Deutschland diskutiert über Thilo Sarrazin und seine fremdenfeindlichen Thesen, mit denen er in Buchform gutes Geld verdient. Es gibt kein Entrinnen, ganz egal welche Zeitung man aufschlägt, welche politischen Inhalte man im Netz oder im Rundfunk verfolgt. Dabei sollte jeder wissen, der sich an der Debatte um die Thesen des Herrn Sarrazin aktiv beteiligt, dass er damit einzig und allein die Auflage des Buches steigert, das schon am Vorabend seiner Veröffentlichung auf Platz 1 der Amazon Bestsellerliste steht. Denn eines stellen die Ausführungen Sarrazins sicherlich nicht dar, nämlich einen sinnvollen Beitrag zur Integrationsdebatte.
Populisten wie er setzen auf eine kühl kalkulierte und leicht kalkulierbare öffentliche Empörung. Dieses Konzept kann freilich nur dann aufgehen, wenn genügend sog. Leitmedien mitspielen. Vermeintlich seriöse Magazine wie der SPIEGEL, der mittlerweile das Niveau einer Bild-Zeitung für Intellektuelle nicht mehr häufig genug überschreitet, sind Bestandteil einer Empörungsmaschinerie, deren durchsichtige Mechanismen immer wieder erfolgreich nach demselben Schema funktionieren. Hanno Zulla hat es auf Twitter in weniger als 140 Zeichen sehr treffend so beschrieben:
Das Prinzip SPIEGEL: Sarrazin exklusiv vorab drucken, danach sein Buch verreißen und später lamentieren, dass ihm ein Forum geboten wird.
Aber auch die ZEIT oder die FAZ lassen sich nicht lumpen. Für sie und für Sarrazin stellt das Ganze eine auflagensteigernde Win-Win-Situation dar. Auf der Strecke bleibt lediglich diejenige Berichterstattung, die den Kriterien der Seriosität und der Relevanz verpflichtet ist.
Der satirische Hieb des römischen Dichters Juvenal auf eine Gesellschaft die nur an Brot und Spielen interessiert ist – und die damit auch ausreichend versorgt wird – trifft uneingeschränkt auch auf das Deutschland der Gegenwart zu. Heutzutage lässt man sich von RTL verblöden und spürt dabei nicht mehr viel. Das hat Auswirkungen auch auf die (mediale) Diskussion politischer und gesellschaftlicher Themen. Der Blick für das Wesentliche und das Interesse daran, komplexe Zusammenhänge verstehen zu wollen, geht mehr und mehr verloren. Das liegt nicht zuletzt daran, dass sich komplexe Sachverhalte für Talkshowformate von Illner, Will und Plasberg nicht eignen und dort demzufolge auch nicht stattfinden. Sie werden ersetzt durch einfach dargestellte und aufbereitete Aufregerthemen, durch eine formatierte Form der Berichterstattung, die dem Strickmuster des Formatfernsehens gehorcht und von einer parallel laufenden Empörungsmaschinerie angetrieben wird. An einem Sarrazin und seinen Stammtischparolen kann sich schließlich jeder abarbeiten. Die Relevanz von Inhalten scheint kein entscheidender Aspekt mehr zu sein.
Ähnliche mediale Phänome lässt sich auch in anderen Bereichen beobachten. Als die Welt gerade in einer schweren Finanz- und Wirtschaftskrise steckte, hatte Deutschland nichts besseres zu tun, als wochenlang über Ulla Schmidts Dienstwagenaffaire zu diskutieren. Bei rechtspolitischen Themen sieht es nicht besser aus. Das ganze Land debattiert emotional über eine Nebensächlichkeit wie Google Street View, während der Datenschutz im Internetzeitalter eine grundlegende Weichenstellung benötigen würde, der eine breite gesellschaftliche Diskussion vorausgehen sollte.
Und wer wissen will, was Thilo Sarrazin wirklich antreibt, dem empfehle ich einen alten Albumtitel von Frank Zappa, der „We’re Only In It For The Money“ lautet.