Internet-Law

Onlinerecht und Bürgerrechte 2.0

2.8.24

Correctiv in der Kritik – zu Recht?

Unter dem Titel „Der Correctiv-Bericht verdient nicht Preise, sondern Kritik – und endlich eine echte Debatte“ arbeiten sich die Autoren Christoph Kucklick, Stefan Niggemeier und Felix W. Zimmermann an der Reportage „Geheimplan gegen Deutschland“ ab, die zu Jahresbeginn landesweit Aufsehen erregte und Massenproteste gegen die AfD und die neue Rechte auslöste.

Bereits der Einstieg dieser Journalismuskritik ist bemerkenswert. Dass der Beitrag von Correctiv Anlass zur Kritik gegeben hätte, habe sich nämlich, so die drei Autoren, unlängst daran gezeigt, dass ein Gericht dem NDR vorläufig Teile eines „Tagesschau“-Artikels untersagt hat, der sich auf die Correctiv-Berichterstattung bezog. Der Medienanwalt in mir reibt sich angesichts dieser kruden Logik leicht verwundert die Augen. Wenn Medien eine Geschichte übernehmen, die jemand anders zuerst hatte, wird nicht selten so umformuliert, dass Dinge, die zunächst rechtlich unkritisch waren, dadurch juristisch beanstandbar werden. Aber ist das der Quelle vorzuwerfen?

Es geht dann direkt weiter mit folgender Aussage:

Längst ist offenkundig, wie problematisch die Correctiv-Berichterstattung und ihre Rezeption sind.


Warum dies offenkundig sein soll, hat der Leser – wir befinden uns immer noch am Anfang des Texts – bis hierhin nicht erfahren. Ob er es im weiteren Verlauf erfährt, erscheint mir ebenfalls diskutabel.

Die Autoren fahren anschließend direkt mit der nächsten apodiktischen These fort:

Richtig ist: Der Text ist misslungen, das Verhalten von Correctiv nach der Veröffentlichung fragwürdig und die Berichterstattung vieler Medien eine Katastrophe.

Die Autoren haben dem Leser reichhaltig und beschwörend erklärt, dass der Text von Correctiv misslungen und offenkundig problematisch ist, ohne, bis zu diesem Zeitpunkt auch nur einen Ansatz von Begründung für diese These anzubieten. Das dürfte aber gereicht haben, um bereits einen Teil der Leser im Sinne der Autoren aufzugleisen. Mich machen solche, sicherlich nicht zufällig eingesetzten Stilmittel stets misstrauisch. Wenn man gute Argumente hat, muss man den Leser nicht zunächst derart suggestiv bearbeiten.

Nicht minder bemerkenswert geht es unmittelbar im Anschluss weiter:

Richtig ist auch: Die Proteste, die der Artikel ausgelöst hat, sind gut und wichtig. Er hat viele Menschen alarmiert, die sich zu Recht über die Verbindungen zwischen bürgerlichen Kreisen und dem rechten Rand sorgen.

Obwohl der Text von Correctiv also an sich bodenlos, offenkundig problematisch und misslungen ist, gelingt es ihm gleichwohl, wichtige Proteste auszulösen und eine breite Öffentlichkeit – der das möglicherweise nicht ausreichend bewusst war – dafür zu sensibilisieren, wie weit die gefährlichen Ideen von Figuren wie Martin Sellner bereits in Politik und Gesellschaft vorgedrungen sind.

Bereits an diesem Punkt sind für mich die Grenzen der Denklogik nicht nur erreicht, sondern schon deutlich überschritten.

Im nächsten Absatz beglücken uns die Autoren schließlich mit der Aussage, die kritische Auseinandersetzung mit dem Bericht – Bericht ist es nun sicherlich keiner – müsse mit der Feststellung beginnen, wie schwach der Text journalistisch sei. Hatten sie das nicht bereits drei oder vier Mal beiläufig erwähnt? Eine inhaltliche Auseinandersetzung mit der Reportage von Correctiv hat bis zu diesem Punkt wohlgemerkt weiterhin nicht stattgefunden, aber die Autoren versuchen sich im Anschluss zumindest daran.

Die inhaltliche Kritik setzt mit folgender These der Autoren an:

Die Recherche zeigte unbestritten, dass rechte Ideen von Bürgerlichen diskutiert werden. Zum Beispiel wie „Anpassungsdruck” deutsche Staatsbürger, die als nicht deutsch genug gelten, nötigen soll, das Land zu verlassen.

Aber die Erzählung von Correctiv ging weit darüber hinaus. Sie suggerierte, dass in Potsdam gemeinsam die Vertreibung von Millionen Menschen nach rassistischen Kriterien inklusive der Ausweisung auch deutscher Staatsbürger geplant wurde. Das will Correctiv aber gar nicht gemeint haben, wie das Recherchekollektiv inzwischen sogar vor Gericht zu Protokoll gegeben hat.

Der Text behauptet also Dinge, die er nicht behauptet – man muss es so merkwürdig sagen.

Als problematisch hieran empfinde ich zuvörderst die Aussage, Correctiv habe vor Gericht zu Protokoll gegeben, man hätte gar nicht den Eindruck erwecken wollen, in Potsdam sei die Vertreibung von Millionen Menschen besprochen worden. Denn damit greift man die Litigation-PR der Kanzlei auf, die Ulrich Vosgerau, einen Teilnehmer des Potsdamer Treffens, weitgehend erfolglos vertreten hat. Und die ist alles, aber nicht sachlich und neutral. Prozessuale Erklärungen, wenn die fragliche denn überhaupt so lautete, werden zudem häufig aus prozesstaktischen Gründen, als Reaktion auf einen bestimmten Vortrag des Prozesgegners abgegeben und müssen im Kontext des gesamten Prozesses betrachtet werden. Das prozessuale Verhalten hat nichts mit Journalismus zu tun.

Natürlich lässt der Text von Correctiv die naheliegende Deutung zu, die „Remigration“ von mehreren Millionen Menschen – unter ihnen auch deutsche Staatsangehörige – werde kaum freiwillig zu erreichen sein, sondern am Ende auch Zwang und Zwangsmaßnahmen erfordern. Und dass der Leser zu dieser Schlussfolgerung angeregt wird, ist sicherlich auch gewollt.

Mit der von den Autoren geäußerten Kritik gehen sie aber letztlich der Logik von Leuten wie Sellner auf den Leim und das ist das eigentlich bedenkliche, an dieser überheblich vorgetragenen Journalismuskritik.

Für Correctiv schreiben Menschen, die sich über Jahre hinweg intensiv mit der neuen Rechten, der AfD und ihren Netzwerken beschäftigt haben. Etwas, was man über unsere kritischen Autoren vermutlich eher nicht sagen kann.

Und natürlich plant ein Sellner die Vertreibung von Millionen Menschen auf dem Weg zu dem von ihm gewünschten, an ethnischen Kriterien ausgerichteten autoritären Nationalstaat. Er lässt natürlich – und das entspricht typischer rechter Rhetorik – offen, wie das genau umgesetzt werden soll. In seinem Buch „Remigration: Ein Vorschlag“ spricht Sellner u.a. aber auch die Möglichkeit einer  „Aberkennung der deutschen Staatsbürgerschaft“ an. An der von Björn Höcke so süffisant beschworenen „wohltemperierten Grausamkeit“ wird wohl kaum ein Weg vorbei führen.

Und natürlich spielen Rechte ihre Ideen öffentlich immer wieder herunter. Das ist Teil ihres Kommunikationskonzepts. Und genau diesem Muster folgt leider auch der Text von Kurklick, Niggemeier und Zimmermann. Anstatt zu erkennen, dass diejenigen, die wie Sellner von Remigration sprechen, einen anderen Staat wollen, in dem dann die „maßgeschneiderten Gesetze“ eben nicht mehr zur jetzt geltenden Verfassungsordnung passen, werden diejenigen wie Correctiv kritisiert, die lediglich dazu anregen, die Thesen von Sellner & Co. einfach mal konsequent zu Ende zu denken.

Wenn dann noch Aussagen von Teilnehmern zitiert werden, die darauf verweisen, dass man keine gesetzeswidrigen Ausweisungen wolle, stellt sich dem Juristen natürlich schnell die Frage, ob das de lege lata oder doch de lege feranda gemeint ist. Denn die hierfür „maßgeschneiderten Gesetze“ sollen wohl ja gerade dafür sorgen, dass die Ausweisungen dann nicht mehr gesetzwidrig sind.

Correctiv formuliert es in ihrer Reportage deutlich vorsichtiger als ich so:

Im Grunde laufen die Gedankenspiele an diesem Tag alle auf eines hinaus: Menschen sollen aus Deutschland verdrängt werden können, wenn sie die vermeintlich falsche Hautfarbe oder Herkunft haben – und aus Sicht von Menschen wie Sellner nicht ausreichend „assimiliert“ sind. Auch wenn sie deutsche Staatsbürger sind. 

Was hieran falsch oder missverständlich sein soll, hat mir bislang niemand erklären können. Natürlich laufen die Forderungen von Sellner & Co. darauf hinaus, Menschen aus Deutschland zu verdrängen. Worauf auch sonst? Und in dem Staat den Sellner sich vorstellt, wird das dann formaljuristisch auch nicht mehr gesetzwidrig sein.

Man kann die Reportage von Correctiv sicherlich kritisieren, denn sie ist am Ende natürlich auch ein Stück weit suggestiv. Aber ihr großer Verdienst besteht darin, Zusammenhänge, die im Grundsatz nicht neu waren, einer breiten Öffentlichkeit bekannt gemacht zu haben. Damit verstehen viele Menschen besser und genauer, warum es gefährlich ist, die AfD zu wählen, welche Netzwerke im Hintergrund agieren und wie man versucht, dieses Gedankengut, das mit dem Euphemismus von der „Remigration“ umschrieben wird, in die Mitte der Gesellschaft zu bringen. Die Reportage musste vermutlich genau so geschrieben werden, um die notwendige Breitenwirkung zu erreichen.

Die von den Autoren im Duktus der Überheblichkeit geäußerte Kritik an der Reportage von Correctiv, überzeugt nicht. Auf diese Art und Weise kommen wir sicherlich zu keiner echten Debatte.

posted by Thomas Stadler at 17:35  

22.12.23

Die gefühlte Meinungsfreiheit

Nach einer Befragung des Instituts für Demoskopie Allensbach im Rahmen des Freiheitsindex 2023 waren nur noch 40 Prozent der Befragten der Ansicht, dass man in Deutschland seine politische Meinung frei äußern könne. 44 Prozent der Befragten sind demgegenüber der Auffassung, dass sie mit freien Meinungsäußerungen vorsichtig sein müssten. Hierüber berichtet aktuell auch ZEIT Online, die taz kommentiert.

Es steht also nicht gut um die gefühlte Meinungsfreiheit. Aber woraus resultiert dieses zunehmende Gefühl, seine Meinung nicht mehr frei äußern zu können und wie nah an der Wirklichkeit ist dieses Gefühl?

Für den vermeintlichen Verlust an Meinungsfreiheit wird wohl weniger der Staat unmittelbar verantwortlich gemacht, der allerdings nach dem Konzept des Grundgesetzes der eigentlich Grundrechtsverpflichtete ist, als eher ein gesellschaftliches Klima, das gerne mit Begriffen wie „Cancel Culture“ umschrieben wird.

Aber wie Johannes Schneider so treffend formulierte, ist es mit der Cancel Culture ein bisschen wie mit Haiattacken: Ihre mediale Resonanz übertrifft die reale Gefahr bei Weitem. Dafür, dass man angeblich seine Meinung nicht mehr frei äußern kann, sehen wir überall noch sehr viel Meinung, gerade in sozialen Netzwerken.

Das was viele als Beschränkung ihrer Meinungsfreiheit wahrnehmen, ist bei näherer Betrachtung nämlich gerade Ausdruck und Betätigung der Meinungsfreiheit.

Das Bundesverfassungsgericht umreißt die Meinungsfreiheit folgendermaßen:

  • Bei Beiträgen zur öffentlichen Meinungsbildung, spricht eine Vermutung zugunsten der Freiheit der Rede.
  • Die Meinungsfreiheit beschränkt sich nicht allein auf die Gewährleistung eines geistigen Meinungskampfs in öffentlichen Angelegenheiten und kann nicht auf ein rein funktionales Verständnis zur Förderung einer öffentlichen Debatte mit Gemeinbezug reduziert werden.
  • Das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung ist als subjektive Freiheit des unmittelbaren Ausdrucks der menschlichen Persönlichkeit ein grundlegendes Menschenrecht.
  • Die Meinungsfreiheit ist als individuelles Freiheitsrecht folglich auch um ihrer Privatnützigkeit willen gewährleistet und umfasst nicht zuletzt die Freiheit, die persönliche Wahrnehmung von Ungerechtigkeiten in subjektiver Emotionalität in die Welt zu tragen. 
  • Grundsätzlich unterliegen auch überspitzte, polemische und unsachliche Meinungsäußerung der durch Art. 5 Abs. 1 GG geschützten Selbstbestimmung. Dabei kann insbesondere bei Vorliegen eines unmittelbar vorangegangenen Angriffs auf die Ehre eine diesem Angriff entsprechende, ähnlich wirkende Erwiderung gerechtfertigt sein.
  • Wer im öffentlichen Meinungskampf zu einem abwertenden Urteil Anlass gegeben hat, muss eine scharfe Reaktion auch dann hinnehmen, wenn sie sein persönliches Ansehen mindert.

Wer also seine Meinungsfreiheit dadurch eingeschränkt sieht, dass er in einer öffentlichen ausgetragenen Auseinandersetzung scharf attackiert wird, unterliegt einem Denkfehler. Derjenige, der ihn angreift, macht nämlich ebenfalls von seinem Recht auf Meinungsäußerung Gebrauch. Meinungsfreiheit ist nicht Widerspruchsfreiheit, sondern eher das Gegenteil. Meinungsfreiheit bedeutet eben auch, dem Anderen, auch in scharfer, polemischer und unsachlicher Form das sagen zu können, was er nicht hören will. Der Begriff des Meinungskampfs mag martialisch klingen, aber es kommt nicht von ungefähr, dass das Verfassungsgericht ihn regelmäßig verwendet.

Die Behauptung, man könne seine Meinung nicht mehr frei äußern, ist vor allen Dingen ein rechtes Narrativ, das wie viele andere Erzählungen aus dem rechten Spektrum mehr und mehr in die Mitte der Gesellschaft eindringen. Das passt zu Politikern, die in Trump-Manier von einer Bühne rufen, man müsse sich die Demokratie zurückholen. Das Gefühl von der schwindenden Meinungsfreiheit entspringt daher am Ende einer gefühlten Wirklichkeit, die mehr Schein als Sein ist.

Man muss andererseits zur Kenntnis nehmen, dass die gesellschaftliche Polarisierung zunimmt. Das schüchtert manche sicherlich ein, während andere immer lauter werden. Diejenigen, die den Verlust der Meinungsfreiheit beklagen, sind häufig diejenigen, die am lautesten sind. Sie beklagen den Verlust von etwas, von dem sie permanent Gebrauch machen.

Was wir aktuell erleben, ist ein Art von Kulturkampf, der von Rechts ausgeht, mit dem Ziel, die Deutungshoheit zu erlangen, um die Dinge umzudeuten, die Freiheit und die Freiheitsrechte am Ende in ihr Gegenteil zu verkehren. Und die Meinungsfreiheit stellt in einem liberalen Rechtsstaat das vielleicht bedeutendste Freiheitsrecht von allen dar.

Wir müssen uns also nicht die Demokratie zurückholen, denn sie ist noch da. Aber wir müssen das Grundgesetz gegen die verteidigen, die behaupten, sie wollten sich die Demokratie zurückholen.

posted by Thomas Stadler at 17:45  

11.11.22

Das bayerische Modell: Präventivhaft für Klima-Aktivisten

In den letzten Tagen hat die Meldung für Aufsehen gesorgt, dass in Bayern zwölf Klima-Aktivisten der Gruppe „Letzte Generation“ im Anschluss an zwei Fahrbahn-Blockaden für 30 Tage in Gewahrsam genommen worden sind.

Die Aktivisten hatten nach Aussagen der Polizei weitere Blockaden angekündigt. Deshalb wurde nach Angaben der Polizei für 15 Aktivisten beim Amtsgericht München polizeilicher Gewahrsam bis zum 2. Dezember beantragt. Das Gericht bestätigte die Ingewahrsamnahme von zwölf Personen.

Rechtliche Grundlage dieser Maßnahme ist Art. 17 des Bayerischen Polizeiaufgabengesetzes (PAG) der u.a. folgendes regelt:

Die Polizei kann eine Person in Gewahrsam nehmen, wenn (…)

das unerläßlich ist, um die unmittelbar bevorstehende Begehung oder Fortsetzung einer Ordnungswidrigkeit von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit oder einer Straftat zu verhindern; die Annahme, daß eine Person eine solche Tat begehen oder zu ihrer Begehung beitragen wird, kann sich insbesondere darauf stützen, daß

a) die Person die Begehung der Tat angekündigt oder dazu aufgefordert hat oder Transparente oder sonstige Gegenstände mit einer solchen Aufforderung mit sich führt; dies gilt auch für Flugblätter solchen Inhalts, soweit sie in einer Menge mitgeführt werden, die zur Verteilung geeignet ist,

b) bei der Person Waffen, Werkzeuge oder sonstige Gegenstände aufgefunden werden, die ersichtlich zur Tatbegehung bestimmt sind oder erfahrungsgemäß bei derartigen Taten verwendet werden, oder ihre Begleitperson solche Gegenstände mit sich führt und sie den Umständen nach hiervon Kenntnis haben mußte, oder

c) die Person bereits in der Vergangenheit mehrfach aus vergleichbarem Anlaß bei der Begehung von Ordnungswidrigkeiten von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit oder Straftaten als Störer betroffen worden ist und nach den Umständen eine Wiederholung dieser Verhaltensweise zu erwarten ist;

Die Polizei muss nach der Ingewahrsamnahme unverzüglich eine richterliche Entscheidung herbeiführen (Art. 18 PAG), die Maßnahme ist zeitlich auf maximal einen Monat begrenzt und kann höchstens auf insgesamt zwei Monate verlängert werden (Art. 20 PAG).

Die gesetzliche Regelung ist politisch umstritten und verfassungsrechtlich bedenklich. Denn eine präventive Freiheitsentziehung stellt einen schwerwiegenden Grundrechtseingriff dar, der allenfalls ultima ratio sein kann und bei dem sich auch die Frage stellt, ob er – wie es die bayerische Regelung vorsieht – schon angeordnet werden kann, wenn die Begehung einer beliebigen Straftat droht oder ob man die Regelung nicht vielmehr auf die Begehung schwerster Straftaten, die dann in einem Katalog abschließend aufgezählt werden könnten, beschränken müsste. Es erscheint durchaus zweifelhaft, dass beispielsweise bereits die Gefahr einer Nötigung es rechtfertigen soll, den Störer für einen Monat in Gewahrsam zu nehmen.

Ob die Regelung des PAG mit dem Grundgesetz vereinbar ist, wird in absehbarer Zeit das Bundesverfassungsgericht entscheiden.

Der Amtsrichter, der über den Polizeigewahrsam zu entscheiden hatte, kann sich allerdings nicht darauf stützen, dass die gesetzliche Regelung verfassungswidrig ist. Er ist vielmehr an das Gesetz gebunden.

Was er aber kann und muss, ist, zu prüfen, ob die tatbestandlichen Voraussetzungen von Art. 17 PAG vorliegen, wobei er hierbei auch die Grundrechte der Betroffenen zu berücksichtigen hat. Im konkreten Fall findet nicht nur eine empfindliche Freiheitsentziehung statt, sondern die Aktivisten werden für die Dauer von 30 Tagen auch daran gehindert, sich zu versammeln. Es ist also hier auch – und das ist in anderen Fällen des Art. 17 PAG nicht zwingend der Fall – das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit zu berücksichtigen.

Das Wegsperren von politischen Aktivisten, mit dem Ziel, sie an weiteren Demonstrationen zu hindern, ist etwas, was man vor allem aus Diktaturen und Unrechtsstaaten kennt. Der freiheitlich-demokratische Rechtsstaat und damit auch der Richter, der die Einhaltung des Rechts zu gewährleisten hat, muss sich dessen bewusst sein und daher auch die Frage stellen, ob eine Präventivhaft für Klimaaktivisten unter Berücksichtigung von Bedeutung und Tragweite der betroffenen Grundrechte überhaupt verhältnismäßig sein kann.

Die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen Sitzblockaden strafbar sind oder aber vom Grundrecht auf Versammlungsfreiheit gedeckt sind, beschäftigt die deutschen Gerichte seit Jahrzehnten. Eine klare und für alle Fälle einheitliche Antwort auf diese Frage gibt es nicht.

Man kann jedenfalls im Grundsatz nach der Rechtsprechung des BVerfG davon ausgehen, dass Sitzblockaden, die der öffentlichen Meinungsbildung dienen, in den Schutzbereich von Art. 8 GG fallen.

Ob eine Sitzblockade strafbar ist oder nicht, hängt von zahlreichen Aspekten ab. Das BVerfG hat hierzu ausgeführt:

Allerdings haben die staatlichen Organe die grundrechtsbeschränkenden Gesetze im Lichte der grundlegenden Bedeutung von Art. 8 Abs. 1 GG auszulegen und sich bei Maßnahmen auf das zu beschränken, was zum Schutz gleichwertiger anderer Rechtsgüter notwendig ist (vgl. BVerfGE 69, 315 <349>; 87, 399 <407>). Das Bundesverfassungsgericht hat zum Schutz der Versammlungsfreiheit vor übermäßigen Sanktionen für die Anwendung und Auslegung der Verwerflichkeitsklausel nach § 240 Abs. 2 StGB besondere Anforderungen aufgestellt (vgl. BVerfGE 104, 92 <109 ff.>). 3

Bei dieser am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierten Zweck-Mittel-Relation sind insbesondere die Art und das Maß der Auswirkungen auf betroffene Dritte und deren Grundrechte zu berücksichtigen. Wichtige Abwägungselemente sind hierbei die Dauer und die Intensität der Aktion, deren vorherige Bekanntgabe, Ausweichmöglichkeiten über andere Zufahrten, die Dringlichkeit des blockierten Transports, aber auch der Sachbezug zwischen den in ihrer Fortbewegungsfreiheit beeinträchtigten Personen und dem Protestgegenstand. Das Gewicht solcher demonstrationsspezifischer Umstände ist mit Blick auf das kommunikative Anliegen der Versammlung zu bestimmen, ohne dass dem Strafgericht eine Bewertung zusteht, ob es dieses Anliegen als nützlich und wertvoll einschätzt oder es missbilligt.

Ob eine Sitzblockade strafbar ist, lässt sich also erst nach einer anspruchsvollen Prüfung des Einzelfalls beurteilen.

Auch vor diesem Hintergrund wirft die Entscheidung des Amtsgerichts München Fragen auf. Denn ein Präventivgewahrsam setzt die Feststellung voraus, dass bereits Straftaten begangen wurden und die Begehung weiterer Straftaten unmittelbar bevorsteht. Beides lässt sich hier möglicherweise nicht mit ausreichender Wahrscheinlichkeit bejahen.

Selbst dann, wenn man die Vorschriften des PAG für verfassungskonform hält, stellt sich die Frage, ob Art. 17 PAG das richtige Instrumentarium ist, um gegen Klimaaktivisten, die Straßen blockieren vorzugehen.

An der Rechtmäßigkeit dieses Münchener Präventivgewahrsams bestehen erhebliche Zweifel. Denn der Staat greift im konkreten Fall in schwerwiegender Art und Weise in zwei Grundrechte ein. Gerechtfertigt wird dies mit der Behauptung, es müsse die Begehung von Straftaten, die allerdings nicht dem Bereich der Schwerkriminalität zuzuordnen sind, sondern eine Strafandrohung im unteren Bereich enthalten, verhindert werden. Hinzu kommt, dass auch gar nicht ausreichend geklärt ist, ob die Klimaaktivisten sich im konkreten Fall überhaupt strafbar gemacht haben und tatsächlich die Begehung weiterer Straftaten droht.

Da mir der ein oder andere Leser unterstellen wird, dass meine Einschätzung von Sympathie für die „Letzte Generation“ geprägt sein könnte, hier nur der Hinweis, dass ich die Aktionen dieser Gruppe äußerst kritisch sehe und keineswegs für unterstützenswert halte.

Aber ein Rechtsstaat darf und kann keine Demonstranten wegsperren. Sonst stellt er sich selbst in Frage.

posted by Thomas Stadler at 20:27  

16.4.20

Leben mit dem Virus

Die äußerst restriktiven Maßnahmen zur Bekämpfung des Corona-Virus wurden jetzt mindestens bis zum 03.05.2020, in Bayern weitgehend gar bis zum 10.05.2020 verlängert.

Der Journalist Falk Steiner bringt es gut auf den Punkt. Der Staat agiert nach dem Motto „viel hilft viel“, weil wir im Grunde bislang nichts darüber wissen, welche Maßnahmen effektiv sind und welche nicht. Es wäre natürlich schön, wenn man nicht die Gießkanne nehmen müsste, sondern den Gartenschlauch benutzen könnte. 

Ob wir die Risiken von Corona richtig einschätzen, weiß ich nicht. Aber ich bin mir sicher, dass wir die Folgen für den Einzelnen, die Gesellschaft, die Wirtschaft und die Kultur noch deutlich unterschätzen, weil wir das volle Ausmaß dessen, was auf uns zukommen wird, noch nicht erkennen können.

Wir haben aber ein ganzes Bündel drohender und zum Teil bereits eingetretener Folgen, die der Shutdown nach sich zieht. Eine unvollständige Aufzählung soll das verdeutlichen: Drohende Massenarbeitslosigkeit, die Zunahme häuslicher Gewalt, die Zunahme psychischer Erkrankungen, alte Menschen, die vereinsamt im Pflegeheim sterben, weil die Angehörigen sie nicht mehr besuchen dürfen, die Situation in Flüchtlingsunterkünften, die fehlende Beschulung der Kinder und der damit einhergehende Anstieg der Bildungsungerechtigkeit, Unternehmensinsolvenzen in erheblichem Ausmaß, massive Einschränkung mehrerer Grundrechte über Monate hinweg, keine ausreichende ärztliche Behandlung anderer Patienten, weil notwendige OP’s wegen Covid-19 verschoben werden, Situation für Obdachlose, weil Unterkünfte und Tafeln geschlossen bleiben, Kultureinrichtungen und Kulturschaffende, die vor dem Aus stehen.

Wir haben noch nicht erkannt, wie drastisch es vermutlich werden wird. Und die Frage wird irgendwann auch die sein, ob diese Gesellschaft die massiven Konsequenzen, die ein langer Shutdown mit sich bringt, ertragen will und ertragen kann.

Trotzdem möchte ich die Entscheidungen, die Spitzenpolitiker aktuell treffen, nicht treffen müssen. Die erhebliche Einschränkung von Bürgerrechten verursacht bei mir dennoch ein beträchtliches Störgefühl. Ebenso wie die Perspektive, dass viele Schüler, gerade in Bayern, vermutlich nicht vor Juni in ihre Klassenzimmer zurückkehren werden. Nach einer ersten Welle der Kurzarbeit werden wir einen sprunghaften Anstieg der Arbeitslosenzahlen erleben und Unternehmensinsolvenzen in einem bisher nie dagewesenen Umfang.

Je länger die Maßnahmen andauern und je häufiger sie verlängert werden, umso mehr stellt sich die Frage der Recht- und Verhältnismäßigkeit. Das Grundrecht der Versammlungsfreiheit existiert im Moment faktisch nicht mehr, die Grundrechte auf Freizügigkeit, Berufs- und Religionsfreiheit sind erheblich eingeschränkt. Bereits jetzt gibt es kontroverse Diskussionen darüber, ob und in welchem Umfang die getroffenen Maßnahmen rechts- und verfassungskonform sind. Aber nur weil man die getroffenen, sehr grundrechtsintensiven Maßnahmen, die zunächst bis 19.4. befristet waren, noch für rechtskonform halten konnte, heißt das nicht, dass das für weitere Verlängerungen ohne weiteres ebenfalls gilt.

Das BVerfG hat gerade heute ein Versammlungsverbot in Hessen gekippt (Beschluss vom 16.04.2020, Az.: 1 BvR 828/20). Das Gericht nimmt an, dass jedenfalls die hessische Corona-Verordnung nicht auch Versammlungen nach dem Versammlungsgesetz verbieten würde, weshalb die Behörde, die von einem generellen Versammlungsverbot ausging, ihr Ermessen nicht ausgeübt hat. Ob ein vollständiges Versammlungsverbot durch Rechtsverordnung regelbar wäre, lässt das BVerfG zwar offen, aber explizit wird das m.W. auch in keinem Bundesland so geregelt. Es ist davon auszugehen, dass die Gerichtsentscheidungen zunehmen werden, die einzelne Corona-Maßnahmen beanstanden.

Ob wir die Risiken von Corona für Deutschland überschätzen, weiß ich nicht, halte das aber für möglich. Was mir jedenfalls fehlt, ist eine klar kommunizierte politische Strategie. Geht es (nur) darum, den Kliniknotstand zu verhindern, sind vielleicht andere Maßnahmen notwendig bzw. ausreichend, als für den Versuch, die Pandemie vollständig einzudämmen. Letzteres erscheint mir allerdings sowohl illusorisch, weil das bedeuten würde, dass man die sehr restriktiven Maßnahmen mindestens das ganze Jahr über beibehalten müsste, als auch rechtlich bedenklich. Denn dieser Staat verfolgt gerade, wenn es um das Thema Mobilität geht, einen risikobasierten Ansatz und nicht den Ansatz eines absoluten Lebensschutzes. Ginge es tatsächlich um Leben oder Tod, müssten zunächst alle Kraftfahrzeuge verboten werden, wie Oliver Lepsius im Verfassungsblag schon so treffend angemerkt hat. Gerade wenn es um Bewegungsfreiheit geht, nehmen wir Unfalltote als Preis der Mobilität in Kauf. Es wäre daher inkonsequent, bei der Bekämpfung von Corona nunmehr das Konzept eines absoluten Lebensschutzes zu propagieren. Das aus meiner Sicht einzig legitime Ziel, kann daher nur darin bestehen, die Verbreitung des Virus so stark einzudämmen, dass ein Kollaps des Kliniksystems vermieden wird und sich keine italienischen Verhältnisse einstellen, in denen Menschen deshalb sterben, weil sie in den Krankenhäusern nicht mehr behandelt werden können.

Was ist also die derzeitige Strategie der Regierungen von Bund und Ländern? Es gibt dazu zumindest ein geleaktes Strategiepapier des Bundesinnenministeriums, in dem Konturen sichtbar werden. Allerdings ist dieses Papier bereits mehrere Wochen alt und erscheint überholt, zumal das dort skizzierte optimistischste Szenario einer schnellen Kontrolle davon ausging, dass es nach Ostern keine weiteren Beschränkungen geben wird. Über dieses Stadium sind wird also bereits hinaus.

Angela Merkel hat gestern den sog. Reproduktionsfaktor zur maßgeblichen Kennzahl erhoben. Diese Zahl gibt an, wieviele andere Menschen ein Infizierter ansteckt. Bei einem Reproduktionsfaktor von 1,2 sieht Merkel das Gesundheitssystems im Juli an seiner Belastungsgrenze. Dieser Ansatz geht offensichtlich auf Berechnungen von Forschern des Helmholtz Instituts zurück, die fordern, den Reproduktionsfaktor dauerhaft unter 1 zu drücken, was erfordern würde die jetzigen Maßnahmen noch mehrere Wochen aufrecht zu erhalten, um dann noch ausgiebiger zu testen und bei jeder Neuinfektion die Infektionskette nachvollziehen zu können. Ob der Ansatz in dieser Form erfolgversprechend ist oder am Ende doch dazu führt, dass die jetzigen Maßnahmen mehr oder minder unverändert viele Monate aufrecht erhalten werden sollen, bleibt abzuwarten. Das Ziel ist vorläufig erreicht, nachdem der Reproduktionsfaktor Stand heute laut Robert Koch Institut sogar auf 0,7 gesunken ist. Es bleibt allerdings unklar, welche Maßnahmen tatsächlich notwendig sind, um ihn dauerhaft unter 1 zu halten.

Man kann also festhalten, dass die Politik derzeit keine ganz klar erkennbare Strategie verfolgt und vor allem keinen konkreten Zeitplan hat. Spannend wird auch der Blick nach Schweden bleiben, praktisch das einzige europäische Land ohne Shutdown. Die Zahl der Todesfälle ist dort zwar pro Kopf deutlich höher als in Deutschland, andererseits sind dort aber bislang (noch) keine Verhältnisse, wie in Italien, Spanien oder New York zu beklagen. Gibt es evtl. also doch einen Mittelweg, der es ermöglicht einen Kliniknotstand zu verhindern, ohne das öffentliche Leben komplett runterzufahren?

Update vom 22.04.2020 (Von der Brechstange zum Florett)

Der Blick auf die Zahlen des RKI scheint insgesamt vor allem einen Beleg dafür zu bieten, dass diese Zahlen mit Vorsicht zu genießen sind. Die sog. Reproduktionszahl (R) war interessanterweise um den 10./11.3. mit über 3 am höchsten und ist anschließend stark gefallen. Bereits am 20.03. also ca. zu Beginn des landesweiten Shutdowns war der Wert schon auf ca. 1 gesunken und verharrt seither mit gewissen Schwankungen immer um die Marke von 1 herum. Das ist insofern erstaunlich, als der Shutdown danach keinen deutlich erkennbaren Effekt gezeigt hätte. Was allerdings nicht zum starken Anstieg der Verdoppelungszeit und auch zum Rückgang der offiziellen Zahl der Neuinfizierten passt, zumal die Zahl der Genesenen mittlerweile höher ist, als die der Neuninfizierten.

Wer sich jetzt fragt, wie man die Reproduktionszahl überhaupt ermittelt, wenn man aktuell keine systematische Nachverfolgung der Infektionsketten praktiziert, wird überrascht sein. Das RKI schätzt diesen Wert. Wie nahe diese Schätzung an der Wirklichkeit ist, bleibt unklar. Und jetzt kommt noch das Helmholtz-Institut ins Spiel, das diejenigen Modellrechnungen erstellt hat, auf die Angela Merkel sich aktuell so stark stützt. Nur diese Modelle basieren eben auch auf dem vom RKI geschätzten Wert R. Wenn diese Schätzung falsch ist, können natürlich auch die Modellrechnungen des Helmholtz-Instituts im Ergebnis nicht richtig sein. Am Ende scheint alles was derzeit passiert, also eher Kaffeesatzleserei mit wissenschaftlichem Anstrich zu sein.

Das bedeutet aber keinesfalls, dass man keine Vorsicht mehr walten lassen kann.

Nachdem der deutsche Staat gezeigt hat, dass er Eingriffsverwaltung immer noch gut kann, muss jetzt die Stunde der Leistungsverwaltung schlagen.

Die Gesundheitsämter müssten unverzüglich wieder damit anfangen, bei jeder Neuinfektionen die Infektionsketten nachzuvollziehen. Das scheint grundsätzlich auch das Vorhaben der Bundesregierung zu sein. Dieser Staat muss jetzt Himmel und Hölle in Bewegung setzen, damit dies gelingt und möglichst sofort diese Nachverfolgung wieder lückenlos möglich ist. Und es soll mir niemand erzählen, dass es nicht möglich ist, dass über 400 Gesundheitsämter pro Tag bei 2000 Neuinfektionen die Kontaktpersonen ermitteln. Dass das nicht absolut lückenlos gelingen wird, ist klar. Aber dieser Schritt wäre der Übergang von der Brechstange zum Florett.

Ob und in welchem Umfang das gelingt, wird evtl. auch darüber entscheiden, ob wir in ein paar Wochen den zweiten Shutdown erleben oder nicht. Wer milliardenschwere Konjunkturprogramme auflegt, muss auch in der Lage sein, kurzfristig ein paar hundert Millionen in die Gesundheitsämter zu pumpen, zumal das besser investiert ist.

posted by Thomas Stadler at 22:50  

25.3.19

Die Grenzen zwischen Lobbyismus und Journalismus verschwimmen

Mit der morgigen Abstimmung im Europäischen Parlament zur Urheberrechtsrichtlinie geht (vielleicht) eine bislang in dieser Form noch nicht dagewesene Lobbykampagne zu Ende, die leider auch vor den etablierten Medien nicht Halt macht.

Den publizistischen Tiefschlag liefern mit Heribert Prantl und Andrian Kreye ausgerechnet zwei der bekanntesten Journalisten der Süddeutschen Zeitung. Während Kreye meint: „Ihr unterstützt datengierige US-Konzerne“, um anschließend, die These aufzustellen, es ginge um Datensouveränität, spitzt Prantl noch stärker zu:

Aber die Vorwürfe stimmen nicht, es handelt sich um Lügen und Finten der Internet-Großkonzerne. Sie haben die Netzgemeinde mit diesen Lügen eingewickelt. Diese Konzerne tarnen ihre Geschäftsinteressen mit heuchlerisch idealistischem Gerede.

Hätte sich Prantl nur ein kleinwenig mit dem Thema befasst, dann wäre ihm nicht entgangen, dass sich eine Vielzahl führender Fachleute unterschiedlicher Disziplinen kritisch bis ablehnend mit dem Gesetzesvorhaben auseinandergesetzt haben. Reto Hilty und Valentina Moscon, Rechtswissenschaftler am Max-Planck-Institut für Immaterialgüter- und Wettbewerbsrecht in München, gehen davon aus, dass die Richtlinie ihre zentrale Zielsetzung über weite Strecken verfehlt. Hannes Federrath, Präsident der Gesellschaft für Informatik und einer der führenden Wissenschaftler auf dem Gebiet der Informationssicherheit appellierte an die EU-Abgeordneten, die Richtlinie abzulehnen.

Kreye hätte sich beispielsweise mit der Veröffentlichung des Datenschutzrechtlers Malte Engerer befassen können, der in einem aktuellen Beitrag Art. 17 (vormals Art. 13) der geplanten Richtlinie für unvereinbar mit Art. 7 und 8 der Grundrechtecharta und der Datenschutz-Grundverordnung hält. Wenn man auf die Website der Süddeutschen geht, wird der aufmerksame Nutzer bemerken, dass er von einer zweistelligen Anzahl an Tracking-Tools erfasst wird, was bei mir natürlich die Frage aufwirft, ob ich mich lieber datengierigen deutschen Verlagen aussetzen will – gegen die deutsche Aufsichtsbehörden interessanterweise nach wie vor nicht vorgehen – oder amerikanischen Großkonzernen. Noch bin ich unentschieden, aber in puncto Heuchelei sehe ich derzeit einen leichten Vorsprung deutscher Zeitungsverlage gegenüber Google & Co.

In einem eigenen Blogbeitrag hatte ich sechs gängigen Thesen der Befürworter der Richtlinie widersprochen. Womit ich mich nicht auseinandergesetzt habe, war die zentrale These der Befürworter, man müsse diese Richtlinie unterstützen, um für eine bessere Vergütung der Kreativen zu sorgen. Wem das ein ernsthaftes Anliegen ist, der darf sich, anders als Prantl und Kreye, auch dem Reality-Check nicht verweigern. Nichts in dieser Richtlinie wird die Vergütungssituation der Urheber verbessern, denn dafür fehlt es schlicht an den notwendigen Regelungen. Die geplante Vorschrift des Art. 16 (vormals Art. 12) normiert vielmehr folgendes:

Die Mitgliedstaaten können festlegen, dass für den Fall, dass ein Urheber einem Verleger ein Recht übertragen oder ihm eine Lizenz erteilt hat, diese Übertragung oder Lizenzierung eine hinreichende Rechtsgrundlage für den Anspruch des Verlegers auf einen Anteil am Ausgleich für die jeweilige Nutzung des Werkes im Rahmen einer Ausnahme oder Beschränkung für das übertragene oder lizenzierte Recht darstellt.

Was harmlos klingt, ist ein Bruch mit der jüngeren Rechtsprechung des BGH, der entschieden hat, dass die Verwertungsgesellschaft VG Wort keinen pauschalierten Verlegeranteil an Verlage abführen darf, sondern vielmehr alles an den Autor/Urheber auszuschütten hat. Die Neuregelung schafft die Voraussetzung dafür, dass künftig wieder an Verlage ausgekehrt werden und damit der Anteil des Autors reduziert werden kann. Ein Ergebnis des Lobbyismus der Verlage, das sich unmittelbar zum Nachteil von Autoren/Journalisten auswirken wird. Es ist deshalb auch kein Zufall, dass sich die Freischreiber, ein Berufsverband freier Journalisten und Autoren, gegen die Richtlinie aussprechen.

Und man sollte an dieser Stelle auch nicht verschweigen, dass es die deutsche Verlagslobby war, die, zusammen mit dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk eine angemessene Vergütung ihrer Journalisten und Autoren verhindert hat. Es ist also keineswegs so, dass die Interessen der Autoren zwangsläufig mit denen der Verlage deckungsgleich sind, auch wenn dies gerne behauptet wird.

Jedenfalls dann, wenn man ein Mindestmaß an journalistischer Sorgfalt beachten will, ist es geboten, sich mit diesen Positionen auseinanderzusetzen, anstatt so zu tun, als wären die Gegner der Richtlinie samt und sonders von amerikanischen Großkonzernen fehlgeleitete Naivlinge. Aber es geht bei Prantl und Kreye offenbar nicht mehr darum, Argumente zu widerlegen und den konstruktiven Widerspruch zumindest zu versuchen. Ihre Texte enthalten keine Zwischentöne mehr, kein Pro und Contra, keine Abwägung. Die Technik dieser beiden Journalisten ist vielmehr die Diffamierung derjenigen, die man als Gegner ausgemacht hat, unter Ausblendung sämtlicher Sachargumente.

Dieses mediale Phänomen, für das Kreye und Prantl nur exemplarisch stehen, wird flankiert und befeuert von einer politischen Desinformationskampagne, die zumindest hierzulande alles in den Schatten stellt, was es bisher gab. Abgeordnete, vornehmlich der Union hatten u.a. behauptet, Beschwerde-E-Mails kämen von Bots und amerikanische Unternehmen würden Demonstranten kaufen und bezahlen.

Das was wir hier beobachten können, ist nichts anderes als eine Form des Dirty Campaignings, bei dem die Grenzen zwischen politischem Lobbyismus und Journalismus verschwimmen. Diese Form der politischen und medialen Auseinandersetzung scheint endgültig auch hierzulande angekommen zu sein und sie benutzt dieselben Techniken, die einen Trump an die Macht gebracht und den Brexit ermöglicht hat. Diejenigen, die sich wie ein Prantl auf die Aufklärung berufen, sollten einen Moment innehalten. Denn die einzig vernünftige Schlussfolgerung besteht in der Ablehnung dieses Richtlinienvorschlags. Nur das bietet die Chance, dass es doch noch zu einer sinnvollen und zukunftsorientierten Regelung kommen kann. Das würde allerdings voraussetzen, dass auf die Fachleute gehört wird und nicht nur auf die Lobbyisten der Verlage und Rechteverwerter. Auch die Zivilgesellschaft wäre in diese Debatte einzubeziehen. Denn es geht um weit mehr als um urheberrechtliche Fragen. Und am Ende würde man vielleicht sogar an den Punkt kommen, dass Google mehr zahlen muss als bisher. Aber in überwiegendem Maß an die Urheber und nicht an die Rechteinhaber und auf Basis eines auch für die Allgemeinheit akzeptablen Regelwerks.

posted by Stadler at 22:52  

28.2.19

Sechs Gegenthesen zur EU-Urheberrechtsreform

Die aktuelle Debatte um die Urheberrechtsreform der EU wird von dem Versuch dominiert, die Diskurshoheit durch bestimmte Thesen und Behauptungen zu erringen. Der Beitrag unterzieht vier Grundthesen der Befürworter von Art. 13 der geplanten Richtlinie über das Urheberrecht im digitalen Binnenmarkt einer kritischen Prüfung.

These 1: Google und andere US-Anbieter versuchen, die EU-Urheberrechtsreform mit unglaublichem lobbyistischem Aufwand zu verhindern

Dass große amerikanische Anbieter insbesondere gegen Art. 11 und Art. 13 der geplanten Richtlinie über das Urheberrecht im digitalen Binnenmarkt lobbyieren, ist kaum zu bestreiten. Die Frage ist nur, in welchem Verhältnis das zum Lobbyismus deutscher und europäischer Verbände und Unternehmen steht, die die Regelungen befürworten. Vor einigen Jahren habe ich mich intensiv mit dem deutschen Leistungsschutzrecht für Presseerzeugnisse beschäftigt – das jetzt seine europäischen Fortsetzung in Art. 11 der geplanten Richtlinie findet – und bin dabei auch mit den lobbyistischen Anstrengungen der deutschen Zeitungsverleger in Berührung gekommen. Der Einfluss der Zeitungsverlage war derart groß, dass einer der Hauptlobbyisten von Springer als Sachverständiger (sic!) in die Ausschussanhörung des Bundestages geladen war, während die Vertreter von Google nur als Zaungäste anwesend waren. Es ist gerade der über Jahrzehnte hinweg gewachsene Einfluss europäischer Verbände, der Art. 11 und Art. 13 möglich gemacht hat. Google und andere US-Player verfügen, egal wieviel Geld sie in die Waagschale werfen, in Europa nicht ansatzweise über einen vergleichbaren politischen Einfluss. Wenn in diesem Gesetzgebungsverfahren der Eindruck eines übermächtigen Lobbyismus von Google & Co. erweckt wird, ist dies nichts weiter als ein Zerrbild. Richtig ist vielmehr, dass der politische Einfluss der Befürworter von Art. 11 und Art. 13 ungleich größer ist.

These 2: Die Richtlinie fordert doch gar keine Uploadfilter

Der zwischen Parlament und Rat abgestimmte endgültige Text, regelt in Art. 13 Nr. 3 zunächst, dass derjenige Anbieter, den die Richtlinie als Online Content Sharing Service Provider bezeichnet, nicht mehr in den Genuss der Haftungsprivilegierung aus Art. 14 der E-Commerce-Richtlinie für Host-Provider kommen soll. Das ist der eigentliche juristische Kern von Art. 13. Plattformen, die von Nutzern eingestellte Inhalte zum Abruf bereithalten, sollen nicht mehr als Hoster betrachtet werden. Obwohl sie natürlich zunächst auch weiterhin nichts anderes tun, als fremde, von Nutzern hochgeladene Inhalte zum Abruf bereit zu halten, werden sie nunmehr so behandelt wie die Anbieter von eigenen Inhalten. Die Veränderung des Haftungsregimes ist der eigentliche Knackpunkt der Neuregelung. Der europäische Gesetzgeber stellt damit Plattformen wie YouTube in haftungsrechtlicher Sicht gleich mit Anbietern wie Spotify oder Netflix.

Der gesamte Rest ist nur eine Folge dieser Regelungslogik. Online Content Sharing Service Provider werden angehalten, mit Rechteinhabern bzw. Verwertungsgesellschaften wie der GEMA Lizenzvereinbarungen zu schließen. Gelingt ihnen dies nicht, sind sie für die unerlaubte Veröffentlichung urheberrechtlich geschützter Werke voll verantwortlich, wie Art. 13 Nr. 4 unmissverständlich klarstellt. Der Plattformbetreiber kann sich exkulpieren, indem er darlegt, dass er hohe Industriestandards beachtet und eingesetzt hat, um die Nichtverfügbarkeit urheberrechtlich geschützter Werke zu gewährleisten. Aus dieser Vorschrift wird die Notwendigkeit des Einsatzes technischer Maßnahmen zur Verhinderung des Uploads (Uploadfilter) hergeleitet. Denn die Nichtverfügbarkeit können solche Plattformen nur durch Uploadfilter, die automatisiert den Upload solcher Inhalte verhindern, die die Software als urheberrechtlich geschützt erkennt, gewährleisten.

These 3: Das Gerede von Zensur ist Quatsch, die geplante Neuregelung stellt keine Gefahr für die Meinungs- und Informationsfreiheit dar

An dieser Stelle stellt sich zunächst die Frage, wem man mehr glauben will. Unabhängigen Experten, die erhebliche Bedenken äußern oder Verbänden die die Interessen ihrer Mitglieder vertreten. Die Gesellschaft für Informatik (GI) warnt eindringlich vor der geplanten Neuregelung. Ihr Präsident Hannes Federrath, einer der führenden Köpfe auf dem Gebiet der IT-Sicherheit in Deutschland hat es so formuliert:

Es ist richtig und wichtig, das Urheberrecht an das digitale Zeitalter anzupassen. Die hier vorgeschlagene automatisierte Prüfung auf Urheberrechtsverletzungen legt jedoch den technischen Grundstein für eine Zensur- und Kontrollinfrastruktur im Internet. Zugleich wird sie Urheberrechtsverletzungen und kriminelle Inhalte nicht wirkungsvoll verhindern können.

Der Bundesdatenschutzbeauftragte warnt ebenfalls und rückt einen anderen Aspekt in den Vordergrund:

Auch wenn Uploadfilter nicht explizit im Gesetzentwurf gefordert werden, wird es in der praktischen Anwendung auf sie hinauslaufen. Gerade kleinere Plattform- und Diensteanbieter werden nicht die Möglichkeit haben, mit allen erdenklichen Rechteinhabern Lizenzverträge zu schließen. Ebensowenig werden sie den immensen Programmieraufwand betreiben können, eigene Uploadfilter zu erstellen. Stattdessen werden sie auf Angebote großer IT-Unternehmen zurückgreifen, so wie das heute schon unter anderem bei Analysetools passiert, bei denen die entsprechenden Bausteine von Facebook, Amazon und Google von vielen Apps, Websites und Services verwendet werden.

Letztendlich entstünde so ein Oligopol weniger Anbieter von Filtertechniken, über die dann mehr oder weniger der gesamte Internetverkehr relevanter Plattformen und Dienste läuft.

Dass man die Plattformbetreiber letztlich dazu zwingt, eine Kontrollinfrastruktur zu schaffen, deren Aufbau man dann vermutlich wieder wenigen großen Anbietern überlässt, mutet nahezu grotesk an.

Aber auch die häufig anzutreffende These, die Meinungsfreiheit werde nicht beeinträchtigt, es ginge nur um eine faire Vergütung der Urheber, hält einer kritischen Prüfung nicht stand. Dieser Aussage liegt vielmehr der die nur als naiv zu bezeichnende Annahme zugrunde, Filtertechnologien könnten urheberrechtsverletzende Inhalte zuverlässig ausfiltern und würden andere, nicht zu beanstandende Inhalte passieren lassen. Jeder, der sich auch nur ein bisschen mit diesem Thema befasst hat, weiß, dass diese These eine Schimäre darstellt. Der Einsatz von Uploadfiltern wird in relevantem Ausmaß dazu führen, dass auch Inhalte ausgefiltert werden, die nicht zu beanstanden sind.

Der Journalist Peter Welchring hat anschaulich erläutert, dass die Uploadfilter, die Google derzeit ohnehin schon einsetzt, im Bereich von Musik und Film dann gut funktionieren, wenn zuvor bereits eine Prüfsumme der maßgeblichen Datei hinterlegt worden ist. Schwieriger wird es bei unbekannten Werken und erst recht bei Fotos, Bildern und Texten. Über die Neuregelung freuen werden sich sicherlich die bereits jetzt sehr abmahnfreudigen Bildagenturen, denn sie können in Zukunft unmittelbar beim Plattformbetreiber Schadensersatz geltend machen, was andererseits für viele Plattformen zu einem schwer kalkulierbaren Risiko werden dürfte.

Ob man in diesem Kontext bereits von Zensur im juristischen Sinne sprechen kann, ist zumindest diskutabel. Auch wenn hier nicht der Staat selbst Äußerungen und Geistesinhalte vor ihrer Veröffentlichung einer inhaltlichen Prüfung unterzieht, so zwingt der Gesetzgeber die Anbieter solcher Plattformen – sofern sie ihr Geschäftsmodell nicht aufgeben wollen – faktisch dennoch dazu, eine Infrastruktur für eine inhaltliche Vorkontrolle aller Inhalte zu etablieren. Damit verpflichtet der Staat den Provider zu einer zensurähnlichen Maßnahme. Es galt daher bisher als Konsens, dass Dienstanbietern keine proaktiven Prüf- und Überwachungspflichten auferlegt werden dürfen. Diesen in der fast 20 Jahre alten E-Commerce-Richtlinie normierten Konsens will die neue Richtlinie aufkündigen. Ein enormer lobbyistischer Erfolg, der unausgewogen und für die Allgemeinheit nachteilig ist.

These 4: Das betrifft doch ohnehin nur YouTube bzw. Google, die sollen ruhig mehr zahlen

Der Richtlinienentwurf hat einen neuen Providertypus erfunden, der Online Content Sharing Provider genannt wird. Der ist legaldefiniert als

provider of an information society service whose main or one of the main purposes is to store and give the public access to a large amount of copyright protected works or other protected subject-matter uploaded by its users which it organises and promotes for profit-making purposes.

Das umfasst zunächst alle kommerziellen Dienste, die es Nutzern gestatten, Inhalte hochzuladen. Das Korrektiv besteht nun darin, dass einer der Hauptzwecke darin bestehen muss, urheberrechtlich oder anderweitig geschützte Inhalte öffentlich zugänglich zu machen. Wie weit oder einschränkend dieses Merkmal auszulegen ist, bleibt zunächst unklar.

Umfasst sind neben Plattformen wie YouTube auch soziale Medien, deren Schwerpunkt auf Bildveröffentlichungen liegen. Also Plattformen wie Instagram, Pinterest, aber auch Dating-Services wie Tinder. Denn Fotos genießen immer urheberrechtlichen Schutz. Auch alle anderen sozialen Netzwerke wie Facebook oder Twitter dürften darunter fallen. Letztlich wird man auch ernsthaft darüber diskutieren müssen, ob Meinungs- und Diskussionsforen ebenfalls erfasst sind. Denn von Usern verfasste Texte werden zumindest in nennenswertem Umfang als urheberrechtlich schutzfähig anzusehen sein.

Letztlich sollte sich keine Plattform, die den Upload von Inhalten durch ihre Nutzer ermöglicht, zu sicher sein, dass sie der Regelung nicht unterfällt.

These 5: Die Neuregelung verlagert die Haftung von den Nutzern auf die Plattformbetreiber

Nein, diese Aussage ist falsch. Im Grundsatz bleibt es dabei, dass derjenige Nutzer, der urheberrechtswidrige Inhalte auf einer Plattform einstellt, in vollem Umfang selbst haftet. Neben ihm haftet nunmehr auch der Plattformbetreiber. Wenn der Anbieter allerdings eine Lizenz erworben hat, dann soll diese Lizenz auch Uploads durch nicht kommerziell handelnde Nutzer abdecken. Das ergibt sich aus Art. 13 Nr. 2. Wobei man die Frage diskutieren muss, ob das nicht bereits nach aktueller Rechtslage so ist. Denn die Handlung, die dem Plattformbetreiber derzeit vorgeworfen wird, ist ja auch nur die des Nutzers und nicht seine eigene. Im Ergebnis ist es also so, dass neben die Haftung des Nutzers noch die des Plattformbetreibers tritt. Für die Rechteinhaber ist das günstig, weil sie künftig beide in Anspruch nehmen können.

These 6: Art. 13 Nr. 7 schließt Uploadfilter aus

Die Vorschrift des Art. 13 Nr. 7 betont, dass aus der Regelung des Art. 13 keine allgemeine Überwachungspflicht im Sinne von Art. 15 der E-Commerce-Richtline folgt. Diese Vorschrift steht allerdings in einem erkennbaren Spannungsverhältnis zu Art. 13 Nr. 4, der den Ausschluss der Haftungsprivilegierung für den Content Sharing Provider postuliert und ihm gleichzeitig die Pflicht auferlegt, hohe Anstrengungen zu unternehmen, um zu gewährleisten, dass urheberrechtswidriger Content über seine Plattform nicht verfügbar ist. Das ist widersprüchlich und klingt ein bisschen nach wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass. Denn die Nichtverfügbarkeit von urheberrechtswidrigen Inhalten kann man, selbst man sich bemüht, Lizenzverträge zu schließen, nur gewährleisten, wenn man jeden Upload einer Vorprüfung unterzieht. Offenbar hat der Gesetzgeber bemerkt, dass die Schaffung einer proaktiven Überwachungspflicht bedenklich nah an die Vorzensur heranrückt, weshalb er sich beeilt hat zu betonen, dass eine solche Pflicht natürlich nicht besteht. Das ändert allerdings nichts daran, dass sich Art. 13 Nr. 4 und Nr. 7 widersprechen und nicht sinnvoll in Übereinstimmung zu bringen sind. Das wiederum führt zu erheblicher Rechtsunsicherheit und wird viele kleinere Anbieter vermutlich zur Aufgabe zwingen. Denn klar ist, dass der Anbieter erhebliche Anstrengungen unternehmen muss, um den Upload von urheberrechtswidrigen Inhalten zu verhindern. Wie hoch insoweit die Anforderungen sind, kann derzeit niemand zuverlässig sagen. Das werden am Ende die Gerichte festlegen, in einem Rechtsprechungsprozess, der Jahre dauern wird.

posted by Thomas Stadler at 22:27  

29.1.18

Der Staatstrojaner: Überwachung von Smartphones direkt beim Nutzer

Seit einigen Tagen wird in den Medien darüber berichtet, dass das Bundeskriminalamt Überwachungssoftware einsetzt, um Smartphones oder Computer zu überwachen und dort gespeicherte Informationen auszulesen.

Während die klassische Telefonüberwachung bei TK-Anbietern wie Telekom oder Vodafone ansetze und dort Telefonate belauschte, tritt im Zeitalter der internetgestützten Telekommunikation an deren Stelle ein Instrumentarium, das man gerne verharmlosend als Quellen-TKÜ bezeichnet. Die Überwachung findet hier an der Quelle, also direkt beim Nutzer statt. Für diese Form der Telekommunikationsüberwachung ist es allerdings grundsätzlich erforderlich, das Computersystem des Gesprächsteilnehmers heimlich mit einer speziellen Überwachungssoftware zu infiltrieren, die anschließend die Kommunikation überwacht und die Kommunikationsinhalte an die Strafverfolgungsbehörden übermittelt.

In technischer Hinsicht eng verwandt ist die sog. Online-Durchsuchung, bei der es ebenfalls erforderlich ist, auf dem Rechner des Betroffenen heimlich eine Spionagesoftware zu installieren. Diese Software überwacht dann allerdings nicht nur die laufende Kommunikation, sondern durchsucht die Festplatte des Betroffenen oder erfasst andere Kommunikationsvorgänge, wie beispielsweise die Nutzung des WWW.

Um zu verstehen, warum auch die neugeschaffene gesetzliche Regelung zur sog. Quellen-TKÜ in § 100a Abs. 1 S. 2 StPO nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügt, reicht die Lektüre folgender Passage aus der Entscheidung des BVerfG zur Onlinedurchsuchung:

Die Quellen-TKÜ ist in technischer Hinsicht also eine Online-Durchsuchung, die vom Gesetzgeber im Käfig der Telefonüberwachung gehalten werden muss, um rechtmäßig sein zu können. Dies hat der Gesetzgeber durch die Abs. 5 und 6 von § 100a StPO versucht. Juristisch interessant ist hierbei u.a. die Frage, was bei einer Kommunikation mittels eines Messenger wie WhatsApp konkret unter laufender Kommunikation verstanden werden soll. Bei der Sprachtelefefonie ist die laufende Kommunikation klar durch den Anfang und das Ende eines Telefonats begrenzt. In einem Messenger erfolgt die Kommunikation nicht in Echtzeit, so dass allein hierdurch eine massive qualitative Ausweitung erfolgt. Ist eine Unterhaltung via WhatsApp, die sich über Tage hinweg fortsetzt und immer wieder durch längere Pausen unterbrochen wird, noch laufend?

Den Vorgaben des BVerfG hätte der Gesetzgeber auch nur dann gerecht werden können, wenn er konkrete Vorgaben an die Anforderungen der einzusetzenden Software definiert hätte. Dies wird stattdessen den Ermittlungsbehörden überlassen, so dass faktisch kein Unterschied zwischen Quellen-TKÜ und Onlinedurchsuchung besteht. Der Einsatz multifunktionaler Programme wird vom Gesetzgeber gerade nicht unterbunden. Das Gesetz macht keinerlei Vorgaben zur Qualitätssicherung und Überprüfung der eingesetzten Software.

Die vom BVerfG vorgegebene Differenzierung zwischen Online-Überwachung und Quellen-TKÜ wird vom Gesetzgeber nicht nachvollzogen. Es stellt sich aber auch ganz generell die Frage, ob dies in technischer Hinsicht überhaupt trennscharf und zuverlässig möglich ist, denn die Quellen-TKÜ ist in technischer Hinsicht stets eine Onlinedurchsuchung. Der Begriff des Staatstrojaners erscheint daher mehr als passend.

Schwer wiegt auch der Umstand, dass die gesetzliche Regelung die Ermittlungsbehörden ermutigt, vorhandene  Sicherheitslücken auszunutzen, um fremde informationstechnischen Systeme mit Schadsoftware zu infiltrieren. Der Staat verhält sich also wie ein Cyberkrimineller. Das schafft, wie Ulf Buermeyer in seiner sachverständigen Stellungnahme für den Bundestag beklagt, fatale Fehlanreize, weil die Behörden damit ein erhebliches Interesse daran haben, Sicherheitslücken in informationstechnischen Systemen nicht an die Hersteller zu melden, sondern sie vielmehr gezielt aufrecht zu erhalten. Das läuft dem Allgemeininteresse an möglichst sicheren informationstechnischen System zuwider und begründet eine Gefährdung der IT-Sicherheit, die sich auf allen Ebenen (Staat, Unternehmen, Bürger) auswirkt und insgesamt eine Gefahr gerade für sicherheitskritische Infrastrukturen begründet. Aufgabe des Staates wäre es freilich, derartige Gefahren zu vermeiden und abzuwehren. Wer die Fortsetzung der GroKo für vernünftig hält, sollte auch derartige Gesetze in seine Betrachtung einbeziehen.

posted by Stadler at 21:50  

9.10.17

Anmerkungen zum „Facebook-Gesetz“

Am 01.10.2017 ist das Gesetz mit dem sperrigen Titel „Gesetz zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken“ (Netzwerkdurchsetzungsgesetz – NetzDG) in Kraft getreten, das in den Medien zuweilen nur als „Facebook-Gesetz“ bezeichnet wird. Das Gesetz verpflichtet soziale Netze wie Facebook und Twitter dazu, bestimmte rechtswidrige Inhalte kurzfristig zu löschen. Das Gesetzesvorhaben wurde im Netz und auch in der juristischen Fachwelt überwiegend kritisiert und dies häufig sogar in äußerst alarmistischer Art und Weise. Als jemand, der die Kritik jedenfalls nicht durchgehend zu teilen vermag, möchte ich eine differenzierte Betrachtung anstellen.

Gegen das Gesetz bestehen erhebliche juristische Bedenken, von denen die europarechtlichen sicherlich am stichhaltigsten sind. Die zeitlich starren Sperrvorgaben des § 3 Abs. 2 NetzDG, die die Anbieter dazu verpflichten, offensichtlich rechtswidrige Inhalte innerhalb von 24 Stunden zu löschen und sonstige rechtswidrige Inhalte unverzüglich, worunter der deutsche Gesetzgeber in der Regel einen Zeitraum von sieben Tagen versteht, stehen in Konflikt mit der E-Commerce-Richtlinie. Die Vorschriften dieser Richtlinie zur Haftungsprivilegierung verlangen von Anbietern, die Informationen für einen Nutzer speichern, ein unverzügliches Tätigwerden, sobald sie Kenntnis von einer rechtswidrigen Information erlangt haben. Die Richtlinie gibt also keine festen Sperrfristen vor, sondern orientiert sich an den Umständen des Einzelfalls. Das heißt, gemessen an der Richtlinie können 24 Stunden zu kurz oder sieben Tage zu lang sein. Das deutsche Gesetz entspricht also nicht den Vorgaben der Richtlinie und diese Abweichung kann durchaus als europarechtswidrig betrachtet werden. Kontrovers diskutiert wird in europarechtlicher Hinsicht auch die Frage, ob das NetzDG gegen das sog. Herkunftslandprinzip verstößt, das besagt, dass ausländische Dienstanbieter keinen strengeren Anforderungen unterworfen werden dürfen, als in ihrem Sitzmitgliedsstaat. Der wissenschaftliche Dienst des Bundestages betrachtet das Gesetz als mit dem Herkunftslandprinzip unvereinbar. Auch die sachlich höchst sinnvolle Verpflichtung der sozialen Medien, einen inländischen Zustellungsbevollmächtigten zu benennen, könnte gegen das Herkunftslandprinzip der E-Commerce-Richtlinie verstoßen.

Allerdings sollte man in der europarechtlichen Diskussion auch deren Dynamik nicht verkennen. So gibt es bei der Kommission bereits aktuell Überlegungen, die nicht nur in eine ganz ähnliche Richtung weisen wie das NetzDG, sondern deutlich und in teilweise bedenklicher Form darüber hinausgehen. Es steht also nicht unbedingt zu erwarten, dass die Kommission das deutsche Gesetz beanstanden wird, nachdem man dort noch viel weiterreichende Regulierungsmaßnahmen im Auge hat. In einem aktuellen Papier „Tackling Illegal Content Online – Towards an enhanced responsibility of online platform„, denkt die Kommission darüber nach, Portalbetreibern wesentlich konkretere Handlungspflichten aufzuerlegen als bisher, einschließlich einer engeren Zusammenarbeit mit staatlichen Stellen, dezidierten Berichtspflichten, proaktiven Filterpflichten, sowie kurzen und konkreten Löschfristen.

Als weit weniger griffig erachte ich die geäußerte Kritik dann allerdings, soweit von einer Gefahr für die Meinungs- und Informationsfreiheit die Rede ist.

Diese Kritik verkennt den momentanen status quo und unterstellt eine Verschlechterung im Vergleich zur aktuell bestehenden Situation, die kaum zu erwarten ist.

Dazu muss man sich allerdings vergegenwärtigen, wo wir eigentlich herkommen. Derzeit löscht Facebook nach gänzlich intransparenten Kriterien Inhalte, die teilweise erkennbar nicht rechtswidrig sind, während bei ersichtlich rechtswidrigen Inhalten häufiger die textbausteinartige Antwort erfolgt, dass ein Verstoß gegen die Community-Regeln nicht gegeben ist. Der Ausgangszustand auf den das Gesetz reagiert, ist also im Lichte der Meinung- und Informationsfreiheit alles andere als optimal. Es besteht mithin durchaus der Bedarf, Facebook & Co. rechtsstaatlicher Kuratel zu unterstellen, weil eine gesetzeskonforme und rechtsstaatlich akzeptable Löschpraxis dort schlicht nicht existiert. Vor diesem Hintergrund verwundert es auch etwas, dass das NetzDG gerade wegen seiner grundrechtlichen Auswirkungen abgelehnt wird.

Allein den Umstand, dass große Anbieter wie Facebook gezwungen werden, Geld in die Hand zu nehmen, um ein transparenteres und professionelleres System der Überprüfung und Löschung von rechtswidrigen Inhalten zu etablieren, muss man als Fortschritt gegenüber dem status quo betrachten. Auch die im Gesetz normierten Berichtspflichten sind zu begrüßen, denn sie zwingen die sozialen Netzwerke dazu, mit Blick auf ihre Löschpraxis öffentlich Farbe zu bekennen und Rechenschaft abzulegen. Es ist daher kaum naheliegend anzunehmen, dass sich die Zahl falscher Löschentscheidungen erhöhen wird. Vielmehr darf man, wenn man die Thematik primär aus dem Blickwinkel der Meinungs- und Informationsfreiheit betrachtet, berechtigterweise sogar auf eine Verbesserung im Vergleich zur aktuellen Situation hoffen. Gerade in grundrechtlicher Hinsicht teile ich die vielerorts artikulierten Bedenken deshalb nicht.

Man sollte gleichwohl nicht verschweigen, dass das Gesetz den falschen Grundansatz wählt, indem es allein auf ein öffentlich-rechtliches Ordnungswidrigkeitensystem setzt, ohne gleichzeitig die Rechtsdurchsetzung für die Betroffenen zu erleichtern.

Es ist zudem nicht von der Hand zu weisen, dass das Gesetz einseitige Löschanreize schafft. Denn das Gesetz sanktioniert nur die Nichtlöschung rechtswidriger Inhalte, während die Löschung rechtmäßiger Inhalte keinerlei Konsequenzen hat.

Das Gesetz kann insgesamt nicht als der große Wurf betrachtet werden, der es eventuell bei anderer Ausgestaltung hätte sein können. Die oft beschworene Gefahr für die Meinungs- und Informationsfreiheit besteht, jedenfalls gemessen am status quo, aber auch nicht.

posted by Stadler at 17:30  

5.6.17

Warum das Netzwerkdurchsetzungsgesetz den falschen Ansatz wählt

Das geplante Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzG) wird seit Monaten kontrovers diskutiert. Auch wenn man durchaus politischen und gesetzgeberischen Handlungsbedarf sehen kann, ist der Gesetzesentwurf inkonsistent.

Das was man auf der Website des BMJ dazu lesen kann,

Um die sozialen Netzwerke zu einer zügigeren und umfassenderen Bearbeitung von Beschwerden insbesondere von Nutzerinnen und Nutzer über Hasskriminalität und andere strafbare Inhalte anzuhalten, werden durch den Entwurf gesetzliche Compliance-Regeln für soziale Netzwerke eingeführt.

verdeutlicht unmittelbar, warum das Gesetz falsch konstruiert ist.

Erklärtes Ziel ist es nach den Worten des Ministeriums den betroffenen Nutzern dabei zu helfen, ihre Rechte besser durchzusetzen. Wenn dem so ist, hätte man sich fragen müssen, welche Maßnahmen zu ergreifen sind, damit Nutzer, die durch Veröffentlichungen in sozialen Netzwerken in ihren Rechten verletzt werden, besser und effektiver direkt gegen Facebook, Twitter & Co. vorgehen können. Was macht der Entwurf des BMJ stattdessen? Er definiert einen Katalog von Straftaten und diesbezügliche Verhaltens- und Handlungspflichten des Anbieters. Daran knüpft er dann Bußgeldtatbestände. Der Gesetzgeber schafft also ein öffentlich-rechtliches Ordnungswidrigkeitenrecht, das als solches nicht unmittelbar geeignet ist, die Position der Nutzer/Bürger zu verbessern. Was will der Gesetzgeber? Das Verhalten der Anbieter durch Bußgelder die Strafcharakter haben sanktionieren oder ein Regelungssystem schaffen, das die Rechtsdurchsetzung für die Betroffenen erleichtert? Dem jetzigen Regelungskonzept geht es nicht um den betroffenen Nutzer, sondern es geht darum, ein neues staatliches Ordnungs- und Sanktionssystem zu schaffen.

Die einzige Neuregelung, die geeignet ist, die Nutzer bei der besseren Durchsetzung ihrer Rechte zu unterstützen, ist die Pflicht zur Benennung eines inländischen Zustellungsbevollmächtigten. Damit könnte eine komplizierte und zeitaufwändige Auslandszustellung der Klageschrift bzw. des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Verfügung verhindert werden. Nur leider bleibt der Gesetzgeber hier auf halbem Wege stehen, weil er es versäumt hat, den Anbieter dazu zu verpflichten, Namen und Anschrift des Zustellungsbevollmächtigten auch für den Nutzer leicht zugänglich zu veröffentlichen. Im Zuge dessen hätte man auch gleich noch genauer definieren können, welche Befugnisse dieser Zustellungsbevollmächtigte haben muss und vor allem klarstellen können, dass durch die Zustellung an den inländischen Zustellungsbevollmächtigten die Auslandszustellung (§183 ZPO) entbehrlich wird und auch keine Übersetzungen von Schriftsätzen und richterlichen Verfügungen notwendig sind. Wünschenswert und sinnvoll wäre eine Regelung gewesen, die es dem Anbieter, der sich mit seinem Service an ein (größeres) inländisches Publikum richtet, gebietet, sich wie ein inländisches Unternehmer vor einem deutschen Gericht verklagen und prozessual behandeln zu lassen.

Bei dem Beschwerdemanagement, das der Gesetzesentwurf in seinem § 3 vorgibt, hätte man vor allen Dingen regeln können, dass sich der Nutzer – außerhalb des Beschwerdeformulars auf der Website – unmittelbar per E-Mail, Telefax oder Brief an eine zu benennende Beschwerdestelle des Anbieters im Inland wenden kann und das Unternehmen verpflichtet ist, die Nutzerbeschwerde innerhalb einer kurzen Frist zu beantworten und hierbei zudem gehalten ist, inhaltlich auf die vom Nutzer konkret vorgebrachten Aspekte einzugehen und sich nicht darauf beschränken kann, lediglich pauschal mitzuteilen, dass keine Regelverstöße erkennbar sind.

Auf den Rest des Gesetzes hätte man getrost verzichten können. Die starren Löschpflichten, die das Gesetz jetzt vorgibt, dürften nicht nur europarechtswidrig sein, weil sie mit den Vorgaben der E-Commerce-Richtlinie nicht übereinstimmen, sondern sie schaffen auch einseitige Löschanreize, die in der Breite zwangsläufig dazu führen werden, dass in größerem Umfang auch rechtlich nicht zu beanstandende Inhalte gelöscht werden. Das wäre fatal im Sinne der Meinungs- und Informationsfreiheit.

posted by Stadler at 21:23  

16.5.17

Wieder mal: IP-Adressen als personenbezogene Daten

Der BGH hatte (erneut) die Frage zu entscheiden, ob die vom Betreiber eines Webservers geloggten IP-Adressen der Nutzer der Website als personenbezogene Daten im datenschutzrechtlichen Sinne zu betrachten sind. Der BGH hatte die Frage zunächst an den EuGH vorgelegt und nach der Entscheidung des EuGH nunmehr in der Sache entschieden (Urteil vom 16. Mai 2017 – VI ZR 135/13).

In seiner heutigen Entscheidung bejaht der BGH den Personenbezug von IP-Adressen aus Sicht des Betreibers des Webservers. In der Pressemitteilung des Bundesgerichtshofs heißt es dazu:

Eine dynamische IP-Adresse, die von einem Anbieter von Online-Mediendiensten beim Zugriff einer Person auf eine Internetseite, die dieser Anbieter allgemein zugänglich macht, gespeichert wird, stellt für den Anbieter ein (geschütztes) personenbezogenes Datum dar.

Auch wenn bislang lediglich die Pressemitteilung vorliegt, darf man bezweifeln, dass der BGH die Rechtsprechung des EuGH damit korrekt umsetzt. Denn die Vorlagefrage zum Personenbezug von IP-Adressen hatte der EuGH folgendermaßen beantwortet:

Art. 2 Buchst. a der Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. Oktober 1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr ist dahin auszulegen, dass eine dynamische Internetprotokoll-Adresse, die von einem Anbieter von Online-Mediendiensten beim Zugriff einer Person auf eine Website, die dieser Anbieter allgemein zugänglich macht, gespeichert wird, für den Anbieter ein personenbezogenes Datum im Sinne der genannten Bestimmung darstellt, wenn er über rechtliche Mittel verfügt, die es ihm erlauben, die betreffende Person anhand der Zusatzinformationen, über die der Internetzugangsanbieter dieser Person verfügt, bestimmen zu lassen.

Entscheidend ist also, ob der Betreiber des Onlinediensts/Webservers über rechtliche Mittel verfügt, die es ihm erlauben, mithilfe des Access-Providers die Nutzer zu identifizieren. Solche rechtlichen Mittel gibt es in Deutschland allerdings nicht allgemein, sondern nur in Ausnahmefällen aufgrund puntktueller gesetzlicher Regelungen wie z.B. § 101 Abs. 2 und Abs. 9 UrhG oder im Falle von strafbarem Verhalten über den Umweg als Betroffener Einsicht in die Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft nehmen zu können. Grundsätzlich verfügt der Betreiber eines Webservers also nicht über die rechtlichen Mittel, einen User anhand der IP-Adresse zu identifizieren.

posted by Stadler at 12:23  
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