Derzeit tobt eine erbitterte und emotional aufgeladene Diskussion über eine Verschärfung des Strafrechts im Bereich der sexuellen Nötigung/Vergewaltigung. Konkret geht es hierbei um die Forderung, nicht einvernehmliche sexuelle Handlungen unter Strafe zu stellen. Auslöser der Diskussion ist das Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häusliche Gehalt aus dem Jahr 2011 (Istanbul-Konvention), die die Vertragsstaaten verpflichtet, alle nicht einverständlichen sexuellen Handlungen mit einer anderen Person unter Strafe zu stellen. Der wortgewaltige Strafrechtler und Vorsitzende Richter am BGH Thomas Fischer hat sich in dieser Diskussion wiederholt zu Wort gemeldet und deutlich Position gegen eine entsprechende Verschärfung des Strafrechts bezogen. In der ZEIT warf er den Abgeordneten des Bundestages zuletzt vor, nicht zu wissen wovon sie reden. Ihm widerspricht gerade drüben im Verfassungsblog Maximilian Steinbeis in einem lesenswerten Rant.
Der zentrale juristische Einwand von Thomas Fischer besteht in der Annahme, dass das geltende Strafrecht gar keine Schutzlücke aufweist und deshalb auch mit Blick auf die Istanbul-Konvention keine Veranlassung für ein Tätigwerden des Gesetzgebers besteht. Diese Ansicht wird zwar von einigen renommierten Strafrechtlern wie Monika Frommel geteilt, die Mehrheit der Wissenschaftler sieht das allerding anders, was Fischer in der ZEIT auch einräumt. Fischer konzediert außerdem, dass es (aus seiner Sicht) falsche gerichtliche Entscheidungen gegeben hat, in denen eine Strafbarkeit nach § 240 Abs. 4 StGB oder § 177 StGB zu Unrecht verneint wurde und die Angeklagten zu Unrecht freigesprochen wurden. Man könnte freilich allein diesen Umstand als legitimen Anlass für ein Tätigwerden des Gesetzgebers betrachten. Denn eine Beseitigung einer bestehenden erheblichen Rechtsunsicherheit oder auch eine Korrektur einer bestimmten Entwicklung in der Rechtsprechung, gehört natürlich auch zu den Aufgaben des Gesetzgebers.
Die unter Juristen streitige Frage, ob eine Schutzlücke existiert oder nicht, hängt letztlich auch davon ab, wie weit oder eng man die Begriffe der Gewalt und der Drohung in § 177 Abs. 1 StGB und § 240 Abs. 4 Nr. 1 StGB versteht. Und an dieser Stelle herrscht, wie so oft, kein wirklicher Konsens.
Was die Position von Bundesrichter Thomas Fischer angeht, ist außerdem seine eigene Kommentierung (Strafgesetzbuch, 62. Aufl., 2015, § 240, Rn. 59) aufschlussreich. Fischer schreibt dort nämlich, es sei unverständlich, dass die Nötigung zur Duldung sexueller Handlungen von der Norm nicht erfasst ist, denn eine Auslegung des Begriffs „Handlung“ dahingehend, dass auch das Dulden fremder Handlungen umfasst wird, würde die Wortlautgrenze überschreiten. Bei § 240 Abs. 4 StGB sieht Fischer also selbst eine Schutzlücke, die er allerdings in seinen öffentlichen Äußerungen nicht erwähnt. Der Sinn der Regelung des § 240 Abs. 4 StGB besteht aber gerade darin, eine Schutzlücke zum Tatbestand des § 177 StGB zu schließen, denn für eine sexuelle Nötigung ist nach dieser Vorschrift eine Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben erforderlich, während es bei § 240 Abs. 4 StGB genügt, dass mit einem empfindlichen Übel gedroht wird. Letztlich will § 240 Abs. 4 StGB also die Fälle der sexuellen Nötigung unterhalb der Schwelle des § 177 StGB erfassen.
Rechtsdogmatisch erheblich erscheint mir allerdings der Einwand Fischers, dass sowohl für die Verwirklichung von § 177 StGB als auch für § 240 Abs. 4 StGB selbst nach einer entsprechenden Änderung immer noch eine Nötigungshandlung erforderlich wäre. Und eine Nötigung ist per definitionem eine Willensbeugung durch Gewalt oder Drohung.
Letztendlich geht es um die Frage, ob man eine Strafnorm schaffen kann und will, deren Erfüllung ausschließlich vom (inneren) Willen des Opfers abhängt oder ob man weiterhin verlangt, dass sich das Nein des Opfers auch äußerlich manifestieren muss. Das scheint mir der eigentliche (juristische) Streitpunkt zu sein. Und ich muss gestehen, ich bin in der Frage noch unentschieden.