Internet-Law

Onlinerecht und Bürgerrechte 2.0

2.8.24

Correctiv in der Kritik – zu Recht?

Unter dem Titel „Der Correctiv-Bericht verdient nicht Preise, sondern Kritik – und endlich eine echte Debatte“ arbeiten sich die Autoren Christoph Kucklick, Stefan Niggemeier und Felix W. Zimmermann an der Reportage „Geheimplan gegen Deutschland“ ab, die zu Jahresbeginn landesweit Aufsehen erregte und Massenproteste gegen die AfD und die neue Rechte auslöste.

Bereits der Einstieg dieser Journalismuskritik ist bemerkenswert. Dass der Beitrag von Correctiv Anlass zur Kritik gegeben hätte, habe sich nämlich, so die drei Autoren, unlängst daran gezeigt, dass ein Gericht dem NDR vorläufig Teile eines „Tagesschau“-Artikels untersagt hat, der sich auf die Correctiv-Berichterstattung bezog. Der Medienanwalt in mir reibt sich angesichts dieser kruden Logik leicht verwundert die Augen. Wenn Medien eine Geschichte übernehmen, die jemand anders zuerst hatte, wird nicht selten so umformuliert, dass Dinge, die zunächst rechtlich unkritisch waren, dadurch juristisch beanstandbar werden. Aber ist das der Quelle vorzuwerfen?

Es geht dann direkt weiter mit folgender Aussage:

Längst ist offenkundig, wie problematisch die Correctiv-Berichterstattung und ihre Rezeption sind.


Warum dies offenkundig sein soll, hat der Leser – wir befinden uns immer noch am Anfang des Texts – bis hierhin nicht erfahren. Ob er es im weiteren Verlauf erfährt, erscheint mir ebenfalls diskutabel.

Die Autoren fahren anschließend direkt mit der nächsten apodiktischen These fort:

Richtig ist: Der Text ist misslungen, das Verhalten von Correctiv nach der Veröffentlichung fragwürdig und die Berichterstattung vieler Medien eine Katastrophe.

Die Autoren haben dem Leser reichhaltig und beschwörend erklärt, dass der Text von Correctiv misslungen und offenkundig problematisch ist, ohne, bis zu diesem Zeitpunkt auch nur einen Ansatz von Begründung für diese These anzubieten. Das dürfte aber gereicht haben, um bereits einen Teil der Leser im Sinne der Autoren aufzugleisen. Mich machen solche, sicherlich nicht zufällig eingesetzten Stilmittel stets misstrauisch. Wenn man gute Argumente hat, muss man den Leser nicht zunächst derart suggestiv bearbeiten.

Nicht minder bemerkenswert geht es unmittelbar im Anschluss weiter:

Richtig ist auch: Die Proteste, die der Artikel ausgelöst hat, sind gut und wichtig. Er hat viele Menschen alarmiert, die sich zu Recht über die Verbindungen zwischen bürgerlichen Kreisen und dem rechten Rand sorgen.

Obwohl der Text von Correctiv also an sich bodenlos, offenkundig problematisch und misslungen ist, gelingt es ihm gleichwohl, wichtige Proteste auszulösen und eine breite Öffentlichkeit – der das möglicherweise nicht ausreichend bewusst war – dafür zu sensibilisieren, wie weit die gefährlichen Ideen von Figuren wie Martin Sellner bereits in Politik und Gesellschaft vorgedrungen sind.

Bereits an diesem Punkt sind für mich die Grenzen der Denklogik nicht nur erreicht, sondern schon deutlich überschritten.

Im nächsten Absatz beglücken uns die Autoren schließlich mit der Aussage, die kritische Auseinandersetzung mit dem Bericht – Bericht ist es nun sicherlich keiner – müsse mit der Feststellung beginnen, wie schwach der Text journalistisch sei. Hatten sie das nicht bereits drei oder vier Mal beiläufig erwähnt? Eine inhaltliche Auseinandersetzung mit der Reportage von Correctiv hat bis zu diesem Punkt wohlgemerkt weiterhin nicht stattgefunden, aber die Autoren versuchen sich im Anschluss zumindest daran.

Die inhaltliche Kritik setzt mit folgender These der Autoren an:

Die Recherche zeigte unbestritten, dass rechte Ideen von Bürgerlichen diskutiert werden. Zum Beispiel wie „Anpassungsdruck” deutsche Staatsbürger, die als nicht deutsch genug gelten, nötigen soll, das Land zu verlassen.

Aber die Erzählung von Correctiv ging weit darüber hinaus. Sie suggerierte, dass in Potsdam gemeinsam die Vertreibung von Millionen Menschen nach rassistischen Kriterien inklusive der Ausweisung auch deutscher Staatsbürger geplant wurde. Das will Correctiv aber gar nicht gemeint haben, wie das Recherchekollektiv inzwischen sogar vor Gericht zu Protokoll gegeben hat.

Der Text behauptet also Dinge, die er nicht behauptet – man muss es so merkwürdig sagen.

Als problematisch hieran empfinde ich zuvörderst die Aussage, Correctiv habe vor Gericht zu Protokoll gegeben, man hätte gar nicht den Eindruck erwecken wollen, in Potsdam sei die Vertreibung von Millionen Menschen besprochen worden. Denn damit greift man die Litigation-PR der Kanzlei auf, die Ulrich Vosgerau, einen Teilnehmer des Potsdamer Treffens, weitgehend erfolglos vertreten hat. Und die ist alles, aber nicht sachlich und neutral. Prozessuale Erklärungen, wenn die fragliche denn überhaupt so lautete, werden zudem häufig aus prozesstaktischen Gründen, als Reaktion auf einen bestimmten Vortrag des Prozesgegners abgegeben und müssen im Kontext des gesamten Prozesses betrachtet werden. Das prozessuale Verhalten hat nichts mit Journalismus zu tun.

Natürlich lässt der Text von Correctiv die naheliegende Deutung zu, die „Remigration“ von mehreren Millionen Menschen – unter ihnen auch deutsche Staatsangehörige – werde kaum freiwillig zu erreichen sein, sondern am Ende auch Zwang und Zwangsmaßnahmen erfordern. Und dass der Leser zu dieser Schlussfolgerung angeregt wird, ist sicherlich auch gewollt.

Mit der von den Autoren geäußerten Kritik gehen sie aber letztlich der Logik von Leuten wie Sellner auf den Leim und das ist das eigentlich bedenkliche, an dieser überheblich vorgetragenen Journalismuskritik.

Für Correctiv schreiben Menschen, die sich über Jahre hinweg intensiv mit der neuen Rechten, der AfD und ihren Netzwerken beschäftigt haben. Etwas, was man über unsere kritischen Autoren vermutlich eher nicht sagen kann.

Und natürlich plant ein Sellner die Vertreibung von Millionen Menschen auf dem Weg zu dem von ihm gewünschten, an ethnischen Kriterien ausgerichteten autoritären Nationalstaat. Er lässt natürlich – und das entspricht typischer rechter Rhetorik – offen, wie das genau umgesetzt werden soll. In seinem Buch „Remigration: Ein Vorschlag“ spricht Sellner u.a. aber auch die Möglichkeit einer  „Aberkennung der deutschen Staatsbürgerschaft“ an. An der von Björn Höcke so süffisant beschworenen „wohltemperierten Grausamkeit“ wird wohl kaum ein Weg vorbei führen.

Und natürlich spielen Rechte ihre Ideen öffentlich immer wieder herunter. Das ist Teil ihres Kommunikationskonzepts. Und genau diesem Muster folgt leider auch der Text von Kurklick, Niggemeier und Zimmermann. Anstatt zu erkennen, dass diejenigen, die wie Sellner von Remigration sprechen, einen anderen Staat wollen, in dem dann die „maßgeschneiderten Gesetze“ eben nicht mehr zur jetzt geltenden Verfassungsordnung passen, werden diejenigen wie Correctiv kritisiert, die lediglich dazu anregen, die Thesen von Sellner & Co. einfach mal konsequent zu Ende zu denken.

Wenn dann noch Aussagen von Teilnehmern zitiert werden, die darauf verweisen, dass man keine gesetzeswidrigen Ausweisungen wolle, stellt sich dem Juristen natürlich schnell die Frage, ob das de lege lata oder doch de lege feranda gemeint ist. Denn die hierfür „maßgeschneiderten Gesetze“ sollen wohl ja gerade dafür sorgen, dass die Ausweisungen dann nicht mehr gesetzwidrig sind.

Correctiv formuliert es in ihrer Reportage deutlich vorsichtiger als ich so:

Im Grunde laufen die Gedankenspiele an diesem Tag alle auf eines hinaus: Menschen sollen aus Deutschland verdrängt werden können, wenn sie die vermeintlich falsche Hautfarbe oder Herkunft haben – und aus Sicht von Menschen wie Sellner nicht ausreichend „assimiliert“ sind. Auch wenn sie deutsche Staatsbürger sind. 

Was hieran falsch oder missverständlich sein soll, hat mir bislang niemand erklären können. Natürlich laufen die Forderungen von Sellner & Co. darauf hinaus, Menschen aus Deutschland zu verdrängen. Worauf auch sonst? Und in dem Staat den Sellner sich vorstellt, wird das dann formaljuristisch auch nicht mehr gesetzwidrig sein.

Man kann die Reportage von Correctiv sicherlich kritisieren, denn sie ist am Ende natürlich auch ein Stück weit suggestiv. Aber ihr großer Verdienst besteht darin, Zusammenhänge, die im Grundsatz nicht neu waren, einer breiten Öffentlichkeit bekannt gemacht zu haben. Damit verstehen viele Menschen besser und genauer, warum es gefährlich ist, die AfD zu wählen, welche Netzwerke im Hintergrund agieren und wie man versucht, dieses Gedankengut, das mit dem Euphemismus von der „Remigration“ umschrieben wird, in die Mitte der Gesellschaft zu bringen. Die Reportage musste vermutlich genau so geschrieben werden, um die notwendige Breitenwirkung zu erreichen.

Die von den Autoren im Duktus der Überheblichkeit geäußerte Kritik an der Reportage von Correctiv, überzeugt nicht. Auf diese Art und Weise kommen wir sicherlich zu keiner echten Debatte.

posted by Thomas Stadler at 17:35  

2.9.18

Desintegriert Euch!

Über eine kurze Besprechung in der aktuellen Ausgabe der guten alten Spex bin ich über ein aktuelles Buch gestolpert, bei dem bereits der Titel andeutet, dass sich ein Autor vorgenommen hat, einer Haltung entgegenzutreten, die derzeit den gesellschaftlichen und politischen Konsens in diesem Land definiert. Und das ist ein ziemliches Brett.

Die heilige Kuh Integration wird von Max Czollek in seinem Essay „Desintegriert Euch“ vielleicht nicht geschlachtet, aber in seiner aktuellen Ausprägung in Frage gestellt. Nicht, weil sich der Autor gegen einen liberalen Staat wenden wollte, sondern weil er in einer Zeit, in der selbst Grüne von einem positiv besetzten Heimatbegriff schwadronieren, nach neuen Allianzen Ausschau halten möchte, die sich von der Idee verabschieden, etwas Ganzes verteidigen zu müssen. Sein Konzept heißt Fragmentierung anstatt identitärer Gruppenzugehörigkeit.

Die Anlehnung an Stefan Hessel im Titel ist wohl eher kein Zufall und Czollek liefert eine Streitschrift im besten Sinne ab, die nicht nur zum Widerspruch anregt, sondern sich vor allem eignet, eigene Positionen und Denkmuster zu hinterfragen. Seinen gegenkulturellen Ansatz empfinde ich vermutlich allein deshalb als erfrischend, weil er Dinge in Frage stellt, die sonst kaum hinterfragt werden.

Czollek schreibt aus einer jüdischen Perspektive und thematisiert vordergründig das deutsch-jüdische Verhältnis, wobei er sich zu jeder Zeit bewusst ist, dass seine eigene Haltung nicht widerspruchsfrei sein kann und gerade die Gegenüberstellung von Deutschen und Juden natürlich wiederum den Mechanismen von Zugehörigkeit und Ausgrenzung folgt, die er im Grunde kritisiert.

Czollek geht zunächst mit der deutschen Erinnerungskultur an die Shoah hart ins Gericht, bezeichnet sie als Gedächtnistheater und kritisiert die jüdische Gemeinde in Deutschland dafür, dass sie in dieser Inszenierung die ihr zugedachte Rolle einnimmt. Das Begehren der deutschen Politik und Mehrheitsgesellschaft sei auf Entlastung, Läuterung und Wiedergutwerdung ausgelegt und die meisten deutschen Juden würden in diesem Theaterstück, das rein von der deutschen Sichtweise bestimmt werde, mitwirken.

Vom Gedächtnistheater schwenkt Czollek sodann zum Integrationstheater, wendet sich gegen die konservative Vorstellung einer deutschen Leitkultur und bezeichnet die Figur einer christlich-jüdischen Kultur als maximal verlogenen Versuch, speziell Muslime auszugrenzen. Czollek kritisiert eine neue politische Heimatliebe, die mittlerweile bei politischen Akteuren jedweder Couleur anzutreffen ist und sieht in dieser Entwicklung einen politischen Sieg der neuen Rechten.

Czollek widerspricht auch der Vorstellung, bei den Wählern der AfD würde es sich vornehmlich um politisch Frustrierte und Abgehängte handeln, mit denen man eben reden müsse. Seine Streitschrift liest sich stellenweise wie der Gegenentwurf zu „Mit rechten Reden“ von Leo/Steinbeis/Zorn, ein Werk bei dessen Lektüre er wohl ein ähnliches Unbehagen empfunden hat wie ich. Czollek weist zurecht darauf hin, dass die Empfehlungen der drei Autoren die Wirklichkeit der neuen Rechten verfehlt.

Das Pamphlet von Czollek werden Viele als Provokation empfinden und seine Thesen schon allein reflexhaft ablehnen. Wer sich die Mühe macht zu Ende zu lesen, wird bemerken, dass Czollek keine Anarchie predigt und sich seine Aufforderung zur Desintegration nicht gegen die Teilhabe von Minderheiten am gesellschaftlichen Leben richtet. Ganz im Gegenteil. Es geht ihm um eine selbstbestimmte Position, die nicht den Vorstellungen eines deutschen politischen und gesellschaftlichen Mainstreams folgt, den er in seiner jetzigen Ausprägung ablehnt.

Czolleks Polemik ist wuchtig und regt dazu an, eigene Denkmuster zu hinterfragen. Sein Ansatz ist anders als praktisch alles, was ich zum Thema gelesen habe. Es ist gut, wenn jemand mal in eine andere Kerbe haut.

Gerade für jemanden wie mich, der sich zugegebenermaßen eher wenig mit jüdischem Leben in Deutschland beschäftigt hat, ist die Lektüre äußerst instruktiv. Und Czollek streitet mit Leidenschaft und auch etwas Wut für eine bunte und freiheitliche Gesellschaft ohne jegliche kulturelle Dominanz sowie gegen die Verharmlosung der aktuellen rechten Strömungen. Das richtige Pamphlet zur richtigen Zeit. Lest Es!

 

Max Czollek: „Desintegriert euch!“ Hanser Verlag, München 2018, 208 Seiten.

posted by Stadler at 16:06  

8.7.18

Irrsinnig und menschenverachtend

Die von Horst Seehofer und der CSU angezettelte Debatte über die Zurückweisung von Flüchtlingen direkt an der deutsch-österreichischen Grenze ist auf derart vielen Ebenen irrsinnig, dass man gar nicht weiß, wo man anfangen soll. Dass dabei Lösungen für ein Problem gefordert werden, das aktuell gar keines mehr ist und Vorschläge unterbreitet werden, die zur Problemlösung selbst dann ungeeignet wären, wenn es das Problem gäbe, ist nur eine von vielen Facetten des Irrsinns.

Was in der aktuellen öffentlichen Debatte aber immer zu kurz kommt, ist der Umstand, dass es am Ende um das Schicksal von Menschen geht. Nur leider erscheint die öffentliche Debatte von diesem Umstand gänzlich entkoppelt zu sein. Flüchtlinge werden als Asyltouristen diffamiert, so als sei es ein Abenteuerurlaub in ein Boot zu steigen, um auf dem Mittelmeer sein Leben zu riskieren, in der Hoffnung auf ein besseres Leben in Europa.

An dieser Stelle sollten wir innehalten, über Werte sprechen und vor allem stärker auf die Schicksale derjenigen Menschen schauen, über die wir die ganze Zeit reden. Und zwar als Subjekte und nicht als Objekte, also anders als es die CSU tut. Denn das ist der Kern der Menschenwürde. Das Individuum darf nicht zum Objekt gemacht werden. Der Umstand, dass fortlaufend eine große Anzahl von Menschen im Mittelmeer ertrinken, ist derzeit aber bestenfalls noch eine Fußnote in der Berichterstattung und öffentlichen Diskussion. Das ist angesichts von 629 Toten allein im Juni 2018 nicht nur ein Problem der CSU, sondern eines der Berichterstattung und der öffentlichen Wahrnehmung. Der Debatte mangelt es an Empathie und Menschlichkeit. Und das spielt denjenigen in die Karten, die, wie die AfD und die CSU, die Debatte von den menschlichen Einzelfallschicksalen entkoppeln müssen, um ihre unmenschlichen Forderungen legitim erscheinen zu lassen. So hat rechte Rhetorik schon immer funktioniert.

Das Kleingeistige, Kleinmütige und Kleinstaaterische, das der CSU seit jeher anhaftet, wurde bislang geschickt mit einer Heimatverbundenheit kombiniert, die irgendwie gemütlich und halbwegs harmlos daherkam. Diese Fassade geht aber mehr und mehr verloren, der menschenverachtende und barbarische Kern dessen, was die Haltung der CSU ausmacht, tritt immer offener zum Vorschein. Und genau das durchschauen auch immer mehr Wähler, die sich angewidert von der Partei abwenden. Für jedes Prozent an Wählerstimmen das die CSU durch ihre aktuelle Kampagne am rechten Rand hinzugewinnt, wird sie in der Mitte zwei Prozent verlieren. Denn es gibt auch im konservativen Lager genügend Bürger, die menschenverachtende Positionen ablehnen. Gleichzeitig stärkt die CSU mit ihrer rechten Geisterfahrt die AfD und erreicht damit das Gegenteil dessen, was sie sich erhofft hat. Die AfD braucht nichts weiter zu tun, als sich im Hintergrund ins Fäustchen zu lachen. Denn ihre politische Arbeit wird aktuell von Seehofer und Söder erledigt. Das scheint Markus Söder freilich immer noch nicht verstanden zu haben. Man darf davon ausgehen, dass Söder bei der Landtagswahl das schlechteste CSU-Ergebnis der Geschichte einfahren wird. Was aber gleichzeitig bedeutet, dass die AfD in Bayern zweitstärkste Kraft werden wird. Die CSU ist mittlerweile dank Seehofer, Söder und Dobrindt zur AfD light verkommen.

Die Auseinandersetzung die Seehofer angezettelt hat, macht urplötzlich eine neue politische Trennlinie sichtbar, die mitten durch die Union verläuft. Eine neue national gesinnte Rechte, der der pluralistische liberale Rechtsstaat ein Dorn im Auge ist, versucht proeuropäische Demokraten und die freiheitlichen Werte, für die unser Grundgesetz steht, zurückzudrängen. Die CSU hat immer wieder mal mit rechter Rhetorik jongliert, aber diesmal hat sie sich positioniert. Man muss dem entgegentreten. Egal ob als Humanist, als liberaler Demokrat oder als Christ.

posted by Stadler at 22:38  

14.3.17

Geplantes Netzwerkdurchsetzungsgesetz soll Hatespeech bekämpfen

Netzpolitik.org hat gerade den Referentenentwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken (Netzwerkdurchsetzungsgesetz – NetzDG) veröffentlicht.

Danach sollen soziale Netze mit mehr als zwei Millionen Nutzern verpflichtet werden, quartalsweise einen deutschsprachigen Bericht über den Umgang mit Beschwerden über rechtswidrige Inhalte auf ihrer Plattformen zu erstellen und im Bundesanzeiger sowie auf der eigenen Homepage zu veröffentlichen.

Darüber hinaus sollen die Anbieter sozialer Medien verpflichtet werden, Beschwerden über rechtswidrige Inhalte unverzüglich zu prüfen. Offensichtlich rechtswidrige Inhalte müssen innerhalb von 24 Stunden entfernt werden, sonstige rechtswidrige Inhalte binnen sieben Tagen.

Der Verstoß gegen diese Pflichten stellt eine Ordnungswidrigkeit dar und kann mit einem Bußgeld belegt werden. Außerdem müssen Facebook, Twitter & Co. einen inländischen Zustellbevollmächtigen benennen und zwar sowohl für Zustellungen von Verwaltungsbehörden und Staatsanwaltschaften, als auch für Zustellungen in zivilgerichtlichen Verfahren.

Etwas irritierend ist es, dass im Referentenentwurf primär auf die Bekämpfung sog. Hasskriminalität – etwas, das es als Rechtsbegriff in Deutschland nicht gibt – abgestellt wird, während der Gesetzeswortlaut dann nur noch von rechtswidrigen Inhalten spricht. Das Gesetz definiert als rechtswidrige Inhalte in § 1 Abs. 3 allerdings nur Verstöße gegen bestimmte Straftatbestände, zu denen beispielsweise Beleidigung, üble Nachrede und Verleumdung zählen, ebenso wie die Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen und die Volksverhetzung sowie die Beschimpfung von Bekenntnissen. Es fallen also – entgegen einer ersten Einschätzung von mir – nicht alle rechtswidrigen Inhalte unter die Regelung. Die Auswahl wirkt allerdings eher beliebig und wenig durchdacht. Die Verunglimpfung des Bundespräsidenten ist enthalten, während z.B. die Verbreitung kinderpornographischer Inhalte fehlt. Die Verletzung des persönlichen Lebens- und Geheimbereichs (§ 201 ff. StGB) ist ebenfalls nicht enthalten.

Das klingt auf den ersten Blick durchaus sinnvoll, denn Portalbetreiber sind schon nach geltendem Recht verpflichtet, erkennbar rechtswidrige Inhalte zügig zu entfernen. Dieser Rechtspflicht kommen gerade große Anbieter wie Facebook oder Twitter aber bislang nur unzureichend nach.

Andererseits beinhaltet die geplante Regelung die erhebliche Gefahr, dass soziale Netze wie Facebook, Twitter, XING und andere den Weg des geringsten Widerstandes gehen und im Zweifel auf eine Nutzerbeschwerde hin löschen werden. Es besteht damit die Gefahr, dass in großem Umfang auch rechtmäßige Inhalte gelöscht werden, um eine Ahndung als Ordnungswidrigkeit von vornherein auszuschließen. Denn die ebenfalls nicht rechtskonforme Löschung legaler und rechtmäßiger Inhalte durch Facebook bleibt sanktionslos, während die Nichtlöschung rechtswidriger Inhalte als Ordnungswidrigkeit bußgeldbewehrt ist. Hierdurch schafft das Gesetz ein gewisses Ungleichgewicht, das durchaus zu einem zensurähnlichen Effekt führen könnte.

posted by Stadler at 17:38  

20.4.16

BKA-Gesetz teilweise verfassungswidrig

Das Bundesverfassungsgericht hat das BKA-Gesetz für teilweise verfassungswidrig erklärt und hierbei insbesondere die Vorschriften zum Einsatz von heimlichen Überwachungsmaßnahmen zur Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus beanstandet (Urteil vom 20. April 2016 – 1 BvR 966/09, 1 BvR 1140/09).

Das Gericht hat u.a. entschieden, dass die Erlaubnis von Wohnraumüberwachungen gegenüber Kontakt- und Begleitpersonen (§ 20h Abs. 1 Nr. 1 c BKAG) nicht mit Art. 13 Abs. 1, 4 GG vereinbar ist. Insgesamt ist bei der Wohnraumüberwachung der Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung in § 20h Abs. 5 BKAG unzureichend ausgestaltet. Nach Durchführung einer solchen Maßnahme müssen nach Ansicht des BVerfG – außer bei Gefahr im Verzug – zunächst alle Daten von einer unabhängigen Stelle gesichtet werden, ob sie höchstprivate Informationen enthalten, bevor sie vom Bundeskriminalamt verwertet werden dürfen.

Auch beim Zugriff auf informationstechnische Systeme (§ 20k BKAG) fehlt es nach Ansicht des BVerfG an einer hinreichenden Regelung zum Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung. Erforderlich ist, dass die Sichtung und Kontrolle im Wesentlichen von externen, nicht mit Sicherheitsaufgaben betrauten Personen wahrgenommen wird. Die tatsächliche Durchführung und Entscheidungsverantwortung muss demnach in den Händen von Personen liegen, die gegenüber dem BKA unabhängig sind. Indem § 20k Abs. 7 Satz 3 und 4 BKAG die Sichtung im Wesentlichen in die Hände von Mitarbeitern des Bundeskriminalamts legt, genügt er diesen Anforderungen nicht.

Allgemein beanstandet das Gericht, dass der Schutz der Berufsgeheimnisträger nicht tragfähig ausgestaltet ist und die Regelungen zur Gewährleistung von Transparenz, Rechtsschutz und aufsichtlicher Kontrolle nicht vollständig den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügen. Es fehlt nach der Entscheidung des BVerfG an hinreichenden Vorgaben zu turnusmäßigen Pflichtkontrollen, an einer umfassenden Protokollierungspflicht, die es ermöglicht, die jeweiligen Überwachungsmaßnahmen zu prüfen, sowie an Berichtspflichten gegenüber Parlament und Öffentlichkeit.

Auch die Regelungen zur Datenlöschung sind vom Gericht beanstandet worden. Die Möglichkeit, von der Löschung erhobener Daten nach Zweckerfüllung allgemein abzusehen, soweit die Daten zur Verfolgung von Straftaten oder zur Verhütung oder zur Vorsorge für die künftige Verfolgung einer Straftat mit erheblicher Bedeutung erforderlich sind (§ 20v Abs. 6 Satz 5 BKAG), ist verfassungswidrig. Als nicht verfassungskonform betrachtet das Gericht auch die sehr kurze Frist für die Aufbewahrung der vom Bundeskriminalamt zu erstellenden Löschungsprotokolle, weil dadurch eine spätere Kontrolle nicht hinreichend gewährleistet wird.

Verfassungswidrig sind auch die Übermittlungsbefugnisse an andere inländische Behörden (§ 20v Abs. 5 BKAG). Das Gericht rügt hier zusätzlich, dass es bei allen Übermittlungsbefugnissen an einer hinreichenden Gewährleistung einer effektiven Kontrolle durch die Bundesdatenschutzbeauftragte fehlt.

Die Übermittlung von Daten an das Ausland setzt eine Begrenzung auf hinreichend gewichtige Zwecke, für die die Daten übermittelt und genutzt werden dürfen, sowie die Vergewisserung über einen menschenrechtlich und datenschutzrechtlich vertretbaren Umgang mit diesen Daten im Empfängerland voraus. Im Übrigen bedarf es auch hier der Sicherstellung einer wirksamen Kontrolle. Die Regelungen im BKA-Gesetz zur Übermittlung von Daten an öffentliche Stellen anderer Staaten genügen diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen teilweise nicht. Das Gericht beanstandet, dass die Ermittlungszwecke zu weit gefasst sind. Die Erlaubnis zur Datenübermittlung allgemein zur Erfüllung der dem Bundeskriminalamt obliegenden Aufgaben (§ 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BKAG) ist nicht hinreichend eingegrenzt und daher unverhältnismäßig. Außerdem ist nicht sichergestellt, dass Daten aus eingriffsintensiven Überwachungsmaßnahmen nur für Zwecke übermittelt werden dürfen, die dem Schutz von Rechtsgütern oder der Aufdeckung von Straftaten eines solchen Gewichts dienen, die verfassungsrechtlich ihre Neuerhebung mit vergleichbar schwerwiegenden Mitteln rechtfertigen könnten.

Das BVerfG hat damit zum wiederholten Male Überwachungsregelungen, die bereits bei ihrem Inkrafttreten umstritten waren, kassiert. Der Bundestag ist in diesem Bereich offenbar kaum mehr in der Lage, verfassungskonforme Gesetze zu schaffen. Dies liegt auch teilweise daran, dass der Gesetzgeber (bekannte) verfassungsrechtliche Grenzen bewusst ausreizt oder gar überschreitet. Steter Tropfen hölt auch hier den Stein, den jedes Mal bleiben auch immer einige fragwürdige Regelungen bestehen und bei den anderen hat man dann zumindest die Grenzen des Verfassungsgericht wieder einmal ausgelotet und kann dann bei der Neufassung exakt an diese Grenze gehen. Es bleibt dabei, dass diejenigen Gesetze und Befugnisse, die eine Überwachung des Bürgers ermöglichen, in den letzten 20 Jahren ganz erheblich ausgeweitet wurden, was durch das Bundesverfassungsgericht zwar immer wieder, aber eben auch nur zum Teil beanstandet wird. Aufgrund der gestiegenen technischen Möglichkeiten, insbesondere im Bereich der TK-Überwachung, wird der Bürger immer gläserner.

 

posted by Stadler at 11:18  

13.12.15

SPD-Innenpolitiker glaubt, die Bürokratie würde den Verfassungsschutz behindern

Der innenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion Burkhard Lischka hat „Sieben Thesen zur effektiveren Bekämpfung der Bedrohung durch islamistische Gefährder“ formuliert, die mich in meiner Einschätzung bestätigen, dass wir vor Geheimdiensten und manchen Innenpolitikern mehr Angst haben müssen, als vor allem anderen. In dem Thesenpapier von Lischka findet man zahlreiche bemerkenswerte Stellen. Ein Highlight seiner Ausführungen ist sicherlich folgende Passage:

Die vor allem für die Polizeibehörden bereits bestehenden Möglichkeiten müssen hier erweitert und damit auch für den Verfassungsschutz in der Praxis handhabbar gemacht werden. Deswegen muss es beispielsweise dem Verfassungsschutz ohne unnötigen bürokratischen Aufwand und langwierigen Vorlauf möglich sein, zur Überwachung von Gefährdern im Einzelfall oder zur Beobachtung von Hotspots, wie einschlägige Treffpunkte oder etwa beim Aufeinandertreffen von Rechtsextremen mit Salafisten, Beobachtungsdrohnen einzusetzen.

Hier möchte jemand offenbar die Verfassungsschutzbehörden mit polizeilichen Befugnissen ausstatten. Die Überwachung von Personen im Einzelfall – sei es präventiv oder repressiv – ist nicht Aufgabe der Verfassungsschutzbehörden, sondern der Polizei. Die formal strikte Trennung von Polizei und Geheimdiensten in Deutschland ist gerade auch eine Folge der historischen Erfahrungen mit der Gestapo und der Stasi. Wer so wie Lischka argumentiert und offenbar die Grenzen zwischen Polizei und Verfassungsschutzbehörden aufweichen bzw. verwischen will, müsste konsequenterweise eigentlich gleich die Abschaffung der Inlandsgeheimdienste fordern.

Ungeachtet dessen, ist es ja nicht so, dass die Überwachung von Gefährdern auf präventiv-polizeilicher Grundlage gänzlich ausgeschlossen ist. Ihr sind allerdings rechtsstaatliche Grenzen gesetzt, denn ohne Vorliegen einer konkreten Gefahrensituation, kann man in einem demokratischen Rechtsstaat nicht beliebig Menschen überwachen.

Dass Lischka gleichzeitig fordert, schwerwiegende Grundrechtseingriffe „unbürokratisch“ zu ermöglichen, spricht für sich. Grundgesetz und Grundrechte stellen demnach nur eine lästige, bürokratische Hürde bei der Verhinderung und Bekämpfung von Straftaten dar. Das ist leider zwar die wenig rechtsstaatliche Betrachtungsweise vieler Ermittler, ein gewählter Abgeordneter, der keiner rechten Partei angehört, sollte sich diese Haltung aber nicht zu eigen machen.

Über allem schwebt auch die weit verbreitete Haltung, dass Geheimdienste die Sicherheit der Bürger erhöhen. Was aber, wenn genau das Gegenteil der Fall sein sollte? Ein Verfassungsschutz, der V-Leute aus der rechten Szene immer wieder mit beträchtlichen finanziellen Mitteln unterstützt hat und damit die rechte Szene stärkt, während man den Mordserien des NSU gänzlich ahnungslos gegenüberstand, weil man vorwiegend mit der Überwachung von Journalisten, von gemeinnützigen Organisationen und kritischen Demokraten beschäftigt war, hat keinen Vertrauensvorschuss der Bürger verdient. Vielmehr stellt sich eher die Frage seiner Notwendigkeit und Berechtigung.

posted by Stadler at 14:21  

30.8.15

Sachsen rechtsstaatsfrei?

Das Landratsamt Sächsische Schweiz-Osterzgebirge hat am 27.08.2015 mittels einer sog. Allgemeinverfügung alle öffentlichen Versammlungen und Aufzüge unter freiem Himmel im gesamten Stadtgebiet von Heidenau untersagt und zwar für den Zeitraum von 28.08.2015, 14:00 Uhr bis zum 31.08.2015, 06:00 Uhr. Das Versammlungsverbot wurde mit dem Vorliegen eines polizeilichen Notstands begründet. 

Das Oberverwaltungsgericht Bautzen hat diesen Verwaltungsakt im Eilverfahren weitgehend nicht beanstandet, allerdings eine einzelne Versammlung zugelassen.

Erst das Bundesverfassungsgericht hat diesem Spuk gestern ein Ende gesetzt und die Allgemeinverfügung des Landratsamts vollständig außer Kraft gesetzt (Beschluss vom 29. August 2015 – 1 BvQ 32/15). Interessanterweise informiert das Landratsamt auf seiner Website zwar über sein Versammlungsverbot und die Entscheidung des OVG Bautzen, nicht aber über den Beschluss des BVerfG. Die tragenden Erwägungen der Verfassungsrichter sollten sich die Verantwortlichen des Landratsamts Pirna und die Richter des OVG Bautzen hinter die Ohren schreiben:

Vorliegend wöge das Verbot von Versammlungen im gesamten Gebiet der Stadt Heidenau für das anstehende Wochenende schwer. Aufgrund der Geschehnisse der jüngeren Zeit und der aktuellen Medienberichterstattung kommt der Stadt Heidenau für das derzeit politisch intensiv diskutierte Thema des Umgangs mit Flüchtlingen in Deutschland und Europa besondere Bedeutung zu. Das für viele Bürgerinnen und Bürger von Erwerbstätigkeit freie Wochenende ist oftmals die einzige Möglichkeit, sich am Prozess der öffentlichen Meinungsbildung durch ein „Sich-Versammeln“ zu beteiligen und im Wortsinne „Stellung zu beziehen. Insoweit gewährleistet Art. 8 Abs. 1 GG das Recht, selbst zu bestimmen, wann und unter welchen Modalitäten eine Versammlung stattfinden soll und ob man an dieser teilzunehmen gedenkt.

Demgegenüber ist eine gleichwertige Beeinträchtigung von der Versammlungsfreiheit entgegenstehenden Interessen im Fall einer nach späterer Erkenntnis zu Unrecht ergangenen einstweiligen Anordnung nicht ersichtlich. Hinsichtlich der staatlich zu gewährleistenden Ausübung der Versammlungsfreiheit hat das Verwaltungsgericht einen polizeilichen Notstand nicht feststellen können. Gleiches gilt für das Oberverwaltungsgericht mit Blick auf die Veranstaltung des gestrigen Tages unter dem Motto „Dresden Nazifrei“. Dafür, dass auch unter Berücksichtigung von polizeilicher Unterstützung durch die anderen Länder und den Bund, deren Bereitstellung soweit ersichtlich nicht in Frage gestellt wird, jede Durchführung von Versammlungen in Heidenau für das ganz Wochenende zu einem nicht beherrschbaren Notstand führt, ist auch sonst substantiiert nichts erkennbar.

Versammlungsverbote sind in einem freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat ein Fremdkörper. Solange halbwegs funktionsfähige Polizei- und Sicherheitsbehörden existieren, wird ein sog. polizeilicher Notstand kaum jemals begründbar sein, erst recht nicht, wenn es um ein mehrtägiges Versammlungsverbot geht. Schließlich finden in Sachsen und bundesweit an jedem Wochenende hunderte von Veranstaltungen statt, bei denen die Polizei präsent ist, um die Sicherheit zu gewährleisten. Die Entscheidung des OVG Bautzen hat den Verwaltungsakt des Landratsamts schließlich ins Absurde hinein gesteigert, indem es eine einzelne Versammlung zuließ, das Verbot ansonsten aber nicht beanstandet hat. In Heidenau herrscht also offenbar lediglich ein partieller polizeilicher Notstand, der nach dem Gutdünken von Landratsämtern definiert wird.

Das offensichtlich rechtswidrige Versammlungsverbot und seine Billigung durch die Verwaltungsgerichtsbarkeit erscheint bezeichnend für den Zustand von Verwaltung und Justiz in Sachsen. Die Leichtigkeit, mit der hier ein Grundrecht, das für das Funktionieren einer streitbaren, wehrhaften Demokratie essentiell ist, beiseite geschoben wird, offenbart ein erschreckendes rechtsstaatliches Defizit. Versammlungsverbote sind grundsätzlich Instrumente autoritärer Staaten. Unsere Verfassung hat sich aus gutem Grund dafür entschieden, der Meinungs- und Versammlungsfreiheit einen überragend hohen Stellenwert einzuräumen, weil die Väter des Grundgesetzes wussten, dass diese Grundrechte sine qua non für eine freiheitlich-demokratische Grundordnung sind. Das ist auch eine Lehre aus der Weimarer Zeit, in der die Verfassung immer wieder, gestützt auf angebliche Notstandssituationen, (teilweise) außer Kraft gesetzt worden ist.

In Sachsen herrscht kein polizeilicher Notstand, es herrscht ein Verfassungsnotstand, wenn Verwaltungsbehörden und Gerichte dem Grundgesetz die Gefolgschaft verweigern.

Es ist deshalb sicher auch kein Zufall, dass der Nährboden für rechtsradikale und rechtsterroristische Umtriebe in Sachsen besonders groß ist.

posted by Stadler at 20:55  

28.7.15

Abgeordnete erhalten auch weiterhin keinen Zugang zu den TTIP-Dokumenten

Das Verfahren in dem das transatlantischen Freihandelsabkommen TTIP (Transatlantic Trade and Investment Partnership) verhandelt wird, genügt rechtsstaatlichen Anforderungen nicht und müsste von demokratisch gewählten Parlamenten – ungeachtet seines Inhalts – allein aus diesem Grund abgelehnt werden. Das habe ich vor einigen Monaten bereits ausführlich erläutert.

Ganz offenbar bleibt es weiterhin, nachdem die Intransparenz der Verhandlungen immer wieder kritisiert worden ist, dabei, dass die Parlamente der beteiligten Staaten, keinen Einblick in die Verhandlungsunterlagen erhalten. Hierfür schieben sich aktuell die US-Botschaft in Berlin und die Bundesregierung gegenseitig die Verantwortung zu, wie die SZ berichtet. Die US-Botschaft teilte mit, sie hätte einen Leseraum in der Botschaft eingerichtet, in der die aktuellen Dokumente eingesehen werden könnten. Wer von deutscher Seite aus Zugang zu diesen Dokumenten erhält, würde das Bundeswirtschaftsministerium entscheiden und auf deren Liste stünden keine Abgeordneten. Demgegenüber teilte Staatssekretärin Brigitte Zypries mit, dass sich die Vereinbarung über die Einrichtung von Leseräumen „lediglich auf Regierungsvertreter“ bezogen habe und deshalb keine Parlamentarier auf der Liste stehen.

Es bleibt also dabei, dass noch nicht einmal die gewählten Abgeordneten rechtzeitig und im Vorfeld umfassenden Einblick in die Verhandlungsdokumente erhalten, obwohl sie am Ende einem Abkommen zustimmen sollen, das rechtsverbindlich ist und national deshalb auch wie ein Gesetz wirkt. Es handelt also um eine Art Gesetzgebungsverfahren über das der eigentliche Gesetzgeber noch nicht einmal umfassend unterrichtet wird. Was das in demokratisch-rechtsstaatlicher Hinsicht bedeutet, kann sich jeder selbt überlegen. Wenn also gelegentlich von Postdemokratie die Rede ist, dann müssen die TTIP-Verhandlungen als Paradebeispiel dafür gelten.

Die Aussage der US-Botschaft im Zusammenhang mit der Frage des Zugangs zu den TTIP-Dokumenten ist noch aus einem anderen Grund bemerkenswert. Auf den Schriftwechsel zwischen Bundestagspräsident Lammert und US-Botschafter Emerson will man nicht eingehen, denn der sei „privat“.  Allein diese Aussage ist bezeichnend. Es gibt nichts, das weniger privat ist, als ein Schriftwechsel zwischen einem Vertreter der US-Regierung und dem deutschen Parlamentspräsidenten zu einer politischen Frage. In einer Zeit, in der die Privatheit des Bürgers immer weniger gilt, bezeichnen Regierungen ihre offiziellen Gespräche plötzlich als privat. Das erinnert wahlweise an Macbeth „Fair is foul, and foul is fair“ oder an 1984 „Krieg ist Frieden, Freiheit ist Sklaverei, Unwissenheit ist Stärke“. Neusprech eben.

posted by Stadler at 09:22  

22.5.15

BND endlich unter Druck

Dass die parlamentarische Kontrolle der Geheimdienste nicht (ansatzweise) funktioniert, habe ich mehrfach geäußert und warum das so ist, habe ich hier erklärt.

Das hat mir Kritik auch von Parlamentariern eingebracht, weil diese Haltung den Parlamentarismus nur noch weiter schwächen würde und man außerdem am NSA-Untersuchungsausschuss doch sehen könne, dass die Kontrolle funktioniert. Denn schließlich habe der Ausschuss in letzter Zeit einige Missstände zu Tage gefördert, die sonst verborgen geblieben wären.

Fürwahr, die Zeugenaussagen im Untersuchungsausschuss haben gerade in den letzten Tagen wieder gezeigt, wie erschreckend die Arbeit des BND in rechtsstaatlicher Hinsicht ist, sobald man nur einige Details der Geheimdienstarbeit erfährt. Allein die aktuelle Meldung, beim BND seien jetzt weitere Selektorenlisten der NSA gefunden worden – die findet man offenbar plötzlich und zufällig beim BND einfach so – offenbart das ganze Ausmaß des Irrsinns. Was es mit diesen vieldiskutierten Selektoren auf sich hat, haben Kai Biermann und Patrick Beuth bei ZEIT-Online erläutert.

Gerade weil es eines Untersuchungsausschusses bedurfte, um zumindest die Spitze des Eisbergs sichtbar zu machen, funktioniert die parlamentarische Kontrolle der Dienste nicht. Hinzu kommt, dass es diesen Untersuchungsausschuss ohne Snowden gar nicht geben würde. Ein Untersuchungsausschuss ist aber auch nicht Bestandteil der regulären parlamentarischen Geheimdienstkontrolle. Wie die Kontrolle der Dienste eigentlich und standardmäßig funktionieren sollte, wird auf der Website des Bundestages sehr schön und prägnant zusammengefasst:

Das Parlamentarische Kontrollgremium (PKGr) ist für die Kontrolle der Nachrichtendienste des Bundes zuständig und überwacht den Bundesnachrichtendienst (BND), den Militärischen Abschirmdienst (MAD) und das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV). Die Bundesregierung ist nach dem Kontrollgremiumgesetz dazu verpflichtet, das PKGr umfassend über die allgemeinen Tätigkeiten der Nachrichtendienste und über Vorgänge von besonderer Bedeutung zu unterrichten. Das PKGr kann von ihr außerdem Berichte über weitere Vorgänge verlangen.

Wenn wir an dieser Stelle den Reality-Check machen, müssen wir allerdings feststellen, dass die Bundesregierung das Parlament gerade nicht über wesentliche Vorgänge informiert und das PKGr auch nicht von seinen gesetzlichen Möglichkeiten Gebrauch macht, sich effektiv zu informieren und diese Informationen an- und einzufordern.

Es ist bestimmt nicht fair, wackere Abgeordnete wie Konstantin von Notz oder Hans-Christian Ströbele zu kritisieren – und auf sie zielt meine Kritik auch nicht ab – ohne deren Arbeit wir noch weniger über die eklatanten Missstände bei den Diensten wüssten. Und es ist auch der Hartnäckigkeit einiger Abgeordneter zu verdanken, dass der BND jetzt endlich unter Druck gerät.

Dennoch wird die Kontrolle der Dienste auch künftig nicht funktionieren, wenn man an den Strukturen nichts ändert. Möglicherweise bräuchten die Dienste sogar eine unmittelbare Inhouse-Kontrolle durch einen Abgesandten des Parlaments, der auch das Recht haben müsste, die gesamte Kommunikation zwischen dem Dienst und der vorgesetzten Dienst- und Fachaufsicht, also im konkreten Fall mit dem Kanzleramt, einzusehen. Die Exekutive bedarf immer einer effektiven und lückenlosen Kontrolle. Und dort wo diese Kontrolle wie im Fall des BND nicht gewährleistet ist, entwickeln sich Paralleluniversen, die es in einem Rechtsstaat nicht geben kann und darf. Es muss deshalb ein System einer engmaschigen und möglichst lückenlosen Kontrolle des BND geschaffen werden und zwar unmittelbar durch das Parlament.

posted by Stadler at 18:21  

17.5.15

Wie gut und gerecht ist die Strafjustiz?

Thema der Woche in der Wochenendausgabe der Süddeutschen (16./17.5.2015) ist die Frage, wie gerecht die Gerichte sind. Es geht hierbei vor allen Dingen um die nicht ganz neue, aber für die Justiz und vor allem für unsere Gesellschaft essentielle Frage, wie viele Strafurteile in Deutschland tatsächlich falsch sind. Der Beitrag der SZ nimmt die bekannte These des BGH-Richters Ralf Eschelbach auf, wonach jedes vierte Strafurteil in Deutschland ein Fehlurteil sei. Der Artikel schildert bekannte und spektakuläre Fehlurteile der neueren deutschen Rechtsgeschichte und verweist darauf, dass die meisten Fehler bereits im Ermittlungsverfahren passieren. Man zitiert einen Strafverteidiger mit der Aussage, dass Polizisten keine Zweifler sondern Jäger seien und im Ermittlungsverfahren nach Bestätigung und nicht nach Widerlegung gesucht wird, sobald man sich auf eine Tatversion und einen Täter festgelegt hat.

Als Gelegenheitsstrafverteidiger habe ich auch den Eindruck, dass die Zahl der falschen Urteile durchaus nennenswert ist, weil man vernünftige Zweifel allzu oft gar nicht aufkommen lässt. Ob der Verfassungsrang genießende Grundsatz „in dubio pro reo“ in der Strafrechtspraxis tatsächlich gilt, darf man in Frage stellen. Nach meinem Eindruck wird häufig im Zweifel verurteilt. Das liegt nicht (nur) an den Staatsanwaltschaften, sondern zu oft auch an den Gerichten. Auch die Richterschaft ist letztlich nur ein Spiegelbild der Gesellschaft. Unvoreingenommene Menschen gibt es eben kaum. Es kommen strukturelle Defizite hinzu, wie die zu große Nähe zwischen Gerichten und Staatsanwaltschaften in Bayern aufgrund des regen Wechsels zwischen den Laufbahnen. Auch die Glaubwürdigkeit von Zeugen wird von den Gerichten nach meiner Einschätzung zu oft nicht richtig bewertet, weil es insoweit häufig an einer ausreichenden Schulung der Richter fehlt. Auch wenn mittlerweile ausreichend Literatur zu der Frage existiert, welche Kriterien eines Aussageverhaltens für eine Unglaubwürdigkeit von Zeugen sprechen, ist das bei zu vielen Richtern noch nicht angekommen. Bewusst oder unbewusst unrichtige Zeugenaussagen gehören aber zu den Hauptgründen für falsche Urteile, nicht nur im Strafrecht.

Es wäre außerdem sicherlich hilfreich, wenn die Frage der Fehlerhaftigkeit von Strafurteilen stärker wissenschaftlich untersucht würde. Daran haben aber weder Politik noch Justiz ein gesteigertes Interesse. Denn die weit verbreitete These von der hohen Qualität und der niedrigen Fehlerquote gerade der Strafjustiz könnte dadurch ins Wanken kommen.

Ein Rechtsstaat muss allerdings danach streben, dass gerade im Bereich des Strafrechts die Urteile seiner Gerichte richtig sind. Die Diskussion über die Qualität der Justiz ist daher notwendig.

posted by Stadler at 21:12  
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