Internet-Law

Onlinerecht und Bürgerrechte 2.0

31.1.20

OLG Frankfurt: Identifizierende Berichterstattung über Plagiatsvorwürfe

Das OLG Frankfurt hat ein Urteil des LG Frankfurt aufgehoben, das eine Berichterstattung über Plagiatsvorwüfe unter Namensnennung untersagt hatte (Urteil vom 19.1.22019; Az.: 16 U 210/18). Ein FAZ-Journalist darf danach weiterhin identifizierend über Plagiatsvorwürfe gegen eine ehemalige Uni-Vizepräsidentin berichten.

Zur Begründung führt das OLG u.a. folgendes aus:

Hierbei spielt zunächst eine Rolle, dass die Berichterstattung die Sozialsphäre der Klägerin betrifft, also den Bereich des beruflichen und wissenschaftlichen Wirkens. Zwar hat sich die Klägerin aus dem beruflichen Leben vollständig zurückgezogen und auf die Führung der akademischen Bezeichnung „Privatdozentin“ verzichtet. Auch wurde sie auf ihr Verlangen mit Ablauf des XX. August 20XX aus dem Beamtenverhältnis auf Lebenszeit des Bundeslandes1 entlassen. Gleichwohl ist mit den Plagiatsvorwürfen und einem darüber gefertigten Bericht – auch unter Nennung ihres Namens – kein Eingriff in ihre Privatsphäre verbunden, da die Ursache für diesen Bericht aus ihrer Sozialsphäre und früheren beruflichen Tätigkeit stammt. Das gilt selbst vor dem Hintergrund, dass die Klägerin als akademische Amtsbezeichnung1, Amtsbezeichnung2 und zeitweise Amtsbezeichung3 der Universität1 vor allem mit Verwaltungstätigkeiten befasst war und keine Lehrstuhlinhaberin gewesen ist. Auch wenn sie auf die akademische Bezeichnung „Privatdozentin“ verzichtet hat, bleiben ihre beiden wissenschaftlichen Arbeiten, die Doktorarbeit und die Habilitationsschrift in der Welt. Sie sind an den Hochschulen und weiteren Bibliotheken vorhanden und dienen der wissenschaftlichen Auseinandersetzung. Dafür – und nicht nur im Interesse eines persönlichen beruflichen Fortkommens – wurden sie geschrieben.

Nach Auffassung des Senats hat die Öffentlichkeit ein berechtigtes Interesse an der Veröffentlichung des Namens der Autorin dieser wissenschaftlichen Schriften, weil gerade hierin ein besonderer zusätzlicher Informationswert liegt, der ohne die namentliche Nennung nicht berücksichtigt würde. Entgegen der Auffassung des Landgerichts kann dem auch nach dem vollständigen Rückzug der Klägerin aus dem Wissenschaftsbetrieb und aus öffentlichen Funktionen verbleibenden Interesse an dem Thema „Plagiatsvorwürfe gegen Hochschulangehörige“ durch eine die Klägerin nicht namentlich bezeichnende Berichterstattung nicht Rechnung getragen werden. Denn ohne die namentliche Nennung würden die Fortwirkungen auf den Wissenschaftsbetrieb nicht angemessen berücksichtigt.

Eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Übernahmen aus fremden Texten, die als solche nicht gekennzeichnet sind, führt zu einer Perpetuierung dieser Plagiate, was gegen wissenschaftliche Interessen verstößt. Ferner ist ein wissenschaftliches Buch ohne den Namen des Verfassers wenig aussagekräftig, auch wenn Titel, Verlag und Erscheinungsjahr zusätzlich veröffentlicht sind. Werk und Autor gehören zusammen. Es besteht auch eine Verwechslungsgefahr, da allein der Titel eines Werkes nicht immer aussagekräftig ist. Das gilt gerade für ein Werk, das – wie die Habilitationsschrift der Klägerin – mit einem aktuellen und eher allgemein gehaltenen Titel versehen ist. Das Thema ihres Buches „…“ ist (…) hochaktuell, vor allem auch durch den zweiten Teil des Titels „…“. (…). Das gilt für den wissenschaftlichen Diskurs, aber auch für journalistische Tätigkeiten. Selbst das Bundesverfassungsgericht hat (…) die Habilitationsschrift der Klägerin zitiert (…).

Das Oberlandesgericht Frankfurt hat die Revision zugelassen, weil die Rechtsfrage, ob das öffentliche Interesse an einem plagiatsfreien Wissenschaftsbetrieb eine namentliche Nennung eines mit einem Plagiatsvorwurf belasteten Wissenschaftlers rechtfertigt, von grundsätzlicher Bedeutung ist.

Ich gehe davon aus, dass der BGH die Entscheidung des OLG Frankfurt bestätigen wird. Der Eingriff betrifft richtigerweise lediglich die Sozialsphäre der Klägerin, die deshalb eine wahrheitsgemäße Berichterstattung im Regelfall hinnehmen muss, es sei denn es sprechen besondere Umstände für ein Überwiegen des Persönlichkeitsschutzes. Es handelt sich zudem um einen Beitrag zu einer Debatte von öffentlichem Interesse. Dass demgegenüber der Umstand, die Klägerin habe sich – nicht ganz freiwillig – infolge der Plagiatsvorwürfe aus allen Ämtern zurückgezogen, durchgreifend sein soll, erscheint nicht nachvollziehbar.

posted by Thomas Stadler at 17:25  

29.1.20

Kein Schertz: Medienanwalt wollte Spiegel einschüchtern und verliert

Die Berichterstattung des Spiegel über zweifelhafte Steuervermeidungsstrategien großer Fußballstars wie Ronaldo oder Özil (Football Leaks) ist erwartungsgemäß juristisch bekämpft worden. Allerdings sind nicht nur die Fußballer (erfolglos) gegen den Spiegel vorgegangen, sondern auch der von ihnen beauftragte Medienanwalt, nachdem der Spiegel Passagen aus Anwaltsschriftsätzen zitierte, in denen der Rechtsanwalt u.a. eine „neue Qualität von journalistischer Verrohung“ beklagte. Der Anwalt sah hierin eine Verletzung seiner Persönlichkeitsrechte und nahm seinerseits den Spiegel auf Unterlassung in Anspruch. Das Landgericht Köln hat seiner Klage dann tatsächlich stattgegeben, das Urteil wurde vom Oberlandesgericht allerdings wieder aufgehoben.

Der BGH hat die Zulässigkeit der Berichterstattung des Spiegel mit Urteil vom 26.11.2019 (Az.: VI ZR 12/19) bestätigt. Der BGH führt hierzu aus:

Im Streitfall ist der Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts weder als Recht, von der Unterschiebung nicht getaner Äußerungen ver-schont zu bleiben (BVerfGE 54, 148, 153 f. – Eppler), noch in seinen Ausprä-gungen der Berufsehre und der sozialen Anerkennung (vgl. Senatsurteil vom 27. September 2016 – VI ZR 250/13, AfP 2017, 48 Rn. 17 mwN), in seiner Ausprägung als Recht auf informationelle Selbstbestimmung (vgl. BVerfG, Beschluss vom 6. November 2019 – 1 BvR 16/13, Rn. 83 ff.; Senatsurteil vom 5. November 2013 – VI ZR 304/12, BGHZ 198, 346 Rn. 11 mwN) oder in seiner Ausprägung als Schutz der Vertraulichkeits- und Geheimsphäre (vgl. Senatsurteil vom 30. September 2014 – VI ZR 490/12, NJW 2015, 782 Rn. 15 mwN) betroffen. In Betracht kommt allein, dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers in seiner Ausprägung als Bestimmungsrecht des Autors über die Veröffentlichung eines von ihm verfassten Schreibens berührt ist (vgl. BVerfG NJW 1991, 2339, juris Rn. 16).  (…)

Der Kläger wird als Rechtsanwalt dargestellt, der im Namen seines Mandanten mit einer Klage gedroht und sich – wie bereits mehrfach zuvor („bekannt für … erhöhtes Empörungspotential“; „Diesmal“) – über das Vorgehen der Presse empört habe, weil diese Material aus einem Hackerangriff nutze und die Privatsphäre und das Steuergeheimnis seines Mandanten betreffende Fragen stelle. Das ist aber nicht geeignet, sein Bild in der Öffentlichkeit oder sein berufliches Ansehen zu beeinträchtigen. Der Senat tritt vielmehr der Wertung des Berufungsgerichts bei, dass sich daraus (lediglich) ergibt, dass der Kläger die Interessen seiner (prominenten) Mandanten mit Nachdruck verfolge. Die Rügen der Revision greifen demgegenüber nicht durch. 

Äußerst instruktiv ist folgende Passage der Urteilsbegründung des BGH:

Das Schreiben betrifft indes nicht den persönlichen Lebensbereich des Klägers; es handelt sich nicht um eine private Kommunikation, mit deren Wiedergabe in der Öffentlichkeit er keinesfalls rechnen musste. Kurz wiedergegeben wird der Inhalt eines Schriftstücks, das der Kläger im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit verfasst und selbst aus der Hand gegeben hat. Dabei war ihm bewusst, dass an der Reaktion von X auf die von der Zeitschrift angestellten Recherchen ein großes Interesse der Zeitschrift bestand. Ein absolutes Recht, über die Weitergabe der Information, mit welchem Inhalt er sich an die Zeitschrift gewandt habe, zu bestimmen, steht dem Kläger nach den oben ausgeführten Grundsätzen entgegen der Ansicht der Revision nicht zu. Der Kläger kann ein solches Recht – wie das Berufungsgericht zutreffend ausführt – daher auch nicht durch die einseitige Erklärung begründen, seine Einlassungen seien nicht zur Veröffentlichung bestimmt. Würde man einer solchen Erklärung Bedeutung beimessen, könnte jeder zu Lasten der dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht gegenüberstehenden Freiheitsrechte Dritter (vgl. BVerfG, Beschluss vom 6. November 2019 – 1 BvR 16/13 Rn. 81 f.) durch einseitige Erklärung zu seinen Gunsten einen Persönlichkeitsschutz begründen, der über die Gewährleistungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts im Spannungsverhältnis zwischen Schutz und Freiheit hinausreicht. 

Durch die Aussage, etwas sei nicht zur Veröffentlichung bestimmt, lässt sich also eine Veröffentlichung nicht verbieten. Ansonsten könnte jeder durch einseitige Erklärung die Presse- und Meinungsfreiheit aushebeln.

Klingt banal, muss manchen meinungsfeindlichen Kollegen aber erst vom BGH verdeutlicht werden.

posted by Thomas Stadler at 23:49  

7.1.20

Kann man noch datenschutzkonform twittern?

Der baden-württembergische Landesdatenschutzbeauftragte Stefan Brink hat unlängst mitgeteilt, seinen Twitteraccount zu löschen, nachdem das Bundesverwaltungsgericht entschieden hat, dass Aufsichtsbehörden ermessensfehlerfrei direkt gegen Betreiber von Facebook-Fanpages vorgehen und von diesen verlangen können, die Fanpage abzuschalten. Das Verhalten von Brink ist auch deshalb bemerkenswert, weil er selbst zu seinem Twitterauftritt eine Datenschutzfolgenabschätzung vorgenommen und sich die datenschutzrechtliche Unbedenklichkeit seiner Twitter-Aktivitäten darin selbst bescheinigt hatte.

Die Frage bleibt aber, ob die Fanpage-Entscheidungen des EuGH und des BVerwG auf Twitter übertragbar sind und was das grundsätzlich bedeuten würde. Wäre damit jeder Twitter-Account, für den die DSGVO gilt, unzulässig, weil nicht datenschutzkonform?

Im Urteil des BVerwG heißt es:

Der EuGH stützt sich maßgeblich auf die Erwägung, dass der Betreiber einer auf Facebook unterhaltenen Fanpage mit der Einrichtung einer solchen Seite Facebook die Möglichkeit gibt, auf dem Computer oder jedem anderen Gerät der Person, die seine Fanpage besucht hat, Cookies zu platzieren, unabhängig davon, ob diese Person über ein Facebook-Konto verfügt (EuGH, Urteil vom 5. Juni 2018 a.a.O. Rn. 35). Damit leistet der Betreiber einen maßgeblichen Beitrag zur Verarbeitung personenbezogener Daten der Besucher der Fanpage (EuGH, Urteil vom 5. Juni 2018 a.a.O. Rn. 36).

Auf Twitter besucht man aber keine Profile, sondern man sieht die Tweets derjenigen Nutzer in seiner Timeline, denen man folgt. Der einzelne Twitternutzer leistet damit keinen kausalen und relevanten Beitrag dazu, dass Twitter die Aktivitäten der Nutzer, und zwar die aller Nutzer, trackt. Das Tracking bei Twitter knüpft, anders als bei der Fanpage, nicht daran an, dass jemand ein fremdes Profil besucht. Nach der Logik von Brink wäre jeder Nutzer von Twitter (auf den die DSGVO anwendbar ist), stets auch zusammen mit Twitter gemeinsamer Verantwortlicher. Das widerspricht aber der Rechtsprechung des EuGH, der in seiner Fanpage-Entscheidung ausdrücklich betont hat, dass die bloße Nutzung eines sozialen Netzwerks noch keine gemeinsame Verantwortlichkeit begründet.

Dass also jeder einzelne Twitternutzer einen maßgeblichen Beitrag zu einer Datenverarbeitung im Sinne der EuGH-Rechtsprechung leistet, erscheint eher fernliegend.

Ungeklärt ist letztlich auch die zentrale Frage, welche Datenverarbeitung überhaupt stattfindet und ob diese rechtswidrig ist. Das BVerwG betont, dass das Oberverwaltungsgericht zunächst Feststellungen zur Datenverarbeitung treffen und anschließend danach differenzieren muss, ob jemand Facebook-Mitglied ist oder ein nicht bei Facebook registrierter Internetnutzer. Im ersten Fall kommt eine Einwilligung in Betracht, im zweiten Fall eine gesetzliche Gestattung nach der DSGVO.

Im Fall von Twitter werden m.W. nur (registrierte) Nutzer getrackt. Die Frage wäre dann also, ob das von der Einwilligung, die Twitter bei den Nutzern einholt, gedeckt ist.

Hinzu kommt ein weiterer, wenig diskutierter Umstand. Bei der Facebook-Fanpage steht die werbliche Präsentation im Vordergrund, während bei Twitter der Schwerpunkt auf Kommunikation und Information liegt. Mit Blick auf Twitteraccounts von Privaten muss hier also auch die Bedeutung der Meinungs- und Informationsfreiheit berücksichtigt und stärker gewichtet werden als bei Fanpages. Hier stellt sich letztlich sogar die Frage, ob sich der Inhaber des Twitter-Accounts wegen der Bedeutung der Meinungsfreiheit auf ein Medienprivileg berufen kann. Würden Aufsichtsbehörden Twitteraccounts untersagen können, würde dies einen empfindlichen Eingriff in die Meinungs- und Informationsfreiheit bewirken.

Bei Twitteraccounts von juristischen Personen des öffentlichen Rechts ist die Frage zu stellen, inwieweit der Twitter-Account der Aufgabe dient, die Allgemeinheit, also den Bürger, zu informieren.

Die Entscheidungen zu Facebook-Fanpages sind also nicht ohne weiteres auf Twitter übertragbar, auch wenn das vielfach behauptet wird.

posted by Thomas Stadler at 21:09