Internet-Law

Onlinerecht und Bürgerrechte 2.0

27.8.12

Wären die Mitglieder von Pussy Riot auch in Deutschland hinter Gittern gelandet?

Man hat in den letzten Wochen immer wieder mal die Ansicht gehört, dass den Mitgliedern der russischen Punkband Pussy Riot wegen derselben „Tat“ auch in Deutschland eine Haftstrafe gedroht hätte, weshalb die Aufregung über die russische Justiz heuchlerisch sei.

In dieses Horn bläst nun auch der Strafverteidiger und emeritierte Strafrechtsprofessor Klaus Volk. In einem Beitrag für die SZ schreibt Volk in Bezug auf die Rechtslage wörtlich:

Drohen einem dafür zwei Jahre Freiheitsstrafe? Nein – sondern bis zu drei.

Diese Aussage ist zumindest für den Nichtjuristen irreführend, denn Volk vergleicht letztlich das konkrete russische Strafmaß (2 Jahre Freiheitsstrafe) mit dem deutschen Strafrahmen, der in § 167 StGB korrekt und vollständig lautet:

…wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

Dieser Strafrahmen bedeutet in der deutschen Strafrechtspraxis für einen Ersttäter – eine Strafbarkeit unterstellt – eine Geldstrafe die im Regelfall deutlich unterhalb von 90 Tagessätzen liegt. Eine Freiheitsstrafe – noch dazu ohne Bewährung – hätte den mutigen Frauen von Pussy Riot in Deutschland realistischerweise also nicht gedroht. Eine sachgerechte Gegenüberstellung hätte das russische Strafmaß zu der in Deutschland typischerweise zu erwartenden konkreten Strafe ins Verhältnis setzen müssen.

Bei der Frage, ob dieses Verhalten in Deutschland tatsächlich (auch) strafbar wäre, scheint sich Volk nicht ganz sicher zu sein, meint aber, der unbestimmte Rechtsbegriff des beschimpfenden Unfugs in § 167 StGB  müsse nach dem Verständnis der Religionsgemeinschaften von „grob ungehörig“ ausgelegt werden.

Ein Blick in die zwei gängigsten deutschen Kommentare zum Strafgesetzbuch bringt in der Tat wenig Aufklärung. Es wird dort primär auf eine Definition des Reichsgerichts (!) Bezug genommen, wonach die Verübung beschimpfenden Unfugs in einem grob ungehörigen Verhalten besteht, das die Missachtung der Heiligkeit des Ortes in besonders roher Weise zum Ausdruck bringt. Ergänzend steht dort noch, dass das Rauchen oder starke Lärmen in Kirchen diese Voraussetzungen nicht erfüllt.

Der unbestimmte Rechtsbegriff der Verübung beschimpfenden Unfugs hat also weder die Gerichte noch die Rechtswissenschaftler in der Vergangenheit nennenswert beschäftigt, was stets eine gewisse Rechtsunsicherheit mit sich bringt. Es könnte also durchaus sein, dass der eine oder andere deutsche Strafrichter ein ähnliches Verhalten mit einer Geldstrafe belegt hätte.

Andererseits ist bei der Auslegung sog. unbestimmter Rechtsbegriffe immer auch die Wertung der Grundrechte zu beachten. Und diesem Umstand misst Klaus Volk eventuell zu wenig Gewicht bei. Denn der Auftritt Pussy Riots beinhaltete nicht nur eine klare Kritik am russischen Präsidenten Putin, sondern zudem an der Wahlkampfhilfe der russisch-orthodoxen Kirche für Putin. Wenn man also den Kern der Aussage Pussy Riots freilegt, dann stößt man auf eine kritische, politische Äußerung, die sich auch ganz direkt gegen die Rolle der Kirche im russischen Wahlkampf richtet.

Es stellt sich deshalb die Frage, ob eine derartige Kritik, die inhaltlich nach unseren Maßstäben zweifelsfrei von der Meinungsfreiheit gedeckt ist, wegen ihrer Form als beschimpfender Unfug im Sinne des StGB betrachtet werden kann. Wir kennen bei der Auslegung des Grundrechts auf Meinungsfreiheit eigentlich eine ganz ähnliche Abgrenzung, nämlich die zwischen (unzulässiger) Schmähkritik und zulässigem Werturteil. Wäre es Pussy Riot also primär darum gegangen, eine Glabensgemeinschaft zu schmähen und verächtlich zu machen, dann wäre auch nach deutschem Recht eine Verurteilung vermutlich gerechtfertigt. Weil aber hier die politische Meinungsäußerung im Vordergrund stand und keineswegs die Missachtung der Religionsstätte, müsste das Urteil eines deutschen Strafgerichts bei richtiger Wertung auf Freispruch lauten.

posted by Stadler at 17:09  

16 Comments

  1. Ein Vergleich russländischer Gesetze und russländischer Rechtssprechung mit der Deutschen hat schon in der Vergangenheit zum Vorteil von Deutschland geführt.

    Für einen deutschen Kommunisten war z.B. die Überlebenschance nach den faschistischen Gesetzen und der Rechtsprechung (Machtausübung) im III. Reich höher als die Vernichtung nach sowjetischen Gesetzen und der sowjetischen Rechtssprechung.

    Ähnlich sah der Vergleich zwischen der juristischen Praxis der DDR (seit 1949) und der Sowjetunion aus. Das Einsitzen in der DDR war ein Zuckerlecken gegenüber den sowjetischen Vollzugsanstalten. Das gab und gibt überhaupt keine Berechtigung gegen die Sowjetunion zu hetzen und dabei die DDR hochzujubeln.

    Auch der Hinweis auf die Abgrenzung, nämlich zwischen (unzulässiger) Schmähkritik und zulässigem Werturteil geht fehl.

    Bei uns sitzt z.B. Dr. Peter Niehenke seit März 2011 immer noch wegen tatsächlicher bzw. vermeintlicher Nennung bzw. wg. Nennung durch andere von Adressbuchbetrügern als Betrüger nun schon seit mehr als 1,5 Jahren (seit März 2011) in der JVA Freiburg ein.

    Grundlage bildeten und bilden 8 Ordnungsbeschlüsse, die meisten ergingen gleich mit Knast, ohne der Möglichkeit, sich herauszukaufen.

    Kein Aufschrei der Presse, kein Interesse bei den Piraten mit ihrem Rechtsberater RA Markus Kompa

    Usw., usf.

    Comment by Rolf Schälike — 27.08, 2012 @ 17:46

  2. Anhand der Solidaritätsaktion im Kölner Dom am 19.08. werden wir jetzt erfahren, wie die deutsche Justiz in so einem Fall am Ende urteilt.

    Artikel in der Frankfurter Rundschau:
    http://www.fr-online.de/politik/pussy-riot-proteste-im-koelner-dom-kirche-verklagt-pussy-riot-unterstuetzer,1472596,16950362.html

    Video der Aktion auf YouTube:
    http://www.youtube.com/watch?v=-qVWPAq5Wz0

    Comment by SC — 27.08, 2012 @ 23:14

  3. Siehe hier, 17 und 10 Monate:

    http://www.welt.de/print-welt/article646090/Erneut-Gefaengnisstrafen-fuer-Kirchenstoerer.html

    Comment by Tester — 27.08, 2012 @ 23:51

  4. Bei der in Deutschland leider all zu weit verbreiteten Überbewertung der Freiheit der Religion(sgemeinschaften) würde ich auch bei einer politischen Stellungnahme nicht von einem Freispruch ausgehen. Im Gegenteil, ich kann mir durchaus vorstellen, dass in bestimmten Regionen Deutschlands auch noch recht zügig Haftstrafen (idR natürlich auf Bewährung) verhängt werden.

    Comment by Malte S. — 28.08, 2012 @ 07:33

  5. @3 Da wurden aber noch vorherige Bewährungsstrafen mit eingerechent. Also kein wirklicher Vergleich.

    Comment by Tuttle — 28.08, 2012 @ 08:24

  6. @3+5:
    Außerdem wurden in diesen Fällen Gottesdienste gestört.

    Comment by Robert aus Wien — 28.08, 2012 @ 11:55

  7. Hat Pussy Riot ihre Aktion während eines Gottesdienstes durchgeführt?

    Das wäre für einen Vergleich mit der Aktion in Köln interessant. Pussy Riot trat am 21. Februar 2012 auf, also Veilchendienstag. Es wurde dabei zumindest keine Sonntagsmesse gestört.

    Comment by Mirco — 28.08, 2012 @ 12:06

  8. Ich denke nicht, dass es in Deutschland sofort eine Freiheitsstrafe von 2 Jahren verhängt wird. Die Probleme liegen sowohl in der russischen Gesellschaft, als auch in der Politik. Gesellschaftliche Tabus bzw. politische Verbote wird das Strafmaßen in diesem Fall höher ausfallen als in Deutschland.

    Comment by Renate — 28.08, 2012 @ 12:48

  9. Wenn man schon beim Ländervergleich ist: In anderen Ländern wären sie vielleicht schon tot, gesteinigt, verbrannt oder geköpft.
    So gesehen geht es ihnen in Russland relativ gut.

    Comment by Frank — 28.08, 2012 @ 13:06

  10. Als bekennender Atheist fühle ich mich sowieso grundsätzlich diskriminiert…
    Für die letzten beiden dt. Präsidenten zählen sämtliche Glaubensrichtungen zu Deutschland (wo war denn der „Nichtglaube“), der Papst geht zivilrechtlich gegen Satiremagazine vor und an Schulen in NRW gibt es jetzt neben „katholisch“ und „evangelisch“ auch noch „muslemisch“ (Warum schafft man nicht endlich den Pflicht-Religionsunterricht komplett ab? Wer in der Bibel lesen will, kann das zu Hause/privat tun!)
    Was will ich damit sagen? Kann es evtl. sein, daß „wir“ uns zurückentwickeln. Heißt „Religionsfreiheit“ nicht eher „Glaubensfreiheit“ anstatt „Kirchenfreiheit“?
    Mir persönlich geht das – mit Verlaub – auf’n Sack und „religiöse“ Diskussionen werden m.E. immer heuchlerischer.
    Damit zum eigentlichen Thema:
    Riot hat mit ihrem Auftritt sicherlich in erster Linie politisch protestiert.
    Gleichzeitig war es auch sicherlich gelungene PR (€), aber in Anbetracht der Tatsache daß da auch Mütter involviert waren (die vermutlich wegen PR nicht einfach so auf ihre Kinder verzichten wollen), erachte ich persönlich das Thema als Sekundär.
    Bleibt also politischer Protest, der in einer Kirche zum Ausdruck gebracht wurde.
    Den evtl. anwesenden Gläubigen sicherlich respektlos gegenüber, aber da wohl auch in Einem gegen die Institution (!) Kirche protestiert werden sollte, ein adequater Ort.
    Nicht umsonst nennt man Kirchen m.W.n. auch schon mal „Gotteshaus“…
    Ich denke und hoffe, daß spätestens jetzt meine etwas weit ausholende Einleitung nachvollziehbar wird (zumindest bei dem Ein- oder Anderen).
    Es bleibt für mich nichts weiter als ein politisch motivierter Protest übrig, der von der Meinungsfreiheit gedeckt ist!
    Die sog. „Geistlichen“ sollten mal lieber ihren Geist checken und überlegen, auf wessen Seite sie denn überhaupt stehen…

    In diesem Sinne Gruß aus dervDomstadt Kölle, Baxter

    Comment by Baxter — 28.08, 2012 @ 14:03

  11. @ 11.

    „Mir persönlich geht das – mit Verlaub – auf’n Sack und “religiöse” Diskussionen werden m.E. immer heuchlerischer.“

    Mir persönlich gehen Atheisten auf den Sack, die meinen, ihre persönliche Anschauung und Überzeugung auch anderen überstülpen zu müssen.

    Comment by Frank — 29.08, 2012 @ 13:09

  12. Stadler bewertet den von den Aufrührerinnen vorgetragenen Text vorschnell als rein politische Äußerung. Bereits die Form — die Persiflage eines Gebets — verhöhnt die religiöse Praxis der Angegriffenen. Im Vortrag wurden konkret die ganze Priesterklasse und speziell der Patriarch geschmäht, und es wurde ihnen der rechte Glaube abgesprochen. Und schließlich versuchten sie, mit obszönen Ausdrücken die Heilige Jungfrau für ihre Sache zu vereinnahmen.

    Wenn Stadler bei solch einer Beweislast noch einen Freispruch rausgehandelt hätte, dann herzlichen Glückwunsch.

    Comment by twex — 29.08, 2012 @ 14:31

  13. @Frank:
    Ich kann in deinem Beitrag -offen gesagt- keinen kausalen Zusammenhang zwischen Zitat und Kommentar erkennen.
    Zumal ich mich auch nicht entsinnen könnte, „Gläubige“ versucht zu haben vom Urknall, z.B., zu überzeugen.
    Macht aber auch nichts, denn derartige Bemerkungen ist man als Atheist gewohnt. Ich bin jedensfall froh allen (!) Glaubensrichtungen gegenüber aufgeschlossen zu sein.
    Nicht jedoch gegen sämtliche kirchlichen Institutionen.
    Ursprünglich wollte ich eigentlich sogar in die Provokationskiste greifen um die Absurdität begreiflicher zu machen.
    Nämlich mit der Frage, ob Pissy Riots dafür zur Zeit um Christi Geburt wohl gekreuzigt worden wären. Hatte es mir aber verkniffen.
    Zur Betonung: Jeder soll und darf glauben, woran er will. Trotzdem haben Paragraphen wie der 167 in dieser Form im Strafgesetzbuch genausowenig verloren, wie z.B. solche dämliche Versuche einzelner alten Säcke unter dem Deckmantel des „Glaubens“ Körperverletzungen im Form von Beschneidungen legitimieren zu wollen. Da gibt es auch überhaupt gar nix zu diskutieren.
    DAS wollte ich eigentlich oben zum Ausdruck bringen.
    Nämlich daß die sog. „Gläubigen“ immer alles Mögliche mit ihrem „Glauben“ rechtfertigen wollen. Die Katholiken z.B. ihren Papst, die Juden z.B. Beschneidungen, die Mittelalterfraktion der Moslems z.B. ihre Burka u.s.w. Nicht falsch verstehen: Könnt ihr Alles wegen mir sehr gerne machen. Mir persönlich ist das -mit Verlaub- scheißegal, denn jeder Jeck ist anders. Nur bitte nicht immer den „Glauben“ vorschieben. Das sind nämlich meistens irgendwelche weltlichen Traditionen/Rituale, die irgendwelche alten Männer irgendwann mal festgelegt haben. Hab da kein Problem mit, ich feier ja auch jedes Jahr Jesus‘ Geburtstag. Ich zieh mit Karneval auch’n Kostüm über und gehe feiern. Tradition halt. Obwohl: Der FC ist evtl. ’ne Religion… oder!?
    Martin Luther hatte doch z.B. seinerzeit bemerkt, daß man auch direkt zu Gott ohne Papst beten kann… Und? Hat das was mit dem eigentlichen Glauben als solches zu tun? Ich meine Nein. Eine Schande, was heute noch in Irland diesbzgl. abgeht… Tiefstes Mittelalter! Blutige Auseinandersetzungen wegen dieser heuchlerischen Traditionspflege.
    Ganz ehrlich: „Glaube“ finde ich persönlich sogar im Grunde was Gutes, wenn sich die Leute auch z.B. mal an die 10 Gebote halten würden. Traditionen/Rituale respektiere ich selbstverständlich (solange kein Mensch gegen seinen eigenen, freien Willen dabei zu Schaden kommt, natürlich). Wenn also beispielsweise Frauen bei 30 Grad schwarz vermummt in der Gegend rumlaufen, dann ist das deren Sache! Mir tun die Leid, mich stört es aber auch nicht. Nur Schade, daß die scheinbar nicht wissen daß z.B. diese Tradition von irgendwelchen weltlichen Männern mal so eingeführt wurde und nicht etwa weil der „Glaube“ (i.S.v. Bibel, Koran u.s.w.) verlangt, daß Frauen im Sommer schwitzen sollen wie Sau!
    Lange Rede, kurzer Sinn! Glaube ungleich Kirche ungleich Tradition. Das wollte ich im Bezug zum Thema (Pussy Riots aber auch 167 StGb) eigentlich als „Neutraler“ zum Ausdruck bringen.
    Abschließend: Solltest du evtl. „gläubig“ sein (z.B. Christ), dann beantworte dir doch mal die Frage ob Jesus wohl seinerzeit direkt die römischen Soldaten gerufen hätte… wie es der russische Pfaffe wohl getan hatte.

    In diesem Sinne ein „Amen“ meinerseits.
    Nichts für ungut, es könnte alles soooo einfach sein. Nebenbei: Daß dieser Beitrag lediglich meine persönliche Meinung ist, die ich keinem hier „aufzwingen“ möchte oder dergleichen, ist ja wohl selbstredend… ;-)

    Gruß, Baxter

    Comment by Baxter — 29.08, 2012 @ 19:11

  14. Wieso prüft eigentlich niemand den Tatbestand des § 166 StGB durch? Die viel entscheidendere Frage ist doch, ob das entsprechende Verhalten geeignet wäre, den öffentlichen Frieden zu stören. Und dass Art. 5 I GG Schranken hat, dürfte doch wohl auch Herrn Stadler klar sein, so dass es in der Tat nicht primär darauf ankommt, ob entsprechendes Verhalten in dessen Schutzbereich fällt, was es natürlich tut.

    Comment by ElGraf — 2.09, 2012 @ 11:00

  15. Ich frage mich, ob der Autor das Urteil und die Anklageschrift überhaupt gelesen hat. Denn es wurde nicht nur diese Tat angeklagt, so viel ich weiss, hat man sie auch wegen des Onanierens in der Öffentlichkeit und anderen usittlichen Delikten angeklagt.

    Comment by milla — 4.09, 2012 @ 16:43

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    Comment by Geschenke kaufen — 13.05, 2023 @ 18:00

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