Auf Twitter wurde ich gestern mehrfach dafür kritisiert, dass ich (als Anwalt) den offenen Brief der Tatort-Autoren zum Urheberrecht als Pamphlet bezeichnet habe, was der ein oder andere offenbar als unsachlich empfunden hat. Ich frage mich allerdings ganz ernsthaft, als was man den Brief sonst bezeichnen soll? Ein Text, der seinen (vermeintlichen) Gegnern Lebenslügen und Demagogie vorwirft, kann nicht nur, sondern muss als das bezeichnet werden was er ist, nämlich eine Schmähschrift. Das halte ich geradezu für ein Gebot der Sachlichkeit. Die Wahl dieses Stilmittels ist natürlich gänzlich legitim. Jeder kann seine Position so polemisch und pointiert vertreten wie er will. Wer allerdings eine Sachdiskussion in Gang setzen möchte, sollte sich vielleicht aber doch einer anderen Wortwahl bedienen und darf sich dann auch nicht wundern, wenn anschließend in ähnlich pointierter, wenngleich in sprachlich überzeugenderer Art und Weise reagiert wird.
Wer die Sachdiskussion sucht, kann nicht umhin, sich zunächst mit den sachlichen Fehlern des Texts der Krimiautoren zu befassen, die man auch und gerade angesichts der Wahl des Instruments der Polemik besser vermieden hätte.
Bereits im ersten Absatz wird der schlechten Situation der Urheber, der Protest der Netzgemeinde gegen Netzsperren und Vorratsdatenspeicherung gegenübergestellt. Nun besteht allerdings zwischen der Vorratsdatenspeicherung und der Urheberrechtsdiskussion keinerlei Zusammenhang, denn die Vorratsdatenspeicherung ist ein Instrumentarium zur Aufklärung schwerer Straftaten, zu denen Urheberrechtsverstöße regelmäßig nicht gehören. Die auf Vorrat gespeicherten Daten können schließlich auch nicht zur zivilrechtlichen Verfolgung von Urheberrechtsverletzungen herangezogen werden. Es wäre an dieser Stelle nachvollziehbar gewesen, wenn man die Diskussion um ACTA angeführt hätte, aber die Vorratsdatenspeicherung ist als Beispiel denkbar unpassend. Ähnliches gilt auch für die Netzsperrendiskussion, die sich in Deutschland im Kern um das Zugangserschwerungsgesetz drehte, das ebenfalls keine Urheberrechtsfragen zum Gegenstand hatte.
Im Text der Tatort-Autoren heißt es dann weiter, Artikel 27 der Menschenrechte postuliere den Schutz des Urhebers als Eigentümer seiner Werke. Gemeint ist damit wohl Art. 27 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, dessen Abs. 2 lautet:
„Jeder hat das Recht auf Schutz der sittlichen und materiellen Interessen, die ihm als Urheber von Werken der Wissenschaft, Literatur oder Kunst erwachsen.“
Von geistigem Eigentum steht da freilich nichts, sondern nur vom Schutz sittlicher und materieller Interessen. In Art. 27 Abs. 1 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte heißt es allerdings in der Tat:
„Jeder hat das Recht, am kulturellen Leben der Gemeinschaft frei teilzunehmen, sich an den Künsten zu erfreuen und am wissenschaftlichen Fortschritt und dessen Errungenschaften teilzuhaben“
Es gibt also insoweit tatsächlich zwei unterschiedliche Rechtspositionen, die beide den Schutz als Menschenrecht genießen und die fraglos in einem Spannungsverhältnis zueinander stehen. Das ist freilich nichts Besonderes, denn die Grund- und Menschenrechte unterschiedlicher Personen und Gruppen stehen sehr häufig in Konflikt miteinander. Es ist die Aufgabe der Rechtsordnung sich hier um einen fairen und angemessenen Ausgleich zu bemühen. Das Spannungsverhältnis zwischen dem Recht auf möglichst freien Zugang zu Geisteswerken einerseits und den wirtschaftlichen Interessen der Urheber – oder vielmehr der hinter ihnen stehenden Verwertungsindustrie – andererseits ist also keine Lebenslüge, sondern eher eine Lebenstatsache, der man mit etwas weniger Ignoranz gegenübertreten sollte. Denn, dass beispielsweise das aktuelle Urheberrecht gerade auch im Bereich der Bildung und Forschung hemmend wirkt, lässt sich anhand zahlreicher Praxisbeispiele nachweisen. Und natürlich geht es in diesem Bereich auch – und hier ist den Krimiautoren deutlich zu widersprechen – um die Frage eines offenen und u.U. kostenlosen Zugangs.
Dieser Aspekt leitet über zu der Textpassage, in der die Autoren formulieren:
„Dieses Recht wird nicht nur frontal angegriffen und infrage gestellt, neuerdings schicken gerade die Grünen gerne von Google alimentierte Initiativen wie collaboratory, Alexander-von-Humboldt-Institut oder auch das (vormalige) Max-Plank-Institut für geistiges Eigentum vor, die angeblich völlig autonom und unabhängig eine neue Rechtsgrundlage suchen würden – im sogenannten Immaterialgüter-Recht.“
An dieser Stelle fällt es mir zugegebenermaßen etwas schwer nicht in Polemik zu verfallen. Der Kollege Lehofer hat auf Twitter geschrieben, dass 51 Tatort-Autoren vielleicht nicht wissen müssen, wie man Max Planck schreibt oder was Immaterialgüterrechte sind. Aber gerade deshalb hätte ihnen ein etwas leiseres Auftreten gut zu Gesicht gestanden.
Beim Max Planck Institut für Immaterialgüter- und Wettbewerbsrecht betreiben renommierte Rechtswissenschaftler Grundlagenforschung im Bereich des Urheberrechts und des Rechts der gewerblichen Schutzrechte. Das MPI steht keinesfalls in dem Ruf mit Piraten, Linken und Grünen zu paktieren, mit dem Ziel das Urheberrecht abzuschaffen. Es gibt aber gerade in der Rechtswissenschaft bereits seit Jahren eine intensive Diskussion über die Notwendigkeit einer Reform des Urheberrechts im digitalen Zeitalter. Auch wenn das bei den Rechteinhabern nicht populär ist, kann man vor der stattfindenden rechtswissenschaftlichen Diskussion nicht die Augen verschließen. Man muss als Autor vielleicht nicht laufend rechtswissenschaftliche Aufsätze lesen, aber man sollte zumindest diejenige Diskussion verfolgen, die außerhalb einer kleinen Fachöffentlichkeit geführt wird. Sehr instruktiv – auch für den juristischen Laien – ist hierzu beispielsweise ein Interview mit dem renommierten deutschen Urheberrechtler Karl-Nikolaus Peifer mit der Zeitschrift Brand Eins.
Schließlich blenden die Krimiautoren völlig aus, dass sich das Urheberrecht in einer Legitimationskrise befindet, auf die die Politik Antworten finden muss. Vor diesem Hintergrund ist es dringend notwendig, die Diskussion nicht mehr länger in Schwarz-Weiß-Mustern zu führen, sondern vielmehr auszuloten, wo man sich sinnvollerweise einpendeln kann und muss im großen Bereich zwischen zwei Extrempositionen. Nach meiner Einschätzung gehört auch das Konzept des „geistigen Eigentums“ auf den Prüfstand, was allerdings nicht als Forderung nach einer Abschaffung des Urheberrechts missverstanden werden darf. Gerade die Frage der Stärkung der Rechte von Autoren ist primär eine solche des Urhebervertragsrechts, dessen vernünftige Ausgestaltung bislang von den Lobbyisten der Verlagsbranche verhindert worden ist. Diese Diskussion wird interessanterweise derzeit kaum geführt.
Auf Twitter habe ich auf meinen Einwand hin, dass der Text der Krimiautoren hochideologisch ist und vor sachlichen Fehlern strotzt, die Antwort erhalten, dass es ja häufig um gefühlte Argumente gehe und der Expertendiskurs für juristische Laien unverständlich sei. Vielleicht ist aber gerade diese Haltung eine Lebenslüge unserer politischen Diskussion. Jeder beharrt auf seinem Standpunkt und lässt sich durch Fakten und die abweichende Einschätzung von Wissenschaftlern kaum ablenken. Es kann nicht um gefühlte Argumente gehen, wenn man den Anspruch hat, eine Diskussion sachlich zu führen.
Ich denke auch, dass wir reden müssen, aber dazu muss sich vielleicht auch die Debattenkultur noch verändern. Auch die Urheber müssen erkennen, dass ihnen am Ende nur ein funktionierendes Urheberrechtssystem nützen wird. Und insoweit kann man Karl-Nikolaus Peifer nur beipflichten. Das aktuelle System steht am Abgrund und auch die Urheber müssen deshalb ein Interesse an einer sinnvollen Reform haben und sollten sich der Diskussion nicht verweigern.