Internet-Law

Onlinerecht und Bürgerrechte 2.0

18.3.19

Neues zum Thema Access-Sperren

Die Münchener Gerichte haben im letzten Jahr, soweit ersichtlich erstmals, einen Internet Service Provider (Vodafone) im Wege der einstweiligen Verfügung zu Access-Sperren verpflichtet. Die Urteile des Landgerichts München I vom 01.02.2018 (Az.: 7 O 17752/17) und des OLG München vom 14.06.2018 (Az.:29 U 732/18) sind mittlerweile durch die Dead-Island-Entscheidung des BGH überholt (Urteil vom 26.07.2018, Az.: I ZR 64/17).

Der BGH betont, dass der Unterlassungsanspruch entfällt und an seine Stelle, der gesetzlich neu geschaffene Sperranspruch aus § 7 Abs. 4 TMG tritt. Mithin muss nunmehr im einstweiligen Rechtsschutz eine sog. Leistungsverfügung geltend gemacht werden.

Die Verpflichtung zu einer (konkreten) Sperrmaßnahme wird aber anders als der bloße Unterlassungsausspruch häufig eine unzulässige Vorwegnahme der Hauptsache darstellen.

Mit Blick auf die nur subsidiäre Haftung des Access-Providers müssen im Rahmen der Prüfung des Verfügungsgrunds außerdem die zuvor durchgeführten Ermittlungen und eingeleiteten Maßnahmen gegen die vorrangig Verantwortlichen berücksichtigt werden. Diese sind zum Zweck der Prüfung, ob mit der gebotenen Eile und Konsequenz vorgegangen wurde, vom Antragsteller inhaltlich als auch zeitlich substantiiert darzulegen. Über dieses Erfordernis setzt sich das OLG München in der oben genannten Entscheidung eher großzügig hinweg, indem es postuliert, dass das Gebot der vorrangigen Inanspruchnahme des Verletzers entfällt, wenn der Inanspruchnahme des Betreibers der Website jede Erfolgsaussicht fehlt und deshalb andernfalls eine Rechtsschutzlücke entstünde. Das Oberlandesgericht lässt den Vortrag genügen, der Betreiber der zu sperrenden Website sei unbekannt, ohne der Antragstellerin aufzugeben, konkret vorzutragen, wie und mit welchen Maßnahmen versucht worden ist, den Rechtsverletzter zu ermitteln und in Anspruch zu nehmen. Das ist weder mit der gesetzlichen Regelung noch mit den Vorgaben der Rechtsprechung des BGH und des EuGH vereinbar. Vielmehr wird man vom Rechteinhaber spürbare Anstrengungen verlangen müssen, um entweder den Rechtsverletzter oder seinen Hoster in Anspruch zu nehmen, weil der Sperranspruch gegen den Access-Provider lediglich ultima ratio sein kann.

Vermutlich haben zwischenzeitlich auch die Münchener Gerichte erkannt, dass sie es sich mit den Sperrverfügungen gegen Zugangsprovider etwas zu einfach gemacht haben. Zwei brandneue Entscheidungen des OLG München und des Landgerichts München I, mit denen Verfügungsanträge von Rechteinhabern auf Sperren gegen Access-Provider wegen fehlender Dringlichkeit abgelehnt wurden, deuten darauf hin, dass es künftig wieder schwieriger werden dürfte, solche Sperransprüche im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes durchzusetzen.

Die Gerichte stützen sich ebenfalls auf die Entscheidung des BGH „Dead Island“, dabei allerdings spezifisch auf den Aspekt, dass der Verfügungsantrag einerseits zwar werkbezogen gestellt wurde, die beantragte Sperrmaßnahme (DNS-Sperre) andererseits allerdings plattformbezogen ist. Hierzu führt das OLG München im Urteil vom 07.02.2019 (Az.: 29 U 3889/18) aus:

Stellt man vorliegend entsprechend dem Antrag der Antragstellerinnen werksbezogen auf die über die Portale begangenen Verletzungen ab, haben sich die Antragstellerinnen nicht dringlichkeitsschädlich verhalten, weil sie binnen eines Monats ab Kenntnis der Verletzungen der Werke, die Gegenstand der Anträge sind, den Erlass der einstweiligen Verfügung beantragt haben. Die bereits seit längerem bekannten Rechtsverletzungen hinsichtlich anderer Werke stellen bei einer werksbezogenen Betrachtung auch keine kerngleichen Verletzungen dar. Eine solche werksbezogene Betrachtungsweise berücksichtigt jedoch nicht, dass das Begehren der Antragstellerinnen auf die Sperrung des Zugangs zu „L…Gen“ und „S…-Hub“ insgesamt gerichtet ist (vgl. S. 9 der Antragsschrift vom 16.08.2018) und die Anträge zwar werksbezogen formuliert sind, die konkret beantragte Maßnahme der DNS-Sperre tatsächlich aber nicht schutzrechtsbezogen wirkt. Die beantragte und zur Verfügung stehende Sperrmaßnahme ist nicht auf ein bestimmtes Schutzrecht ausgerichtet (vgl. BGH GRUR 2018, 1044 Tz. 27 und Tz. 32 – Dead Island), sondern darauf, dass den Kunden der Zugang zu den Portalen insgesamt nicht mehr vermittelt wird und sie somit auf sämtliche Inhalte der Portale nicht mehr zugreifen können. Ist aber die begehrte Sperrmaßnahme nicht schutzrechtsbezogen und ergibt sich der Anspruch auf diese auch nicht (allein) aus der Verletzung eines konkreten Schutzrechts, sondern vielmehr daraus, dass über die Portale eine Vielzahl von Schutzrechten laufend verletzt werden (Verhältnismäßigkeit, vgl. § 7 Abs. 4 Satz 2 TMG), ist auch hinsichtlich der Frage der Dringlichkeit eine auf das einzelne Schutzrecht bezogene Betrachtungsweise nicht angezeigt (vgl. BGH GRUR 2018, 1044 Tz. 27 – Dead Island zu der Frage, ob bei nicht schutzrechtsbezogenen Maßnahmen im Rahmen der Störerhaftung der vorangegangene Hinweis auf eine Rechtsverletzung auf das gleiche Werk bezogen sein muss). Nimmt ein Antragsteller einen Accessprovider auf Sperrung des Zugangs zu bestimmten Portalen in Anspruch, weil über diese laufend Urheberrechtsverletzungen begangen werden, dann stellen die Verletzungen der Rechte an den verschiedenen Werken im Hinblick auf die begehrte Maßnahme der Sperrung des Zugangs zu den Portalen kerngleiche Verletzungen dar, mit der Folge, dass, wenn der Antragsteller trotz Kenntnis der Möglichkeit, eine Sperrung zu bewirken, eine diesbezügliche einstweilige Verfügung nicht binnen eines Monats beantragt, er zeigt, dass ihm die Angelegenheit nicht dringlich ist.

Dem hat sich das LG München I mit Urteil vom 22.02.2019 (Az.: 37 O 18232/18) angeschlossen.

Das bedeutet zunächst nur, dass für bereits bekannte Portale regelmäßig keine Dringlichkeit für eine plattformbezogene Sperrung mehr besteht, sondern allenfalls noch für schutzrechtsbezogene Maßnahmen. Solche werkbezogenen Maßnahmen würden gegenüber Access-Providern allerdings wohl spezifische Filteranstrengungen auf Inhaltsebene erfordern, was nicht nur deutlich aufwendiger, sondern auch von einer ganz anderen Eingriffsintensität wäre. Außerdem müsste der Antragsteller, die Maßnahme schon in seinem Antrag ganz konkret umschreiben.

posted by Thomas Stadler at 21:12  

14.3.17

Geplantes Netzwerkdurchsetzungsgesetz soll Hatespeech bekämpfen

Netzpolitik.org hat gerade den Referentenentwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken (Netzwerkdurchsetzungsgesetz – NetzDG) veröffentlicht.

Danach sollen soziale Netze mit mehr als zwei Millionen Nutzern verpflichtet werden, quartalsweise einen deutschsprachigen Bericht über den Umgang mit Beschwerden über rechtswidrige Inhalte auf ihrer Plattformen zu erstellen und im Bundesanzeiger sowie auf der eigenen Homepage zu veröffentlichen.

Darüber hinaus sollen die Anbieter sozialer Medien verpflichtet werden, Beschwerden über rechtswidrige Inhalte unverzüglich zu prüfen. Offensichtlich rechtswidrige Inhalte müssen innerhalb von 24 Stunden entfernt werden, sonstige rechtswidrige Inhalte binnen sieben Tagen.

Der Verstoß gegen diese Pflichten stellt eine Ordnungswidrigkeit dar und kann mit einem Bußgeld belegt werden. Außerdem müssen Facebook, Twitter & Co. einen inländischen Zustellbevollmächtigen benennen und zwar sowohl für Zustellungen von Verwaltungsbehörden und Staatsanwaltschaften, als auch für Zustellungen in zivilgerichtlichen Verfahren.

Etwas irritierend ist es, dass im Referentenentwurf primär auf die Bekämpfung sog. Hasskriminalität – etwas, das es als Rechtsbegriff in Deutschland nicht gibt – abgestellt wird, während der Gesetzeswortlaut dann nur noch von rechtswidrigen Inhalten spricht. Das Gesetz definiert als rechtswidrige Inhalte in § 1 Abs. 3 allerdings nur Verstöße gegen bestimmte Straftatbestände, zu denen beispielsweise Beleidigung, üble Nachrede und Verleumdung zählen, ebenso wie die Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen und die Volksverhetzung sowie die Beschimpfung von Bekenntnissen. Es fallen also – entgegen einer ersten Einschätzung von mir – nicht alle rechtswidrigen Inhalte unter die Regelung. Die Auswahl wirkt allerdings eher beliebig und wenig durchdacht. Die Verunglimpfung des Bundespräsidenten ist enthalten, während z.B. die Verbreitung kinderpornographischer Inhalte fehlt. Die Verletzung des persönlichen Lebens- und Geheimbereichs (§ 201 ff. StGB) ist ebenfalls nicht enthalten.

Das klingt auf den ersten Blick durchaus sinnvoll, denn Portalbetreiber sind schon nach geltendem Recht verpflichtet, erkennbar rechtswidrige Inhalte zügig zu entfernen. Dieser Rechtspflicht kommen gerade große Anbieter wie Facebook oder Twitter aber bislang nur unzureichend nach.

Andererseits beinhaltet die geplante Regelung die erhebliche Gefahr, dass soziale Netze wie Facebook, Twitter, XING und andere den Weg des geringsten Widerstandes gehen und im Zweifel auf eine Nutzerbeschwerde hin löschen werden. Es besteht damit die Gefahr, dass in großem Umfang auch rechtmäßige Inhalte gelöscht werden, um eine Ahndung als Ordnungswidrigkeit von vornherein auszuschließen. Denn die ebenfalls nicht rechtskonforme Löschung legaler und rechtmäßiger Inhalte durch Facebook bleibt sanktionslos, während die Nichtlöschung rechtswidriger Inhalte als Ordnungswidrigkeit bußgeldbewehrt ist. Hierdurch schafft das Gesetz ein gewisses Ungleichgewicht, das durchaus zu einem zensurähnlichen Effekt führen könnte.

posted by Stadler at 17:38  

27.3.14

Netzsperren künftig europaweit

Internetprovider können nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom heutigen Tag (Az.: C ? 314/12)  von nationalen Gerichten grundsätzlich dazu verpflichtet werden, den Zugang ihrer Kunden zu urheberrechtsverletzenden Websites zu blockieren.

Im konkreten Fall hatten österreichische Gerichte von einem Access-Provider auf Antrag der Rechteinhaber verlangt, den Zugang ihrer Kunden zur Website „kino.to“ zu sperren.

Sperren im eigentlichen Sinne kann der Provider mangels Zugriff auf den Webserver allerdings ohnehin nicht. Das bedeutet, dass er lediglich versuchen kann, Fremdinhalte vor seinen Kunden zu verbergen. Die fraglichen Websites bleiben gleichwohl online und sind über andere Provider und mithilfe von zumeist leicht realisierbarer Umgehungsmaßnahmen weiterhin erreichbar.

Der EuGH geht in seiner Entscheidung davon aus, dass derjenige, der rechtsverletzende Inhalte ins Netz stellt, auch die Dienstleistungen der Provider derjenigen User nutzt, die auf die urheberrechtswidrigen Inhalte zugreifen. Begründet wird das mit der Erwägung, der Internetzugangsprovider sei an jeder Übertragung von rechtsverletzendem Content zwischen seinem Kunden und dem eigentlichen Rechtsverletzter beteiligt, weil er durch die Gewährung des Zugangs zum Netz diese Übertragung möglich macht. Bei dieser weiten Auslegung wäre freilich jeder technische Dienstleister, der einen beliebigen Beitrag zur Ermöglichung der Internetkommunikation leistet, als ein solcher Anbieter anzusehen. Art. 8 Abs. 3 der Infosoc-Richtlinie (2001/29/EG), auf die sich der EuGH stützt, verlangt allerdings explizit, dass der Rechtsverletzter die Dienste des Vermittlers für seine Rechtsverletzung benutzt. Weshalb der Rechtsverletzter gerade die Dienste eines (jeden) beliebigen Access-Providers nutzen sollte, wird vom EuGH aber nicht nachvollziehbar begründet. Dass ein Zugangsanbieter seinen Kunden den Zugang zu den Schutzgegenständen ermöglicht, führt zunächst nur dazu, dass seine Dienstleistung von seinen eigenen Kunden zur Verletzung des Urheberrechts benutzt wird. Derjenige, der die Inhalte ins Netz gestellt hat, nutzt hingegen nur die Dienste seines eigenen Access-Providers, aber schwerlich diejenigen eines fremden Zugangsanbieters. Die normative Einschränkung, die die Richtlinie vornimmt, wird vom EuGH also großzügig ignoriert.

Der EuGH erkennt schließlich, dass die gerichtliche Anordnung einer Access-Sperre mit der unternehmerischen Freiheit des Providers, aber vor allen Dingen mit der Informationsfreiheit der Internetnutzer kollidiert. Eine Auflösung dieses Spannungsverhältnis liefert der EuGH allerdings nicht.

Dem Provider wird vom EuGH zwar zugebilligt einzuwenden, dass er bereits ausreichende Maßnahmen ergriffen hat. Bei der Wahl seiner Maßnahmen muss der Provider laut EuGH allerdings zudem das Grundrecht der Internetnutzer auf Informationsfreiheit beachten. Gleichzeitig betont der EuGH aber auch, dass der Provider hinreichend wirksame Maßnahmen ergreifen muss, um den Schutz der Urheberrechte zu gewährleisten.

Die sich in diesem Kontext stellenden Fragen der Wechselwirkung zwischen der Effektivität einer Maßnahme einerseits und der Gefahr der Beeinträchtigung anderweitiger legaler Inhalte andererseits, erörtert der EuGH leider nicht. Denn es ist seit langem bekannt, dass es je nach technischer Umsetzung einer solchen Zugangsblockade zu einem Overblocking kommen kann, also dazu, dass andere legale Angebote und Inhalte gleichsam mitgesperrt werden. Grundsätzlich gilt, dass mit der steigenden technischen Effektivität einer Sperrmaßnahme auch die Gefahr sog. Chilling Effects zunimmmt. Die beiden Vorgaben des EuGH, nämlich eine hinreichend wirksame technische Maßnahme, die gleichzeitig die Informationsfreiheit nicht beeinträchtigt, sind somit nicht kompatibel. An dieser Stelle werden leider die Provider einmal mehr im Regen stehen gelassen, denn sie sollen eine Sperrvorgabe anhand von zwei gegenläufigen Kriterien umsetzen. Der EuGH sieht letztlich auch eher großzügig über den Umstand hinweg, dass durch solche Sperrungsanordnungen eine schwerwiegende Beeinträchtigung der Informationsfreiheit naheliegenderweise zu befürchten steht, die der Gerichtshof durch seine Vorgaben keinesfalls abmildert, sondern sogar noch befeuert.

Erstaunlich ist ferner, dass der EuGH nicht darauf eingeht, ob und inwieweit seine Rechtsprechung mit der E-Commerce-Richtlinie vereinbar ist.

Die Entscheidung des EuGH wird wohl dazu führen, dass Rechteinhaber künftig verstärkt versuchen werden, Access-Provider in Anspruch zu nehmen. Eine solche Entwicklung könnte sich insgesamt negativ auf die Funktionsfähigkeit des Internets auswirken. Es ist bedauerlich, dass der EuGH eine für die Nutzung und Nutzbarkeit des Internets in Europa und die Arbeit der Provider äußerst weitreichende Entscheidung getroffen hat, ohne die tatsächlichen Zusammenhänge ausreichend zu durchdringen.

Providerverbände warnen zu recht davor, dass eine solche Rechtsprechung die Grundlage für eine Zensurinfrastruktur legen könnte. Wenn nämlich Access-Provider regelmäßig dazu verpflichtet werden, solche Accesssperren umzusetzen, wird ihnen nichts anderes übrig bleiben, als hierfür auch entsprechende Mechanismen zu installieren. Die Sperrforderungen werden außerdem nicht auf den Bereich des Urheberrechts beschränkt bleiben, sondern voraussichtlich im Hinblick auf alle möglichen denkbaren Rechtsverletzungen erhoben werden. Eine Sperrinfrastruktur ist aber genau das, was Art. 15 Abs. 1 der E-Commerce-Richtlinie vermeiden wollte.

posted by Stadler at 15:17  

27.11.13

Und ewig locken die Netzsperren

Es gab in Deutschland vor einigen Jahren eine kontroverse öffentliche Diskussion um das Zugangserschwerungsgesetz an deren Ende fast das gesamte politische Establishment davon überzeugt werden konnte, dass Netzsperren durch Access-Provider aus verschiedensten Gründen abzulehnen sind. Nachdem ich mich mit der Thematik seit weit mehr als 10 Jahren, nämlich seit den Sperrungsanordnungen der Bezirksregierung Düsseldorf, beschäftige, bin ich es mittlerweile auch irgendwie leid, dieselben Argumente alle paar Jahre zu wiederholen. Aber offenbar muss es sein.

Der Generalanwalt beim  EuGH hält in seinem gestrigen Schlussantrag in einem Vorlageverfahren des österreichischen OGH Access-Sperren, soweit sie sich gegen einzelne Websites richten, nicht allein deshalb für unverhältnismäßig, weil sie einen nicht unbeträchtlichen Aufwand erfordern, aber gleichzeitig ohne besondere technische Kenntnisse leicht umgangen werden kann. Die Argumentation, dass zumindest einige Dumme durch Access-Sperren abgehalten würden, ist aus der deutschen Diskussion hinlänglich bekannt.

Es wäre an dieser Stelle außerdem notwendig gewesen, sich ausführlich mit dem Phänomen Overblocking und den drohenden „Chilling Effects“ zu befassen. Der Generalanwalt erkennt zwar, das hierin ein Problem liegen könnte, erklärt dann aber nur lapidar, dass sicherzustellen sei, dass die Sperrmaßnahme tatsächlich verletzendes Material trifft und kein rechtmäßiges Material gesperrt wird. Die Frage, ob dies tatsächlich sichergestellt werden und mit Sicherheit ausgeschlossen werden kann, beantwortet der Generalanwalt freilich nicht. Jede Sperrmaßnahme, die beim Zugangsprovider ansetzt, beinhaltet allerdings die naheliegende Gefahr, dass andere, legale Internetinhalte mitgesperrt werden, weil es auf der Ebene der Access-Provider, die selbst keinen Zugriff auf die inkriminierten Inhalte haben, nicht immer möglich ist, die Blockademaßnahmen zielgenau auf eine bestimmte Website zu begrenzen. Die Frage ist insoweit natürlich auch, mit welcher technischen Lösung eine solche Netzsperre umgesetzt wird und wer darüber entscheiden soll, welche konkreten technischen Maßnahmen der Provider treffen muss.

Noch bemerkenswerter ist allerdings die weitere Aussage und Entscheidungsempfehlung zu Art. 8 Abs. 3 der Infosoc-Richtlinie. Diese Vorschrift lautet:

Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die Rechtsinhaber gerichtliche Anordnungen gegen Vermittler beantragen können, deren Dienste von einem Dritten zur Verletzung eines Urheberrechts oder verwandter Schutzrechte genutzt werden.

Die Vorschrift verdeutlicht, dass der Geist von ACTA in Europa schon wehte, lange bevor die Netzaktivisten dies bemerkt haben. Aber das ist eine politische Frage, die das Zustandekommen der Regelung betrifft.

Die juristische Auslegung des Generalanwalts ist allerdings noch von einem ganz anderen Kaliber. Dass man Access-Provider als Vermittler im Sinne der Norm verstehen kann, wird man juristisch sicherlich vertreten können. Aber nutzt der Rechtsverletzer die Dienste der Access-Provider der Nutzer? Der Generalanwalt erklärt uns jetzt, wie ich finde allerdings ohne nennenswerte Argumente, dass derjenige, der ohne Zustimmung des Rechteinhabers urheberrechtliche Werke im Internet zugänglich macht, dafür auch die Dienste der Access-Provider jener Personen nutzt, die auf diese Werke zugreifen. Das sprengt die Grenze meiner Vorstellung von juristischer Auslegung bei weitem und ist weder mit dem Wortlaut noch mit dem Sinn und Zweck der Vorschrift vereinbar. Nach dem Wortlaut müssen die Dienste des Vermittlers zur Verletzung des Urheberrechts genutzt werden und zwar vom Rechtsverletzter. Das erfordert aus Sicht des Rechtsverletzter ein gewisses Maß an Zielgerichtetheit und aktives Handeln im Hinblick auf die Nutzung eines bestimmten Dienstes. Der Generalanwalt behilft sich insoweit mit einer erstaunlichen Überlegung:

Man mag nun zwar einen bestimmten Provider wegdenken, ohne dass die Website dadurch nicht mehr zugänglich wäre, aber als Kollektiv sind die Provider der Internetnutzer notwendig, um im Internet von einer „öffentlichen Zugänglichmachung“ zu reden

Soll heißen: Wenn es keine Provider gäbe, dann könnte auch niemand auf rechtsverletzende Inhalte im Netz zugreifen und deshalb werden die Dienste der Provider für Urheberrechtsverletzungen genutzt. Man könnte jetzt natürlich auch argumentieren, dass es Rechtsverletzungen im Internet nur deshalb gibt, weil es das Internet überhaupt gibt. Und das entspricht eigentlich schon ziemlich exakt dem Denkansatz des Generalanwalts. Mit diesem Argument könnte man allerdings auch Tim Berners-Lee persönlich für Urheberrechtsverletzungen im Internet verantwortlich machen, ebenso wie den Betreiber einer Straße für jeden dort passierenden Verkehrsunfall. Eine Kausalkette haben sie ja irgendwie beide in Gang gesetzt. Vielleicht wäre es an dieser Stelle aber auch notwendig, ein Mindestmaß an Adäquanz zu fordern. Und der Wortlaut zeigt den Weg ganz deutlich auf. Es heißt dort nämlich: „von einem Dritten zur Verletzung eines Urheberrechts (…) genutzt„. Und der Dritte, also der Verletzter nutzt die Dienste des Access-Providers des Nutzers nicht, weil er mangels Zugriff dazu gar nicht in der Lage ist, mag er auch auch von deren Existenz profitieren, ebenso wie er von der Existenz des Internets ganz allgemein profitiert.

Es bleibt zu hoffen, dass der EuGH der nicht tragfähigen Argumentation des Generalanwalts eine klare Absage erteilt. Das geschieht zwar nicht oft, aber zumindest gelegentlich.

posted by Stadler at 14:57  

5.9.13

EU-Parlament stimmt wieder mal über Netzsperren ab

Vor knapp zwei Monaten hatte ich hier berichtet, dass es auf europäischer Ebene einen erneuten Vorstoß zur Einführung sog. Access-Sperren zur Unterbindung von Glücksspiel gibt.

Dieser Entschließungsantrag des Ausschusses für Binnenmarkt und Verbraucherschutz steht kommenden Dienstag den 10.09.2013 zur Abstimmung im Parlament (Punkt 142 der Tagesordnung – Online-Glücksspiel im Binnenmarkt).

Hierdurch wird zwar keine unmittelbare Verpflichtung zur Einführung von Netzsperren etabliert, gleichwohl würde das Parlament den Mitgliedstsaaten empfehlen, entsprechende Mechanismen einzuführen.

Es wäre also erneut sinnvoll und notwendig, Europaabgeordnete anzusprechen, um eine Zustimmung zu verhindern. Das gilt insbesondere für deutsche Abgeordnete, nachdem der Bundestag das Zugangserschwerungsgesetz nach langer und kontroverser Diskussion mit breiter Mehrheit aufgehoben hat und man eigentlich vermuten durfte, die Erkenntnis, dass Zugangssperren kein sinnvolles und rechtsstaatliches Instrumentarium sind, hätte sich durchgesetzt.

posted by Stadler at 13:52  

10.7.13

Immer wieder Netzsperren

Der Vorschlag Access-Provider zur „Sperrung“ von Drittinhalten zu verpflichten, wird immer wieder aus der Mottenkiste geholt, obwohl er speziell in Deutschland in unterschiedlichen Facetten immer wieder gescheitert ist.

Aktuell will der Ausschuss für Binnenmarkt und Verbraucherschutz des EU-Parlaments eine Entschließung des Parlaments durchdrücken, der u.a. Access-Sperren für Glückspielangebote vorsieht.

In dem Ausschussbericht heißt es unter Ziff. 19 u.a.:

empfiehlt den Austausch bewährter Verfahren zwischen den Mitgliedstaaten für Durchsetzungsmaßnahmen – wie etwa die Erstellung weißer und schwarzer Listen von illegalen Websites, Verhinderung des Zugangs zu diesen Websites, die gemeinsame Bestimmung gesicherter und rückverfolgbarer Zahlungslösungen und Prüfung der Möglichkeit von Sperrmaßnahmen für Finanztransaktionen – um sicherzustellen, dass Verbraucher nicht in die Hände illegaler Betreiber geraten können

Interessanterweise war die Schlussabstimmung im Ausschuss keineswegs eng, sondern von einer breiten Mehrheit getragen. Auch Parlamentarier von Grünen und FDP konnten sich hier wieder einmal für Netzsperren erwärmen. Man wird allerdings abwarten müssen, wie die Kommission und die Mitgliedsstaaten reagieren.

posted by Stadler at 17:43  

13.7.12

BGH: Sperr- und Filterpflichten von Filehostern

Der BGH hat gestern (Urteil vom 12. Juli 2012, Az.: I ZR 18/11) über die Frage der Haftung des Filehosters Rapidshare für Urheberrechtsverletzungen entschieden.

Nach der Pressemitteilung des BGH kommt eine Haftung von Filehostern für Urheberrechtsverletzungen ihrer Nutzer erst dann in Betracht, wenn sie auf eine klare gleichartige Rechtsverletzung hingewiesen worden sind. Ab diesem Zeitpunkt reicht es nach Ansicht des BGH allerdings nicht mehr, die betreffende Datei zu sperren oder zu löschen. Vielmehr müsse das technisch und wirtschaftlich Zumutbare getan werden, um – ohne Gefährdung des eigenen Geschäftsmodells – zu verhindern, dass das Werk von anderen Nutzern erneut über die Server von Rapidshare angeboten wird. Der BGH hält insbesondere den Einsatz von Wortfiltern – hier für den Spieltitel „Alone in the Dark“-  zur Überprüfungvon gespeicherten Dateinamen für zumutbar.

Die Klägerin will es Rapidshare mit einem zweiten Unterlassungsantrag außerdem verbieten, Hyperlinks von bestimmten Link-Sammlungen auf bei ihr gespeicherte Dateien mit dem Computerspiel „Alone in the Dark“ zuzulassen. Die Prüfungspflichten der Beklagten können sich laut BGH grundsätzlich auch auf solche Verstöße erstrecken. Dafür ist aber erforderlich, dass die Hyperlinks im für die Linksammlung üblichen Suchvorgang bei Eingabe des Spielnamens angezeigt werden und die Trefferliste Dateien auf Servern der Beklagten enthält, die dort nicht schon durch einen Wortfilter nach Dateinamen mit der Wortfolge „Alone in the Dark“ gefunden werden können. Rapidshare sei es grundsätzlich zuzumuten, eine überschaubare Anzahl einschlägiger Link-Sammlungen auf bestimmt bezeichnete Inhalte zu überprüfen.

Auch wenn die Urteilsgründe noch nicht vorliegen und man mit einer voreiligen Einschätzung vorsichtig sein soll, erscheint mir die Forderung nach einem Einsatz von Wortfiltern problematisch, weil diese Methode die Gefahr von Fehlern und die Ausfilterung von nicht beanstandungswürdigem Content beinhaltet. Zudem stellt sich auch die Frage des Konflikts mit Art. 15 der E-Commerce-Richtlinie, gerade vor dem Hintergrund der neuesten Rechtsprechung des EuGH. Man darf gespannt sein, was der BGH in seiner Urteilsbegründung hierzu ausführen wird.

posted by Stadler at 16:36  

12.1.12

Auch das VG Köln spricht sich gegen Netzsperren bei Glücksspielen aus

Nach dem Verwaltungsgericht Düsseldorf hat jetzt auch das Verwaltungsgericht Köln Sperrungsanordnungen der Bezirksregierung Düsseldorf gegen die Telekom aufgehoben (Urteil vom 12.01.2012, Az.: 6 K 5404/10). In der Pressemitteilung des VG heißt es hierzu:

Das Verwaltungsgericht gab der Klage statt und stellte fest, dass die Klägerin als bloßer „Access-Provider“ nach dem gestuften Haftungs- und Verantwortungssystem des Telemediengesetzes nicht für die Inhalte der Domains der beiden Sportwettenanbieter verantwortlich sei, auch wenn sie um deren Rechtswidrigkeit wisse. Die Klägerin könne auch nicht nach allgemeinem Ordnungsrecht in Anspruch genommen werden. Denn die Bezirksregierung Düsseldorf habe die Klägerin gezielt als einen der beiden großen Anbieter in Nordrhein-Westfalen in Anspruch genommen, ohne ein schlüssiges Gesamtkonzept zum gleichzeitigen Vorgehen gegen alle „Access-Provider“ in Nordrhein-Westfalen zu haben. Dadurch werde in wettbewerbsverzerrender Weise in das Marktgeschehen und die Grundrechte der Klägerin eingegriffen. Diese müsse zu recht besorgen, durch die angefochtene Anordnung als „zensierte“ Anbieterin stigmatisiert zu werden.

Die Pressemitteilung deutet allerdings darauf hin, dass das VG eine Inanspruchnahme aller Provider in NRW als sog. Nichtstörer für möglich hält und nur selektive Sperrungsanordnung gegenüber den großen Providern als Ungleichbehandlung betrachtet.

posted by Stadler at 20:26  

28.12.11

Zugangserschwerungsgesetz nunmehr endgültig aufgehoben

Die Aufhebung des Zugangserschwerungsgesetzes ist heute im Bundesgesetzblatt verkündet worden, womit die letzte formelle Hürde für die endgültige Aufhebung des „Netzsperren-Gesetzes“ genommen ist.

Das Aufhebungsgesetz tritt morgen in Kraft, d.h., dass es das Gesetz, das nie angewandt worden ist, ab dem 29.12.2011 auch offiziell nicht mehr gibt.

posted by Stadler at 15:34  

22.12.11

VG Düsseldorf hebt Sperrverfügungen der Bezirksregierung Düsseldorf auf

Das Verwaltungsgericht Düsseldorf hat mit Urteil vom 29.11.2011 (Az.: 27 K 5887/10 und 27 K 3883/11) Sperrungsanordnungen, die Vodafone als Access-Provider verpflichtet hatten, Glückspielseiten zu sperren, aufgehoben.

In einer Pressemitteilung des Gerichts heißt es dazu, dass die Klägerin als Diensteanbieterin im Sinne des Telemediengesetzes nicht für die durch Aufruf der Domains der beiden Glücksspielanbieter zu erreichenden Inhalte verantwortlich ist. Die Inanspruchnahme von Vadafone als Nichtstörerin ist rechtswidrig, weil die Bezirksregierung Düsseldorf nur gegen zwei Access-Provider vorgeht. Die Wahrung des Gleichheitssatzes erfordert jedoch eine einheitliche Vorgehensweise gegen die in Nordrhein-Westfalen ansässigen gewerblichen Diensteanbieter. Zudem könnten die Internetnutzer ohne weiteres auf einen der verbleibenden Anbieter ausweichen, so das Gericht.

Glückwunsch an den Kollegen Dr. Frey nach Köln.

posted by Stadler at 17:24  
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