzutreffend. Denn Suchmaschinen können sich überhaupt nicht auf die urheberrechtliche Zitierfreiheit berufen. Die Schrankenbestimmung des § 51 UrhG setzt nach der Rechtsprechung des BGH nämlich u.a. folgende voraus:

Die Verfolgung des Zitatzwecks im Sinne des § 51 UrhG erfordert vielmehr, dass der Zitierende eine innere Verbindung zwischen dem fremden Werk und den eigenen Gedanken herstellt und das Zitat als Belegstelle oder Erörterungsgrundlage für selbständige Ausführungen des Zitierenden erscheint

Da das auf Suchmaschinen nie zutrifft, weil Suchmaschinen keine eigenen Gedanken zum Ausdruck bringen, besteht für sie, ebenso wenig wie für News-Aggregatoren, die Möglichkeit, sich auf die Zitierfreiheit des UrhG zu berufen.

Leider wird in dieser Diskussion einmal mehr Unfug verbreitet.

Update vom 29.08.12:
Die dapd hat mich darauf hingewiesen, dass sie in ihrer Meldung nur die Rechtsauffassung des Justizministeriums wiedergegeben habe und mit dieser Formulierung keine eigene Einschätzung verbunden sei.

posted by Stadler at 15:25  

27.8.12

Wären die Mitglieder von Pussy Riot auch in Deutschland hinter Gittern gelandet?

Man hat in den letzten Wochen immer wieder mal die Ansicht gehört, dass den Mitgliedern der russischen Punkband Pussy Riot wegen derselben „Tat“ auch in Deutschland eine Haftstrafe gedroht hätte, weshalb die Aufregung über die russische Justiz heuchlerisch sei.

In dieses Horn bläst nun auch der Strafverteidiger und emeritierte Strafrechtsprofessor Klaus Volk. In einem Beitrag für die SZ schreibt Volk in Bezug auf die Rechtslage wörtlich:

Drohen einem dafür zwei Jahre Freiheitsstrafe? Nein – sondern bis zu drei.

Diese Aussage ist zumindest für den Nichtjuristen irreführend, denn Volk vergleicht letztlich das konkrete russische Strafmaß (2 Jahre Freiheitsstrafe) mit dem deutschen Strafrahmen, der in § 167 StGB korrekt und vollständig lautet:

…wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

Dieser Strafrahmen bedeutet in der deutschen Strafrechtspraxis für einen Ersttäter – eine Strafbarkeit unterstellt – eine Geldstrafe die im Regelfall deutlich unterhalb von 90 Tagessätzen liegt. Eine Freiheitsstrafe – noch dazu ohne Bewährung – hätte den mutigen Frauen von Pussy Riot in Deutschland realistischerweise also nicht gedroht. Eine sachgerechte Gegenüberstellung hätte das russische Strafmaß zu der in Deutschland typischerweise zu erwartenden konkreten Strafe ins Verhältnis setzen müssen.

Bei der Frage, ob dieses Verhalten in Deutschland tatsächlich (auch) strafbar wäre, scheint sich Volk nicht ganz sicher zu sein, meint aber, der unbestimmte Rechtsbegriff des beschimpfenden Unfugs in § 167 StGB  müsse nach dem Verständnis der Religionsgemeinschaften von „grob ungehörig“ ausgelegt werden.

Ein Blick in die zwei gängigsten deutschen Kommentare zum Strafgesetzbuch bringt in der Tat wenig Aufklärung. Es wird dort primär auf eine Definition des Reichsgerichts (!) Bezug genommen, wonach die Verübung beschimpfenden Unfugs in einem grob ungehörigen Verhalten besteht, das die Missachtung der Heiligkeit des Ortes in besonders roher Weise zum Ausdruck bringt. Ergänzend steht dort noch, dass das Rauchen oder starke Lärmen in Kirchen diese Voraussetzungen nicht erfüllt.

Der unbestimmte Rechtsbegriff der Verübung beschimpfenden Unfugs hat also weder die Gerichte noch die Rechtswissenschaftler in der Vergangenheit nennenswert beschäftigt, was stets eine gewisse Rechtsunsicherheit mit sich bringt. Es könnte also durchaus sein, dass der eine oder andere deutsche Strafrichter ein ähnliches Verhalten mit einer Geldstrafe belegt hätte.

Andererseits ist bei der Auslegung sog. unbestimmter Rechtsbegriffe immer auch die Wertung der Grundrechte zu beachten. Und diesem Umstand misst Klaus Volk eventuell zu wenig Gewicht bei. Denn der Auftritt Pussy Riots beinhaltete nicht nur eine klare Kritik am russischen Präsidenten Putin, sondern zudem an der Wahlkampfhilfe der russisch-orthodoxen Kirche für Putin. Wenn man also den Kern der Aussage Pussy Riots freilegt, dann stößt man auf eine kritische, politische Äußerung, die sich auch ganz direkt gegen die Rolle der Kirche im russischen Wahlkampf richtet.

Es stellt sich deshalb die Frage, ob eine derartige Kritik, die inhaltlich nach unseren Maßstäben zweifelsfrei von der Meinungsfreiheit gedeckt ist, wegen ihrer Form als beschimpfender Unfug im Sinne des StGB betrachtet werden kann. Wir kennen bei der Auslegung des Grundrechts auf Meinungsfreiheit eigentlich eine ganz ähnliche Abgrenzung, nämlich die zwischen (unzulässiger) Schmähkritik und zulässigem Werturteil. Wäre es Pussy Riot also primär darum gegangen, eine Glabensgemeinschaft zu schmähen und verächtlich zu machen, dann wäre auch nach deutschem Recht eine Verurteilung vermutlich gerechtfertigt. Weil aber hier die politische Meinungsäußerung im Vordergrund stand und keineswegs die Missachtung der Religionsstätte, müsste das Urteil eines deutschen Strafgerichts bei richtiger Wertung auf Freispruch lauten.

posted by Stadler at 17:09  

27.8.12

Facebook legt Berufung gegen das Freundefinder-Urteil des LG Berlin ein

Wie die Verbraucherzentrale Bundesverband meldet, hat Facebook Berufung gegen ein Urteil des Landgerichts Berlin vom 06.03.2012 (Az.: 16 O 551/10) eingelegt, durch das der Facebook FreundeFinder als wettbewerbswidrig und verschiedene Bestimmungen der Nutzungs- und Datenschutzbedingungen als unwirksam qualifiziert wurden.

Zum Urteil des LG Berlin hatte ich bereits vor einer Weile gebloggt.

Im Zusammenhang mit dem Urteil des Landgerichts Berlin bin ich außerdem mehrfach gefragt worden, ob mein Blogbeitrag  „Gilt deutsches Datenschutzrecht für Facebook überhaupt?“ durch das Urteil hinfällig geworden sei. In meinem Beitrag hatte ich geschrieben, dass § 1 Abs. 5 BDSG nicht vertraglich abbedungen werden kann, während das Landgericht Berlin in seinem Urteil vom 06.03.2012 ausführt:

Deutsches Datenschutzrecht gilt aufgrund zulässiger Rechtswahl. § 1 Abs. 5 BDSG steht dem nicht entgegen.

Das Landgericht Berlin geht also davon aus, dass die Vorschrift des § 1 Abs. 5 BDSG vertraglich abbedungen werden kann und das Datenschutzrecht der Rechtswahl der Parteien unterliegt. Diese Rechtsmeinung des Landgerichts ist nach meiner Einschätzung juristisch nicht vertretbar.

Das LG Berlin stützt seine Ansicht auf Art 3 Abs. 1 der Rom-I-Verordnung, übersieht dabei aber Art. 9 der Rom-I-Verordnung. Datenschutzrechtliche Vorschriften gelten als Eingriffsnormen im Sinne von Art. 9, die gerade nicht der freien Rechtswahl unterliegen. Das LG Berlin verliert außerdem kein Wort über Art. 4 der Datenschutzrichtlinie, deren Umsetzung § 1 Abs. 5 BDSG dient. Danach hat jeder Mitgliedstaat die Vorschriften, die er zur Umsetzung der Richtlinie erlässt, auf alle Verarbeitungen personenbezogener Daten anzuwenden. § 1 Abs. 5 BDSG kann deshalb nicht dispositiv sein.

Vor diesem Hintergrund war es bislang auch einhellige Meinung in der juristischen Literatur, dass das Datenschutzrecht gerade nicht der Rechtswahl der Parteien unterliegt.

Bei Facebook ist davon auszugehen, dass es derzeit keine Niederlassung (im datenschutzrechtlichen Sinne) in Deutschland gibt und gleichzeitig aber Daten im Inland erhoben werden, während die maßgebliche Datenverarbeitung durch die verantwortliche Stelle aber dann außerhalb der EU – nämlich in den USA – stattfindet. Deutsches Datenschutzrecht gilt damit nicht aufgrund einer Rechtswahl, sondern nach § 1 Abs. 5 S. 2 BDSG.

Das Urteil des Landgerichts Berlin dürfte zwar im Ergebnis weitgehend zutreffend sein, ist aber teilweise unrichtig begründet worden.


	
posted by Stadler at 12:13  

24.8.12

Von geistlicher und weltlicher Macht – das Verfahren Papst ./. Titanic

Ein Essay von Rechtsanwalt Dr. Ansgar Koreng, JBB Rechtsanwälte, Berlin

Über das beim Hamburger Landgericht anhängige Verfügungsverfahren (Az.: 324 O 406/12) ist schon viel – vielleicht zu viel – geschrieben worden. Von der Abwägung von Meinungsfreiheit und Persönlichkeitsrecht, von Zensur, Satire und Kunstfreiheit oder einer angeblich verbotsfreudigen Pressekammer soll dieser Text daher nicht handeln.

Prozessuale Tricks als letzte Chance

Denn wenn in der Hansestadt am 31. August 2012 unter dem ansprechenden Rubrum Papst Benedikt XVI. ./. Titanic über den Widerspruch des Satiremagazins zum gerichtlichen Verbot verhandelt wird, dürften, man verzeihe mir den Kalauer, die Messen schon gesungen sein. Die Fakten stellen sich wohl kaum anders dar, als sie bei Erlass der Verfügung am 10 Juli 2012 vorlagen und was die rechtliche Bewertung anbelangt, hat die Kammer sich bereits positioniert. Die Titanic mag es jetzt noch mit den altbekannten prozessualen Tricks versuchen, etwa der Vollmachtsrüge oder dem Antrag auf Stellung einer Prozesskostensicherheit, aber wenn die Antragstellerseite einigermaßen professionell vorbereitet ist, werden auch diese Manöver den Beteiligten allenfalls ein müdes Gähnen entlocken können, zumal die Hamburger Pressekammer wohl, anders als das zugegebenermaßen eine Etage darüber angesiedelte Hanseatische Oberlandesgericht der Auffassung zuneigt, dass auch im Fall dieser Rügen dem Antragsteller eine einigermaßen machbare Frist zur Nachreichung der entsprechenden Unterlagen gesetzt werden kann. Die Antragsgegnerseite sollte sich daher nicht darauf verlassen, dass ihr die schon fast sprichwörtliche Unzuverlässigkeit der poste italiane zugutekommen wird – zumal die Post aus dem Vatikan ohnehin von der mit Schweizer Präzision arbeitenden poste vaticane nach Deutschland transportiert wird.

Nagelprobe für die Meinungsfreiheit?

Ob der Fall überdies, wie viele meinen, zur Nagelprobe über die Lage der Meinungsfreiheit in diesem Land taugt, kann man auch mit guten Gründen bezweifeln. Satire darf viel, aber nicht alles und selbst die Kunstfreiheit steht, so man sie denn schon bemühen wollte, unter dem Vorbehalt einer Abwägung mit anderen von der Verfassung geschützten Rechtsgütern und dazu gehört auch das Persönlichkeitsrecht, das bekanntermaßen allen Menschen zukommt.

Allen Menschen. Aber auch einem Papst?

Von geistlicher und weltlicher Macht

Ob der Papst wirklich vor einem deutschen Landgericht die Verletzung seiner Persönlichkeitsrechte rügen darf, ist eine Frage, die nicht so abseitig ist wie sie zunächst klingt. Die Implikationen die damit einhergehen, dass ausgerechnet das Oberhaupt der römisch-katholischen Kirche vor einem weltlichen Gericht höchstpersönliche Ansprüche anmeldet, sind – soweit es sich überblicken lässt – bislang noch nicht in der nötigen Tiefe besprochen worden. Dabei interessiert nicht so sehr das weltliche Recht. Vielmehr dürfte es sich aus originär kirchlicher Perspektive als eine veritable Revolution entpuppen, dass ein Papst den ordentlichen staatlichen Rechtsweg beschreitet.

Bereits seitdem Augustinus in seinem zwischen 413 und 426 entstandenen, fundamentalen Werk „De civitate Dei“ die Unterscheidung von „civitas dei“ und „civitas terrena“ begründet hat, ist das Verhältnis von kirchlicher und weltlicher Macht ein problematisches. Gerade Deutschland steht in der Tradition, Schauplatz wesentlicher historischer Auseinandersetzungen zwischen weltlicher und kirchlicher Macht gewesen zu sein. Aus dieser Perspektive betrachtet könnte man die mündliche Verhandlung, die am kommenden Freitag in Hamburg stattfinden wird in eine Linie mit dem Gang Heinrichs IV. nach Canossa im Jahr 1076 stellen. Dort musste sich der deutsche König dem Oberhaupt der Heiligen römischen Kirche, Papst Gregor VII., unterwerfen. Der Sache nach ging es um den sogenannten Investiturstreit, also um die Frage, wer das Recht hatte, die höchsten kirchlichen Ämter zu besetzen.

Die Zwei-Schwerter-Lehre

Die römische Kirche vertrat bereits seit dem Konzil von Chalkedon im fünften Jahrhundert die Auffassung, dass die weltliche Macht der geistlichen Macht untergeordnet sei. Begründet wurde dies mit der heiligen Schrift. So heißt es bei Lukas 22, 38: „Herr, hier sind zwei Schwerter. Er erwiderte: Genug davon!“. Hieraus leitete man – verkürzt – ab, Gott habe dem Papst, seinem Stellvertreter auf der Erde, nicht nur die Schlüssel zum Himmelreich (vgl. Matthäus 16, 18-19), sondern auch zwei Schwerter in die Hand gegeben, das weltliche und das geistliche. Eines davon, nämlich das weltliche, leihe der Papst dem weltlichen Machthaber, das heißt dem Kaiser, der es nur für die Kirche führe. Hierauf ist wohl letztlich auch zurückzuführen, dass die Kaiser des Heiligen römischen Reiches deutscher Nation seit der Krönung Karls des Großen durch Leo III. im Jahr 800 im alten Petersdom in Rom stets vom Papst gekrönt worden sind und der Papst sogar zeitweise das Recht beanspruchte, die Wahl zu approbieren (so Papst Innozenz III. in der Bulle „Venerabilem“ aus dem Jahr 1202).

Auch in der Apostelgeschichte heißt es: „Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen.“ (Apostelgeschichte 5, 29) und das römisch-katholische Kirchenrecht formuliert in Can. 22 des heute gültigen Codex Iuris Canonici von 1983, dass weltliche Gesetze einzuhalten seien, „soweit sich nicht dem göttlichen Recht zuwiderlaufen und wenn nicht etwas anderes im kanonischen Recht vorgesehen ist.“

In sonst unerreichter Deutlichkeit formulierte besagter Papst Gregor VII. im Dictatus Papae von 1075, nicht zufällig ein Jahr vor dem Gang Heinrichs nach Canossa, den Vorranganspruch des Papsttums vor der weltlichen Macht. Darin heißt es nicht nur, dass der Papst den Kaiser absetzen kann, sondern auch, dass der Papst selbst von niemandem gerichtet werden darf: „Quod a nemine ipse iudicari debeat.“. Aufgrund dieses Selbstverständnisses forderte Papst Bonifatius VIII. in seiner Bulle „Unam Sanctam“ im Jahr 1302 die Unterwerfung von Philipp dem Schönen, seines Zeichens König von Frankreich unter die Macht des Papstes: Jeder Mensch sei dem römischen Papst unterworfen.

Der Papst als „geborenes Völkerrechtssubjekt“

Freilich kommt man nicht umhin, anzuerkennen, dass der vom römischen Papsttum formulierte Anspruch auf Vorrang vor aller weltlichen Gewalt mittlerweile durch den Lauf der Geschichte faktisch erledigt ist. Gleichwohl hat sich gerade ein Grundsatz doch bis heute halten können: Der Papst ist bis heute keiner weltlichen Gerichtsbarkeit unterworfen. Dies folgt freilich nicht (nur) aus dem kirchlichen Recht, sondern vor allem aus dem geltenden Völkergewohnheitsrecht. Hiernach hat der Papst einen im wahrsten Wortsinn „eigenartigen“ Status. Dass er nach Art. 1 Abs. 1 der Verfassung des Vatikanstaates vom 26. November 2000 „die Fülle der gesetzgebenden, ausführenden und richterlichen Gewalt“ innehat und somit Souverän und Oberhaupt dieses Kleinstaates ist, ist eine Binsenweisheit, die hierzu nicht bemüht werden muss.

Das besondere an der Person des Papstes ist – aus völkerrechtlicher Sicht – vielmehr, dass der Papst (oder sein Amt, sofern sich das unterscheiden lässt) als einzige natürliche Person zugleich auch geborenes Völkerrechtssubjekt ist. Denn der „heilige Stuhl“ – der Bischofssitz des von Jesus Christus als seinen Stellvertreter eingesetzten heiligen Petrus – und somit derjenige, der rechtmäßig auf ihm sitzt, ist selbst Subjekt des Völkerrechts. Er hat einen Status, den sonst nur die Staaten und wenige andere atypische Völkerrechtssubjekte haben. Als Völkerrechtssubjekt ist er allerdings der Jurisdiktion anderer Völkerrechtssubjekte nicht unterworfen (die verschiedentlich diskutierten Ausnahmen lassen wir mal außen vor). Er kann nicht vor ein weltliches Gericht, wo auch immer es sich befinden mag, zitiert werden. Auf sein Vermögen haben andere Staaten keinen Zugriff. Er ist immun.

Berücksichtigt man dies, erscheint es umso befremdlicher, dass sich der Papst auf einen Streit vor einem weltlichen Gericht einlässt. Er unterwirft sich dadurch der Entscheidung einer weltlichen Instanz, der er sich sonst nicht beugen müsste. Angenommen, das Hanseatische Oberlandesgericht hebt die Entscheidung des Landgerichts auf – der Papst müsste aufgrund des von ihm selbst eingegangenen Prozessrechtsverhältnisses der gegen ihn ergehenden Kostenentscheidung beugen. Man muss sich das auf der Zunge zergehen lassen: Der Pontifex Maximus unterwirft sich dem Zahlungsbefehl eines staatlichen Gerichts. Ob freilich ein hanseatischer Kostenfestsetzungsbeschluss im Vatikan zustell- und vollstreckbar wäre, ist eine andere Frage.

Politische Klugheit und rechtlicher Maßstab

Fakt ist aber, dass die Klage eines nach kirchlichem Selbstverständnis von Gott mit der uneingeschränkten geistlichen und weltlichen Macht ausgestatteten Papstes vor einem weltlichen Gericht zumindest als bemerkenswert gelten muss. Ein Gregor VII. wäre diesen Weg wohl nicht gegangen. Einer Bewertung möchte ich mich dabei ausdrücklich enthalten. Den Papst in kirchenrechtlichen und religiösen Fragen zu beraten, wäre anmaßend.

Maßstab für die Entscheidung des Hamburger Landgerichts sind all diese Überlegungen ohnehin nicht. Das Landgericht hat nach den Maßstäben zu entscheiden, die dem deutschen Rechtssystem inhärent sind. Hiernach ist der Papst – neben allem anderen – eine natürliche Person mit einem ihr von Verfassungs wegen zukommenden allgemeinen Persönlichkeitsrecht, das gegen die Meinungs- und Kunstfreiheit eines deutschen Satiremagazins abzuwägen ist.

Das Ergebnis dieser Abwägung hat uns das Gericht bereits mitgeteilt. Überraschungen haben wir am kommenden Freitag daher wohl nicht zu erwarten.

posted by Stadler at 20:38  
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