Staatsanwaltschaft durchsucht Räume der Augsburger Allgemeinen wegen Forenbeitrags
Wie die Augsburger Allgemeine meldet, hat das Amtsgericht Augsburg die Durchsuchung der Redaktionsräume der Zeitung angeordnet, um den Autor eines Forenbeitrags zu ermitteln, der den Augsburger Ordnungsreferenten Volker Ullrich im Rahmen einer Forendiskussion der Rechtsbeugung bezichtigt hatte.
Da ich den konkreten Forenbeitrag und seinen Diskussionskontext nicht kenne, lässt sich nicht beurteilen, ob die Äußerung nicht ohnehin von der Meinungsfreiheit gedeckt und damit zulässig ist. Es wäre nicht das erste mal, dass ein Amtsgericht Bedeutung und Tragweite von Art. 5 GG gänzlich verkennt.
Aber selbst wenn der konkrete Forenbeitrag als Beleidigung zu qualifizieren ist, stellt sich die Frage, ob die Durchsuchungsanordnung rechtmäßig ist. Denn die Anordnung der Durchsuchung von Redaktionsräumen stellt einen Eingriff in die Pressefreiheit dar. Nach der Rechtsprechung des BVerfG sind auch anonyme Zuschriften Dritter, die im redaktionellen Teil der Zeitung oder Zeitschrift dokumentiert werden, vom Beschlagnahmeverbot des § 97 Abs. 5 StPO umfasst. Das muss für Forenbeiträge einer Zeitung, die die Diskussion zu einem redaktionellen Text dokumentieren, in gleicher Weise gelten.
Ungeachtet dessen, wird man eine derartige Durchsuchung zum Zwecke der Ermittlung eines Kommentarautors schwerlich als verhältnismäßig einstufen können.
Man kann nur hoffen, dass die Zeitung gegen den rechtswidrigen amtsrichterlichen Beschluss vorgehen wird.
Update: Wie ich gerade auf Twitter lese, soll es nicht zu einer Durchsuchung gekommen sein, weil die Augsburger Allgemeine auf den richterlichen Durchsuchungsbeschluss die Daten herausgegeben haben sol. Das ändert allerdings an meiner rechtlichen Bewertung nichts.
Update vom 31.01.2013:
Nachdem die Kollegen Diercks und Lampmann meiner Einschätzung widersprochen haben, möchte ich das zum Anlass nehmen, meine Position noch etwas näher zu erläutern.
Da (mir) im konkreten Fall mittlerweile auch bekannt ist, welche Äußerung genau beanstandet wurde und welchem Diskussionskontext sie entstammt, lässt sich auch zu dieser Frage nunmehr eine Einschätzung abgeben.
Eine spezielle Augsburger Lösung, wonach Tankstellen im Rahmen einer Selbstverpflichtung nach 20 Uhr keinerlei Alkohol mehr verkaufen sollten, hat einen Leser der Augsburger Allgemeinen zu dem Kommentar veranlasst, der Ordnungsreferent verbiete sogar erwachsenen Männern ihr Feierabendbier, indem er geltendes Recht beugt und Tankstellenbetreiber massiv bedroht.
Diese Aussage ist meines Erachtens zwanglos dahingehend interpretierbar, dass der Ordnungsreferent Tankstellenbetreiber in rechtswidriger Art und Weise einzuschüchtern versucht. Es liegt also bereits die Annahme einer zulässigen Meinungsäußerung – jedenfalls bei der verfassungsrechtlich gebotenen meinungsfreundlichen Auslegung – nahe, weshalb ein Beschlagnahmebeschluss bereits mangels Straftat scheitert.
Ungeachtet dessen, vermag ich den Ausführungen der Kollegen aber nicht zu folgen. Die Frage, die sich in verfassungsrechtlicher Hinsicht stellt, ist die, ob eine Kommentarfunktion einer Zeitung, über die Leser redaktionelle Artikel diskutieren und kommentieren können, am Schutz der Pressefreiheit teilnimmt.
Insoweit hat das BVerfG u.a. ausgeführt:
Das Grundrecht schützt den gesamten Inhalt eines Presseorgans (vgl. BVerfGE 21, 271 <278 f.>; 95, 28 <35 f.>). In die Pressefreiheit ist auch die Entscheidung eingeschlossen, ob Zuschriften von Dritten in die Publikation aufgenommen werden. Der Schutz der Pressefreiheit umfasst ebenfalls die Wiedergabe von Beiträgen Außenstehender, einschließlich der anonymen Veröffentlichung von Zuschriften Dritter (vgl. BVerfGE 95, 28 <36>).
Die Pressefreiheit umfasst also auch die Veröffentlichung anonymer Zuschriften Dritter. An anderer Stelle hat das BVerfG noch weitergehend entschieden, dass die Pressefreiheit selbst den Anzeigenteil von Presseerzeugnissen umfasst. Die Pressefreiheit ist danach selbst dann betroffen, wenn die Zeitung dem Leser Anzeigen, ebenso wie Nachrichten oder Leserbriefe im redaktionellen Teil, ohne eigene Stellungnahme zur Kenntnis bringt. Es kommt also anders als die Kollegin Diercks meint, gerade nicht darauf an, ob die Redaktion noch Hand anlegt. Die Frage ist also nur die, ob die Kommentarfunktion einer Zeitung zum redaktionellen Teil gehört. Das kann angesichts des Umstandes, dass die Möglichkeit eröffnet wird, redaktionelle Inhalte zu kommentieren und zu diskutieren, nicht ernsthaft in Zweifel gezogen werden. Wozu sollte diese Funktion auch sonst gehören? Zum Anzeigenteil? Der Einsatz zeitgemäßer Kommunikationskonzepte kann nicht zu einer Verkürzung des Umfangs der Pressefreiheit führen. Letztlich ersetzen derartige Funktionalitäten auch mehr und mehr den klassischen Leserbrief. Hieraus muss dann aber auch, wie oben bereits dargestellt, ein Beschlagnahmeverbot nach § 97 Abs. 5 StPO folgen.
Wegen der besonderen Bedeutung der Pressefreiheit und der Notwendigkeit des Schutzes des redaktionellen Raums, ist gerade bei der Anordnung der Durchsuchung von Redaktionen Zurückhaltung geboten. Es ist deshalb auch ganz grundsätzlich fraglich, ob eine einfache Beleidigung – die hier ohnehin nicht vorliegt – ausreichend sein kann, um die Durchsuchung redaktioneller Räumlichkeiten anzuordnen.
Und die Frage, ob man vorliegend auch auf einen Informantenschutz im Sinne der Cicero-Entscheidung abstellen kann, ist noch gar nicht erörtert.