Correctiv in der Kritik – zu Recht?
Unter dem Titel „Der Correctiv-Bericht verdient nicht Preise, sondern Kritik – und endlich eine echte Debatte“ arbeiten sich die Autoren Christoph Kucklick, Stefan Niggemeier und Felix W. Zimmermann an der Reportage „Geheimplan gegen Deutschland“ ab, die zu Jahresbeginn landesweit Aufsehen erregte und Massenproteste gegen die AfD und die neue Rechte auslöste.
Bereits der Einstieg dieser Journalismuskritik ist bemerkenswert. Dass der Beitrag von Correctiv Anlass zur Kritik gegeben hätte, habe sich nämlich, so die drei Autoren, unlängst daran gezeigt, dass ein Gericht dem NDR vorläufig Teile eines „Tagesschau“-Artikels untersagt hat, der sich auf die Correctiv-Berichterstattung bezog. Der Medienanwalt in mir reibt sich angesichts dieser kruden Logik leicht verwundert die Augen. Wenn Medien eine Geschichte übernehmen, die jemand anders zuerst hatte, wird nicht selten so umformuliert, dass Dinge, die zunächst rechtlich unkritisch waren, dadurch juristisch beanstandbar werden. Aber ist das der Quelle vorzuwerfen?
Es geht dann direkt weiter mit folgender Aussage:
Längst ist offenkundig, wie problematisch die Correctiv-Berichterstattung und ihre Rezeption sind.
Warum dies offenkundig sein soll, hat der Leser – wir befinden uns immer noch am Anfang des Texts – bis hierhin nicht erfahren. Ob er es im weiteren Verlauf erfährt, erscheint mir ebenfalls diskutabel.
Die Autoren fahren anschließend direkt mit der nächsten apodiktischen These fort:
Richtig ist: Der Text ist misslungen, das Verhalten von Correctiv nach der Veröffentlichung fragwürdig und die Berichterstattung vieler Medien eine Katastrophe.
Die Autoren haben dem Leser reichhaltig und beschwörend erklärt, dass der Text von Correctiv misslungen und offenkundig problematisch ist, ohne, bis zu diesem Zeitpunkt auch nur einen Ansatz von Begründung für diese These anzubieten. Das dürfte aber gereicht haben, um bereits einen Teil der Leser im Sinne der Autoren aufzugleisen. Mich machen solche, sicherlich nicht zufällig eingesetzten Stilmittel stets misstrauisch. Wenn man gute Argumente hat, muss man den Leser nicht zunächst derart suggestiv bearbeiten.
Nicht minder bemerkenswert geht es unmittelbar im Anschluss weiter:
Richtig ist auch: Die Proteste, die der Artikel ausgelöst hat, sind gut und wichtig. Er hat viele Menschen alarmiert, die sich zu Recht über die Verbindungen zwischen bürgerlichen Kreisen und dem rechten Rand sorgen.
Obwohl der Text von Correctiv also an sich bodenlos, offenkundig problematisch und misslungen ist, gelingt es ihm gleichwohl, wichtige Proteste auszulösen und eine breite Öffentlichkeit – der das möglicherweise nicht ausreichend bewusst war – dafür zu sensibilisieren, wie weit die gefährlichen Ideen von Figuren wie Martin Sellner bereits in Politik und Gesellschaft vorgedrungen sind.
Bereits an diesem Punkt sind für mich die Grenzen der Denklogik nicht nur erreicht, sondern schon deutlich überschritten.
Im nächsten Absatz beglücken uns die Autoren schließlich mit der Aussage, die kritische Auseinandersetzung mit dem Bericht – Bericht ist es nun sicherlich keiner – müsse mit der Feststellung beginnen, wie schwach der Text journalistisch sei. Hatten sie das nicht bereits drei oder vier Mal beiläufig erwähnt? Eine inhaltliche Auseinandersetzung mit der Reportage von Correctiv hat bis zu diesem Punkt wohlgemerkt weiterhin nicht stattgefunden, aber die Autoren versuchen sich im Anschluss zumindest daran.
Die inhaltliche Kritik setzt mit folgender These der Autoren an:
Die Recherche zeigte unbestritten, dass rechte Ideen von Bürgerlichen diskutiert werden. Zum Beispiel wie „Anpassungsdruck” deutsche Staatsbürger, die als nicht deutsch genug gelten, nötigen soll, das Land zu verlassen.
Aber die Erzählung von Correctiv ging weit darüber hinaus. Sie suggerierte, dass in Potsdam gemeinsam die Vertreibung von Millionen Menschen nach rassistischen Kriterien inklusive der Ausweisung auch deutscher Staatsbürger geplant wurde. Das will Correctiv aber gar nicht gemeint haben, wie das Recherchekollektiv inzwischen sogar vor Gericht zu Protokoll gegeben hat.
Der Text behauptet also Dinge, die er nicht behauptet – man muss es so merkwürdig sagen.
Als problematisch hieran empfinde ich zuvörderst die Aussage, Correctiv habe vor Gericht zu Protokoll gegeben, man hätte gar nicht den Eindruck erwecken wollen, in Potsdam sei die Vertreibung von Millionen Menschen besprochen worden. Denn damit greift man die Litigation-PR der Kanzlei auf, die Ulrich Vosgerau, einen Teilnehmer des Potsdamer Treffens, weitgehend erfolglos vertreten hat. Und die ist alles, aber nicht sachlich und neutral. Prozessuale Erklärungen, wenn die fragliche denn überhaupt so lautete, werden zudem häufig aus prozesstaktischen Gründen, als Reaktion auf einen bestimmten Vortrag des Prozesgegners abgegeben und müssen im Kontext des gesamten Prozesses betrachtet werden. Das prozessuale Verhalten hat nichts mit Journalismus zu tun.
Natürlich lässt der Text von Correctiv die naheliegende Deutung zu, die „Remigration“ von mehreren Millionen Menschen – unter ihnen auch deutsche Staatsangehörige – werde kaum freiwillig zu erreichen sein, sondern am Ende auch Zwang und Zwangsmaßnahmen erfordern. Und dass der Leser zu dieser Schlussfolgerung angeregt wird, ist sicherlich auch gewollt.
Mit der von den Autoren geäußerten Kritik gehen sie aber letztlich der Logik von Leuten wie Sellner auf den Leim und das ist das eigentlich bedenkliche, an dieser überheblich vorgetragenen Journalismuskritik.
Für Correctiv schreiben Menschen, die sich über Jahre hinweg intensiv mit der neuen Rechten, der AfD und ihren Netzwerken beschäftigt haben. Etwas, was man über unsere kritischen Autoren vermutlich eher nicht sagen kann.
Und natürlich plant ein Sellner die Vertreibung von Millionen Menschen auf dem Weg zu dem von ihm gewünschten, an ethnischen Kriterien ausgerichteten autoritären Nationalstaat. Er lässt natürlich – und das entspricht typischer rechter Rhetorik – offen, wie das genau umgesetzt werden soll. In seinem Buch „Remigration: Ein Vorschlag“ spricht Sellner u.a. aber auch die Möglichkeit einer „Aberkennung der deutschen Staatsbürgerschaft“ an. An der von Björn Höcke so süffisant beschworenen „wohltemperierten Grausamkeit“ wird wohl kaum ein Weg vorbei führen.
Und natürlich spielen Rechte ihre Ideen öffentlich immer wieder herunter. Das ist Teil ihres Kommunikationskonzepts. Und genau diesem Muster folgt leider auch der Text von Kurklick, Niggemeier und Zimmermann. Anstatt zu erkennen, dass diejenigen, die wie Sellner von Remigration sprechen, einen anderen Staat wollen, in dem dann die „maßgeschneiderten Gesetze“ eben nicht mehr zur jetzt geltenden Verfassungsordnung passen, werden diejenigen wie Correctiv kritisiert, die lediglich dazu anregen, die Thesen von Sellner & Co. einfach mal konsequent zu Ende zu denken.
Wenn dann noch Aussagen von Teilnehmern zitiert werden, die darauf verweisen, dass man keine gesetzeswidrigen Ausweisungen wolle, stellt sich dem Juristen natürlich schnell die Frage, ob das de lege lata oder doch de lege feranda gemeint ist. Denn die hierfür „maßgeschneiderten Gesetze“ sollen wohl ja gerade dafür sorgen, dass die Ausweisungen dann nicht mehr gesetzwidrig sind.
Correctiv formuliert es in ihrer Reportage deutlich vorsichtiger als ich so:
Im Grunde laufen die Gedankenspiele an diesem Tag alle auf eines hinaus: Menschen sollen aus Deutschland verdrängt werden können, wenn sie die vermeintlich falsche Hautfarbe oder Herkunft haben – und aus Sicht von Menschen wie Sellner nicht ausreichend „assimiliert“ sind. Auch wenn sie deutsche Staatsbürger sind.
Was hieran falsch oder missverständlich sein soll, hat mir bislang niemand erklären können. Natürlich laufen die Forderungen von Sellner & Co. darauf hinaus, Menschen aus Deutschland zu verdrängen. Worauf auch sonst? Und in dem Staat den Sellner sich vorstellt, wird das dann formaljuristisch auch nicht mehr gesetzwidrig sein.
Man kann die Reportage von Correctiv sicherlich kritisieren, denn sie ist am Ende natürlich auch ein Stück weit suggestiv. Aber ihr großer Verdienst besteht darin, Zusammenhänge, die im Grundsatz nicht neu waren, einer breiten Öffentlichkeit bekannt gemacht zu haben. Damit verstehen viele Menschen besser und genauer, warum es gefährlich ist, die AfD zu wählen, welche Netzwerke im Hintergrund agieren und wie man versucht, dieses Gedankengut, das mit dem Euphemismus von der „Remigration“ umschrieben wird, in die Mitte der Gesellschaft zu bringen. Die Reportage musste vermutlich genau so geschrieben werden, um die notwendige Breitenwirkung zu erreichen.
Die von den Autoren im Duktus der Überheblichkeit geäußerte Kritik an der Reportage von Correctiv, überzeugt nicht. Auf diese Art und Weise kommen wir sicherlich zu keiner echten Debatte.