Der Sinkflug des deutschen Journalismus
Die Berichterstattung über den Absturz von Flug 4U9525 macht mich immer noch und immer wieder fassungslos. Mir fällt es nach wie vor relativ schwer zu glauben, dass ein Pilot, psychische Probleme hin oder her, gezielt einen minutenlangen kontrollierten Sinkflug einleitet, um 150 Menschen umzubringen und dabei angeblich die ganze Zeit über ruhig atmet. Diese medial vermittelte Gewissheit kommt mir etwas zu schnell, zumal man bei anderen Flugzeugabstürzen oft monatelang ermittelt. Was, wenn es doch noch eine andere Erklärung gibt?
Schockierend ist zudem, dass man selbst bei Flaggschiffen wie FAZ.NET , der ZEIT oder dem SPIEGEL nicht mehr unbedingt eine zurückhaltende und verantwortungsbewusste Berichterstattung vorfindet. FAZ.NET hielt es für notwendig, ein Bild des Piloten zu veröffentlichen, das man seinem Facebook-Profil entnommen hat, vermutlich auch unter Missachtung der Rechte des Fotografen. Im SPIEGEL wird der Pilot mit den Attentätern von 9/11 und Anders Breivik verglichen, während die ZEIT über den Absturz des Mythos Lufthansa schreibt. Letzteres wurde von Marcus Lindemann und Thomas Knüwer schon sehr zutreffend kritisch gewürdigt. Die seltsamen Rechtfertigungsversuche der FAZ und der ZEIT bestätigen die Berechtigung der Kritik eher als sie zu entkräften.
Unter dem Eindruck dieser Berichterstattung hatte ich auf Twitter die zugespitzt Frage gestellt, ob es in diesem Land überhaupt noch seriösen und verantwortungsvollen Journalismus gibt. Das war natürlich unfair gegenüber denjenigen Redaktionen und Journalisten, die sich bemühen, zurückhaltend und ernsthaft über den Flugzeugabsturz zu berichten und der Versuchung widerstanden haben, sich dem weit verbreiteten Boulevard-Niveau anzunähern. Dennoch ist die Berichterstattung über den Absturz auch die Geschichte des Niedergangs des deutschen Journalismus. Die erwartbar niederträchtige und widerwärtige Darstellung bei Bild & Co. schockiert mich dabei weniger als das, was Flaggschiffe wie FAZ, SPIEGEL oder auch die ZEIT angeboten haben. Der Weg führt in der Tendenz weg vom seriösen, informierenden Journalismus und hin zur Sensationsberichterstattung des Boulevards. Es erscheint mir daher mehr als verständlich, wenn Hans Hoff zu der Schlussfolgerung gelangt, dass der Journalismus nicht mehr existiert. Er ist zumindest schwer unter Druck und derzeit deutet wenig auf eine zukünftig positive Entwicklung hin.
Die Kritik an der Art und Weise der Berichterstattung findet übrigens fast ausschließlich in Blogs und sozialen Netzwerken statt. Auch das erscheint mir bemerkenswert und bezeichnend.