Der Spiegel macht in seiner aktuellen Ausgabe (22/2013) mit dem reißerischen Titel „Bordell Deutschland – Wie der Staat Frauenhandel und Prostitution fördert“ auf. Tenor des Artikels: Prostituierte werden in noch stärkerem Maße als früher von Zuhältern und Menschenhändlern ausgebeutet, wofür maßgeblich das Prostitutionsgesetz aus dem Jahre 2001 verantwortlich sei.
Auch wenn die Darstellung des Spiegels sicherlich eine ganze Reihe zutreffender Einzelaspekte enthält, ist sie in wesentlichen Teilen unrichtig bzw. verzerrend, was auch den Autoren, sofern sie ein Mindestmaß an Recherche angestellt haben, bewusst sein muss.
Die Titelgeschichte beginnt mit der Schilderung des Einzelschicksals einer jungen Frau aus Rumänien, die unter falschen Voraussetzungen nach Berlin gelockt wurde und dort in einem Bordell unter ausbeuterischen Umständen der Prostitution nachgeht. Der Vorteil einer solchen Darstellung ist es, dass ohnehin niemand überprüfen kann, ob sie authentisch ist oder nicht. Ich will das zugunsten des SPIEGEL aber gerne annehmen. Als Jurist weiß man allerdings, dass die Qualität eines Gesetzes, also einer Regelung die für eine unbestimmte Vielzahl an Einzelfällen eine abstrakte Regelung trifft, niemals anhand eines Einzelfalles beurteilbar ist. Gleichwohl ist es ein beliebtes journalistisches Stilmittel, eine kritische Darstellung entlang eines Einzelfallschicksals aufzubauen. Wenn in dem Artikel des SPIEGEL die sonstigen Fakten und Aussagen stimmen würden, könnte man den Einsatz dieses Mittels noch hinnehmen. Aber das ist leider nicht der Fall.
Bezeichnend ist beispielsweise folgende Aussage in dem Artikel:
Mit der Einführung des Prostitutionsgesetzes wurde auch das Strafrecht geändert. An die Stelle der „Förderung der Prostitution“ trat als Straftat die „Ausbeutung von Prostituierten“. Zuhälterei ist strafbar, wenn sie „ausbeuterisch“ oder „dirigistisch“ ist. Polizisten und Staatsanwälte verzweifeln, weil ein solcher Tatbestand kaum zu beweisen ist. Als ausbeuterisch kann ein Zuhälter gelten, wenn er mehr als die Hälfte der Einnahmen an sich nimmt. Das ist aber selten zu belegen. Im Jahr 2000 wurden 151 Personen wegen Zuhälterei verurteilt, 2011 waren es nur noch 32.
Das Bundesfamilienministerium, das die Auswirkungen des Prostitutionsgesetzes untersucht hat, gelangt freilich zu anderen und deutlich differenzierteren Ergebnissen:
Die Anzahl der Ermittlungsverfahren auf der Grundlage der §§ 180 a I, 181 a II StGB hat sich seit Inkrafttreten des ProstG nach Einschätzung circa der Hälfte der befragten Strafverfolgungsbehörden, Polizei und Staatsanwaltschaft, verringert. Die andere Hälfte gab an, die Verfahrenszahlen seien bereits vor Inkrafttreten des ProstG gering gewesen. Die überwiegende Anzahl der befragten Vertreter und Vertreterinnen von Polizei und Staatsanwaltschaft sah dadurch für ihren Arbeitsbereich keine große Veränderung.
Die Strafverfolgung auf der Grundlage von §§ 180 a I StGB spiele seit Inkrafttreten des Prostitutionsgesetzes in der polizeilichen und staatsanwaltschaftlichen Praxis keine Rolle mehr.
60 % (33) derer, die eine Einschätzung vorgenommen haben, sahen keinen Zusammenhang zwischen dem Prostitutionsgesetz und ihren rechtlichen Möglichkeiten bei der Strafverfolgung.
34,5 % (19) der Vertreter und Vertreterinnen von Staatsanwaltschaften sahen darin einen Erschwernisgrund für ihre Arbeit im Bereich der Strafverfolgung von Menschenhandel und Zuhälterei. Handlungen, die den Straftatbestand der Förderung erfüllten, wurden bereits vor Inkrafttreten des Prostitutionsgesetzes häufig als wenig strafwürdig angesehen. Die alte Fassung wurde als „realitätsfremd“ angesehen. Dort, wo die Strafverfolgung auf den Tatbestand der Förderung zurückgegriffen hat, wurde sein Nutzen in einer Art Vehikelfunktion1 gesehen. § 180 a I Nr.2 StGB a. F. leistete den Einstieg in Ermittlungen, legitimierte die Anordnung weiterführender Maßnahmen wie z. B. Durchsuchungen und bot letztlich die Möglichkeit für eine Verurteilung, wenn schwerwiegendere Delikte nicht nachweisbar waren. (…)
Die Entwicklung der Verfahrenszahlen sowie die Bewertung der strafrechtlichen Veränderung durch das Prostitutionsgesetz scheinen somit auch von der jeweiligen Arbeitsroutine und dem Erkennen von Handlungsalternativen in den einzelnen Regionen abzuhängen.
Letztlich wurde nur aus einer von 52 Staatsanwaltschaften und einer von 20 Polizeidienststellen die Forderung nach der Wiedereinführung des § 180 a I Nr. 2 StGB a. F. erhoben.
Ansonsten verneinten selbst diejenigen Vertreter und Vertreterinnen von Staatsanwaltschaften und Polizei, die vereinzelt den Wegfall der Förderung als Erschwernis ihrer Arbeit werteten, die Frage nach dem Wunsch der Wiedereinführung einhellig. Die Streichung des Tatbestandes sei ein Schritt in die richtige Richtung von verbesserten Arbeitsbedingungen für Prostituierte.
Was die oben zitierten Aussagen des SPIEGEL angeht, stellt sich zunächst die Frage, woher die Zahlen zu den Verurteilungen in den Jahren 2000 und 2011 stammen. Nachdem es keine bundesweite Statistik über strafrechtliche Verurteilungen gibt, können diese Angaben nur aus Umfragen bei Gerichten oder Staatsanwaltschaften stammen. Derartige Umfragen sind mit Vorsicht zu genießen, da sie in erheblichem Maße unvollständig sind.
Ergänzung vom 29.05.2013: Nachdem ich darauf hingewiesen wurde, dass es sich hierbei um die Zahlen des Statistischen Bundesamts handeln könnte, ist an dieser Stelle eine Ergänzung geboten. Meine vorherige Aussage war insoweit unzutreffend, als, dass es vom Statistischen Bundesamt zumindest seit 2007 eine bundesweite Statistik gibt. Die Daten des Bundesamtes weisen für das Jahr 2011 51 Verurteilungen wegen Zuhälterei aus und nicht wie vom SPIEGEL angegeben 32. Die Zahlen des SPIEGEL sind also offenbar nicht die des Bundesamtes. Wenn man sich jetzt aber z.B. die Zahlen des StBA für das Jahr 2003 – die nur das alte Bundesgebiet betreffen! – ansieht, also das zweite Jahr nach Inkraftrteten des Prostitutionsgesetzes, werden dort 144 Veururteilungen wegen Zuhälterei angegeben. Sollten die Zahlen des Spiegel – deren Herkunft mir nach wie vor unklar ist – stimmen, dann hat sich die Zahl der Verurteilungen wegen Zuhälterei durch Inkrafttreten des Prostitutionsgesetzes nicht signifikant verändert und ist erst in späteren Jahren zurückgegangen. Gerade bei derartig geringen absoluten Zahlen, stellt sich immer aber auch die Frage der Genauigkeit dieser Statisitik. Nach meinem Kenntnisstand waren die Zahlen, die die Strafgerichte an die statistischen Landesämter noch vor 10 Jahren oder früher geliefert haben, nicht unbedingt vollständig und exakt.
Die weitere Aussage des SPIEGEL, Polizei und Staatsanwaltschaften würden an der Neuregelung verzweifeln – was suggeriert, dass eine Rückkehr zum alten Recht gewünscht sei – ist definitiv unrichtig. Diese Haltung existiert mehrheitlich bei Polizei und Staatsanwaltschaften laut der Untersuchung des Ministeriums gerade nicht.
Auch die Aussage, Zuhälterei sei nur strafbar, wenn sie „ausbeuterisch“ oder „dirigistisch“ ist, was kaum nachweisbar sei, ist zumindest tendenziös.
Nach der geltenden gesetzlichen Regelung liegt Zuhälterei nur dann vor, wenn der Zuhälter eine Person, die der Prostitution nachgeht, ausbeutet oder diese Person wegen eines Vermögensvorteils bei der Ausübung der Prostitution überwacht, Ort, Zeit, Ausmaß oder andere Umstände der Prostitutionsausübung bestimmt oder Maßnahmen trifft, die sie davon abhalten sollen, die Prostitution aufzugeben und im Hinblick darauf Beziehungen zu ihr unterhält, die über den Einzelfall hinausgehen.
Insoweit mag es in Einzelfällen, wie sonst in Strafverfahren auch, Nachweisschwierigkeiten geben. Man muss aber auch hier die Frage stellen, was denn eigentlich Zuhälterei ist und wie der Gesetzgeber das definieren soll. Nach der alten Rechtslage war u.U. bereits die Schaffung einer angenehmen Atmosphäre ausreichend, womit potentiell jeder zum Zuhälter gemacht wurde, der irgendeine Aktivität im Dunstkreis einer Prostituierten entfaltet hat. Wenn sich die Zahl der Verurteilungen redziert haben sollte, sind möglicherweise nur die rechtspolitisch ohnehin fragwürdigen Verurteilungen weggefallen. Und das wäre dann sicherlich kein Rückschritt.
Der zentrale Kritikpunkt am Artikel des SPIEGEL ist aber ein anderer. Denn der Text befasst sich im wesentlichen gar nicht mit Zuhälterei, sondern mit dem, was man juristisch als Zwangsprostitution bezeichnet. Und an diesem Punkt ist die Darstellung des SPIEGEL geradezu grotesk falsch.
Was den Menschenhandel betrifft, so ist dieser natürlich strafbar. Das Strafgesetzbuch enthält in § 232 StGB sogar eine eigene Strafvorschrift zum sog. Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung. Der Strafrahmen dieser Vorschrift beträgt sechs Monate bis 10 Jahre. Diese Vorschrift wurde erst 2005 eingeführt und beinhaltet im Vergleich zu ihrer Vorgängerregelung des § 180b StGB (a.F.) eine deutliche Verschärfung, sowohl inhaltlich als auch hinsichtlich des Strafrahmens.
Da mit dieser Vorschrift gerade die sog. Zwangsprostitution – um die es im Artikel des SPIEGEL eigentlich geht – strafrechtlich erfasst wird, ist der gesamte Grundtenor des Spiegeltitels unrichtig. Eine seriöse Berichterstattung hätte vielmehr darauf hinweisen müssen, dass der Gesetzgeber die Regelungen zur Zwangsprostitution 2005 deutlich verschärft hat. Es kann also wahrlich keine Rede davon sein, dass der Staat Frauenhandel und Prostitution fördert. Das Gegenteil ist vielmehr richtig. Der Gesetzgeber hat die Regelungen zu Zwangsprostitution und Frauenhandel deutlich verschärft. Mit strafrechtlichen Grundkenntnissen und etwas Recherche hätte man das auch beim SPIEGEL herausfinden müssen. Es stellt sich deshalb die Frage, weshalb der SPIEGEL eine bekannte konservative, um nicht zu sagen reaktionäre, Position übernimmt und sodann mit einer falschen Darstellung der Fakten untermauert. Geht es hier nur um den reißerischen Aufmacher? Mit seriösem Journalismus hat das jedenfalls nichts zu tun. Das was der SPIEGEL hier anbietet, ist nichts anderes als Tendenzjournalismus in Reinkultur.
Lesenswert ist in diesem Zusammenhang auch ein Blogbeitrag der Sexarbeiterin Carmen, die in einem ergänzenden Artikel des aktuellen SPIEGEL porträtiert wird und zwar nach ihrer Aussage in einer Art und Weise, die mit dem interviewenden Journalisten nicht abgesprochen war.