Internet-Law

Onlinerecht und Bürgerrechte 2.0

1.3.24

Der durchsichtige Versuch, Correctiv zu diskreditieren

Die Berichterstattung von Correctiv „Geheimplan gegen Deutschland“ zu einem Treffen von Rechtsextremen, AFD-Politikern und Unternehmern in Potsdam hat hohe Wellen geschlagen und nunmehr auch zu einem juristischen Nachspiel, in allerdings sehr bescheidenem Umfang geführt. Von zwei Anträgen auf Erlass einer einstweiligen Verfügung wurde einer vollständig und ein zweiter zu 2/3 vom Landgericht Hamburg zurückgewiesen. Die Kernaussagen des Correctiv-Artikels wurden in beiden Verfahren aber erst gar nicht beanstandet.

Diesen Umstand, haben rechtspopulistische Tendenzmedien wie Cicero, NIUS und andere dazu benutzt, das Narrativ zu entwickeln, die Kernaussage der Berichterstattung würde nur aus Meinungsäußerungen bestehen, die man ganz generell aber juristisch nicht angreifen könne. Befeuert wird dies durch eine verzerrende LitigationPR der Anwaltskanzlei, die die beiden Antragsteller der Verfügungsverfahren in Hamburg vertritt. Die LitigationPR der Kanzlei Höcker wurde bereits auf Beck Online kritisch beleuchtet. Sie ist auch deshalb problematisch, weil sie nicht nur der Diskreditierung des Prozessgegners dient, sondern auch eine Irreführung der Öffentlichkeit bewirkt. Dem Prozessgegner wird etwas unterstellt, das der wörtlich gar nicht geäußert hat, um dann medienwirksam zu verkünden, Correctiv habe schriftsätzlich beim Landgericht Hamburg klargestellt, diese Äußerung nicht getätigt zu haben. Man kennt diese Technik zu Genüge. In der Pressemitteilung der Kanzlei Höcker wird folgendes behauptet:

Correctiv hatte durch überspitzt inszenierte Wertungen den falschen tatsächlichen Eindruck hervorgerufen, Thema des Potsdam-Treffens sei die Ausweisung deutscher Staatsbürger nach rassistischen Kriterien gewesen. 

Tatsächlich steht in dem Artikel von Correctiv auch weiterhin folgendes:

Sie planten nichts Geringeres als die Vertreibung von Millionen von Menschen aus Deutschland. (…)

Sellner ergreift das Wort. Er erklärt das Konzept im Verlauf des Vortrages so: Es gebe drei Zielgruppen der Migration, die Deutschland verlassen sollten. Oder, wie er sagt, „um die Ansiedlung von Ausländern rückabzuwickeln“. Er zählt auf, wen er meint: Asylbewerber, Ausländer mit Bleiberecht – und „nicht assimilierte Staatsbürger“. Letztere seien aus seiner Sicht das größte „Problem“. Anders gesagt: Sellner spaltet das Volk auf in diejenigen, die unbehelligt in Deutschland leben sollen und diejenigen, für die dieses Grundrecht nicht gelten soll.

Im Grunde laufen die Gedankenspiele an diesem Tag alle auf eines hinaus: Menschen sollen aus Deutschland verdrängt werden können, wenn sie die vermeintlich falsche Hautfarbe oder Herkunft haben – und aus Sicht von Menschen wie Sellner nicht ausreichend „assimiliert“ sind. Auch wenn sie deutsche Staatsbürger sind. 

Es stellt sich natürlich die Frage, welchen falschen Eindruck Correctiv hier hervorgerufen haben soll.

Das Vorgehen der Kanzlei hat auch wenig mit Prozessführung zu tun, sondern zielt auf die Beeinflussung der öffentlichen Meinung ab. Und wie man sieht, stimmen die einschlägigen rechtspopulistischen Medien auch bereitwillig ein.

Dies wirkt in Summe konzertiert und trägt Züge einer Kampagne. Die Botschaft lautet: Die Berichterstattung von Correctiv sei zwar unseriös, aber man komme ihr nur schwer bei, denn Correctiv berichte gar keine Fakten mehr, sondern äußere nur noch Meinungen, was nicht angreifbar sei.

Diese Darstellung entpuppt sich bei näherer Betrachtung allerdings als ein juristisches Märchen, das zweckgerichtet verbreitet wird und allein dem Ziel dient, die Berichterstattung von Correctiv zu diskreditieren.

Der Artikel von Correctiv unter dem Titel „Geheimplan gegen Deutschland“ enthält im Kern eine ganze Reihe von Tatsachenbehauptungen und im Anschluss daran natürlich auch wertende Schlussfolgerungen, die die Autoren aus den dargestellten Fakten ziehen. Ganz normale journalistische Arbeit.

Unstreitig haben sich die in dem Artikel namentlich genannten Personen in einem Hotel in Potsdam getroffen. Unstreitig wurden dort Vorträge zum Thema „Remigration“ gehalten. Ein Hauptredner, der österreichische Rechtsextremist Martin Sellner, hat dabei laut Correctiv von drei Zielgruppen gesprochen die Deutschland verlassen sollten, „um die Ansiedlung von Ausländern rückabzuwickeln“. Insoweit habe er laut Correctiv Asylbewerber, Ausländer mit Bleiberecht – und „nicht assimilierte Staatsbürger“ genannt. Letztere stellten aus seiner Sicht das größte Problem dar.

Das ist der aufsehenerregende Tatsachenkern der Berichterstattung von Correctiv, der bislang ganz augenscheinlich von niemandem angegriffen worden ist. Es handelt sich hierbei um Tatsachenbehauptungen, die, wären sie tatsächlich unwahr, auch juristisch angegriffen und untersagt worden wären.

Aus diesem Tatsachenkern haben die Autoren von Correctiv dann Schlussfolgerungen gezogen, insbesondere die, dass damit nichts Geringeres als die Vertreibung von Millionen von Menschen aus Deutschland geplant würde.

Hierbei handelt es sich um eine Meinungsäußerung, für die es tatsächliche Anknüpfungspunkte gibt. Gäbe es diese nicht, könnte man eine solche Meinungsäußerung ebenfalls untersagen.

Die Erzählung, man könne Meinungsäußerungen nicht verbieten und deshalb könnten die Kernaussagen der Correctiv-Berichterstattung nicht untersagt werden, ist juristisch nicht zutreffend.

Das möchte ich anhand eines Beispiels verdeutlichen. Wenn man jemanden als Nazi bezeichnet, handelt es sich hierbei um eine Meinungsäußerung. Diese beinhaltet im Regelfall aber eine derart schwerwiegende Persönlichkeitsrechtsverletzung, dass sie untersagt werden kann. In diesem Fall überwiegt das Persönlichkeitsrecht gegenüber der Meinungsfreiheit.

Anders ist der Fall allerdings dann gelagert, wenn man beispielsweise einen rechtsextremen Politiker wie Björn Höcke als Nazi bezeichnet. Denn jemand wie Höcke hat durch eine Vielzahl von öffentlichen Aussagen zu erkennen gegeben, dass er über ein geschlossen rechtsextremes Weltbild verfügt und viele seiner Positionen zumindest eine gewisse Nähe zur NS-Ideologie aufweisen. So jemanden darf man dann als Nazi bezeichnen, weil es für diese Meinungsäußerung in ausreichendem Maß tatsächliche Anknüpfungspunkte gibt.

Und so ähnlich ist es bei der Berichterstattung von Correctiv auch. Wäre auf dem besagten Treffen nicht über das Thema „Remigration“ gesprochen worden und hätte Martin Sellner nicht seine Ideen und Vorstellungen hierzu – wie oben dargestellt – als Redner vorgestellt, hätte Correctiv auch nicht die Ansicht äußern dürfen, auf dem Treffen habe man die Vertreibung von Millionen von Menschen aus Deutschland geplant. Vor dem tatsächlichen Hintergrund ist die Sachlage allerdings anders. Da diese Ideen und Vorstellungen bei dem Treffen unstreitig vorgetragen und diskutiert wurden, durfte Correctiv auch die Schlussfolgerung ziehen, es wäre dort die Vertreibung von Millionen von Menschen aus Deutschland geplant worden.

Man gewinnt mittlerweile den Eindruck, dass es keiner Fakten mehr bedarf, für den Versuch die Deutungshoheit in einer gewissen Frage zu erringen. Kampagnenhafte gestreute Desinformation erscheint offenbar erfolgsversprechender. Allerdings hat die Reaktion einer breiten Öffentlichkeit gezeigt, dass der Bürger meistens doch schlauer ist.

posted by Thomas Stadler at 20:05  

5.1.24

AFD-Verbotsantrag jetzt?

Die Diskussion über ein mögliches AfD-Verbot nimmt aktuell immer wieder Fahrt auf. Der Bundestagsabgeordnete Marco Wanderwitz versucht schon seit geraumer Zeit, aber bislang offenbar erfolglos, im Parlament eine ausreichende Zahl an Mitstreitern für einen Verbotsantrag zu finden. Der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts Andreas Voßkuhle sieht in der AfD eine große Gefahr für die Demokratie und geht davon aus, dass die rechtsextreme Partei eine „Systemveränderung“ will.

Sollte die AfD also verboten werden? Warum gibt es nach unserer Verfassung überhaupt die Möglichkeit, Parteien zu verbieten? Ist das nicht schon deshalb undemokratisch und fragwürdig, weil man damit – was im Falle der AfD durchaus eklatant wäre – den Wählerwillen missachtet?

Das Grundgesetz verfolgt im Prinzip den Ansatz, den Feinden der Freiheit keine unbedingte Freiheit zu gewähren. Durch die Etablierung eines Parteiverbots im GG hat der Verfassungsgeber die Lehren aus der Endphase der Weimarer Republik gezogen und wollte strukturelle Voraussetzungen dafür schaffen, dass sich die Katastrophe des Nationalsozialismus nicht wiederholen kann. Die grundsätzliche Parteienfreiheit des Art. 21 Abs. 1 GG soll nicht dafür missbraucht werden dürfen, um die freiheitliche demokratische Grundordnung zu bekämpfen.

Das Grundgesetz postuliert damit aber auch einen Auftrag an die Politik, an den Bundestag, die Bundesregierung und den Bundesrat, die Verfassung vor ihren Feinden zu schützen, solange dies noch möglich ist. Und das scheint mir in der aktuellen Debatte, die stark von politischem und möglicherweise auch falschem Kalkül geprägt ist, zu wenig wahrgenommen zu werden.

Das Grundgesetz will sich, anders als die Weimarer Verfassung nicht von seinen Feinden beseitigen lassen und sieht aus diesem Grund die Möglichkeit vor, Parteien zu verbieten.

Den rechtlichen Rahmen für ein Parteiverbot bildet Art. 21 Abs. 2 GG, der folgendermaßen lautet:

Parteien, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, sind verfassungswidrig.

Über die Frage der Verfassungswidrigkeit entscheidet nach Art. 21 Abs. 4 GG das Bundesverfassungsgericht.

Die Verfassung sagt also bereits sehr deutlich, dass Parteien, die darauf ausgehen, die freiheitlich demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen, verfassungswidrig sind. Das Bundesverfassungsgericht stellt dies auf Antrag nur noch fest. Es ist deshalb die Frage zu stellen, ob dieser Zustand nicht bereits erreicht ist und die AfD nach der Wertung des Grundgesetzes bereits jetzt verfassungswidrig ist.

Das Scheitern von zwei Verbotsanträgen gegen die rechtsextreme NPD wirkt politisch nach. Das Bundesverfassungsgericht hatte mit Beschluss vom 18.03.2003 das erste Verbotsverfahren eingestellt und schließlich mit Urteil vom 17.01.2017 einen weiteren Verbotsantrag zurückgewiesen.

Der erste Verbotsantrag scheiterte vor allen Dingen daran, dass die NPD von V-Leuten der Verfassungsschutzbehörden unterwandert war und das BVerfG unter diesen Voraussetzungen kein faires, rechtsstaatliches Verfahren und vor allem kein staatsfernes Verfahren mehr als gewährleistet ansah. Das begründete seinerzeit ein nicht behebbares Verfahrenshindernis.

In dem zweiten Verbotsverfahren, das im Jahre 2017 endete, erachtete das BVerfG die Voraussetzungen an sich für gegeben. Der NPD wurde attestiert, dass sie nach ihren Zielen und dem Verhalten ihrer Anhänger die Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung anstrebt. Das Bundesverfassungsgericht war zudem der Ansicht, die Partei ziele auf eine Ersetzung der bestehenden Verfassungsordnung durch einen an der ethnischen „Volksgemeinschaft“ ausgerichteten autoritären „Nationalstaat“. Dieses politische Konzept missachte, so das BVerfG ausdrücklich, die Menschenwürde aller, die der ethnischen Volksgemeinschaft nicht angehören, und ist deshalb mit dem grundgesetzlichen Demokratieprinzip unvereinbar. Das Gericht ging außerdem davon aus, dass die NPD planvoll und qualifiziert auf die Erreichung ihrer gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichteten Ziele hinarbeite. 

Der Verbotsantrag scheiterte letztlich daran, dass das BVerfG die NPD (bereits) für zu unbedeutend erachtete, um diese Ziele zu erreichen. Es fehlt, so das Gericht an konkreten Anhaltspunkten von Gewicht, die es zumindest möglich erscheinen lassen, dass dieses Handeln zum Erfolg führen kann.

Das BVerfG führte hierzu (Rn. 897) aus:

Eine Durchsetzung des verfassungsfeindlichen politischen Konzepts der Antragsgegnerin mit parlamentarischen oder außerparlamentarischen demokratischen Mitteln erscheint ausgeschlossen. Im parlamentarischen Bereich verfügt die Antragsgegnerin weder über die Aussicht, bei Wahlen eigene Mehrheiten zu gewinnen, noch über die Option, sich durch die Beteiligung an Koalitionen eigene Gestaltungsspielräume zu verschaffen (aa). Auch durch die Beteiligung am Prozess der politischen Willensbildung mit demokratischen Mitteln außerhalb des parlamentarischen Handelns besteht in absehbarer Zeit für die Antragsgegnerin keine Möglichkeit erfolgreicher Verfolgung ihrer verfassungsfeindlichen Ziele.

Dieser Ansatz des BVerfG ist äußerst problematisch. Solange eine Partei zu klein ist, wird sie trotz offenkundig und aktiver verfassungswidriger Zielsetzung nie verboten werden können. Wenn eine Partei dann eine gewisse Größe erreicht hat – wie die AfD – wird es politisch immer schwieriger, überhaupt noch einen Verbotsantrag zustande zu bringen.

Aus den Gründen, aus denen ein NPD-Verbot gescheitert ist, würde aber ein Verbotsverfahren gegen die AfD mit großer Sicherheit nicht scheitern. Denn die Wahlerfolge und aktuellen Umfragen deuten darauf hin, dass die AfD in den neuen Bundesländern sogar zu einer eigenen Mehrheit kommen und damit sogar den Ministerpräsidenten stellen könnte und im übrigen, auch auf Bundesebene – zumindest rechnerisch – die Option von Koalitionsbeteiligungen besteht.

Sofern die Politik und die Verfassungsschutzbehörden beim Thema V-Leute ihre Hausaufgaben gemacht haben, sollte ein Verbotsverfahren gegen die AfD nicht erneut an den Gründen scheitern, die für den Misserfolg der beiden NPD-Verbotsverfahren maßgeblich waren.

Das bedeutet aber im Umkehrschluss noch nicht, dass ein Verbotsantrag gegen die AfD deshalb zwingend Erfolg verspricht.

Hierfür müssten die weiteren Voraussetzungen vorliegen. Das erscheint auf den ersten Blick bei der AfD schwieriger als bei der NPD, weil die AfD versucht, sich weniger radikal und extrem zu geben, als die NPD. Andererseits ist die zunehmende Radikalisierung der AfD offen erkennbar. Der einstige „Flügel“ um Björn Höcke ist zwar offiziell aufgelöst, bildet inhaltlich aber längst die Hauptströmung der Partei und hat sich intern durchgesetzt.

Für die Frage, wann eine Partei die Voraussetzungen von Art. 21 Abs. 2 GG erfüllt, muss man sich zunächst damit beschäftigen, was das BVerfG überhaupt unter dem Begriff der freiheitlich demokratischen Grundordnung versteht. Das Bundesverfassungsgericht meint damit nicht das gesamte Grundgesetz, sondern vielmehr nur zentrale Grundprinzipien, die für den freiheitlichen Verfassungsstaat schlechthin unentbehrlich sind. 

Das ist in erster Linie die Würde des Menschen (Art. 1 Abs. 1 GG). Die Garantie der Menschenwürde umfasst insbesondere die Wahrung personaler Individualität, Identität und Integrität sowie die elementare Rechtsgleichheit.

Außerdem betrachtet das Gericht das Demokratieprinzip und das Rechtsstaatsprinzip als elementar.

Die Menschenwürde als zentraler und elementarer Wert unserer Verfassung, weist auch den Weg zur verfassungsrechtlichen Bewertung der AfD.

Lediglich exemplarisch sollen hier einige Zitate von Björn Höcke (zitiert nach dem Volksverpetzer), dem Thüringischen Landesvorsitzenden der AfD, der mittlerweile auch die Linie und Stoßrichtung der Bundespartei bestimmt, wiedergegeben werden, um zu verdeutlichen, dass die AfD der NPD in Sachen Extremismus nicht nachsteht.

„Neben dem Schutz unserer nationalen und europäischen Außengrenzen wird ein groß angelegtes Remigrationsprojekt notwendig sein.“

Ziel dieser „Remigration“ sei es, nach „der erhofften Wendephase“ „kulturfremde“ Menschen (Afrikaner und Asiaten) zu deportieren. „Vor allem eine neue politische Führung wird dann schwere moralische Spannungen auszuhalten haben: Sie ist den Interessen der autochthonen Bevölkerung verpflichtet und muss aller Voraussicht nach Maßnahmen ergreifen, die ihrem eigentlichen moralischen Empfinden zuwiderlaufen.“ Man werde, „so fürchte ich, nicht um eine Politik der ‚wohltemperierten Grausamkeit‘ herumkommen.“ 

„Auch wenn wir leider ein paar Volksteile verlieren werden, die zu schwach oder nicht willens sind, sich der fortschreitenden Afrikanisierung, Orientalisierung und Islamisierung zu widersetzen.“

„Wenn einmal die Wendezeit gekommen ist, dann machen wir Deutschen keine halben Sachen, dann werden die Schutthalden der Moderne beseitigt.“

„Dass nicht nur Merkel weg muss, sondern dass das Merkel-System weg muss […] und dieses Merkel-System sind sämtliche Kartellparteien, die es nicht gut mit diesem Land meinen.“

Björn Höcke ist nur einer von mehreren Spitzenpolitikern der AfD, an dessen Aussagen sich die Zielsetzung und Ausrichtung der Partei deutlich festmachen lässt.

Die AfD möchte das Parteiensystem abschaffen und damit die Möglichkeit der gleichberechtigten Teilnahme aller Bürger am Prozess der politischen Willensbildung und letztlich damit die Rückbindung der Ausübung der Staatsgewalt an das Volk (Art. 20 Abs. 1 und 2 GG). Die Aussagen Höckes sind also erkennbar darauf gerichtet, das Demokratieprinzip des GG zu beseitigen.

Noch erschreckender sind seine Aussagen allerdings, wenn man das alles überragende Prinzip und Grundrecht der Menschenwürde zum Maßstab nimmt. Zur NPD hatte das BVerfG die Einschätzung gewonnen, dass sie eine Ersetzung der bestehenden Verfassungsordnung durch einen an der ethnischen „Volksgemeinschaft“ ausgerichteten autoritären „Nationalstaat“ hinarbeitet. Damit wird die Menschenwürde all derjenigen missachtet, die dieser ethnischen Volksgemeinschaft nicht angehören.

Diese Kriterien passen sogar 1:1 auf die AfD. Die Aussagen eines Höcke lassen hier nichts an Klarheit vermissen. Höcke möchte ebenso wie die NPD eine ethnische deutsche Volksgemeinschaft herstellen und die „Entwicklung „der fortschreitenden Afrikanisierung, Orientalisierung und Islamisierung“ beenden.

Der menschenverachtende Ansatz der AfD wird hierdurch überdeutlich zum Ausdruck gebracht.

Es lässt sich also konstatieren, dass die AfD sich gegen das tragende Grundrecht der Menschenwürde richtet und auch das Demokratieprinzip des Grundgesetzes bekämpft.

Ob die Stellung eines Verbotsantrags politisch klug ist, kann man sicherlich diskutieren. Denn das Verfahren wird Jahre dauern und die AfD wird diese Phase nutzen, um sich noch stärker als Opfer eines Systems der „Altparteien“ zu inszenieren, die nur einen unliebsamen Kontrahenten loswerden wollen. Der Ansatz, man müsste die AfD ausschließlich politisch bekämpfen, hat daher sicherlich seine Berechtigung.

Andererseits stellt sich die Frage, ob uns die Verfassung nicht sogar den Auftrag erteilt, ihre Feinde mit denjenigen juristischen Mitteln zu bekämpfen, die sie selbst bereitstellt.

Wir sollten uns an dieser Stelle auch an die Aussage von Erich Kästner erinnern:

Die Ereignisse von 1933 bis 1945 hätten spätestens 1928 bekämpft werden müssen. Später war es zu spät. Man darf nicht warten, bis der Freiheitskampf Landesverrat genannt wird. Man darf nicht warten, bis aus dem Schneeball eine Lawine geworden ist. Man muss den rollenden Schneeball zertreten. Die Lawine hält keiner mehr auf. Sie ruht erst, wenn sie alles unter sich begraben hat.

Der rollende Schneeball muss jetzt zertreten werden.

posted by Thomas Stadler at 19:53  

6.10.23

Besonderheiten des Bayerischen Wahlrechts

Die anstehende Landtagswahl in Bayern bietet Anlass, die Unterschiede des Bayerischen Wahlrechts und des Bundestagswahlrechts zu beleuchten. In persönlichen Gesprächen bemerke ich immer wieder, dass die durchaus signifikanten Unterschiede vielfach gar nicht bekannt sind.

Bei der Bundestagswahl entscheidet über die Sitzverteilung, von der Sonderthematik der Überhangmandate mal abgesehen, allein die Zweitstimme, während man mit der Erststimme (nur) einen Direktkandidaten wählt. Die Zweitstimme ist damit die deutlich wichtigere Stimme.

Das ist in Bayern anders. Zunächst hat man auch bei der Wahl zum Bayerischen Landtag zwei Stimmen. Mit der Erststimme wählt man den sog. Stimmkreisabgeordneten und mit der Zweitstimme einen Wahlkreisabgeordneten. Hier zeigt sich bereits ein deutlicher Unterschied zur Bundestagswahl. Man wählt mit der Zweitstimme nämlich nicht die Liste einer Partei, sondern kann auch dort zwischen den verschiedenen auf der Liste vertretenen Wahlkreiskandidaten wählen und macht sein Kreuz bei einer bestimmten Person.

Wesentlicher relevanter ist aber, dass in Bayern, anders als bei der Bundestagswahl, die Erst- und die Zweitstimme das gleiche Gewicht haben und in gleicher Weise die Sitzverteilung bestimmen. Wenn ich also mit der Erststimme den Stimmkreiskandidaten der SPD wähle und mit der zweiten Stimme eine Wahlkreiskandidatin der Grünen, habe ich am Ende zu gleichen Teilen SPD und Grüne gewählt. Auch wenn der SPD-Kandidat den Stimmkreis nicht gewinnt, sondern wie in Bayern üblich der Kandidat der CSU, geht meine Erststimme nicht verloren, sondern wird ebenso wie meine Zweistimme für die Sitzverteilung gezählt. Dieses System, das manchmal auch als verbessertes Verhältniswahlrecht bezeichnet wird, hat den Charme, dass man im Grunde zwei Parteien gleichberechtigt wählen kann.

Vielen Menschen ist allerdings gar nicht bewusst, dass ihre Erststimme dasselbe Gewicht hat wie ihre Zweitstimme.

posted by Thomas Stadler at 17:34  

31.3.20

Die Corona-Tracking-App. Eine gute Idee?

Das Thema Corona-Tracking mittels Smartphone-Apps nach dem Vorbild von Singapur oder Südkorea ist derzeit in aller Munde. Auf netzpolitik.org ist dazu unlängst ein Beitrag von Johannes Abeler, Matthias Bäcker, Ulf Buermeyer erschienen, der die Nutzung eines „datensparsamen Corona-Tracking-Systems“ nach dem „App-Konzept der Regierung von Singapur“ auch aus grundrechtlicher und datenschutzrechtlicher Sicht positiv bewertet.

in dem Beitrag von Abeler/Bäcker/Buermeyer wird die Funktionsweise der Singapur-App folgendermaßen beschrieben:

Möglichst viele Menschen installieren freiwillig eine App auf ihrem Handy. Die App generiert mit kryptographischen Mitteln alle halbe Stunde eine neue temporäre ID. Sobald ein anderes Handy mit der App in unmittelbarer Nähe ist, empfangen beide Handys die temporäre ID der jeweils anderen App-Installation und speichern sie. Diese Liste mit IDs anderer App-Installationen wird auf beiden Handys lokal und verschlüsselt gespeichert (…). Sobald bei einem der App-User eine Coronavirus-Infektion diagnostiziert wird, bittet die diagnostizierende Ärztin den Nutzer, die lokal gespeicherten Daten an den zentralen Server zu übertragen (…). Falls der Nutzer zustimmt, erfährt der zentrale Server, mit welchen anderen temporären IDs dieses Handy in Kontakt war. Der Server kann aus diesen IDs zwar nicht entschlüsseln, welche Menschen sich dahinter verbergen, er kann aber alle betroffenen Handys informieren.

Jetzt sollte allerdings zum Singapur-Modell nicht unerwähnt bleiben, dass die dortige App eben doch ein Überwachungstool ist, das der Exekutive des autoritär regierten Stadtstaats Zugriff auf die Daten und insbesondere eine Identifizierung der erfassten Nutzer ermöglicht. In einer Untersuchung, die die TraceTogether-App aus Singapur analysiert, heißt es hierzu:

However, while Singapore’s TraceTogether app protects the privacy of users from each other, it has serious privacy concerns with respect to the government’s access to the data.

Das Konzept in Singapur fußt nämlich gerade auf der Erwägung, dass der Staat Zugriff auf den zentralen Server haben muss, um diejenigen, die als Kontaktpersonen ermittelt worden sind, konsequent zu isolieren, auch mit Methoden eines autoritären Staates. Es fällt mir daher bereits schwer, das Modell grundsätzlich als Vorbild zu betrachten. Sollten wir uns wirklich an den Methoden autoritärer Staaten orientieren? Und muss man sich nicht einfach auch fragen, ob die App aus Singapur gerade deshalb als effizient gilt, weil der Staat das Geschehen steuert.

Aber selbst wenn man dasselbe Prinzip so ausgestalten will, dass der Staat keinen Zugriff auf den zentralen Server erhält, bleibt die Frage zu klären, wer diesen Server betreibt und wie und wodurch gewährleistet ist, dass ein staatlicher Zugriff unterbleibt. Aber auch dann werden sich datenschutzrechtliche Fragen stellen. Denn die Kombination einer Vielzahl von Bewegungsdaten unterschiedlicher Personen wird häufig die Möglichkeit eröffnen, Rückschlüsse auf betroffene Personen zu ziehen. Es werden eben doch personenbezogene Daten verarbeitet. An dieser Stelle wird dann versucht, mit dem Aspekt der Freiwilligkeit zu argumentieren. Das setzt voraus, dass der Nutzer in die Verarbeitung seiner Daten (wirksam) einwilligt. Allerdings wem gegenüber? Dem Betreiber des Servers? Oder doch gegenüber einer staatlichen Stelle? Wer ist der datenschutzrechtlich Verantwortliche? Und wie wird die Entwicklung sein, wenn die Akzeptanz der App auf freiwilliger Basis gering ist? Wird dann nicht der Druck steigen, der Freiwilligkeit Nachdruck zu verleihen?

Oder man wählt schlicht den gegenteiligen Ansatz, der zumindest, was die Eindämmung des Virus angeht, mehr Effektivität verspricht. Nachdem aktuell bereits die Grundrechte auf Freizügigkeit weitgehend, auf Versammlungsfreiheit vollständig und auf Berufsfreiheit teilweise eingeschränkt sind, kann man natürlich auch die Frage stellen, warum eigentlich das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung bzw. Datenschutz gänzlich unbehelligt bleiben soll. Dafür müsste man im Infektionsschutzgesetz eben eine gesetzliche Grundlage schaffen. Also am Ende das Modell Singapur auf Basis einer gesetzlichen Grundlage.

Aber man sollte auch die praktischen Aspekte dieser App nicht aus dem Auge verlieren. Die App würde jeden, der in die Bluetooth-Reichweite eines Infizierten kommt, also alles in einer Entfernung bis ca. zehn Meter, als Kontaktperson flaggen. Wenn man bedenkt, dass selbst von denen, die einem Infizierten kritisch nahe kommen, also unter 1,5 – 2 Meter, sich nicht annähernd jeder ansteckt, würde diese App im Ergebnis überwiegend Ergebnisse liefern, die false positive sind. Ganz abgesehen davon, dass man damit eine Vielzahl an Menschen grundlos verängstigt, bleibt die Frage offen, wie mit den identifizierten Kontaktpersonen weiter zu verfahren ist. Die Personen sollen in diesem Stadium schließlich noch anonym und nicht in irgendeiner Form staatlich erfasst sein. Es ist derzeit allerdings nicht so, dass man einfach zum Arzt gehen kann und sich testen lassen kann. Getestet werden allenfalls Personen, die nachweisbar Kontakt zu einem Infizierten hatten und selbst Symptome zeigen. Es ist also derzeit schon so, dass keineswegs alle Kontaktpersonen getestet werden. Es ergibt also wenig Sinn, eine App zu propagieren, die noch mehr solcher Kontaktpersonen produziert, die dann wiederum nicht getestet werden. Das Konzept wird allenfalls dann Sinn ergeben, wenn sichergestellt ist, dass sämtliche Kontaktpersonen, die die App ermittelt, anschließend auch zügig getestet werden können. Aber wie soll das gewährleistet werden? Muss der Betroffene, der sich ja anonym wähnt, dazu seine Anonymität aufgeben und hat der Staat für diesen Fall die Voraussetzungen geschaffen, dass der Betroffene einen Anspruch auf den Test hat und dieser auch umgehend durchgeführt wird?

Es ist also nicht damit getan, eine solche App zu entwickeln und für ihre Installation zu werben. Sie wird vielmehr nur als Teil eines stimmigen Gesamtkonzepts funktionieren, dessen Konturen noch nicht erkennbar sind.

Update vom 17.04.2020

Nach aktuellen Medienberichten verzögert sich die Einführung der Corona-App, weil es angeblich Streit unter den Entwicklern gibt und auch die Abstimmung mit den Datenschützern (welchen?) nicht abgeschlossen sei. Interessant an der Berichterstattung ist in jedem Fall, dass man mittlerweile offenbar wieder bei dem Konzept einer Datenspeicherung auf einem zentralen Server angekommen ist, nachdem zwischenzeitlich die dezentrale schweizerische Löschung favorisiert worden war. Das wirft weiterhin die hier bereits erörterte Frage auf, wer diesen Server betreibt, wie die Daten an die Gesundheitsämter weitergegeben werden und wie der staatliche Zugriff auf diese Daten geregelt ist bzw. verhindert werden soll.

Außerdem ist es weiterhin so, dass die öffentliche Debatte zumeist an dem Punkt endet, an dem es tatsächlich relevant wird. Entscheidend ist nämlich die Frage, wie es weiter geht, wenn ein Betroffener gewarnt worden ist. Erfolgt dann über den zentralen Ansatz eine Meldung an die Gesundheitsämter, liegt ein staatlicher Eingriff vor, der einer gesetzlichen Grundlage bedarf. Freiwilligkeit hin oder her. Wird nur der Betroffene informiert, würde dies bedeuten, dass er sich selbst um den Fortgang kümmern und um einen Test bemühen muss. Nach der aktuellen Situation hat er allerdings keinen Anspruch auf einen Test. Das System wäre also nur dann effektiv, wenn man einen gesetzlichen Anspruch auf einen Test schaffen würde. Andernfalls laufen da draußen nur massenhaft Gewarnte rum, die mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zwar negativ sind, trotzdem ein mulmiges Gefühl haben und sich möglicherweise vergeblich um einen Test bemühen. Das wäre nicht nur ineffektiv, sondern kontraproduktiv. Derzeit erscheint das App-Konzept noch nicht zu Ende gedacht. Das sollte es allerdings sein, wenn die App auf den Markt kommt.

Hinzu kommt weiterhin die Frage der Effektivität. Nach den Zahlen des statistischen Bundesamts nutzen ca. 58 Millionen Menschen in Deutschland Smartphones, das sind ca. 70 % der Bevölkerung. Wenn man jetzt die Geräte abzieht, auf denen die App aus technischen Gründen nicht lauffähig ist, wird ein Prozentsatz von 60 – 65 verbleiben, der die App tatsächlich installieren und nutzen kann. Wenn man jetzt von einer Installationsquote von 50 % ausgeht – was ich für optimistisch hoch halte – dann würde am Ende jeder Dritte die App auch tatsächlich nutzen. Grundsätzlich geht man davon aus, dass die App aber nur dann effektiv sein kann, wenn es zu einer hohen Installationsquote kommt. Der Virologe Christian Drosten hat im NDR-Coronavirus-Update von 60 % der Bevölkerung gesprochen – was allerdings einer Installationsquote von nahe 100 % entsprechen würde – während andere Einschätzungen eine Effektivität ab einer Installationsquote von 60 – 70 % annehmen. Das erscheint beides nicht übermäßig realistisch.

Auf die technischen Beschränkungen, die zudem zu bedenken sind, hat Henning Tillmann bei Zeit Online hingewiesen.

Die App, so sie denn überhaupt kommt, wird also im besten Falle eine Ergänzung unter vielen sein. Die zentrale Rolle, die ihr in den Medien und der öffentlichen Debatte beigemessen wird, wird sie aber voraussichtlich nicht einnehmen können.

posted by Thomas Stadler at 08:38  

4.3.18

Es geht um mehr als um weitere vier Jahre GroKo

Große Koalitionen gefährden die Demokratie und haben stets die politischen Ränder gestärkt, im Parlament und außerhalb. Auf die erste große Koalition der Nachkriegsgeschichte folgte die RAF, nach den zwei großen Koalitionen der jüngsten Zeit haben wir die AfD als drittstärkste Kraft im Bundestag. Große Koalitionen können daher immer nur eine extreme Ausnahme darstellen, die es um fast jeden Preis zu vermeiden gilt. Gerade die SPD hat mit ihrer Zustimmung zur dritten großen Koalition innerhalb von vier Legislaturperioden die Ausnahme zur Regel gemacht. Bereits die geläufige Abkürzung GroKo macht mehr als deutlich, das man sich an den politischen Zustand irgendwie gewöhnt hat und der Ausnahmecharakter abhanden gekommen ist. Ich habe mich immer gefragt, warum die Entwicklung in Österreich nicht als Warnung funktioniert hat, erscheint sie doch geradezu eine Blaupause für das, was Deutschland noch bevorsteht.

Mit der jetzigen Entscheidung verfestigen die SPD-Mitglieder mittelfristig die Position der AfD als drittstärkste oder gar zweitstärkste politische Kraft in Deutschland. Stattdessen hätte man eine Minderheitsregierung dulden und damit eine lebendige parlamentarische Demokratie fördern können. Aber am Schlimmsten ist das Ergebnis für die SPD selbst. Man hat sich von Merkel zweimal einkochen lassen und sich dennoch für eine dritte GroKo entschieden. Vor diesem Hintergrund erscheint auch das Gerede der Parteispitze, man könne sich auch in der Regierung erneuen, geradezu grotesk. Dieses weiter so behindert den Neuanfang nicht nur, es verhindert ihn. Denn der Grund dafür, dass man gegen Merkel und die Union keine Wahlen mehr gewinnen kann, ist die große Koalition. Wie soll man sich abgrenzen und die Konturen schärfen, wenn man immer nur eine konsensorientierte Politik betreibt? Jede Kritik an Merkel wirkt wie eine Kritik an der eigenen Politik. Und genau deshalb hat Schulz im Wahlkampf kein Land gesehen. Immer dann wenn er anfing Merkel zu kritisieren, konnte sie auf die gute und einvernehmliche gemeinsame Politik verweisen. Wie die dringend notwendige Abgrenzung von der Union innerhalb der Regierung funktionieren soll, bleibt weiterhin unklar. Die Flucht in die nächste große Koalition, ohne jede Perspektive, ist für diese, noch in den 70’er Jahren progressive Partei, die einst mehr Demokratie wagen wollte, zumindest ein Armutszeugnis, wenn nicht bereits der Todesstoß.

Die wirkliche Ursache dieser Mutlosigkeit, ist aber möglicherweise das programmatisches Vakuum, über das der mediokre Koalitionsvertrag kaum hinwegtäuschen kann. Die Aufgabe der Sozialdemokratie wäre es, wie Georg Diez sehr treffend formuliert, eine emanzipatorische und gerechte Politik zu erfinden für den digitalen Kapitalismus des 21. Jahrhunderts.

Und auch wenn die Vergleiche mit Weimar kaum ziehführend sind, weil die gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, politischen und rechtlichen Rahmenbedingungen sich deutlich unterscheiden, bleibt der offenkundige Zusammenhang zwischen dem Niedergang der SPD und dem Erstarken der Rechten eine Parallele, auf die man achten sollte. Denn der Erfolg der AfD hängt auch damit zusammen, dass sozial Schwächere sich von der SPD abgewandt haben und – gegen ihre eigenen Interessen – nunmehr AfD wählen. Und das hat nicht zuletzt mit dem Verlust politischer Glaubwürdigkeit zu tun. Glaubwürdigkeit ist etwas, woran es der SPD gerade im größtmöglichen Ausmaß mangelt. Man fragt sich unweigerlich, was sich genau an der Faktenlage geändert hat, seit der SPD-Vorstand –  es war nicht nur Schulz – sich zweimal einstimmig gegen eine große Koalition ausgesprochen hat. Weil die Antwort schlicht nichts lautet, versucht sich die Parteiführung der SPD auch erst gar nicht an einer Erklärung des Unerklärbaren. Was die Partei seit Oktober aufführt, taugt als Lehrstück dafür, wie man Politikverdrossenheit fördert und den letzten Rest an politischer Glaubwürdigkeit verspielt.

An dieser Stelle muss man aber einmal mehr auch die Rolle der Medien kritisch beleuchten, die mehrheitlich so getan haben, als gäbe es nur die Wahl zwischen GroKo und Neuwahlen, was bei der SPD-Basis mit Sicherheit ein Aspekt war, der mitschwang. Die logische Konsequenz der Ablehnung einer großen Koalition durch die SPD wäre freilich, allein aufgrund der verfassungsrechtlichen Situation, eine Minderheitsregierung Merkels gewesen, während Neuwahlen eher fernliegend waren. Die Vorzüge einer solchen Minderheitsregierung gegenüber einer GroKo habe ich anderer Stelle schon ausführlich erläutert.

Die SPD ist derzeit, weder auf Ebene der Mitglieder, noch der der Parteispitze in der Lage, über den Tellerrand zu schauen und zu erkennen, dass es um weit mehr geht, als die Frage, ob man nochmals vier Jahre den Juniorpartner von Merkel gibt, sondern darum, wie unser demokratisches System in Zukunft noch funktionieren kann und wird.

posted by Stadler at 22:54  

23.10.17

Mit Rechten reden. Wirklich?

Das gerade erschienene Buch „Mit Rechten reden“ von Leo/Steinbeis/Zorn versucht, das „rechte Sprachspiel“ zu dechiffrieren, um uns dann (angeblich) zu erklären, wie man mit Rechten reden sollte. Um es vorweg zu nehmen, das Buch hat bei mir einen ambivalenten Eindruck hinterlassen. Als sehr wohltuend habe ich aber beispielsweise den Ansatz empfunden, von Rechten und Nicht-Rechten zu sprechen. Das nimmt der Debatte ihre verfehlte Links-Rechts-Dynamik.

Bei der Antwort auf die Frage, ob man mit Rechten reden soll/kann/muss, erscheint es mir zunächst essentiell, zwei Ausgangsfragen zu klären. Wer sind die Rechten, also mit wem genau würde man da reden? Aber noch wichtiger erscheint mir die Klärung der damit zusammenhängenden Frage, mit welcher Zielrichtung man solche Gespräche führen sollte. Geht es darum, die Rechten zu überzeugen, sie zu demaskieren oder gar ergebnisoffen mit ihnen zu diskutieren?

Den Autoren Leo/Steinbeis/Zorn ist die Relevanz der ersten Frage bewusst, dennoch streifen sie sie nur und belassen es dabei darauf zu verweisen, dass das rechte Spektrum eine bunte Mischung darstellen würde und es falsch wäre, die Mehrheit der Rechten als gefährliche Bürger, Verfassungsfeinde, Faschisten oder Nazis zu begreifen. Mit einer solchen Zuschreibung, so die Autoren, würde man den Rechten nur gestatten, ihr Spiel mit uns zu spielen. Das mag so sein, besagt aber noch nichts darüber, ob die Qualifizierung als Faschisten und Verfassungsfeinde in sachlicher Hinsicht nicht dennoch in vielen Fällen zutreffend ist und man den Rechten nicht ebenso auf den Leim geht, wenn man das negiert. Das Völkische und Rassistische gehört zum Markenkern der AfD und ist genau das, was sehr viele ihrer Wähler anzieht und für die Wahlentscheidung von wesentlicher Bedeutung war. Zu viele dieser Menschen lehnen die moderne, liberale Gesellschaft ab, sie wünschen sich einen anderen Staat, auch wenn sie vermutlich nicht genau wissen welchen. Selbst wenn es im rechten Spektrum hierzu vermutlich keine homogene und einheitliche Meinung gibt. Aber die Tendenz ist ganz klar ersichtlich. Weg von der freiheitlichen, bunten, aufgeklärten Gesellschaft, zurück zu einer autoritären, vermeintlich homogenen, nämlich nur aus Deutschen bestehenden Gesellschaft. Die Haltung, die sich dahinter verbirgt, ist faschistoid und es hat keinen Zweck das zu verharmlosen oder zu relativieren.

Und an dieser Stelle schließt sich für mich die zweite und letztlich entscheidende Frage an, mit welcher Zielrichtung mit Rechten zu reden sein sollte. Ich habe bislang keine befriedigende Antwort auf diese Frage gehört. Soll man etwa freiheitliche und humanistische Wertvorstellungen zur Disposition stellen, weil man einen Konsens sucht? Wenn die Antwort nein lautet – und sie kann nicht anders lauten – dann kann man nur mit einer Zielrichtung mit Rechten sprechen, nämlich um sie zu überzeugen. Das mag im persönlichen Umfeld in Einzelfällen erfolgversprechend sein, kann aber keine allgemeingültige Kommunikationsstrategie in dieser Frage darstellen.

Wichtiger als das Gespräch zu suchen, erscheint es mir, jedenfalls derzeit, die Auseinandersetzung zu suchen. Den Rechten eine klare und unmissverständliche Haltung entgegenzusetzen und ihnen deutlich zu machen, dass sie nicht das Volk sind, sondern eine Minderheit mit falschen Wertvorstellungen und Zielen. Wenn man allerdings anfängt, mit dieser Marschroute in eine Diskussion mit Rechten einzutreten, wird genau das passieren, was Leo/Steinbeis/Zorn in ihrem Buch ausführlich beschreiben. Der Rechte wird sich einmal mehr als Opfer fühlen und darstellen. Die Selbst-Viktimisierung ist das mythologische Zentrum der Rechten, schreiben die Autoren selbst sehr zutreffend. Aber welche Schlüsse ziehen sie daraus? Die Autoren schwanken irgendwie zwischen einerseits, man muss die Rechten verunsichern, ihnen zu erkennen geben, dass man sie für Arschlöcher hält und andererseits dem Versuch, ihre Argumente zu widerlegen. Und ich finde, an dieser Stelle hätte man sich irgendwann entscheiden müssen. Ja, liebe Herren Leo, Steinbeis und Zorn. Mir hat „Schrei nach Liebe“ von den Ärzten damals auch gefallen, und hätten Sie Ihre Kommunikationsstrategie alleine darauf gestützt, wäre es halbwegs stimmig geblieben. Aber so? Man kann die Rechten nicht mit sachlichen Argumenten schlagen. Hierzu habe ich auf Twitter zwei sehr kluge Sätze von Hannes Voigt gelesen:

Es hat wenig Sinn, die völkische Rechte nach Maßstäben von Logik und Konsistenz zu messen. Ressentiment ist nicht logisch.

Damit ist das gesamte Dilemma einer Debatte benannt, die versucht, den Rechten argumentativ, mit Logik, mit Intellekt beizukommen. Es kann nicht funktionieren.

Und obwohl Leo/Steinbeis/Zorn das „rechte Sprachspiel“ gut analysiert haben, erliegen sie ebenfalls der Versuchung, argumentativ dagegenzuhalten und die Rechten intellektuell entlarven zu wollen. Das liest sich stellenweise schön, wird aber in keiner Face-To-Face-Situation gelingen. Es gibt daher nur zwei erfolgversprechende Strategien. Die des gezielten Ignorieren und/oder die des offensiven Dagegenhaltens.

Leo/Steinbeis/Zorn sehen den zentralen Grund für die Stärke der neuen Rechten übrigens im Desaster der Linken, ohne ein einziges valides Argument für diese These zu liefern. Mir scheinen die Autoren hier eher dem rechten Narrativ vom linken Mainstream aufgesessen zu sein, mit dem es freilich so ist wie mit dem Yeti. Es gibt ihn nicht. Leo/Steinbeis/Zorn tappen mit dieser These genau in die rechte Falle, die sie zuvor noch so ausführlich beschrieben haben. Es gibt für mich keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass das Aufkommen der Rechten eine Folge einer linken Schwäche wäre. Zur Begründung ihres Ansatzes bedienen sich die Autoren der literarischen Figur eines fiktiven Informanten, der uns im Sinne einer allwissenden Romanfigur auf die wahren Zusammenhänge hinweist. Möglicherweise haben sich die Rechten aber nur an einer fiktiven Linken abgearbeitet, an dem links-grün-versifften Gutmenschen oder dem Bahnhofsklatscher, der Merkels Flüchtlingspolitik unterstützt. Aber sind die von Rechten so verunglimpften Menschen tatsächlich (mehrheitlich) Linke? Oder vielleicht einfach nur, um in der Diktion von Leo/Steinbeis/Zorn zu bleiben, Nicht-Rechte, mit einer vernünftigen, freiheitlichen, gemäßigten politischen Grundhaltung, die tatsächlich für die schweigende Mehrheit stehen, also vielleicht für diejenigen, die zumindest quantitativ das Volk ausmachen?

Wenn man von dem aktuellen Rechtsruck in der deutschen Gesellschaft spricht, muss einmal mehr auch darauf hingewiesen werden, dass die AfD gerade auch ein Medienphänomen ist und ihr Aufstieg zu einem nicht unerheblichen Teil das Resultat eines journalistischen, medialen Versagens ist. Und hier schließt sich der Kreis zu Leo/Steinbeis/Zorn, die (politische) Talkshows sehr treffend als Teil der Unterhaltungsindustrie qualifizieren. Es gibt medial zwei Phänomene zu beobachten. Selbst seriöse Medien springen über jedes Stöckchen, das ihnen die AfD hinhält, weil man das rechte Sprachspiel, das die Autoren gut analysiert haben, nicht erkannt hat oder nicht erkennen will. Andererseits geht es, so platt das auch klingen mag, um die Quote. AfD-Politiker immer wieder in Talkshows einzuladen und ihnen immer wieder den Gefallen zu tun, sie dramaturgisch im Stile von Gladiatoren gegen demokratische Politiker und Akteuere der Zivilgesellschaft antreten zu lassen, mit dem einzigen Ziel der Zuspitzung, die zumeist ohne jeglichen Erkenntnisgewinn bleibt, spielt der AfD in die Karten. Das hierdurch erzeugte Erregungspotential ist wunderbar geeignet, Ressentiments zu verstärken. Es geht immer irgendwie emotional zu und nicht sachlich.

Zurück zum Buch von Leo/Steinbeis/Zorn. Es liefert einen lesenswerten Debattenbeitrag, auch wenn ich den Autoren in zentralen Punkten nicht zustimmen kann.

posted by Stadler at 23:21  

13.10.15

Noch ein paar allgemeine Gedanken zu TTIP

Warum man das transatlantische Freihandelsabkommen TTIP allein wegen des Verfahrens in dem es verhandelt wird, ablehnen muss, habe ich hier bereits ausführlich erläutert. Eine internationale Vereinbarung von einer derartigen Tragweite sollte mindestens so transparent verhandelt und abgeschlossen werden, wie das bei einem Gesetzgebungsverfahren der Fall ist. Vor allen Dingen müssen alle betroffenen gesellschaftlichen Gruppen frühzeitig beteiligt werden. Stattdessen verhandeln bei TTIP Regierungsvertreter und Wirtschaftslobbyisten unter Ausschluss der Zivilgesellschaft hinter verschlossenen Türen. TTIP geht uns alle an, denn es wird sich auf viele, wenn nicht auf alle Bürger auswirken. Informationen zum aktuellen Verhandlungsstand erhält man als Bürger allerdings nur verzögert und auch nur unvollständig. Martin Lindner hat es bei Twitter kurz und knackig auf den Punkt gebracht:

gesetzt den fall, ttip wäre richtig: dann muss man immer noch dagegen sein. so kann man entscheidungen dieser tragweite nicht treffen.

Aber auch inhaltlich stimmt bei TTIP die Marschroute nicht. Bevor man sich mit den Details befasst, gilt es den Grundansatz des Abkommens zu beleuchten. Und der besteht darin, große, weltweit agierende Konzerne zu stärken und zwar zulasten der beteiligten Staaten und damit letztlich zulasten der Bürger. Die Handlungsfähigkeit der Politik und der (nationalen) Gesetzgebung soll beschränkt, die Position großer Konzerne gestärkt werden. Auch wenn TTIP sicherlich eine Reihe von Einzelmaßnahmen enthält, die man für vernünftig und richtig halten kann, bleibt der Grundansatz verfehlt.

TTIP hat aber noch eine ganz andere Dimension. Es verfestigt den Ansatz der westlichen Welt als Closed Shop. Damit wird die Kluft gegenüber Schwellen- und Entwicklungsländern verstärkt, die nicht nur bei diesem Abkommen außen vor bleiben. Das ist gerade angesichts der aktuellen „Flüchtlingskrise“ ein Ansatz den man überdenken sollte. Wer Fluchtursachen bekämpfen und die Situation in den Heimatländern der Flüchtlinge verbessern will, kann nicht gleichzeitig Abkommen wie TTIP befürworten. Vielmehr müssen wir den Blick auf eine gerechtere Weltordnung richten und genau dafür steht TTIP nicht.

posted by Stadler at 10:51  

28.7.15

Abgeordnete erhalten auch weiterhin keinen Zugang zu den TTIP-Dokumenten

Das Verfahren in dem das transatlantischen Freihandelsabkommen TTIP (Transatlantic Trade and Investment Partnership) verhandelt wird, genügt rechtsstaatlichen Anforderungen nicht und müsste von demokratisch gewählten Parlamenten – ungeachtet seines Inhalts – allein aus diesem Grund abgelehnt werden. Das habe ich vor einigen Monaten bereits ausführlich erläutert.

Ganz offenbar bleibt es weiterhin, nachdem die Intransparenz der Verhandlungen immer wieder kritisiert worden ist, dabei, dass die Parlamente der beteiligten Staaten, keinen Einblick in die Verhandlungsunterlagen erhalten. Hierfür schieben sich aktuell die US-Botschaft in Berlin und die Bundesregierung gegenseitig die Verantwortung zu, wie die SZ berichtet. Die US-Botschaft teilte mit, sie hätte einen Leseraum in der Botschaft eingerichtet, in der die aktuellen Dokumente eingesehen werden könnten. Wer von deutscher Seite aus Zugang zu diesen Dokumenten erhält, würde das Bundeswirtschaftsministerium entscheiden und auf deren Liste stünden keine Abgeordneten. Demgegenüber teilte Staatssekretärin Brigitte Zypries mit, dass sich die Vereinbarung über die Einrichtung von Leseräumen „lediglich auf Regierungsvertreter“ bezogen habe und deshalb keine Parlamentarier auf der Liste stehen.

Es bleibt also dabei, dass noch nicht einmal die gewählten Abgeordneten rechtzeitig und im Vorfeld umfassenden Einblick in die Verhandlungsdokumente erhalten, obwohl sie am Ende einem Abkommen zustimmen sollen, das rechtsverbindlich ist und national deshalb auch wie ein Gesetz wirkt. Es handelt also um eine Art Gesetzgebungsverfahren über das der eigentliche Gesetzgeber noch nicht einmal umfassend unterrichtet wird. Was das in demokratisch-rechtsstaatlicher Hinsicht bedeutet, kann sich jeder selbt überlegen. Wenn also gelegentlich von Postdemokratie die Rede ist, dann müssen die TTIP-Verhandlungen als Paradebeispiel dafür gelten.

Die Aussage der US-Botschaft im Zusammenhang mit der Frage des Zugangs zu den TTIP-Dokumenten ist noch aus einem anderen Grund bemerkenswert. Auf den Schriftwechsel zwischen Bundestagspräsident Lammert und US-Botschafter Emerson will man nicht eingehen, denn der sei „privat“.  Allein diese Aussage ist bezeichnend. Es gibt nichts, das weniger privat ist, als ein Schriftwechsel zwischen einem Vertreter der US-Regierung und dem deutschen Parlamentspräsidenten zu einer politischen Frage. In einer Zeit, in der die Privatheit des Bürgers immer weniger gilt, bezeichnen Regierungen ihre offiziellen Gespräche plötzlich als privat. Das erinnert wahlweise an Macbeth „Fair is foul, and foul is fair“ oder an 1984 „Krieg ist Frieden, Freiheit ist Sklaverei, Unwissenheit ist Stärke“. Neusprech eben.

posted by Stadler at 09:22  

14.10.14

Wir brauchen mehr Whistleblower

Über die seit einigen Monaten kolportierte These von einem zweiten Whistleblower bei der NSA wird gerade wieder verstärkt berichtet, unter anderem wohl auch wegen des Dokumentarfilms „Citizenfour“ von Laura Poitras.

In der Tat wäre es eine gute Nachricht, wenn es nicht nur einen Snowden geben würde, sondern viele. Und das nicht nur bei den US-Diensten, sondern zum Beispiel auch in Großbritannien oder Deutschland, also überall dort, wo es ernsthafte Anhaltspunkte dafür gibt, dass die Dienste Recht und Verfassung brechen. In Deutschland ist der Rechtsbruch des BND mittlerweile praktisch offenkundig, allerdings wissen wir noch lange nicht genug über sein tatsächliches Ausmaß.

Während der massive Rechtsbruch durch Geheimdienste bislang nur wenig Konsequenzen hat, werden Whistleblower wie Edward Snowden vielfach weiterhin als Verräter betrachtet und geächtet. In den USA lassen sich zahlreiche Unterstützer der These, Snowden habe die nationale Sicherheit der USA gefährdet, finden.

Aber welche andere Möglichkeit als das Whistleblowertum gibt es, den Rechtsbruch der Dienste ans Licht der Öffentlichkeit zu bringen? Die gerichtliche und parlamentarische Kontrolle von Geheimdiensten funktioniert nirgendwo auf der Welt. Der Druck einer kritischen Öffentlichkeit scheint das einzige halbwegs erfolgsversprechende Korrektiv zu sein, das überhaupt noch Hoffnung auf Veränderungen bietet, die erforderlich sind um die Grundrechte der Bürger weltweit zu schützen. Aber diese kritische Öffentlichkeit muss informiert werden und die notwendigen Informationen kommen derzeit leider fast ausschließlich von Whistleblowern.

Die Entwicklung der letzten Zeit hat deutlich gemacht, dass gegen das rechtswidrige Treiben von Geheimdiensten ausschließlich Transparenz hilft und staatliche Vorgaben zur Geheimhaltung in Wahrheit häufig nur der Vertuschung von Rechtsbrüchen dienen.

Geheimdienste in ihrer aktuellen Ausprägung gefährden die Demokratie und das Recht kann nicht auf Seiten derer stehen, die unsere Grundrechte verletzen. Heribert Prantl hat es, in einem seiner besten Texte (Süddeutsche Nr. 130, Pfingsten, 7./8./9.Juni 2014, S. 11), dahingehend formuliert, dass die globale Überwachungstechnik ebenso wie einst die Folter das Unvermögen und den Unwillen widerspiegle, auf rechtsstaatliche Weise zur Wahrheitsfindung zu gelangen. Überwachung sei daher, so Prantl, eine subtile Vorform der Folter, die geächtet werden muss. Besser kann man es nicht formulieren.

Selbst wenn sich Whistleblower nach nationalen Vorschriften des Geheimnisverrats schuldig machen, kann man einen Snowden, der auf erhebliche Missstände bei den US-Diensten hingewiesen hat, nicht als Verräter betrachten, zumal wenn das gesamte rechtsstaatliche Kontrollsystem versagt und das Öffentlichmachen von rechtswidrigen Praktiken der einzige Weg ist, gegen die erkannten Missstände vorzugehen. Whistleblower wie Snowden machen sich nämlich um den Schutz der Grundrechte und des demokratischen Rechtsstaats verdient. Das wirkliche Unrecht besteht in ihrer Ächtung und Verfolgung. Es ist die Verfolgung von Whistleblowern, die rechtsstaatliche Defizite offenbart. Als Bürger müssen wir deshalb auf viele Snowdens hoffen, überall auf der Welt.

posted by Stadler at 09:01  

4.10.14

Im rechtsfreien Raum

Die Süddeutsche Zeitung berichtet in ihrer Wochenendausgabe ausführlich über eine enge Zusammenarbeit zwischen BND und NSA auf deutschem Boden, die u.a. zum Gegenstand hatte, TK-Rohdaten an den US-Dienst zu übermitteln, die der BND zuvor massenhaft am Internetknotenpunkt in Frankfurt ausgeleitet hatte. Der BND hat, bevor die Weiterleitung an die NSA erfolgte, mit einem allerdings unzureichenden Technik versucht, die Kommunikation deutscher Staatsbürger auszufiltern. Die Zusammenarbeit von BND und NSA hat laut Informationen der SZ in dieser Form von 2004 bis 2008 gedauert. Die Süddeutsche beruft sich auf streng geheime Unterlagen zu dem Projekt „Eikonal“, die die Bundesregierung dem NSA-Untersuchungsausschuss vorgelegt hat und die offenbar auch dem Rechercheteam aus SZ, NDR und WDR vorliegen. Die Zusammenarbeit und auch die Weiterleitung von Rohdaten an die NSA ist nach Angaben der SZ vom damaligen Kanzleramtsminister Steinmeier genehmigt worden. Die Operation sei dann 2008 eingestellt worden, als man beim BND bemerkt habe, dass die USA auch versucht haben, Konzerne wie EADS und französische Behörden auf diesem Weg auszuspionieren.

In der Berichterstattung der SZ und nicht nur dort wird es als besonders bedenklich bezeichnet, dass auch Daten von Bundesbürgern an die NSA weitergeleitet worden sind.

Aber schon diese juristische Bewertung ist zweifelhaft.

Der BND darf nach dem § 5 G10-Gesetz nur internationale Telekommunikation überwachen. Das bedeutet, dass sich mindestens ein Kommunikationsteilnehmer im Ausland aufhalten muss. Reine Inlandskommunikation darf der BND nach dem Gesetz erst gar nicht erfassen. Es kommt also überhaupt nicht darauf an, ob ein Kommunikationsteilnehmer deutscher Staatsbürger ist.

Darüber hinaus gilt es zu berücksichtigen, dass Art. 10 GG kein Deutschengrundrecht darstellt, sondern grundsätzlich auch ausländische Telekommunikationsteilnehmer schützt.

Vor diesem rechtlichen Hintergrund ist bereits die Überwachung eines inländischen Internetknotenpunkts durch den BND von vornherein unzulässig, weil davon ausgegangen werden muss, dass an solchen Knotenpunkten überwiegend oder in jedenfalls beträchtlichem Umfang keine internationale, sondern rein inländische Kommunikation durchgeleitet wird. Wenn bereits die Überwachung inländischer Knotenpunkte durch den BND rechtswidrig ist, hätten folglich auch die Genehmigung dieser Maßnahme durch das Bundeskanzleramt und die Billigung durch das parlamentarische Kontrollgremium nie ergehen dürfen. Dass der BND inländische Internetknotenpunkte überwacht, ist allerdings keine neue Erkenntnis und konnte bereits aus dem Antwortverhalten der Bundesregierung auf parlamentarische Anfragen geschlossen werden.

Unabhängig davon stellt sich in rechtlicher Hinsicht zusätzlich die Frage, ob und in welchem Umfang Daten, die der BND aus der sog. strategischen Fernmeldekontrolle erlangt hat, an ausländische Dienste wie die NSA übermittelt werden dürfen.

Die Übermittlung von TK-Daten durch den BND an ausländische Stellen, ist im G10-Gesetz ausdrücklich geregelt. Dort heißt es in § 7a:

Der Bundesnachrichtendienst darf durch Beschränkungen nach § 5 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2, 3 und 7 erhobene personenbezogene Daten an die mit nachrichtendienstlichen Aufgaben betrauten ausländischen öffentlichen Stellen übermitteln, soweit

1. die Übermittlung zur Wahrung außen- oder sicherheitspolitischer Belange der Bundesrepublik Deutschland oder erheblicher Sicherheitsinteressen des ausländischen Staates erforderlich ist,
2. überwiegende schutzwürdige Interessen des Betroffenen nicht entgegenstehen, insbesondere in dem ausländischen Staat ein angemessenes Datenschutzniveau gewährleistet ist sowie davon auszugehen ist, dass die Verwendung der Daten durch den Empfänger in Einklang mit grundlegenden rechtsstaatlichen Prinzipien erfolgt, und
3. das Prinzip der Gegenseitigkeit gewahrt ist.
Die Übermittlung bedarf der Zustimmung des Bundeskanzleramtes.

Eine Datenübermittlung ist also gesetzlich nur in engen Grenzen vorgesehen. Die Einhaltung der gesetzlichen Voraussetzungen ist nur dann möglich, wenn zuvor eine Einzelfallprüfung durchgeführt worden ist. Eine Übermittlung von Rohdaten in großem Stil ist daher gesetzlich ausgeschlossen und mithin rechtswidrig. In der Anhörung im NSA-Untersuchungsausschuss hat der Verfassungsrechtler Matthias Bäcker sogar die Auffassung vertreten, dass der BND überhaupt keine Rohdaten an ausländische Dienste übermitteln darf. Die im Bericht der SZ geschilderte Übermittlung von Rohdaten an die NSA ist also schon vom G10-Gesetz nicht gedeckt.

Das bedeutet nichts anderes, als dass sowohl die Erhebung von TK-Rohdaten an inländischen Knotenpunkten durch den BND, als auch erst recht die Übermittlung an die NSA bereits nach dem einfachen Recht klar rechtswidrig ist. Dass das G10-Gesetz von führenden Verfassungsrechtlern als teilweise verfassungswidrig angesehen wird, kommt da nur noch erschwerend hinzu.

Die Berichterstattung der SZ belegt also, dass beim BND ein organisierter und systematischer Rechtsbruch stattfindet und dies mit Genehmigung der Bundesregierung und teilweiser Billigung des Parlaments. Der BND bewegt sich faktisch im rechtsfreien Raum und schreckt auch vor einem offensichtlichen Rechts- und Verfassungsbruch nicht zurück. Dieser Umstand muss dann allerdings in die Schlussfolgerung münden, dass wir es hier mit einer veritablen Verfassungskrise zu tun haben und das Grundrecht aus Art. 10 GG das Papier nicht mehr wert ist, auf dem das Grundgesetz einmal gedruckt worden ist. Heribert Prantl kommentiert das völlig zutreffend als den „Totalverlust eines Grundrechts“.

Man darf vielleicht bereits die Frage stellen, ob dieser eklatante und offensichtliche Rechtsbruch angesichts des Umstands, dass eine massenhafte Übermittlung von Rohdaten an US-Dienste stattgefunden hat, gegen Mitarbeiter des BND und Mitglieder der damaligen Bundesregierung nicht bereits den Anfangsverdacht einer geheimdienstlichen Agententätigkeit zum Nachteil der Bundesrepublik und zugunsten der USA begründet. Es steht dennoch kaum zu erwarten, dass der Generalbundesanwalt hierzu Ermittlungen aufnehmen wird. Man wird vermutlich höchstens nach der undichten Stelle suchen, die die Dokumente an die SZ weitergegeben hat. Bei dem Eid, den ein Frank-Walter Steinmeier als Minister in unterschiedlichen Bundesregierungen auf die deutsche Verfassung geschworen hat, scheint es sich jedenfalls um einen Meineid zu handeln.

Update:
§ 7 a G10-Gesetz ist erst im Jahre 2009 in Kraft getreten – was ich beim Verfassen des Blogbeitrags übersehen hatte – konnte also für den Zeitraum 2004 – 2008 noch gar keine Anwendung finden. Es gab folglich im maßgeblichen Zeitraum noch nicht einmal eine formelle rechtliche Grundlage für die Übermittlung von Rohdaten an die NSA.

posted by Stadler at 22:25  
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