Internet-Law

Onlinerecht und Bürgerrechte 2.0

9.10.17

Anmerkungen zum „Facebook-Gesetz“

Am 01.10.2017 ist das Gesetz mit dem sperrigen Titel „Gesetz zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken“ (Netzwerkdurchsetzungsgesetz – NetzDG) in Kraft getreten, das in den Medien zuweilen nur als „Facebook-Gesetz“ bezeichnet wird. Das Gesetz verpflichtet soziale Netze wie Facebook und Twitter dazu, bestimmte rechtswidrige Inhalte kurzfristig zu löschen. Das Gesetzesvorhaben wurde im Netz und auch in der juristischen Fachwelt überwiegend kritisiert und dies häufig sogar in äußerst alarmistischer Art und Weise. Als jemand, der die Kritik jedenfalls nicht durchgehend zu teilen vermag, möchte ich eine differenzierte Betrachtung anstellen.

Gegen das Gesetz bestehen erhebliche juristische Bedenken, von denen die europarechtlichen sicherlich am stichhaltigsten sind. Die zeitlich starren Sperrvorgaben des § 3 Abs. 2 NetzDG, die die Anbieter dazu verpflichten, offensichtlich rechtswidrige Inhalte innerhalb von 24 Stunden zu löschen und sonstige rechtswidrige Inhalte unverzüglich, worunter der deutsche Gesetzgeber in der Regel einen Zeitraum von sieben Tagen versteht, stehen in Konflikt mit der E-Commerce-Richtlinie. Die Vorschriften dieser Richtlinie zur Haftungsprivilegierung verlangen von Anbietern, die Informationen für einen Nutzer speichern, ein unverzügliches Tätigwerden, sobald sie Kenntnis von einer rechtswidrigen Information erlangt haben. Die Richtlinie gibt also keine festen Sperrfristen vor, sondern orientiert sich an den Umständen des Einzelfalls. Das heißt, gemessen an der Richtlinie können 24 Stunden zu kurz oder sieben Tage zu lang sein. Das deutsche Gesetz entspricht also nicht den Vorgaben der Richtlinie und diese Abweichung kann durchaus als europarechtswidrig betrachtet werden. Kontrovers diskutiert wird in europarechtlicher Hinsicht auch die Frage, ob das NetzDG gegen das sog. Herkunftslandprinzip verstößt, das besagt, dass ausländische Dienstanbieter keinen strengeren Anforderungen unterworfen werden dürfen, als in ihrem Sitzmitgliedsstaat. Der wissenschaftliche Dienst des Bundestages betrachtet das Gesetz als mit dem Herkunftslandprinzip unvereinbar. Auch die sachlich höchst sinnvolle Verpflichtung der sozialen Medien, einen inländischen Zustellungsbevollmächtigten zu benennen, könnte gegen das Herkunftslandprinzip der E-Commerce-Richtlinie verstoßen.

Allerdings sollte man in der europarechtlichen Diskussion auch deren Dynamik nicht verkennen. So gibt es bei der Kommission bereits aktuell Überlegungen, die nicht nur in eine ganz ähnliche Richtung weisen wie das NetzDG, sondern deutlich und in teilweise bedenklicher Form darüber hinausgehen. Es steht also nicht unbedingt zu erwarten, dass die Kommission das deutsche Gesetz beanstanden wird, nachdem man dort noch viel weiterreichende Regulierungsmaßnahmen im Auge hat. In einem aktuellen Papier „Tackling Illegal Content Online – Towards an enhanced responsibility of online platform„, denkt die Kommission darüber nach, Portalbetreibern wesentlich konkretere Handlungspflichten aufzuerlegen als bisher, einschließlich einer engeren Zusammenarbeit mit staatlichen Stellen, dezidierten Berichtspflichten, proaktiven Filterpflichten, sowie kurzen und konkreten Löschfristen.

Als weit weniger griffig erachte ich die geäußerte Kritik dann allerdings, soweit von einer Gefahr für die Meinungs- und Informationsfreiheit die Rede ist.

Diese Kritik verkennt den momentanen status quo und unterstellt eine Verschlechterung im Vergleich zur aktuell bestehenden Situation, die kaum zu erwarten ist.

Dazu muss man sich allerdings vergegenwärtigen, wo wir eigentlich herkommen. Derzeit löscht Facebook nach gänzlich intransparenten Kriterien Inhalte, die teilweise erkennbar nicht rechtswidrig sind, während bei ersichtlich rechtswidrigen Inhalten häufiger die textbausteinartige Antwort erfolgt, dass ein Verstoß gegen die Community-Regeln nicht gegeben ist. Der Ausgangszustand auf den das Gesetz reagiert, ist also im Lichte der Meinung- und Informationsfreiheit alles andere als optimal. Es besteht mithin durchaus der Bedarf, Facebook & Co. rechtsstaatlicher Kuratel zu unterstellen, weil eine gesetzeskonforme und rechtsstaatlich akzeptable Löschpraxis dort schlicht nicht existiert. Vor diesem Hintergrund verwundert es auch etwas, dass das NetzDG gerade wegen seiner grundrechtlichen Auswirkungen abgelehnt wird.

Allein den Umstand, dass große Anbieter wie Facebook gezwungen werden, Geld in die Hand zu nehmen, um ein transparenteres und professionelleres System der Überprüfung und Löschung von rechtswidrigen Inhalten zu etablieren, muss man als Fortschritt gegenüber dem status quo betrachten. Auch die im Gesetz normierten Berichtspflichten sind zu begrüßen, denn sie zwingen die sozialen Netzwerke dazu, mit Blick auf ihre Löschpraxis öffentlich Farbe zu bekennen und Rechenschaft abzulegen. Es ist daher kaum naheliegend anzunehmen, dass sich die Zahl falscher Löschentscheidungen erhöhen wird. Vielmehr darf man, wenn man die Thematik primär aus dem Blickwinkel der Meinungs- und Informationsfreiheit betrachtet, berechtigterweise sogar auf eine Verbesserung im Vergleich zur aktuellen Situation hoffen. Gerade in grundrechtlicher Hinsicht teile ich die vielerorts artikulierten Bedenken deshalb nicht.

Man sollte gleichwohl nicht verschweigen, dass das Gesetz den falschen Grundansatz wählt, indem es allein auf ein öffentlich-rechtliches Ordnungswidrigkeitensystem setzt, ohne gleichzeitig die Rechtsdurchsetzung für die Betroffenen zu erleichtern.

Es ist zudem nicht von der Hand zu weisen, dass das Gesetz einseitige Löschanreize schafft. Denn das Gesetz sanktioniert nur die Nichtlöschung rechtswidriger Inhalte, während die Löschung rechtmäßiger Inhalte keinerlei Konsequenzen hat.

Das Gesetz kann insgesamt nicht als der große Wurf betrachtet werden, der es eventuell bei anderer Ausgestaltung hätte sein können. Die oft beschworene Gefahr für die Meinungs- und Informationsfreiheit besteht, jedenfalls gemessen am status quo, aber auch nicht.

posted by Stadler at 17:30  

21.10.16

Mogelpackung BND-Reform

Der Bundestag hat heute den Gesetzesentwurf von CDU/CSU und SPD zur Ausland-Ausland-Fernmeldeaufklärung des Bundesnachrichtendienstes (BND) unverändert beschlossen.

Neu geregelt wird u.a. § 6 des BND-Gesetzes, dessen Absätze 1 – 5 nunmehr wie folgt lauten:

(1) Der Bundesnachrichtendienst darf zur Erfüllung seiner Aufgaben vom Inland aus mit technischen Mitteln Informationen einschließlich personenbezogener Daten aus Telekommunikationsnetzen, über die Telekommunikation von Ausländern im Ausland erfolgt (Telekommunikationsnetze), erheben und verarbeiten (Ausland-Ausland-Fernmeldeaufklärung), wenn diese Daten erforderlich sind,

um frühzeitig Gefahren für die innere oder äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland erkennen und diesen begegnen zu können,

die Handlungsfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland zu wahren oder

sonstige Erkenntnisse von außen- und sicherheitspolitischer Bedeutung über Vorgänge zu gewinnen, die in Bezug auf Art und Umfang durch das Bundeskanzleramt im Einvernehmen mit dem Auswärtigen Amt, dem Bundesministerium des Innern, dem Bundesministerium der Verteidigung, dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie und dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung bestimmt werden.

Die Datenerhebung darf nur aus denjenigen Telekommunikationsnetzen erfolgen, die das Bundeskanzleramt zuvor durch Anordnung bestimmt hat.

(2) Der Bundesnachrichtendienst darf die Erhebung von Inhaltsdaten im Rahmen der Ausland-Ausland-Fernmeldeaufklärung nur anhand von Suchbegriffen durchführen. Diese müssen für die Aufklärung von Sachverhalten nach Absatz 1 Satz 1 bestimmt und geeignet sein und ihre Verwendung muss im Einklang mit den außen- und sicherheitspolitischen Interessen der Bundesrepublik Deutschland stehen.

(3) Suchbegriffe, die zur gezielten Erfassung von Einrichtungen der Europäischen Union, von öffentlichen Stellen ihrer Mitgliedstaaten oder von Unionsbürgerinnen oder Unionsbürgern führen, dürfen nur verwendet werden, wenn dies erforderlich ist, um Gefahren im Sinne des § 5 Absatz 1 Satz 3 des Artikel 10-Gesetzes zu erkennen und zu begegnen oder um Informationen im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 1 bis 3 zu gewinnen, soweit ausschließlich Daten über Vorgänge in Drittstaaten gesammelt werden sollen, die von besonderer Relevanz für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland sind.

Suchbegriffe, die zur gezielten Erfassung von Unionsbürgerinnen und Unionsbürgern führen, dürfen darüber hinaus verwendet werden, wenn dies erforderlich ist zur Erkennung und Begegnung von Straftaten im Sinne des § 3 Absatz 1 des Artikel10-Gesetzes.

(4) Eine Erhebung von Daten aus Telekommunikationsverkehren von deutschen Staatsangehörigen, von inländischen juristischen Personen oder von sich im Bundesgebiet aufhaltenden Personen ist unzulässig.

(5) Eine Ausland-Ausland-Fernmeldeaufklärung zum Zwecke der Erzielung von Wettbewerbsvorteilen (Wirtschaftsspionage) ist unzulässig.

Für viele mag das auf den ersten Blick beruhigend klingen, denn schließlich besagt das Gesetz ja, dass eine Erhebung von Daten deutscher Staatsangehöriger oder sich von im Bundesgebiet aufhaltender Personen unzulässig ist. Gleichzeitig stellt sich schon auf den ersten Blick die Frage, warum man eigentlich von einer Auslands-Auslands-Aufklärung spricht, wenn man inländische Telekommunikationsknoten überwachen will. Denn über diese Netze läuft zunächst einmal natürlich vorwiegend auch inländischer Telekommunikationsverkehr. Die vom Gesetz vorgenommene Differenzierung kann man im Internetzeitalter an sich nur als Anachronismus betrachten. Die Frage, wie man den Daten ansehen soll, ob sie von deutschen Staatsbürgern oder von Personen stammen, die sich im Inland aufhalten, beantwortet das Gesetz nicht. Vielmehr tut man so, als wäre hier eine klare und eindeutige Trennung möglich. Dass das Gegenteil richtig ist, entspricht der einhelligen Ansicht aller Fachleute. Ein als geheim eingestufter Prüfbericht der Bundesdatenschutzbeauftragten aus dem Jahre 2015 gelangt insoweit zu folgender Schlussfolgerung:

Durch die DAFIS-Filterung werden nach Artikel 10 Grundgesetz geschützte Personen zumindest nicht vollumfänglich ausgesondert. Infolgedessen hat der BND – entgegen den Vorgaben des G-10-Gesetzes – auch personenbezogene Daten dieser nicht ausgesonderten Personen verwendet und damit rechtswidrig in die durch Artikel 10 Grundgesetz geschützte Kommunikation dieser Personen eingegriffen.

Die vom BND benutzte Filterung ermöglicht es folglich nicht, inländischen Telekommunikationsverkehr und denjenigen TK-Verkehr an dem deutsche Staatsbürger beteiligt sind, vollständig auszunehmen. Und das wussten die Abgeordneten des Bundestages sehr genau. Ohne sich also überhaupt mit dem Verfassungsrecht zu befassen, lässt sich feststellen, dass der BND nicht in der Lage ist, die Neuregelung von § 6 Abs. 4 BND-Gesetz einzuhalten. Das Gesetz ist also bereits in sich widersprüchlich und unstimmig.

Die Neuregelung führt mithin dazu, dass auch Telekommunikation von deutschen Staatsangehörigen und Personen, die sich im Inland aufhalten, überwacht wird, weil es technisch nicht möglich ist, diesen Personenkreis trennscharf auszunehmen. Das Gesetz scheitert also schon an seiner eigenen Vorgabe. Der BND wird auch künftig regelmäßig gegen § 6 Abs. 4 BND-Gesetz verstoßen. Der Versuch der großen Koalition, das rechtswidrige Treiben des BND aus der Vergangenheit zu legalisieren, ist bereits vor Inkrafttreten des Gesetzes gescheitert, weil es technisch gar nicht möglich ist, die gesetzlichen Vorgaben einzuhalten.

Die Neuregelung könnte verfassungsrechtlich aber nur dann Bestand haben, wenn Eingriffe in das Fernmeldegeheimnis des Art. 10 GG nicht stattfinden.

Das BVerfG hat außerdem bereits 1999 entschieden, dass das Fernmeldegeheimnis des Art. 10 GG jedenfalls dann gilt, wenn ausländischer Fernmeldeverkehr mit Überwachungsanlagen aufgezeichnet wird, die sich auf deutschem Boden befinden. In der letzten Entscheidung des BVerfG zum G 10 heißt es ganz ausdrücklich:

Dabei wird bereits durch die Erfassung und Aufzeichnung des Telekommunikationsverkehrs mit Hilfe der auf deutschem Boden stationierten Empfangsanlagen des Bundesnachrichtendienstes eine technisch-informationelle Beziehung zu den jeweiligen Kommunikationsteilnehmern und ein – den Eigenarten von Daten und Informationen entsprechender – Gebietskontakt hergestellt. Auch die Auswertung der so erfaßten Telekommunikationsvorgänge durch den Bundesnachrichtendienst findet auf deutschem Boden statt. Unter diesen Umständen ist aber auch eine Kommunikation im Ausland mit staatlichem Handeln im Inland derart verknüpft, daß die Bindung durch Art. 10 GG selbst dann eingreift, wenn man dafür einen hinreichenden territorialen Bezug voraussetzen wollte.

(…)

Die Überwachung und Aufzeichnung internationaler nicht leitungsgebundener Telekommunikationen durch den Bundesnachrichtendienst greift in das Fernmeldegeheimnis ein.

Die vom neuen BND-Gesetz geregelte Überwachung von ausländischem TK-Verkehr an inländischen TK-Knotenpunkten greift damit in den Schutzbereich von Art. 10 GG ein. Das BND-Gesetz erweckt aber den Eindruck, als wäre Art. 10 GG nicht berührt und ist allein deshalb verfassungswidrig.

Die von Angela Merkel vollmundig propagierte Prämisse, wonach eine Überwachung unter Freunden gar nicht gehe, findet im Gesetz übrigens auch wenig Niederschlag. Die Überwachung von Unionsnbürgern ist eingeschränkt möglich, die von Bürgern anderer (befreundeter) Staaten uneingeschränkt. Die Bundeskanzlerin hat sich wohl ganz am Vorbild Adenauers orientiert und sich gedacht: „Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern.“

posted by Stadler at 14:13  

10.9.15

Regelungen zur Terrorbekämpfung sollen erneut verlängert werden

Die gesetzlichen Regelungen zur Terrorbekämpfung, die infolge von 9/11 eingeführt wurden, sollen um weitere fünf Jahre verlängert werden, bis 2021. Dies sieht ein „Entwurf eines Gesetzes zur Verlängerung der Befristung von Vorschriften nach den Terrorismusbekämpfungsgesetzen“ der Bundesregierung vor. Zentraler Bestandteil des zugrundeliegenden Gesetzespakets ist das Terrorismusbekämpfungsgesetz, das insbesondere den Geheimdiensten erweiterte Überwachungsbefugnisse verliehen hat.

Die neuerliche Verlängerung zeigt einmal mehr, dass grundrechtseinschränkende Gesetze, selbst wenn sie befristet eingeführt wurden und wie hier (angeblich) evaluiert werden, in keinem Fall zurückgenommen werden.

Wie die Evaluierung der Anti-Terrorgesetze funktioniert, habe ich vor vier Jahren, anlässlich der letzten Verlängerung, in einem Blogbeitrag erläutert. Von einer ergebnisoffenen und sachlich fundierten Evaluierung kann in diesem Fall überhaupt keine Rede sein. Die angeblich wissenschaftliche Evaluierung, deren Ergebnis politisch vorgegeben ist, darf man getrost als bloße Augenwischerei betrachten.

posted by Stadler at 21:52  

28.7.15

Abgeordnete erhalten auch weiterhin keinen Zugang zu den TTIP-Dokumenten

Das Verfahren in dem das transatlantischen Freihandelsabkommen TTIP (Transatlantic Trade and Investment Partnership) verhandelt wird, genügt rechtsstaatlichen Anforderungen nicht und müsste von demokratisch gewählten Parlamenten – ungeachtet seines Inhalts – allein aus diesem Grund abgelehnt werden. Das habe ich vor einigen Monaten bereits ausführlich erläutert.

Ganz offenbar bleibt es weiterhin, nachdem die Intransparenz der Verhandlungen immer wieder kritisiert worden ist, dabei, dass die Parlamente der beteiligten Staaten, keinen Einblick in die Verhandlungsunterlagen erhalten. Hierfür schieben sich aktuell die US-Botschaft in Berlin und die Bundesregierung gegenseitig die Verantwortung zu, wie die SZ berichtet. Die US-Botschaft teilte mit, sie hätte einen Leseraum in der Botschaft eingerichtet, in der die aktuellen Dokumente eingesehen werden könnten. Wer von deutscher Seite aus Zugang zu diesen Dokumenten erhält, würde das Bundeswirtschaftsministerium entscheiden und auf deren Liste stünden keine Abgeordneten. Demgegenüber teilte Staatssekretärin Brigitte Zypries mit, dass sich die Vereinbarung über die Einrichtung von Leseräumen „lediglich auf Regierungsvertreter“ bezogen habe und deshalb keine Parlamentarier auf der Liste stehen.

Es bleibt also dabei, dass noch nicht einmal die gewählten Abgeordneten rechtzeitig und im Vorfeld umfassenden Einblick in die Verhandlungsdokumente erhalten, obwohl sie am Ende einem Abkommen zustimmen sollen, das rechtsverbindlich ist und national deshalb auch wie ein Gesetz wirkt. Es handelt also um eine Art Gesetzgebungsverfahren über das der eigentliche Gesetzgeber noch nicht einmal umfassend unterrichtet wird. Was das in demokratisch-rechtsstaatlicher Hinsicht bedeutet, kann sich jeder selbt überlegen. Wenn also gelegentlich von Postdemokratie die Rede ist, dann müssen die TTIP-Verhandlungen als Paradebeispiel dafür gelten.

Die Aussage der US-Botschaft im Zusammenhang mit der Frage des Zugangs zu den TTIP-Dokumenten ist noch aus einem anderen Grund bemerkenswert. Auf den Schriftwechsel zwischen Bundestagspräsident Lammert und US-Botschafter Emerson will man nicht eingehen, denn der sei „privat“.  Allein diese Aussage ist bezeichnend. Es gibt nichts, das weniger privat ist, als ein Schriftwechsel zwischen einem Vertreter der US-Regierung und dem deutschen Parlamentspräsidenten zu einer politischen Frage. In einer Zeit, in der die Privatheit des Bürgers immer weniger gilt, bezeichnen Regierungen ihre offiziellen Gespräche plötzlich als privat. Das erinnert wahlweise an Macbeth „Fair is foul, and foul is fair“ oder an 1984 „Krieg ist Frieden, Freiheit ist Sklaverei, Unwissenheit ist Stärke“. Neusprech eben.

posted by Stadler at 09:22  

3.12.14

Warum funktioniert die parlamentarische Kontrolle der Geheimdienste nicht?

Was der NSA-Untersuchungsausschuss zu den Aktivitäten des Bundesnachrichtendienstes (BND) zutage fördert, belegt, was man schon immer vermuten musste. Die parlamentarische Kontrolle der (deutschen) Geheimdienste funktioniert nicht nur nicht gut, sie funktioniert überhaupt nicht. Es handelt sich um ein rechtsstaatliches Placebo, das als Korrektiv vollständig versagt hat. Der verfassungsrechtliche Sündenfall beginnt bereits mit Art. 10 Abs. 2 S. 2 GG der lautet:

Dient die Beschränkung dem Schutze der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder des Bestandes oder der Sicherung des Bundes oder eines Landes, so kann das Gesetz bestimmen, daß sie dem Betroffenen nicht mitgeteilt wird und daß an die Stelle des Rechtsweges die Nachprüfung durch von der Volksvertretung bestellte Organe und Hilfsorgane tritt.

Diese Regelung im Grundgesetz wurde 1968 durch die sog. Notstandsgesetze eingefügt. Sie schränkt den effektiven Rechtsschutz den Art. 19 Abs. 4 GG gewährleistet, ein und stellt meines Erachtens neben der Asylregelung der 90’er Jahre die wesentliche freiheitsfeindliche Einschränkung des Grundrechtsschutzes gegenüber der ursprünglichen Fassung des Grundgesetzes dar.

Dennnoch verfügt das Parlament im Grunde über alle notwendigen gesetzlichen Instrumentarien um die Dienste effektiv zu kontrollieren. Allein die Abgeordneten machen davon keinen Gebrauch. Das Gesetz über die parlamentarische Kontrolle nachrichtendienstlicher Tätigkeit des Bundes (PKGrG) gibt dem Parlament weitreichende Möglichkeiten. § 4 Abs. 1 PKGrG besagt:

Die Bundesregierung unterrichtet das Parlamentarische Kontrollgremium umfassend über die allgemeine Tätigkeit der in § 1 Absatz 1 genannten Behörden und über Vorgänge von besonderer Bedeutung. Auf Verlangen des Parlamentarischen Kontrollgremiums hat die Bundesregierung auch über sonstige Vorgänge zu berichten.

Es kommt aber in § 5 Abs. 1 und 2 PKGrG noch besser:

Soweit sein Recht auf Kontrolle reicht, kann das Parlamentarische Kontrollgremium von der Bundesregierung und den in § 1 genannten Behörden verlangen, Akten oder andere in amtlicher Verwahrung befindliche Schriftstücke (…) herauszugeben und in Dateien gespeicherte Daten zu übermitteln sowie Zutritt zu sämtlichen Dienststellen der in § 1 genannten Behörden zu erhalten.
Es kann Angehörige der Nachrichtendienste, Mitarbeiter und Mitglieder der Bundesregierung sowie Beschäftigte anderer Bundesbehörden nach Unterrichtung der Bundesregierung befragen oder von ihnen schriftliche Auskünfte einholen.

Bereits die Lektüre dieser gesetzlichen Vorschriften zeigt, dass die Parlamentarier jede Menge Möglichkeiten haben, bis hin zu Zutrittsbefugnissen bei den Diensten.

Wie die Wirklichkeit aussieht, möchte ich anhand der aktuellen Praxis der TK-Überwachung durch den BND erläutern. Der BND erhebt Meta-Daten und Inhalte von E-Mails in großem Stil. Wer daran bislang noch zweifelte, wird nicht nur durch die Aussagen von BND-Mitarbeitern im NSA-Untersuchungsausschuss widerlegt, sondern auch durch eine aufschlussreiche Passage in einem aktuellen Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 28.05.2014.

Im Urteil (Rn. 24) wird beschrieben, dass der vom BND verpflichtete TK-Betreiber den gesamten Telekommunikationsverkehr an den BND ausleitet. Der TK-Verkehr wird also nicht erst anhand von Suchbegriffen erfasst, wie es die gesetzliche Regelung in § 5 Abs. 2 G-10-Gesetz an sich vorsieht. Vielmehr dienen die Suchbegriffe nur der Durchsuchung eines zuvor vom BND bereits erfassten und gespeichterten Datenpools.

Der BND speichert also Metadaten und Inhalte von E-Mails in großem Umfang und wertet diese anschließend aus. Obwohl bereits dies einen Eingriff in Art. 10 GG darstellt, findet man in der jährlichen Unterrichtung des Bundestages durch das Parlamentarische Kontrollgremium (PKGr) dazu rein gar nichts. Das BVerwG hat unlängst klargestellt, dass jede Kenntnisnahme, Aufzeichnung und Verwertung von Kommunikationsdaten eines Bürgers in den Schutzbereich von Art. 10 GG eingreift. Die Existenz dieses riesigen Datenpools, der auf einem Grundrechtseingriff von enormem Ausmaß basiert, wird in der jährlichen Unterrichtung des Bundestages schlicht verschwiegen. Der jährliche Bericht suggeriert vielmehr, dass nur einige Millionen E-Mails pro Jahr ausgewertet werden. Diese Darstellung verharmlost und verzerrt das tasächliche Ausmaß der TK-Überwachung durch den BND vollständig.

Die Bundesregierung und der BND informieren das Parlament über das tatsächliche Ausmaß der TK-Überwachung durch den BND also nicht. Die fast zynische Haltung der Bundesregierung wird deutlich, wenn man sich ihre Antworten auf eine kleine parlamentarische Anfrage der Linksfraktion ansieht:

Frage: Hält die Bundesregierung weiterhin an ihrer Aussage fest, dass Bundesbehörden keine einzelnen Metadaten in großen lnternetknoten wie DE-CIX filtern, obwohl dies vom Abhördienstleister und Zulieferer deutscher Behörden Utimaco berichtet wird?

Antwort: Der Bundesregierung ist eine solche Aussage nicht bekannt.

Frage: Falls die Bundesregierung nicht an ihrer Aussage festhält, inwiefern und auf welche Weise werden der Internetknoten DE-CIX bzw. andere entsprechende Schnittstellen von Glasfaserkabeln durch welche Bundesbehörden überwacht?

Antwort: Auf den VS-Geheim eingestuften Antwortteil gemäß Vorbemerkung wird verwiesen.

Zusammengefasst sagt die Bundesregierung also folgendes: Wir haben doch nie behauptet, dass der BND am DE-CIX und anderen Internetnoten keine Metadaten ausfiltert. Was der BND genau macht und in welchem Umfang Metadaten erfasst werden, sagen wir aber nicht, da geheimhaltungsbedürftig.

Warum aber lässt sich das Parlament von Bundesregierung und BND derart am Nasenring durch die Manege führen? Der Umstand, dass die jeweilige Bundesregierung auch immer die Bundestagsmehrheit hinter sich hat, ist als Begründung naheliegend, aber nicht ausreichend. Wir haben es insgesamt mit einem politischen System zu tun, das sich mehrheitlich de facto nicht (mehr) vorrangig an den Vorgaben der Verfassung orientiert und an den Interessen der Bürger. Dieses politische System ist deshalb schon gar nicht willens, die Geheimdienste effektiv zu kontrollieren und die Einhaltung der rechtsstaatlichen Vorgaben zu gewährleisten.

Es bleibt daher vermutlich einmal mehr nur die Hoffnung auf das Bundesverfassungsgericht, zumal der öffentliche Druck in diesen Fragen zwar da ist und auf einem gewissen (niedrigen) Level auch anhält, aber nicht ausreichend sein dürfte, um letztlich die rechtsstaatlich gebotene Eindämmung der Massenüberwachung durch die Geheimdienste zu bewirken.

posted by Stadler at 11:16  

21.10.14

Warum darf die heute show nicht im Bundestag drehen?

Der ZDF-Satiresendung heute show wurde eine Drehgenehmigung im Bundestag versagt, was medial hohe Wellen geschlagen hat, nachdem Moderator Oliver Welke die Weigerung der Bundestagsverwaltung in der Sendung öffentlich gemacht hatte.

Gegenüber der Süddeutschen hat die Bundestagsverwaltung die Verweigerung der Drehgenehmigung damit begründet, dass „die Absicht offenbar wurde, unter Verstoß gegen die hiesige Geschäftsordnung im Reichstagsgebäude eine Satire-Inszenierung aufzuzeichnen„. Die Produktionsfirma der heute show habe einen Protagonisten auf der Pressetribüne filmen wollen, was nach dem Beschluss des Ältestenrates nur zum Zwecke einer unmittelbaren politisch-parlamentarischen Berichterstattung erlaubt sei.

Diese Begründung ist rechtlich in jedem Fall problematisch, denn sie offenbart die Haltung der Bundestagsverwaltung, die heute show würde keine unmittelbare politisch-parlamentarische Berichterstattung bieten. Gerade diese Bewertung steht der Verwaltung aber nicht zu, wie der Kollege Jonas Kahl bei Telemedicus erläutert. Wie und in welcher Form berichtet wird, ist eine Entscheidung die das berichtende Presseorgan selbst zu treffen hat. Es ist gerade der Wesenskern der Pressefreiheit, dass die Verwaltung nicht darüber zu bestimmen hat, was man als seriöse Berichterstattung ansieht und was nicht. Formale und inhaltliche Anforderungen darf die Bundestagsverwaltung daher gar nicht erst stellen. Eine satirische oder belustigende Berichterstattung hat denselben Stellenwert wie die eines klassischen Nachrichtenformats. Das was die heute show macht, stellt deshalb natürlich auch eine unmittelbare politisch-parlamentarische Berichterstattung dar.

Vielleicht ist die satirische Berichterstattung sogar die bessere Berichterstattung, weil sie Aspekte darstellt und hervorhebt, die bei der „seriösen“ Berichterstattung verborgen bleiben. Oder wie es Jens Best auf Twitter formuliert hat:

Wenn Satire im Bundestag wirklich untersagt wäre, dann müsste auch einigen MdBs der Zutritt verweigert werden.

Dass die Bundestagsverwaltung Angst vor kritischer bzw. entlarvender Berichterstattung hat, die sich etwas außerhalb der gewohnten Bahnen bewegt, konnte man schon an der Verweigerung einer Jahresakkreditierung für das Blog netzpolitik.org sehen, die ebenfalls auf die Begründung gestützt wurde, netzpolitik.org würde keine parlamentarische Berichterstattung betreiben. Auch wenn dem Blog netzpolitik.org die Jahresakkreditierung zwischenzeitlich erteilt wurde, offenbaren diese Begründungsansätze der Bundestagsverwaltung eine eigentümliche Vorstellung von Berichterstattung und Pressefreiheit.

posted by Stadler at 12:19  

10.10.14

BND-Präsident Schindler: Völlig losgelöst von der Erde

Als ich den Hinweis auf diesen ZEIT-Online-Artikel auf Twitter gesehen habe, kam mir zuerst das hervorragende Satiremagazin Postillon in den Sinn. Die Aussage von BND-Präsident Schindler, wonach die Satellitendaten die der BND in Bad Aibling erhebt, ja eigentlich im Weltall erhoben werden, in dem keine deutschen Gesetze gelten, ist aber ganz offensichtlich keine Erfindung des Postillon, obwohl sie exakt danach klingt.

Das was BND-Präsident Schindler sagt, entspricht offenbar auch der Rechtsauffassung der Bundesregierung. Diese geht nämlich davon aus, dass es für die Auslandsaufklärung des BND überhaupt keiner speziellen gesetzlichen Ermächtigung bedarf. Das hat der Verfassungsrechtler Matthias Bäcker in seiner Stellungnahme für den NSA-Untersuchungsausschuss (S. 16 ff.) bereits deutlich kritisiert.

Das BVerfG hat bereits 1999 entschieden, dass das Fernmeldegeheimnis des Art. 10 GG jedenfalls dann gilt, wenn ausländischer Fernmeldeverkehr mit Überwachungsanlagen aufgezeichnet wird, die sich auf deutschem Boden befinden. In der letzten Entscheidung des BVerfG zum G 10 heißt es ganz ausdrücklich:

Dabei wird bereits durch die Erfassung und Aufzeichnung des Telekommunikationsverkehrs mit Hilfe der auf deutschem Boden stationierten Empfangsanlagen des Bundesnachrichtendienstes eine technisch-informationelle Beziehung zu den jeweiligen Kommunikationsteilnehmern und ein – den Eigenarten von Daten und Informationen entsprechender – Gebietskontakt hergestellt. Auch die Auswertung der so erfaßten Telekommunikationsvorgänge durch den Bundesnachrichtendienst findet auf deutschem Boden statt. Unter diesen Umständen ist aber auch eine Kommunikation im Ausland mit staatlichem Handeln im Inland derart verknüpft, daß die Bindung durch Art. 10 GG selbst dann eingreift, wenn man dafür einen hinreichenden territorialen Bezug voraussetzen wollte.

(…)

Die Überwachung und Aufzeichnung internationaler nicht leitungsgebundener Telekommunikationen durch den Bundesnachrichtendienst greift in das Fernmeldegeheimnis ein.

Es ist also bereits eindeutig entschieden, dass Art. 10 GG zumindest dann gilt, wenn die Erfassung, Aufzeichnung und Auswertung der TK-Vorgänge auf deutschem Boden stattfinden. Das was der BND in Bad Aibling macht, unterliegt also einer vollständigen Grundrechtsbindung. Einfachgesetzlich bedeutet das, dass ausreichend klare Eingriffsermächtigungen vorliegen müssen, die den verfassungsrechtlichen Anforderungen an Bestimmtheit und Normklarheit genügen. Wenn der sachliche Schutzbereich von Art. 10 GG eröffnet ist, kommt es für den Grundrechtsschutz weder auf die Staatsangehörigkeit noch auf auf den Aufenthaltsort des Kommunikationsteilnehmers an.

Der Verfassungsrechtler Matthias Bäcker zieht in seiner Stellungnahme für den NSA-Untersuchungsausschuss daraus folgende, zwingende Schlussfolgerung:

Die gegenwärtige Praxis der Auslandsaufklärung ist darum rechtswidrig und muss in dieser Form gestoppt werden. Um einen verfassungskonformen Rechtszustand herzustellen, könnte die strategische Auslandsaufklärung auf § 5 G 10 gestützt werden, der nach seinem Wortlaut als Rechtsgrundlage passt. Der BND müsste dann allerdings auch das gesetzlich vorgesehene Verfahren einhalten, um eine solche Aufklärung durchzuführen. Insbesondere wäre er der Kontrolle der G 10-Kommission unterworfen.

Der BND agiert also manchmal im Weltraum und dabei stets und in jedem Fall wie in dem alten NDW-Hit völlig losgelöst von der Erde. Und nicht nur das, er agiert damit leider auch völlig losgelöst von den Grundrechten in einem – nach eigenem Verständnis – gänzlich grundrechtsfreien Raum.

Man möchte deshalb gerade auch den Unionspolitikern, die uns matraartig immer wieder erklärt haben, dass das Internet kein rechtsfreier Raum sei, zurufen: Sorgt bitte dafür, dass der BND das Internet nicht weiter zum grundrechtsfreien Raum machen kann. Stoppt den Verfassungsbruch!

posted by Stadler at 15:31  

4.10.14

Im rechtsfreien Raum

Die Süddeutsche Zeitung berichtet in ihrer Wochenendausgabe ausführlich über eine enge Zusammenarbeit zwischen BND und NSA auf deutschem Boden, die u.a. zum Gegenstand hatte, TK-Rohdaten an den US-Dienst zu übermitteln, die der BND zuvor massenhaft am Internetknotenpunkt in Frankfurt ausgeleitet hatte. Der BND hat, bevor die Weiterleitung an die NSA erfolgte, mit einem allerdings unzureichenden Technik versucht, die Kommunikation deutscher Staatsbürger auszufiltern. Die Zusammenarbeit von BND und NSA hat laut Informationen der SZ in dieser Form von 2004 bis 2008 gedauert. Die Süddeutsche beruft sich auf streng geheime Unterlagen zu dem Projekt „Eikonal“, die die Bundesregierung dem NSA-Untersuchungsausschuss vorgelegt hat und die offenbar auch dem Rechercheteam aus SZ, NDR und WDR vorliegen. Die Zusammenarbeit und auch die Weiterleitung von Rohdaten an die NSA ist nach Angaben der SZ vom damaligen Kanzleramtsminister Steinmeier genehmigt worden. Die Operation sei dann 2008 eingestellt worden, als man beim BND bemerkt habe, dass die USA auch versucht haben, Konzerne wie EADS und französische Behörden auf diesem Weg auszuspionieren.

In der Berichterstattung der SZ und nicht nur dort wird es als besonders bedenklich bezeichnet, dass auch Daten von Bundesbürgern an die NSA weitergeleitet worden sind.

Aber schon diese juristische Bewertung ist zweifelhaft.

Der BND darf nach dem § 5 G10-Gesetz nur internationale Telekommunikation überwachen. Das bedeutet, dass sich mindestens ein Kommunikationsteilnehmer im Ausland aufhalten muss. Reine Inlandskommunikation darf der BND nach dem Gesetz erst gar nicht erfassen. Es kommt also überhaupt nicht darauf an, ob ein Kommunikationsteilnehmer deutscher Staatsbürger ist.

Darüber hinaus gilt es zu berücksichtigen, dass Art. 10 GG kein Deutschengrundrecht darstellt, sondern grundsätzlich auch ausländische Telekommunikationsteilnehmer schützt.

Vor diesem rechtlichen Hintergrund ist bereits die Überwachung eines inländischen Internetknotenpunkts durch den BND von vornherein unzulässig, weil davon ausgegangen werden muss, dass an solchen Knotenpunkten überwiegend oder in jedenfalls beträchtlichem Umfang keine internationale, sondern rein inländische Kommunikation durchgeleitet wird. Wenn bereits die Überwachung inländischer Knotenpunkte durch den BND rechtswidrig ist, hätten folglich auch die Genehmigung dieser Maßnahme durch das Bundeskanzleramt und die Billigung durch das parlamentarische Kontrollgremium nie ergehen dürfen. Dass der BND inländische Internetknotenpunkte überwacht, ist allerdings keine neue Erkenntnis und konnte bereits aus dem Antwortverhalten der Bundesregierung auf parlamentarische Anfragen geschlossen werden.

Unabhängig davon stellt sich in rechtlicher Hinsicht zusätzlich die Frage, ob und in welchem Umfang Daten, die der BND aus der sog. strategischen Fernmeldekontrolle erlangt hat, an ausländische Dienste wie die NSA übermittelt werden dürfen.

Die Übermittlung von TK-Daten durch den BND an ausländische Stellen, ist im G10-Gesetz ausdrücklich geregelt. Dort heißt es in § 7a:

Der Bundesnachrichtendienst darf durch Beschränkungen nach § 5 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2, 3 und 7 erhobene personenbezogene Daten an die mit nachrichtendienstlichen Aufgaben betrauten ausländischen öffentlichen Stellen übermitteln, soweit

1. die Übermittlung zur Wahrung außen- oder sicherheitspolitischer Belange der Bundesrepublik Deutschland oder erheblicher Sicherheitsinteressen des ausländischen Staates erforderlich ist,
2. überwiegende schutzwürdige Interessen des Betroffenen nicht entgegenstehen, insbesondere in dem ausländischen Staat ein angemessenes Datenschutzniveau gewährleistet ist sowie davon auszugehen ist, dass die Verwendung der Daten durch den Empfänger in Einklang mit grundlegenden rechtsstaatlichen Prinzipien erfolgt, und
3. das Prinzip der Gegenseitigkeit gewahrt ist.
Die Übermittlung bedarf der Zustimmung des Bundeskanzleramtes.

Eine Datenübermittlung ist also gesetzlich nur in engen Grenzen vorgesehen. Die Einhaltung der gesetzlichen Voraussetzungen ist nur dann möglich, wenn zuvor eine Einzelfallprüfung durchgeführt worden ist. Eine Übermittlung von Rohdaten in großem Stil ist daher gesetzlich ausgeschlossen und mithin rechtswidrig. In der Anhörung im NSA-Untersuchungsausschuss hat der Verfassungsrechtler Matthias Bäcker sogar die Auffassung vertreten, dass der BND überhaupt keine Rohdaten an ausländische Dienste übermitteln darf. Die im Bericht der SZ geschilderte Übermittlung von Rohdaten an die NSA ist also schon vom G10-Gesetz nicht gedeckt.

Das bedeutet nichts anderes, als dass sowohl die Erhebung von TK-Rohdaten an inländischen Knotenpunkten durch den BND, als auch erst recht die Übermittlung an die NSA bereits nach dem einfachen Recht klar rechtswidrig ist. Dass das G10-Gesetz von führenden Verfassungsrechtlern als teilweise verfassungswidrig angesehen wird, kommt da nur noch erschwerend hinzu.

Die Berichterstattung der SZ belegt also, dass beim BND ein organisierter und systematischer Rechtsbruch stattfindet und dies mit Genehmigung der Bundesregierung und teilweiser Billigung des Parlaments. Der BND bewegt sich faktisch im rechtsfreien Raum und schreckt auch vor einem offensichtlichen Rechts- und Verfassungsbruch nicht zurück. Dieser Umstand muss dann allerdings in die Schlussfolgerung münden, dass wir es hier mit einer veritablen Verfassungskrise zu tun haben und das Grundrecht aus Art. 10 GG das Papier nicht mehr wert ist, auf dem das Grundgesetz einmal gedruckt worden ist. Heribert Prantl kommentiert das völlig zutreffend als den „Totalverlust eines Grundrechts“.

Man darf vielleicht bereits die Frage stellen, ob dieser eklatante und offensichtliche Rechtsbruch angesichts des Umstands, dass eine massenhafte Übermittlung von Rohdaten an US-Dienste stattgefunden hat, gegen Mitarbeiter des BND und Mitglieder der damaligen Bundesregierung nicht bereits den Anfangsverdacht einer geheimdienstlichen Agententätigkeit zum Nachteil der Bundesrepublik und zugunsten der USA begründet. Es steht dennoch kaum zu erwarten, dass der Generalbundesanwalt hierzu Ermittlungen aufnehmen wird. Man wird vermutlich höchstens nach der undichten Stelle suchen, die die Dokumente an die SZ weitergegeben hat. Bei dem Eid, den ein Frank-Walter Steinmeier als Minister in unterschiedlichen Bundesregierungen auf die deutsche Verfassung geschworen hat, scheint es sich jedenfalls um einen Meineid zu handeln.

Update:
§ 7 a G10-Gesetz ist erst im Jahre 2009 in Kraft getreten – was ich beim Verfassen des Blogbeitrags übersehen hatte – konnte also für den Zeitraum 2004 – 2008 noch gar keine Anwendung finden. Es gab folglich im maßgeblichen Zeitraum noch nicht einmal eine formelle rechtliche Grundlage für die Übermittlung von Rohdaten an die NSA.

posted by Stadler at 22:25  

7.7.14

Die Reaktion der Bundesregierung: Noch mehr Überwachung

Die aktuelle Diskussion um den (angeblichen) Doppelagenten beim BND, der im Auftrag von US-Diensten den NSA-Untersuchungsausschuss ausspioniert haben soll, kommt sowohl dem BND als auch dem Innenminister wie gerufen.

Denn die Reaktion der Bundesregierung besteht keineswegs darin, das bundesdeutsche Geheimdienstsystem zu hinterfragen oder zumindest besser zu durchleuchten. Vielmehr kündigt man eine Gegenspionage an, weil die USA – was die Bundesregierung ohnehin seit Jahrzehnten weiß – deutsche Politiker überwacht und ausspioniert.

Für diese Gegenspionage braucht man natürlich zuerst eine bessere sachliche und personelle Ausstattung. Der BND soll aufgebläht werden, weil jetzt auch noch die USA ausspioniert werden müssen. Die Bundesregierung will also auf die Aktivitäten von NSA, CIA und Co. mit noch mehr Überwachung reagieren. Klingt wie ein Coup aus der PR-Abteilung des BND und genau das ist es vermutlich auch. Zumal der Fall bestens geeignet ist, von den offensichtlich rechtswidrigen Aktivitäten des BND abzulenken, indem man sich auf den einen bösen Doppelagenten fokussiert.

Was wir stattdessen bräuchten, ist eine gesamtgesellschaftliche Diskussion über den Nutzen und die Gefahren die von Geheimdiensten ausgehen, sowie darüber ob und in welchem Umfang sich demokratische Gesellschaften überhaupt Geheimdienste leisten können und sollten.

Aus aktuellem Anlass daher nochmal der Hinweis auf zwei meiner Texte zum Thema:

Geheimdienste gefährden unsere Demokratie

Geheimdienste und Bürgerrechte

 

posted by Stadler at 10:43  

28.5.14

Warum hat die Bundesregierung Angst vor einer Aussage Snowdens?

Die Union attackiert Edward Snowden verbal und versucht mit aller Macht zu verhindern, dass der Whistleblower im NSA-Untersuchungsausschuss aussagt. Nachdem Innenminister de Maizière Snowden als Straftäter bezeichnet hat, der keine Zukunft in Deutschland habe, legt jetzt der Vorsitzende des NSA-Untersuchungsausschusses Patrick Sensburg (ebenfalls CDU) nach. Sensburg wirft Snowden vor, sich nur aufzuspielen und behauptet Snowden sei nie speziell mit der massenhaften Ausspähung deutscher Bürger befasst gewesen. Dies freilich steht in unmittelbarem Widerspruch zu einer Aussage Snowdens und wäre bereits aus diesem Grund klärungsbedürftig.

Fest steht jedenfalls, dass Union und Bundesregierung vehement versuchen, eine Aussage Snowdens vor dem Ausschuss zu verhindern. Aber warum? Der Ausschuss wird und muss sich vor allen Dingen auch mit der Rolle des BND und des Verfassungsschutzes befassen. Nachdem namhafte Verfassungsrechtler im Ausschuss bereits erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Auslandsaufklärung des BND und dem Informationsaustausch mit ausländischen Diensten geäußert haben, wäre es für die Bundesregierung natürlich äußert unangenehm, wenn sich heraustellen würde, dass der BND in großem Umfang Daten und Informationen an die NSA liefert und im Gegenzug im Hinblick auf die Tätigkeit ausländischer Dienste auf deutschem Boden vielleicht ein bis zwei Augen zudrückt. Denn der Datenübermittlung an ausländische öffentliche Stellen setzt § 7a G10-Gesetz enge Grenzen. Und diese Datenübermittlung bedarf nach § 7a Abs. 1 S. 2 G10-Gesetz außerdem der ausdrücklichen Zustimmung des Kanzleramts.

Sollte Snowden also erhärten können, dass der BND in großem Stile und undifferenziert Daten an die NSA liefert, dann würde einem solchen offensichtlich rechtswidrigen Treiben eine ausdrückliche Gestattung des Bundeskanzleramts zugrunde liegen. Und das würde dann auch die sich ansonsten gerne unbeteiligt gebende Kanzlerin enorm unter Druck setzen.

Es könnte also gut sein, dass die Bundesregierung genau vor diesem Szenario Angst hat.

posted by Stadler at 17:38  
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