Internet-Law

Onlinerecht und Bürgerrechte 2.0

25.3.19

Die Grenzen zwischen Lobbyismus und Journalismus verschwimmen

Mit der morgigen Abstimmung im Europäischen Parlament zur Urheberrechtsrichtlinie geht (vielleicht) eine bislang in dieser Form noch nicht dagewesene Lobbykampagne zu Ende, die leider auch vor den etablierten Medien nicht Halt macht.

Den publizistischen Tiefschlag liefern mit Heribert Prantl und Andrian Kreye ausgerechnet zwei der bekanntesten Journalisten der Süddeutschen Zeitung. Während Kreye meint: „Ihr unterstützt datengierige US-Konzerne“, um anschließend, die These aufzustellen, es ginge um Datensouveränität, spitzt Prantl noch stärker zu:

Aber die Vorwürfe stimmen nicht, es handelt sich um Lügen und Finten der Internet-Großkonzerne. Sie haben die Netzgemeinde mit diesen Lügen eingewickelt. Diese Konzerne tarnen ihre Geschäftsinteressen mit heuchlerisch idealistischem Gerede.

Hätte sich Prantl nur ein kleinwenig mit dem Thema befasst, dann wäre ihm nicht entgangen, dass sich eine Vielzahl führender Fachleute unterschiedlicher Disziplinen kritisch bis ablehnend mit dem Gesetzesvorhaben auseinandergesetzt haben. Reto Hilty und Valentina Moscon, Rechtswissenschaftler am Max-Planck-Institut für Immaterialgüter- und Wettbewerbsrecht in München, gehen davon aus, dass die Richtlinie ihre zentrale Zielsetzung über weite Strecken verfehlt. Hannes Federrath, Präsident der Gesellschaft für Informatik und einer der führenden Wissenschaftler auf dem Gebiet der Informationssicherheit appellierte an die EU-Abgeordneten, die Richtlinie abzulehnen.

Kreye hätte sich beispielsweise mit der Veröffentlichung des Datenschutzrechtlers Malte Engerer befassen können, der in einem aktuellen Beitrag Art. 17 (vormals Art. 13) der geplanten Richtlinie für unvereinbar mit Art. 7 und 8 der Grundrechtecharta und der Datenschutz-Grundverordnung hält. Wenn man auf die Website der Süddeutschen geht, wird der aufmerksame Nutzer bemerken, dass er von einer zweistelligen Anzahl an Tracking-Tools erfasst wird, was bei mir natürlich die Frage aufwirft, ob ich mich lieber datengierigen deutschen Verlagen aussetzen will – gegen die deutsche Aufsichtsbehörden interessanterweise nach wie vor nicht vorgehen – oder amerikanischen Großkonzernen. Noch bin ich unentschieden, aber in puncto Heuchelei sehe ich derzeit einen leichten Vorsprung deutscher Zeitungsverlage gegenüber Google & Co.

In einem eigenen Blogbeitrag hatte ich sechs gängigen Thesen der Befürworter der Richtlinie widersprochen. Womit ich mich nicht auseinandergesetzt habe, war die zentrale These der Befürworter, man müsse diese Richtlinie unterstützen, um für eine bessere Vergütung der Kreativen zu sorgen. Wem das ein ernsthaftes Anliegen ist, der darf sich, anders als Prantl und Kreye, auch dem Reality-Check nicht verweigern. Nichts in dieser Richtlinie wird die Vergütungssituation der Urheber verbessern, denn dafür fehlt es schlicht an den notwendigen Regelungen. Die geplante Vorschrift des Art. 16 (vormals Art. 12) normiert vielmehr folgendes:

Die Mitgliedstaaten können festlegen, dass für den Fall, dass ein Urheber einem Verleger ein Recht übertragen oder ihm eine Lizenz erteilt hat, diese Übertragung oder Lizenzierung eine hinreichende Rechtsgrundlage für den Anspruch des Verlegers auf einen Anteil am Ausgleich für die jeweilige Nutzung des Werkes im Rahmen einer Ausnahme oder Beschränkung für das übertragene oder lizenzierte Recht darstellt.

Was harmlos klingt, ist ein Bruch mit der jüngeren Rechtsprechung des BGH, der entschieden hat, dass die Verwertungsgesellschaft VG Wort keinen pauschalierten Verlegeranteil an Verlage abführen darf, sondern vielmehr alles an den Autor/Urheber auszuschütten hat. Die Neuregelung schafft die Voraussetzung dafür, dass künftig wieder an Verlage ausgekehrt werden und damit der Anteil des Autors reduziert werden kann. Ein Ergebnis des Lobbyismus der Verlage, das sich unmittelbar zum Nachteil von Autoren/Journalisten auswirken wird. Es ist deshalb auch kein Zufall, dass sich die Freischreiber, ein Berufsverband freier Journalisten und Autoren, gegen die Richtlinie aussprechen.

Und man sollte an dieser Stelle auch nicht verschweigen, dass es die deutsche Verlagslobby war, die, zusammen mit dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk eine angemessene Vergütung ihrer Journalisten und Autoren verhindert hat. Es ist also keineswegs so, dass die Interessen der Autoren zwangsläufig mit denen der Verlage deckungsgleich sind, auch wenn dies gerne behauptet wird.

Jedenfalls dann, wenn man ein Mindestmaß an journalistischer Sorgfalt beachten will, ist es geboten, sich mit diesen Positionen auseinanderzusetzen, anstatt so zu tun, als wären die Gegner der Richtlinie samt und sonders von amerikanischen Großkonzernen fehlgeleitete Naivlinge. Aber es geht bei Prantl und Kreye offenbar nicht mehr darum, Argumente zu widerlegen und den konstruktiven Widerspruch zumindest zu versuchen. Ihre Texte enthalten keine Zwischentöne mehr, kein Pro und Contra, keine Abwägung. Die Technik dieser beiden Journalisten ist vielmehr die Diffamierung derjenigen, die man als Gegner ausgemacht hat, unter Ausblendung sämtlicher Sachargumente.

Dieses mediale Phänomen, für das Kreye und Prantl nur exemplarisch stehen, wird flankiert und befeuert von einer politischen Desinformationskampagne, die zumindest hierzulande alles in den Schatten stellt, was es bisher gab. Abgeordnete, vornehmlich der Union hatten u.a. behauptet, Beschwerde-E-Mails kämen von Bots und amerikanische Unternehmen würden Demonstranten kaufen und bezahlen.

Das was wir hier beobachten können, ist nichts anderes als eine Form des Dirty Campaignings, bei dem die Grenzen zwischen politischem Lobbyismus und Journalismus verschwimmen. Diese Form der politischen und medialen Auseinandersetzung scheint endgültig auch hierzulande angekommen zu sein und sie benutzt dieselben Techniken, die einen Trump an die Macht gebracht und den Brexit ermöglicht hat. Diejenigen, die sich wie ein Prantl auf die Aufklärung berufen, sollten einen Moment innehalten. Denn die einzig vernünftige Schlussfolgerung besteht in der Ablehnung dieses Richtlinienvorschlags. Nur das bietet die Chance, dass es doch noch zu einer sinnvollen und zukunftsorientierten Regelung kommen kann. Das würde allerdings voraussetzen, dass auf die Fachleute gehört wird und nicht nur auf die Lobbyisten der Verlage und Rechteverwerter. Auch die Zivilgesellschaft wäre in diese Debatte einzubeziehen. Denn es geht um weit mehr als um urheberrechtliche Fragen. Und am Ende würde man vielleicht sogar an den Punkt kommen, dass Google mehr zahlen muss als bisher. Aber in überwiegendem Maß an die Urheber und nicht an die Rechteinhaber und auf Basis eines auch für die Allgemeinheit akzeptablen Regelwerks.

posted by Stadler at 22:52  

10 Comments

  1. In den vergangenen ungefähr dreißig Jahren wurde ein großer Teil des Mediensektors regelrecht abgeschlachtet. Ein großer Teil der Zeitungen ist bereits verschwunden. Die Zahl der in Zeitungen beschäftigten Journalisten ist drastisch zurückgegangen. Es mögen jetzt etwa 25 % des Wertes von 1990 sein. Die Mehrheit der „informierten Mitbürger“ liest überhaupt keine Zeitung mehr.

    Auf der anderen Seite ist die Bedeutung des Internet – Sektors in einem kaum vorstellbaren Mass gestiegen. Dieser wird dominiert von einigen wenigen Monopolen. Man braucht nur die Jahresberichte einiger Aktiengesellschaften etwas genauer zu lesen, um herauszufinden, wo denn die verlorengegangenen Werbeeinnahmen der Zeitungsverlage etc. heute hin fließen.

    In dieser Situation ist von ernsthaftem Journalismus kaum noch etwas zu sehen. Eigene Recherche: Fehlanzeige. Blindes Abkupfern von Meldungen, die auf Regierungs – Instanzen zurückgehen, der Normalfall. Sogar das Wort Groko hat bis jetzt überlebt, obwohl es eine Groko gar nicht mehr gibt. Aktuell liegt diese in Umfragen bei etwa 45 %. Das hindert zahlreiche nützliche Idioten der Regierung nicht daran, immer wieder von der Groko zu faseln.

    Journalisten gehören einer aussterbenden Gattung an. Das Geschäftsmodell, welches sie früher ernährte, implodiert gerade.

    Statt Information gibt es Infotainment,
    und eine gigantisch gewachsene Menge an Desinformation und Propaganda.

    Und es wurde wohl noch nie so viel Schwachsinn verbreitet wie heutzutage.

    Comment by Arne Rathjen RA — 26.03, 2019 @ 00:04

  2. Vielen Dank fuer die ausfuehrliche Analyse. Ich habe mich bei der Lektuere der einschlaegigen Artikel von Herrn Dr. Prantl so aufgeregt, dass ich davon absehen musste sie weiterhin zu lesen. Den Artikel von Herrn Kreye habe ich nach Ansicht des Titels lieber gleich gelassen.

    Ich bin uebrigens davon ueberrascht, dass die SZ neuerdings Artikel bringt, die die gegenteilige Meinung vertreten. Bis vor ein paar Tagen gab es da einen strammen, einheitlichen Kurs, der nicht nur von den Herren Prantl und Kreye vertreten wurde.

    Comment by Brexit statt §13 — 26.03, 2019 @ 00:58

  3. Das Problem ist, die Verlage usw. schauen alle mit Dollarzeichen in den Augen auf Youtube, Google, Facebook und haben keinerlei Blick dafür wer sonst auf der Strecke bleibt. Youtube & Co wird die Reform gar nicht besonders betreffen, den letztendlich erfüllen die ja eigentlich im großen und ganzen die Vorgaben. Sie haben Uploadfilter, sie haben weitreichende Lizenzverträge. Aber jede Plattform die älter ist als 3 Jahre muss dann Regeln einhalten und Bedingungen erfüllen die für internationale Großkonzerne konzipiert sind.

    Comment by llamaz — 26.03, 2019 @ 09:09

  4. Natürlich sind die Redaktionen heute nicht mehr ansatzweise so mit Journalisten und Redakteuren bestückt wie noch in den 1990ern.

    Natürlich hat die auch im Textbereich durch das Netz hochgejazzte Geschwindigkeit der Nachrichtendistribution, die Qualität sinken lassen.

    Natürlich ist es immer besonders schwierig, vor allem in ureigensten Interessenbereichen Objektivität zumindest anzustreben.

    Dass aber in sehr, sehr vielen Kommentaren und auch Artikeln nicht einmal mehr der Versuch der Ausgewogenheit unternommen wird, muss jeden, der Medien und Journalismus weiterhin als die vom BVerfG so bezeichnete „4. Gewalt“ verstehen möchte, aufhorchen lassen.

    Sehr viele Journalisten sind an diesem Anspruch bei der sogenannten „Urheberrechtsreform“ schlicht gescheitert. Dies wurde allerspätestens offenkundig, als die Mär von den „Bots“ und „gekauften Demonstranten“ verbreitet wurde: https://www.youtube.com/watch?v=B3ZDTwCgdcY

    Und immer noch viele Journalisten haben nicht einmal verstanden, dass sie sich selbst schaden und schlechter stellen werden, was einfach nur noch traurig ist.

    Comment by Gerrit Eicker — 26.03, 2019 @ 11:24

  5. Die Verlage „berichten“ hier in eigener Sache, leider ohne immer ausreichend kenntlich zu machen, dass sie hier nicht als neutrale Mittler, sondern als Partei schreiben. Teilweise fehlt selbst die Kennzeichnung als Kommentar – Bericht und Lobbyismus verschwimmen leider.

    Leider zeigt sich hier, dass die Selbstreflektion und -beherrschung im Journalismus letztlich auch nicht besser ist als anderswo: Sobald es um die eigenen Pfründe geht, stehen ethische Grundsätze häufig hintenan.

    Leider beschädigt sich die Branche damit vorrangig selbst: Ein Journalist, der die Regeln der eigenen Branche missachtet, macht sich unglaubwürdig. Wie will er zukünftig kritisieren, wenn sich Politikerinnen selbst eine unanständige Diätenerhöhung genehmigen, wenn Unternehmensführer „ihre“ Unternehmen (eigentlich: die der Gesellschafter) bestehlen, wenn Polizisten Straftaten begehen?

    Das Glashaus Journalismus macht sich mit Leistungsschutzrecht, Art. 13 usw. leider immer mehr zu einer Trümmerbude.

    Comment by Leser — 26.03, 2019 @ 12:09

  6. Die SZ hat mich als langjaehrigen Abonnenten schon bei der letzte Runde Leistungsschutzrecht-Lobbyismus verloren.

    Die Blaetter aus dem Hause SWMH haben auch dieses mal sehr klar gemacht, wie man dort „Journalismus“ versteht.

    Ich wuerde vermuten, dass man dort die nicht CDU-waehlende Bevoelkerung unter 65 als Zielgruppe abgeschrieben hat.

    Comment by h s — 26.03, 2019 @ 18:17

  7. Ich habe Prantl früher gern gelesen. Weise, abgewogene Kommentare, über die man dreimal nachdenken könnte.

    Heute ist die SZ nur noch eine Sektenpostille. Und Prantl ist auf das Niveau eines schlechten Priesters zurückgefallen, seine Beiträge sind unerträglicher Sermon

    Comment by Kurt G — 26.03, 2019 @ 21:48

  8. Ich hab‘ glaub ich beide Artikel gelesen (und den Kopf geschüttelt), dabei aber auch beachtet, das das Seite 4/5 Artikel waren, d.h. Meinungsartikel. In der gleichen Zeitung gab’s auch deutlich journalistischere Berichterstattung zB durch Janis Brühl.

    Comment by Philip Engstrand — 27.03, 2019 @ 15:43

  9. Mich erstaunt besonders, für wie wenig diese Medien ihre Glaubwürdigkeit aufs Spiel setzen. Wieso sollte man davon ausgehen, dass zu anderen Themen sorgfältiger recherchiert bzw. weniger desinformiert wird?

    Comment by Moon — 4.04, 2019 @ 07:20

  10. Was wir hier uebrigens auch mal wieder sehen, ist ein weitgehendes Versagen des Oeffentlich-Rechtlichen Rundfunks, der eigentlich als nicht-kommerzielles Korrektiv im oeffentlichen Auftrag agieren sollte.

    Das wird sich, leider, absehbar raechen.

    Comment by h s — 8.04, 2019 @ 16:01

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