Ist ein Hinweis in der Berichterstattung auf eine (frühere) Parteimitgliedschaft zulässig?
Der Bundesgerichtshof hat entschieden (Urteil vom 20.12.2011, Az.: VI ZR 262/10), unter welchen Voraussetzungen in der Berichterstattung auf eine Parteimitgliedschaft hingewiesen werden darf. Beklagter des Verfahrens war der SPIEGEL, der auf spiegel.de im Rahmen seiner Berichterstattung u.a. darauf hingewiesen hatte, dass die Klägerin dem Kommunistischen Bund angehört habe und dort mitverantwortlich für die Frauenpolitik gewesen sei. Die Klägerin hat zwar die Richtigkeit dieser Tatsachenbehauptung nicht in Abrede gestellt, sich aber darauf berufen, es würde ein Eingriff in ihre Privatsphäre vorliegen, weil sie selbst darüber zu befinden hätte, welche persönlichen Informationen an die Öffentlichkeit gelangen dürfen.
Hierzu führt der BGH allgemein aus:
Bei der von der Klägerin in Anspruch genommenen Privatsphäre ist als Schutzgut des allgemeinen Persönlichkeitsrechts u.a. das Recht auf Selbstbestimmung bei der Offenba-rung von persönlichen Lebenssachverhalten anerkannt. Dieses Recht stellt sich als die Befugnis des Einzelnen dar, grundsätzlich selbst darüber zu entscheiden, ob, wann und innerhalb welcher Grenzen seine persönlichen Daten bzw. Lebenssachverhalte in die Öffentlichkeit gebracht werden (vgl. BVerfGE 65, 1, 41 ff. – Vokszählung; 72, 155, 170; 78, 77, 84; 80, 367, 373). Auch dieses Recht ist aber nicht schrankenlos gewährleistet. Der Einzelne hat keine absolute, uneingeschränkte Herrschaft über „seine“ Daten; denn er entfaltet seine Persönlichkeit innerhalb der sozialen Gemeinschaft. In dieser stellt die Information, auch soweit sie personenbezogen ist, einen Teil der sozialen Realität dar, der nicht ausschließlich dem Betroffenen allein zugeordnet werden kann. Vielmehr ist über die Spannungslage zwischen Individuum und Gemeinschaft im Sinne der Gemeinschaftsbezogenheit und -gebundenheit der Person zu entscheiden. Deshalb muss der Einzelne grundsätzlich Einschränkungen seines Rechts auf informationelle Selbstbestimmung hinnehmen, wenn und soweit solche Beschränkungen von hinreichenden Gründen des Gemeinwohls getragen werden und bei einer Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht der ihn rechtfertigenden Gründe die Grenze des Zumutbaren noch gewahrt ist (vgl. BVerfGE 65, 1, 43 ff. – Volkszählung; 78, 77, 85 ff.; Senatsurteile vom 13. November 1990 – VI ZR 104/90, aaO; vom 9. Dezember 2003 – VI ZR 373/02, aaO, 524; vom 23. Juni 2009 – VI ZR 196/08, aaO, Rn. 30).
Diese Ausführungen sind deshalb sehr aufschlussreich, weil sie das Spannungsverhältnis zwischen dem Schutz personenbezogener Daten und dem Berichterstattungsinteresse beleuchten.
Anschließend erläutert der BGH, dass dem bloßen Beitritt zu einem Verein, einer politischen Partei oder einer anderen politischen oder religiösen Gruppierung ebenso wie dem bloßen Bestehen einer Mitgliedschaft in einer solchen Vereinigung grundsätzlich keine Publizität zukommt. Soweit ein Mitglied lediglich eine passive Zugehörigkeit anstrebt und sich nach außen hin nicht offen zur Mitgliedschaft bekennen will, sei dies zu respektieren, so der BGH. Denn zu der in Art. 9 Abs. 1 GG grundrechtlich verbürgten Vereinsfreiheit gehört auch die freie Entscheidung, ob das Mitglied als solches in die Öffentlichkeit treten oder die Vereinszugehörigkeit verschweigen will. Dementsprechend ist die Mitgliedschaft in einer weltanschaulich-religiösen Gemeinschaft jedenfalls dann der Privatsphäre zuzuordnen, wenn der Betroffene mit seiner Mitgliedschaft und den Lehren der Vereinigung nicht von sich aus in die Öffentlichkeit getreten ist.
Dies ist im Streitfall aber nach Ansicht des BGH deshalb anders, weil die Klägerin der AG Frauen, dem leitenden Gremium und der so genannten Frauenleitung des Kommunistischen Bundes angehörte. Die Funktionen eines leitenden Gremiums in einer politischen Gruppierung, die naturgemäß darauf ausgerichtet ist, ihre Ziele im politischen Raum durchzusetzen und Anhänger für ihre Überzeugung zu gewinnen, sind notwendigerweise auf Außenwirkung angelegt.
Es reicht deshalb für die Zuordnung zur weniger geschützten Sozialsphäre aus, dass die Klägerin aufgrund dieser Funktionen für die Frauenpolitik des Kommunistischen Bundes mitverantwortlich war, ohne dass es darauf ankommt, ob sie selbst öffentlichkeitswirksam aufgetreten ist.
Die bloße Mitgliedschaft in einer politischen oder weltanschaulichen Gruppierung darf die Presse also nicht ohne weiteres offenbaren. Sobald der Betroffene allerdings eine Funktion in einem leitenden Gremium innerhalb der Partei oder Organisation übernommen hat, wird in der Regel das Berichterstattungsinteresse überwiegen, so dass der Betroffene kaum mehr die Möglichkeit hat, sich gegen eine solche, auch die Vergangenheit betreffende, Berichterstattung zur Wehr zu setzen.