Internet-Law

Onlinerecht und Bürgerrechte 2.0

20.5.19

Warum die Berichterstattung in der Causa Strache rechtlich zulässig ist

Der Fall Strache um die heimlichen Filmaufnahmen auf Ibiza haben auch zu einer Diskussion darüber geführt, ob die Berichterstattung und die Veröffentlichung von Ausschnitten aus dem heimlich angefertigten Video, rechtlich zulässig war.

Zugunsten von Strache kann man dabei sogar unterstellen, dass die Filmaufnahmen rechtswidrig erstellt worden sind, wobei selbst das, zumindest nach den Kriterien des deutschen Rechts nicht zwingend ist, wie ein Blick auf § 201 Abs. 2 S. 2 und 3 sowie § 201a Abs. 4 StGB und die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Springer/Wallraff) zeigt.

Nach ständiger Rechtsprechung von EGMR, BVerfG und BGH wird auch die Veröffentlichung rechtswidrig beschaffter oder erlangter Informationen vom Schutz der Meinungsfreiheit umfasst (vgl. z.B. Urteil des EGMR v. 24.02.2015, Az.: 21830/09 und Urteil des BVerfG v. 25.01.1984, Az.: 1 BvR 272/81).

Der BGH führt hierzu in einer recht aktuellen Entscheidung aus:

Allerdings wird auch die Veröffentlichung rechtswidrig beschaffter oder erlangter Informationen vom Schutz der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG) umfasst. Andernfalls wäre die Funktion der Presse als „Wachhund der Öffentlichkeit“ beeinträchtigt, zu der es gehört, auf Missstände von öffentlicher Bedeutung hinzuweisen. (…) Darüber hinaus könnte die Freiheit des Informationsflusses, die gerade durch die Pressefreiheit erhalten und gesichert werden soll, leiden. Unter diesem Gesichtspunkt würde ein gänzlicher Ausschluss der Verbreitung rechtswidrig beschaffter Informationen aus dem Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG dazu führen, dass der Grundrechtsschutz von vornherein auch in Fällen entfiele, in denen es seiner bedarf.

Wir dürfen im vorliegenden Fall allerdings davon ausgehen, dass Spiegel und Süddeutsche Zeitung sich die Informationen nicht rechtswidrig beschafft haben. Wenn dem Publizierenden die rechtswidrige Informationsbeschaffung nicht selbst anzulasten ist, bedarf es nach der Rechtsprechung in jedem Fall einer umfassenden Güterabwägung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls.

Damit ist die grundsätzliche Richtung, nach der auch die Ibiza-Videos zu beurteilen sind, vorgegeben. Es liegt zunächst zweifellos ein Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht der gefilmten FPÖ-Politiker Strache und Gudenus vor. Denn sie wurden in einer eher privaten Atmosphäre heimlich aufgenommen. Allerdings sind die Gesprächsinhalte über die berichtet wurde und die auch Gegenstand der veröffentlichten Filmausschnitte sind, inhaltlich nicht privater, sondern vielmehr bekanntlich hochpolitischer Natur. Das lässt den Eingriff von vornherein nicht derart schwerwiegend erscheinen, wie in anderen Fällen, in denen tatsächlich ausschließlich oder vorwiegend über Vorgänge aus dem Privatleben der betroffenen Personen berichtet wird.

Dem steht ein geradezu überragendes Berichterstattungs- und Informationsinteresse gegenüber, wobei hier ergänzend zu berücksichtigen ist, dass dem Grundrecht auf Meinungsfreiheit ein umso größeres Gewicht zukommt, je mehr es sich um einen Beitrag zu einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage handelt. Im Fall Strache geht es darum, dass der Vizekanzler eines EU-Staats mit einer vermeintlichen russischen Oligarchin darüber spricht, ihn finanziell dabei zu unterstützen, wesentliche Grundwerte einer freiheitlichen Gesellschaft und eines freiheitlichen Rechtsstaats auszuhebeln. Das Informationsinteresse ist in diesem Fall ungleich höher, als in den allermeisten Fällen, die EGMR, BVerfG und BGH bislang zu entscheiden hatten.

Zu berücksichtigen ist außerdem, dass keine unwahren Tatsachenbehauptungen transportiert werden, sondern vielmehr eine unstreitig wahrheitsgemäße Berichterstattung erfolgt. Eine wahrheitsgemäße Berichterstattung über die Öffentlichkeit wesentlich berührende Umstände ist allerdings im Interesse der Meinungs- und Pressefreiheit regelmäßig hinzunehmen.

Die gebotene Interessenabwägung fällt deshalb hier sehr deutlich zugunsten der Meinungsfreiheit aus. Es handelt sich vorliegend also keinesfalls um einen Grenzfall, zumal man berücksichtigen muss, dass die Süddeutsche Zeitung und der Spiegel auf die Veröffentlichung des ganzen Videos verzichtet und sich auf die Ausschnitte beschränkt haben, die für die öffentliche Debatte von überragender Bedeutung sind. Damit wurden die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen in sehr verantwortungsvoller Weise geschont, obwohl dies rechtlich nicht unbedingt geboten war.

posted by Thomas Stadler at 21:42  

3.5.19

Neues zum Influencer-Marketing

Das Landgericht Karlsruhe hat unlängst mit Blick auf das Instagram-Profil der Influencerin Pamela Reif, die über mehr als vier Millionen Follower verfügt und laut Wikipedia ihren Lebensunterhalt mit der Bewerbung von Fitnessprodukten und Kleidermode verdient, entschieden, dass die Kennzeichnung ihres Instagram-Auftritts als Werbung nicht entbehrlich ist. Insbesondere sei, so das Landgericht der werbliche Charakter nicht für alle – oft jugendlichen, teilweise kindlichen – Nutzer offensichtlich (Urteil v. 21.3.2019, Az.: 13 O 38/18 KfH). Dies gilt umso mehr, als es das Geschäftsmodell von Influencern darstellt, (scheinbar) private mit kommerziellen Posts zu mischen.

Zu einer komplett gegenteiligen Einschätzung gelangte gerade das Landgericht München I mit Blick auf das Instagram-Profil von Cathy Hummels, der Frau von Fußballer Mats Hummels. Nach dem Urteil des Landgerichts München I vom 29.04.2019 handelt Cathy Hummels zwar geschäftlich, weil sie durch ihre Posts die verlinkten Unternehmen und ihr eigenes Unternehmen fördert. Das aber sei nach Auffassung der Kammer für die Nutzer erkennbar. Ausschlaggebend dafür sind nach Ansicht des Landgerichts München I vor allem die Anzahl der Follower von Hummels und der Umstand, dass es sich um ein öffentliches, verifiziertes und mit einem blauen Haken versehenes Profil handelt.

Die Gegensätzlichkeit beider Entscheidungen wird noch deutlicher, wenn man sich die jeweils zugrundeliegenden Sachverhalte vor Augen führt.

Während das Profil der hauptberuflichen Influencerin Pamela Reif durchaus erkennbar kommerziell ist, ist dies im Fall von Cathy Hummels weit weniger offensichtlich.

Die Begründung des Landgerichts München I ist nicht tragfähig. Der blaue Haken besagt zunächst nur, dass es sich um einen verifizierten Account handelt. Und die bloße Anzahl an Followern kann ebenfalls noch kein Argument für eine geschäftliche Handlung sein. Auch jemand, der rein ideelle Interessen verfolgt, kann 500.000 Follower haben. Das Landgericht München I macht es sich deutlich zu einfach, wenn es öffentliche Profile von Prominenten mit hoher Followerzahl per se als geschäftlich qualifiziert.

Nur über die konkrete Betrachtung und Bewertung der Inhalte eines Profils wird man zur Annahme einer geschäftlichen Handlung gelangen können. Ganz allgemein stellt sich dabei aber die Frage, ob man das Profil insgesamt betrachten kann oder ob man nicht vielmehr auf die einzelnen Inhalte abstellen muss. Was bedeutet es, wenn in einem Profil gelegentlich werbliche Posts auftauchen, aber die überwiegende Mehrzahl der Postings privater bzw. nichtkommerzieller Natur sind? Was genau stellt dann die geschäftliche Handlung dar? Zunächst wohl nur das einzelne kommerzielle Posting. Kann man dann tatsächlich davon ausgehen, dass bereits durch einzelne geschäftliche Postings das Gesamtprofil infiziert wird? Fragen, mit denen sich das Landgericht München nicht auseinandersetzt.

Im Fall des Profils von Cathy Hummels wird überwiegend ganz gezielt der Eindruck erweckt, es würde sich um private Fotos und Postings handeln, die über ihr natürlich glamouröses Leben berichten. Und das ist auch genau die Art und Weise, wie Influencer-Marketing funktioniert. Der werbliche Charakter soll möglichst verschleiert werden und in den Hintergrund treten, damit beim Nutzer der Eindruck erweckt wird, die auftauchenden Produkte seien das, was Cathy Hummels ganz persönlich mag und trägt.

Die Annahmen des Landgerichts München I sind also in zweierlei Hinsicht problematisch. Mit der gegebenen Begründung lässt sich der geschäftliche Charakter des gesamten Profils schwerlich begründen. Wenn das Profil von Cathy Hummels aber insgesamt als geschäftlich zu betrachten wäre, wie das Landgericht München I meint, dann kann man nicht ignorieren, dass genau dies dann relativ konsequent verschleiert wird, so dass sich dem Durchschnittsnutzer der kommerzielle Charakter gerade nicht aufdrängen wird.

Beim Thema Influencer-Marketing werden wir vermutlich noch eine ganze Reihe uneinheitlicher Rechtsprechung erleben.

posted by Thomas Stadler at 21:42  

18.1.19

McDonalds verliert Markenrechte an Big Mac? Wirklich?

Noch bemerkenswerter als der Beschluss des Amts der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO) vom 11. Januar 2019 über die Löschung der Marke BIG MAC ist die Medienberichterstattung hierüber. Nachdem das Amt die Löschung der Unionsmarke BIG MAC von McDonald’s beschlossen hat, überbieten sich die Medien mit reißerischen Überschriften wie „HAMMER-EU-BESCHLUSS: McDonald’s verliert Namensrecht am Big Mac“ (BILD) bis „Jetzt kann jeder seinen eigenen Big Mac anbieten“ (FAZ). Wobei die Berichterstattung der FAZ erstaunlicherweise noch schwächer ist als die der BILD. Auch die Süddeutsche möchte da nicht hinten anstehen und ergänzt mit der peinlichen Falschbehauptung, McDonald’s habe das Markenrecht verloren, weshalb es nun im Prinzip jedem offen stehe, den Namen „Big Mac“ zu verwenden.

Der mediale Tenor ist schon deshalb unrichtig, weil McDonalds neben der Unionsmarke über eine Reihe nationaler Marken verfügt – u.a. in Deutschland – die die Benutzung des Zeichens BIG MAC für ähnliche Waren und Dienstleistungen auch weiterhin verbieten.

Darüber hinaus ist die Entscheidung des Europäischen Markenamts aber auch nicht bestandskräftig – MacDonald’s hat also keineswegs sein Markenrecht bereits verloren – und es kann bei vernünftiger juristischer Betrachtung auch nicht davon ausgegangen werden, dass sie es jemals werden wird. Das Amt hat die vollständige Löschung der Marke wegen Nichtbenutzung verfügt. Auch wenn davon auszugehen ist, dass McDonald’s nachlässig vorgetragen hat, weiß jeder, der die Burgerkette ab und an besucht, dass es bei McDonald’s seit Jahrzehnten einen Burger mit der Bezeichnung „Big Mac“ zu kaufen gibt. Weil das Amt aber der Meinung war, dass McDonald’s genau dafür keine ausreichenden Belege vorgelegt hat, wurde die Marke gelöscht und zwar auch in ihrem Kernbereich für Nahrungsmittel und Sandwiches. Da es vermutlich wenige Fälle gibt, in denen die tatsächliche Benutzung einer Marke intensiver und offenkundiger ist als bei BIG MAC, wird die Entscheidung des Amts keinen Bestand haben. Dass McDonald’s die Marke benutzt, ist allgemein bekannt. Vielleicht nur nicht bei Amtsträgern des EUIPO, die vermutlich andere Restaurants bevorzugen.

Es ist daher dringend davon abzuraten, für Burger oder Nahrungsmittel das Zeichen Big Mac zu nutzen. Wer das macht, verletzt auch weiterhin die Markenrechte von McDonald’s.

Wenn man erkennen muss, wie schlecht die Berichterstattung in Bereichen ist, in denen man sich auskennt, fragt man sich unweigerlich, wie oft man wohl bei Themen, die man nicht so gut beurteilen kann, einer solchen Berichterstattung aufsitzt.

Die Kollegen von Löffel Abrar haben ebenfalls ausführlich und lesenswert zum Thema gebloggt.

posted by Thomas Stadler at 22:48  

24.9.18

Vom Rundfunkstaatsvertrag zum Medienstaatsvertrag

Aus dem Rundfunkstaatsvertrag soll ein Medienstaatsvertrag werden. Die Bundesländer haben unlängst einen ersten Entwurf des sog. Medienstaatsvertrags beraten und vor kurzem online zur Diskussion gestellt. Interessierte Bürger können Ihre Ideen und Stellungnahmen zu dem Gesetzesentwurf bis zum 30.09.2018 einreichen. Die Fortentwicklung des Rundfunkstaatsvertrags soll nunmehr auch sog. Medienplattformen, Benutzeroberflächen und Medienintermediäre regeln und regulieren. Damit wird die bereits vorhandene Plattformregulierung auch auf Suchmaschinen und soziale Netze ausgeweitet.

Interessant erscheint mir zunächst die Frage, wie die Begriffe definiert werden und wie man sie voneinander abgrenzt.

Die Medienplattform wird legal definiert in § 2 Abs. 2 Nr. 13:

Medienplattform jeder Dienst, soweit er Rundfunk oder rundfunkähnliche Telemedien zu einem vom Anbieter bestimmten Gesamtangebot zusammenfasst. Die Zusammenfassung von Rundfunk oder rundfunkähnlichen Telemedien ist auch die Zusammenfassung von softwarebasierten Anwendungen, welche im Wesentlichen der unmittelbaren Ansteuerung von Rundfunk, rundfunkähnlichen Telemedien oder Diensten im Sinne des Satz 1 dienen.

Anschließend wird noch klargestellt, dass das Gesamtangebot von Rundfunk oder rundfunkähnlichen Telemedien, welches ausschließlich in der inhaltlichen Verantwortung einer oder mehrerer öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten oder eines privaten Anbieters von Rundfunk oder rundfunkähnlichen Telemedien steht, noch keine Medienplattform darstellt. Das bedeutet insbesondere, dass die Mediatheken von ARD und ZDF keine Medienplattformen sind. Nur Angebote, die Rundfunkangebote oder rundfunkähnliche Telemedien von verschiedenen Anbietern zu einem Gesamtangebot bündeln, stellen eine Medienplattform dar.

Die Benutzeroberfläche definiert der Entwurf des Staatsvertrags in § 2 Abs. 2 Nr. 13a:

Benutzeroberfläche die textlich, bildlich oder akustisch vermittelte Übersicht über Angebote oder Inhalte einzelner oder mehrerer Medienplattformen, die der Orientierung dient und unmittelbar die Auswahl von Angeboten, Inhalten oder softwarebasierten Anwendungen ermöglicht.

Die Benutzeroberfläche ist nach dem Konzept des Gesetzes also letztlich das Navigationsmenü der Medienplattform.

Darüber hinaus will die Neuregelung noch den Begriff des Medienintermediärs einführen, den § 2 Abs. 2 Nr. 13b wie folgt definiert:

Medienintermediär jedes Telemedium, das auch journalistisch-redaktionelle Angebote Dritter aggregiert, selektiert und allgemein zugänglich präsentiert, ohne diese zu einem Gesamtangebot zusammenzufassen. Insbesondere sind Medienintermediäre
a) Suchmaschinen,
b) Soziale Netzwerke,
c) App Portale,
d) User Generated Content Portale,
e) Blogging Portale,
f) News Aggregatoren.

Medienintermediäre unterscheiden sich von Medienplattformen also vor allem dadurch, dass sie Einzelangebote zwar aggregieren, aber nicht zu einem Gesamtangebot zusammenfassen. An dieser Stelle bleibnt freilich unklar, welche Kriterien genau bewirken, dass man von einem Gesamtangebot sprechen kann. Das Gesetz liefert hierzu leider keine nachvollziehbaren Anhaltspunkte. Ist der Hersteller eines Smart-TV oder einer Set Top Box (wie z.B. Apple TV), der neben dem traditionellen Empfang linearer Fernsehprogramme auch noch verschiedenste Apps (Netflix, Amazon Prime, Maxdome, Sky, DAZN, YouTube etc.) enthält, die es ermöglichen, auch Streamingangebote auf den Fernseher zu bringen, eine Medienplattform oder nur ein App-Portal? Die Diskussion ist nicht gänzlich neu, scheint mir aber durch die Neufassung immer noch nicht ausreichend aufgelöst zu werden.

Bei der Medienplattform ist es außerdem so, dass Rundfunkangebote und rundfunkähnliche Telemedien zusammengefasst werden müssen, während Intermediäre jedwede journalistisch-redaktionellen Angebote aggregieren.

Für Intermediäre wie Suchmaschinen und soziale Netze besteht zunächst die Pflicht, einen inländischen Zustellungsbevollmächtigten zu benennen. Außerdem werden ihnen Transparenzpflichten auferlegt. Hierzu gehört es, über die zentralen Kriterien einer Aggregation, Selektion und Präsentation von Inhalten und ihre Gewichtung einschließlich Informationen über die Funktionsweise der eingesetzten Algorithmen in verständlicher Sprache zu informieren. Intermediäre dürfen außerdem Anbieter von journalistisch-redaktionellen Inhalten nicht diskriminieren oder unterschiedlich behandeln.

posted by Stadler at 20:43  

19.8.18

Meinungsfreiheit? Vielleicht demnächst nicht mehr in Sachsen

Ein Tweet des sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer vom 18.8.2018 mit folgendem Wortlaut

Die einzigen Personen, die in diesem Video seriös auftreten, sind Polizisten. Der Vorfall wird ohne Frage aufgeklärt. Der Polizeipräsident hat auch schon angeboten mit den betroffenen Journalisten zu sprechen.

lässt aufhorchen.

Was war passiert? Ein Kamerateam des ZDF filmte am Rande einer Pegida- bzw. Anti-Merkel-Kundgebung Demonstranten, die meinten, ihre Gesinnung mittels einer schwarz-rot-goldenen Kopfbedeckung zur Schau tragen zu müssen, als sich einer der Demonstranten direkt vor die Kamera stellte und den Kameramann aufforderte, das Filmen zu unterlassen, weil das angeblich eine Straftat sei. Der Demonstrant wandte sich im Anschluss an eine in der Nähe stehende Gruppe von Polizeibeamten, die das ZDF-Team dann ebenfalls aufforderte, die Kamera auszuschalten. Auf Nachfrage der Fernsehjournalisten konnten die Beamten aber auch nicht genau sagen, warum die Journalisten das Filmen des Geschehens einstellen sollten.

Jetzt kann man bereits der Ansicht sein, dass Polizisten, die auf Demonstrationen eingesetzt werden, in der Lage sein müssen, Situationen, die rechtlich eindeutig sind, auch entsprechend zu bewerten. Was aber wirklich fassungslos macht, ist nicht die Reaktion der Beamten, sondern die des Ministerpräsidenten. Denn seine Aussage suggeriert, die Polizei hätte sich seriös verhalten und die Fernsehjournalisten unseriös. Tatsächlich muss es sich ein Teilnehmer einer öffentlichen, politischen Versammlung, der einen Deutschlandhut aufhat, gefallen lassen, dass er von einem Fernsehteam gefilmt wird und vielleicht dann sogar im heute-journal zu sehen ist. Man nennt das auch Presse- und Rundfunkfreiheit.

Der Ministerpräsident kritisiert also das legitime Verhalten eines ZDF-Fernsehteams als unseriös, während er ein rechtswidriges Verhalten der Polizei als seriös qualifiziert.

Man fragt sich unweigerlich, welches Maß an rechtsstaatliche Gesinnung wohl erforderlich oder auch hinderlich ist, um in Sachsen das Amt des Ministerpräsidenten bekleiden zu können. Wenn die Feinde der Grundrechte jetzt schon Ministerpräsident eines Bundeslandes sein können und auch keine Scheu mehr empfinden, diese Haltung öffentlich kund zu tun, dann ist in einem freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat eine Grenze überschritten. Und zwar deutlich.

In der taz schreibt Georg Löwisch, Sachsens Ministerpräsident müsse sich zur Pressefreiheit bekennen. Er müsste das zweifellos. Das Dumme ist nur, Kretschmer hat sich bereits eindeutig gegen die Meinungs- und Pressefreiheit positioniert. So ein Amtseid ist also ganz offenbar leicht dahingeschworen. Vermutlich wird das Ganze auch als Episode untergehen, in einer Zeit des politischen Irrsinns. Wenn man es mit dem Rechtsstaat nicht so genau nimmt, ist das, zumal in Sachsen, natürlich noch lange kein Rücktrittsgrund. Aber wir als Bürger sollten und können den zunehmenden Mangel an rechtsstaatlicher Gesinnung bei politischem Führungspersonal, der unlängst ja auch in NRW zu beobachten war, nicht auf die leichte Schulter nehmen.

posted by Stadler at 22:34  

21.2.17

Wann haben Blogs Informationsrechte gegenüber Behörden?

Nach einem Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 27.01.2017 (Az.: 7 CE 16.1994), der mir vorliegt, stellt das Blog einer Verlagsgruppe zu einer bestimmten Thematik, in dem von der Redaktion zugelassene und redaktionell betreute Autoren Artikel veröffentlichen, ein Telemedium mit journalistisch-redaktionell gestalteten Angeboten im Sinne von § 55 Abs. 2 Satz 1 RStV dar. Im konkreten Fall ist dies mit der Folge verbunden, dass ein Auskunftsanspruch gegenüber Behörden nach § 9a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 55 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 RStV geltend gemacht werden kann.

Zur Begründung seiner Entscheidung führt der VGH u.a. folgendes aus:

Bei dem Internetblog „Störungsmelder“ handelt es sich um ein Telemedium mit journalistisch-redaktionell gestalteten Angeboten i.S.v. § 55 Abs. 2 Satz 1 RStV. Entscheidend hierfür ist die publizistische Zielsetzung der Beiträge der Autoren des Blogs (VGH BW, B.v. 25.3.2014 –1 S 169/14 – juris Rn. 22). Es handelt sich dabei nicht um bloße Meinungskundgebungen und Diskussionsbeiträge, sie zielen vielmehr auf eine Teilhabe am Prozess der öffentlichen Meinungsbildung ab. Sie berichten über Vorkommnisse im Bereich des Rechtsextremismus und beruhen auf einem Mindestmaß an Recherchearbeit. Die publizistische Zielsetzung des Telemedienangebots wird nicht dadurch beeinträchtigt, dass die Möglichkeit für Leser besteht, Kommentare abzugeben, die im Blog veröffentlicht werden. Die Kommentierungen, die jedermann offenstehen, unterscheiden sich deutlich von den Impulsartikeln. Sie sind auch bei Aufruf des Angebots nicht erkennbar, sondern müssen eigens aufgerufen werden.

Dem Charakter eines journalistisch-redaktionell gestalteten Angebots widerspricht auch nicht, wenn im Blog um weitere Autoren geworben wird. Sie können nicht unmittelbar Beiträge einstellen, sondern müssen sich der Redaktion mit näheren Angaben (Wo lebst du? Was verbindet dich mit dem Thema? Worüber genau möchtest du
berichten? Wie oft möchtest du bloggen?) vorstellen.

Die Antragstellerseite hat ferner unwidersprochen vorgetragen, dass die Autoren und die Beiträge durch ein Redaktionsmitglied betreut werden. Die Beiträge werden damit nicht beliebig und ungefiltert in das Angebot eingestellt. Die journalistisch-redaktionelle Ausrichtung des Angebots wird nach außen schon allein durch seine Aufmachung erkennbar. Als Anbieter tritt unverkennbar die bundesweit bekannte Verlagsgruppe „DIE ZEIT“ auf. An die journalistische Qualität des Angebots dürfen im Übrigen keine zu hohen Anforderungen gestellt werden. Neben dem „Ob“ ist auch das „Wie“ der Berichterstattung Teil des Selbstbestimmungsrechts der Presse und der ihr verwandten neuen Medien (BVerfG, B.v. 8.9.2014 – 1 BvR 23/14 – juris Rn. 29).

Anders als das Kammergericht, in einer äußerst fragwürdigen neueren Entscheidung, stellt der VGH darauf ab, ob ein Blog eine publizistische Zielsetzung verfolgt. Das Gericht macht andererseits deutlich, dass nicht schon jede Meinungskundgabe und jeder Diskussionsbeitrag ein Blog zu einem journalistisch-redaktionell gestalteten Angebot macht. Diese Differenzierung des VGH erscheint mir sachgerecht, gerade auch vor dem Hintergrund, dass der Gesetzgeber mit §§ 55 Abs. 2 – 57 RStV Regelungen für die „elektronische Presse“ treffen wollte.

posted by Stadler at 11:55  

25.7.16

München und die medialen Zerrbilder

Es fällt mir schwer nach dem Attentat von München – der nunmehr überwiegend gebrauchte Begriff des Amoklaufs missfällt mir, auch wenn man ihn seit kurzem offenbar auch für geplante Taten verwendet – die Gedanken wieder zu sortieren und zu begreifen, was sich da draußen bei den Menschen, befeuert durch eine irrational überzogene Berichterstattung, gerade für Ängste breitmachen.

Unter den medialen Irrlichtern war die Sondersendung der Tagesthemen am Abend des 22.07.2016 ein Highlight, aber leider kein Ausreißer. Der ganze Irrsinn einer völlig aus den Fugen geratenen Berichterstattung kumulierte in der Frage des Moderators Thomas Roth an seinen Gesprächspartner nach der Sicherheitslage im Berliner Regierungsviertel. Man muss sich das vorstellen. Eine Gewalttat in der Nähe eines Münchener Einkaufzentrums veranlasst einen Journalisten zu einer solchen Frage, so als wäre die gesamte Republik Krisen- und Kriegsgebiet.

Und ich frage mich an dieser Stelle, ob es noch einen Weg zurück gibt, weg von diesem Eskalationsjournalismus, wieder hin zu einer analytischen und unaufgeregten Form der Berichterstattung, jedenfalls im beitragsfinanzierten öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Oder müssen wir einfach damit leben, dass sich (fast alle) journalistischen Medien getrieben fühlen durch soziale Medien und die alarmistische und am Ende grob verzerrende Berichterstattung zum Normalfall wird. Welche Folgen wird das aber für die öffentliche Wahrnehmung und Einordnung bestimmter Ereignisse und Vorgänge haben? Die Berichterstattung verstärkt allzuoft Panik und Angst, was im Falle des Attentats von München besonders deutlich wurde. Und sie vermittelt auch jetzt den Eindruck, als sei es gerade besonders unsicher in Deutschland zu leben. Obwohl das Gegenteil der Fall ist. Man könnte an dieser Stelle beispielsweise darauf verweisen, dass die Zahl der Tötungsdelikte in Deutschland heute niedriger ist als vor 15 Jahren. Stattdesen liest man aber, dass derzeit 73 % der Deutschen Angst vor Terrorismus haben, dicht gefolgt von der Angst vor politischem Extremismus mit 68 %. Diese Ängste der Menschen stehen in einem geradezu absurden Missverhältnis zu den tatsächlichen Risiken für den Einzelnen.

Obwohl es also keine Zeit in der Geschichte gab, in der man so sicher in Mitteleuropa leben konnte wie jetzt, nehmen die Ängste der Menschen immer stärker zu. Man fühlt sich bedroht von Terrorismus, Amokläufern und Flüchtlingen, die angeblich so viele Straftaten begehen. Und man muss an dieser Stelle fragen, welchen Anteil die Medien daran haben, dass die Wirklichkeit von einer Mehrheit der Bevölkerung falsch bzw. äußerst verzerrt wahrgenommen wird.

Es mag unfair sein, den klassischen Medien die Hauptverantwortung für diese Entwicklung zuzuweisen, denn es gibt daneben noch die sozialen Medien und eine ganze Armada von Angstmachern aus Gesellschaft und Politik, die ihr Geschäft mit der Angst aus eingenützigen Motiven betreiben. Aber es führt aus meiner Sicht dennoch kein Weg an der Erkenntnis vorbei, dass die Medien in ihrer Gesamtheit durch eine geradezu hysterische Form der Berichterstattung sehr häufig ein Zerrbild der Wirklichkeit zeichnen. München ist dafür nur ein sehr auffälliges Beispiel.

posted by Stadler at 16:56  

16.4.16

Merkels Ermächtigung zur Strafverfolgung von Böhmermann

Die Bundesregierung hat die Staatsanwaltschaft ermächtigt, gegen Jan Böhmermann wegen Verstoß gegen § 103 StGB (Beleidigung von Organen und Vertretern ausländischer Staaten) zu ermitteln. Das wird von den einen als besonders rechtsstaatlich begrüßt, während andere darin einen Kniefall vor dem türkischen Präsidenten Erdogan sehen.

Was ist richtig? Die Vorschrift des § 103 StGB – über deren Sinnhaftigkeit man sicherlich diskutieren kann und muss – dient nicht vorrangig dem Ehrschutz ausländischer Politiker, sondern dem Schutz der außenpolitischen Interessen der Bundesrepublik. Das ist auch der Grund dafür, dass die Vorschrift eine Strafverfolgung von einer Ermächtigung der Bundesregierung abhängig macht. Denn die Bundesregierung soll einschätzen und abwägen, ob sie es aus Gründen der Diplomatie für notwendig und opportun hält, eine Strafverfolgung zuzulassen. Und diese Entscheidung hat Merkel im konkreten Fall zulasten von Jan Böhmermann und zugunsten der vermeintlichen Interessen der Bundesrepublik im Hinblick auf die guten Beziehungen zur Türkei getroffen. Dabei wäre die eine Entscheidung ebenso rechtsstaatlich gewesen wie die andere. Zumal die Bundesregierung damit nicht eine Strafverfolgung allgemein ermöglicht, nachdem ein Verfahren wegen normaler Beleidigung (§ 185 StGB) in jedem Falle möglich gewesen wäre. Die Bundesregierung hat lediglich darüber entschieden, ob eine Spezialvorschrift des Strafgesetzbuches angewendet werden darf, weil das Gesetz in diesem Fall davon ausgeht, dass die Strafverfolgung stets davon abhängt, dass die Bundesregierung ihr zustimmt.

Man darf allerdings die Frage stellen, ob die politische Entscheidung der Bundesregierung vielleicht anders ausgefallen wäre, gäbe es den Flüchtlingsdeal der EU mit der Türkei nicht. Wenn das so ist, wäre das der in rechtsstaatlicher Hinsicht eigentlich bedenkliche Aspekt. Ich möchte dabei nicht verhehlen, dass ich es politisch, nicht juristisch, für sinnvoller gehalten hätte, wenn Merkel diese Ermächtigung nicht erteilt hätte.

Sollte die Bundesregierung jetzt dafür sorgen, dass die Vorschrift des § 103 StGB abgeschafft wird, bevor ein Straf- oder Zivilverfahren gegen Böhmermann rechtskräftig abgeschlossen ist, wäre das allerdings grotesk. Man kann nicht zuerst zur Strafverfolgung ermächtigen und dann durch Streichung der Norm verhindern, dass jemand nach dieser Strafvorschrift verurteilt wird.

posted by Stadler at 11:10  

12.4.16

Fall Böhmermann: Was darf Satire?

Der Fall Böhmermann hat sich mittlerweile zu einer Art Staatsaffäre ausgeweitet und wird kontrovers diskutiert. Hat Jan Böhmermann in seiner Fernsehsendung „Neo Magazin Royale“ den türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan in strafrechtlich relevanter Art und Weise beleidigt? Oder ist das was Böhmermann mit seinem „Gedicht“ gemacht hat unter dem Aspekt der Satire von der Kunst- oder Meinungsfreiheit gedeckt?

Zunächst ist die Frage zu stellen, ob die speziellere Kunstfreiheit einschlägig ist oder, ob es sich um eine Äußerung handelt, die nach den Grundsätzen der Meinungsfreiheit zu bewerten ist. Das Bundesverfassungsgericht beurteilt Äußerungen in Medien, die sich der Merkmale der Übertreibung, Verfremdung oder Verzerrung bedienen, häufig als satirische Meinungsäußerung und nicht als künstlerische Satire. Allein der Umstand, dass es sich bei einer Veröffentlichung um eine satirische Darstellung handelt, eröffnet nach der Rechtsprechung des BVerfG noch nicht den Schutzbereich der Kunstfreiheit nach Art. 5 Abs. 3 GG. Für die rechtliche Einordnung als Kunst kommt es maßgeblich darauf an, ob die Darstellung das geformte Ergebnis einer freien schöpferischen Gestaltung ist. Dies ist nicht schon bei einer bloßen Übertreibung, Verzerrung und Verfremdung der Fall. Vor diesem Hintergrund wird man das „Gedicht“ Böhmermanns am Grundrecht der Meinungsfreiheit und nicht an dem der Kunstfreiheit zu messen haben. Die Meinungsfreiheit des Art. 5 Abs. 1 GG ist aber von vornherein nicht schrankenlos gewährt, sondern findet nach Art. 5 Abs. 2 GG ihre Schranken ausdrücklich in den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutz der persönlichen Ehre.

Die rechtliche Beurteilung von Satire erfordert nach der Rechtsprechung des BVerfG „die Entkleidung des in Wort und Bild gewählten satirischen Gewandes“, um ihren eigentlichen Inhalt zu ermitteln. Dieser Aussagekern und seine Einkleidung sind sodann gesondert daraufhin zu überprüfen, ob sie eine Kundgabe der Mißachtung gegenüber der betroffenen Person enthalten. Dabei muß beachtet werden, dass die Maßstäbe im Hinblick auf das Wesensmerkmal der Verfremdung für die Beurteilung der Einkleidung anders und im Regelfall weniger streng sind, als die für die Bewertung des Aussagekerns.

Darüberhinaus ist es nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG und des BGH so, dass äußerungsrechtliche Sachverhalte stets in ihrem Gesamtzusammenhang zu würdigen sind und eine isolierte Betrachtung einer Äußerung nicht statthaft ist.

Bezogen auf den Fall Böhmermann bedeutet dies, dass man nicht nur das „Gedicht“ als solches betrachten kann. Böhmermanns Gedichtvortrag war innerhalb seiner Sendung eingebettet in eine Passage, die sich mit Erdogans Vorgehen und Aktivitäten gegen die Satiresendung Extra3 beschäftigt. Im Gespräch mit seinem Kollegen Ralf Kabelka fragt Böhmermann, wie weit Satire gehen darf, woraufhin Kabella erläutert, dass Schmähkritik verboten ist. Anschließend und zur Veranschaulichung dessen, was Schmähritik ist, trug Böhmermann seinen als „Schmähgedicht“ bezeichneten Text vor, verbunden mit dem Hinweis, das er so etwas natürlich im ZDF nie sagen würde.

Der Kern der Aussage Böhmermanns besteht meines Erachtens darin, dass man mit einer derart harmlosen Satire wie der von Extra3 noch weit von einer Beleidigung und Schmähung entfernt ist und man Erdogan schon auf eine Art und Weise angreifen müsse, wie in dem dann vorgetragenen Schmähgedicht geschehen. Böhmermann wollte also offenbar veranschaulichen, was Schmähkritik tatsächlich ist und hat sich dafür exemplarisch heftige Schmähungen ausgedacht, die einerseits rassistisch und auch islamfeindlich sind („sein Gelöt stinkt schlimm nach Döner, selbst ein Schweinepfurz riecht schöner“) und Erdogan andererseits strafbare und perverse sexuelle Neigungen („Ziegen ficken“, „Kinderpornos schauen“, „zoophil“) unterstellen, was in die Aussage „Recep Fritzl Priklopil“ mündet, also in einer Gleichsetzung mit Josef Fritzl und Wolfgang Priklopil, zwei der perversesten Sexualstraftäter der jüngeren Geschichte.

Selbst wenn man bei der Beurteilung dieser Einkleidung mit der Rechtsprechung des BVerfG erheblich mildere Maßstäbe anlegt, als bei gewöhnlichen Ehrverletzungen und den satirischen Ansatz berücksichtigt, wird es im konkreten Fall am Ende schwerfallen, in der Abwägung nicht ein deutliches Überwiegen des Ehrschutzes anzunehmen. Zumal die heftigsten Schmähungen Böhmermanns auch keinen Zusammenhang mehr zu Erdogans politischem Wirken erkennen lassen, anders als beispielsweise der Halbsatz „Kurden treten, Christen hauen“, der für sich betrachtet unproblematisch ist.

Das Bundesverfassungsgericht hat in einer schon älteren Entscheidung ebenfalls zur Frage der Zulässigkeit einer Satire, allerdings unter dem Aspekt der Kunstfreiheit, die im Zweifel noch weiter geht als die Meinungsfreiheit, ausgeführt, dass ein Eingriff in den durch die Menschenwürde geschützten Kern menschlicher Ehre, nicht mehr von der Kunstfreiheit gedeckt sein kann. Das Gericht hat damals vor allem die in der Einkleidung enthaltene Darstellung sexuellen Verhaltens beanstandet, die den Betroffenen als Person entwertet.

Und damit sind wir an dem für die Causa Böhmermann zentralen Punkt angelangt. Die Schilderung von schwerwiegenden Sexualstraftaten und die Gleichsetzung mit zwei der perversesten Sexualstraftätern und sei es auch im satirischen Gewand zur Veranschaulichung einer heftigen Schmähkritik, berührt den Kern dessen, was wir als die Würde des Menschen betrachten. Das Gedicht Böhmermanns ist auch unter Berücksichtigung des Kontexts und des satirischen Ansatzes persönlichkeitsverletzend.

Man muss sich bei dieser Fragestellung auch etwas von den Personen Erdogan und Böhmermann lösen. Denn die Sympathie für Böhmermann und/oder die Ablehnung von Erdogan, sind nicht der richtige Beurteilungsmaßstab.

In strafrechtlicher Hinsicht gehe ich davon aus, dass die Voraussetzungen von § 185 StGB (Beleidigung) vorliegen. Nachdem Erdogan offenbar auch direkt bei der Staatsanwaltschaft Strafantrag gestellt hat, halte ich eine Anklage oder einen Strafbefehl für durchaus naheliegend. Ob darüberhinaus eine Strafverfolgung nach der eher zweiefelhaften Vorschrift des § 103 StGB (Beleidigung von Organen ausländischer Staaten) erfolgen soll, ist eine Frage, die für mich nicht im Zentrum steht, zumal der Strafrahmen des § 103 StGB gegenüber dem des § 185 StGB nur etwas höher ist.

Update:
Andere Juristen sehen das, erwartungsgemäß anders. Lesenswert u.a.:
Alexander Thiele im Verfassungsblog

posted by Stadler at 14:59  

4.4.16

Wieder mal Onlinearchive und Berichterstattung über Straftaten

In einer neuen Entscheidung (Urteil vom 16. Februar 2016, Az.: VI ZR 367/15) hat sich der BGH mit der Frage befasst, ob ältere Artikel in einem Onlinearchiv verbleiben können, in denen über den Verdacht einer Straftat berichtet wurde, wenn das Ermittlungsverfahren später nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt worden ist.

Der BGH betont in dieser Entscheidung, dass die Frage wesentlich sei, ob die ursprüngliche Berichterstattung rechtmäßig und zulässig gewesen ist und das Gericht diese Rechtsfrage auch dann zu klären hat, wenn beide Parteien diesen Aspekt für umbeachtlich gehalten haben.

Nach dieser Entscheidung des BGH genügt die bloße Tatsache der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens jedenfalls als solche noch nicht für die Annahme des Vorliegens eines Mindestbestands an Beweistatsachen, um eine identifizierende Berichterstattung zu ermöglichen. Interessant sind in diesem Kontext auch die folgenden, weiteren Ausführungen des BGH:

Daher ist regelmäßig die Annahme gerechtfertigt, dass eine unmittelbar an die Grundrechte gebundene, auf Objektivität verpflichtete Behörde wie die Staatsanwaltschaft die Öffentlichkeit erst dann unter Namensnennung über ein Ermittlungsverfahren unterrichten wird, wenn sich der zugrunde liegende Tatverdacht bereits einigermaßen erhärtet hat (BVerfG, AfP 2010, 365 Rn. 35). Auch das entastet die Medien allerdings nicht von der Aufgabe der Abwägung und Prüfung, ob im Übrigen nach den Grundsätzen der Verdachtsberichterstattung eine Namensnennung des Betroffenen gerechtfertigt ist (Damm/Rehbock, Widerruf, Unterlassung und Schadensersatz, 3. Aufl., Rn. 64; Löffler/Steffen, Presserecht, 6. Aufl., § 6 LPG Rn. 208 f.; HH-Ko/MedienR/Kröner, 2. Aufl., 33. Abschnitt Rn. 60; HH-Ko/MedienR/Breutz/Weyhe, 2. Aufl., 39. Abschnitt Rn. 55).

Also auch dann, wenn die Staatsanwaltschaft als sog. privilegierte Quelle namentlich über ein Ermittlungsverfahren berichtet, müssen die Medien eine Abwägung vornehmen, ob sie nach den Grundsätzen der Verdachtsberichterstattung den Namen des Beschuldigten nennen dürfen.

posted by Stadler at 22:05  
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