Internet-Law

Onlinerecht und Bürgerrechte 2.0

10.10.14

BND-Präsident Schindler: Völlig losgelöst von der Erde

Als ich den Hinweis auf diesen ZEIT-Online-Artikel auf Twitter gesehen habe, kam mir zuerst das hervorragende Satiremagazin Postillon in den Sinn. Die Aussage von BND-Präsident Schindler, wonach die Satellitendaten die der BND in Bad Aibling erhebt, ja eigentlich im Weltall erhoben werden, in dem keine deutschen Gesetze gelten, ist aber ganz offensichtlich keine Erfindung des Postillon, obwohl sie exakt danach klingt.

Das was BND-Präsident Schindler sagt, entspricht offenbar auch der Rechtsauffassung der Bundesregierung. Diese geht nämlich davon aus, dass es für die Auslandsaufklärung des BND überhaupt keiner speziellen gesetzlichen Ermächtigung bedarf. Das hat der Verfassungsrechtler Matthias Bäcker in seiner Stellungnahme für den NSA-Untersuchungsausschuss (S. 16 ff.) bereits deutlich kritisiert.

Das BVerfG hat bereits 1999 entschieden, dass das Fernmeldegeheimnis des Art. 10 GG jedenfalls dann gilt, wenn ausländischer Fernmeldeverkehr mit Überwachungsanlagen aufgezeichnet wird, die sich auf deutschem Boden befinden. In der letzten Entscheidung des BVerfG zum G 10 heißt es ganz ausdrücklich:

Dabei wird bereits durch die Erfassung und Aufzeichnung des Telekommunikationsverkehrs mit Hilfe der auf deutschem Boden stationierten Empfangsanlagen des Bundesnachrichtendienstes eine technisch-informationelle Beziehung zu den jeweiligen Kommunikationsteilnehmern und ein – den Eigenarten von Daten und Informationen entsprechender – Gebietskontakt hergestellt. Auch die Auswertung der so erfaßten Telekommunikationsvorgänge durch den Bundesnachrichtendienst findet auf deutschem Boden statt. Unter diesen Umständen ist aber auch eine Kommunikation im Ausland mit staatlichem Handeln im Inland derart verknüpft, daß die Bindung durch Art. 10 GG selbst dann eingreift, wenn man dafür einen hinreichenden territorialen Bezug voraussetzen wollte.

(…)

Die Überwachung und Aufzeichnung internationaler nicht leitungsgebundener Telekommunikationen durch den Bundesnachrichtendienst greift in das Fernmeldegeheimnis ein.

Es ist also bereits eindeutig entschieden, dass Art. 10 GG zumindest dann gilt, wenn die Erfassung, Aufzeichnung und Auswertung der TK-Vorgänge auf deutschem Boden stattfinden. Das was der BND in Bad Aibling macht, unterliegt also einer vollständigen Grundrechtsbindung. Einfachgesetzlich bedeutet das, dass ausreichend klare Eingriffsermächtigungen vorliegen müssen, die den verfassungsrechtlichen Anforderungen an Bestimmtheit und Normklarheit genügen. Wenn der sachliche Schutzbereich von Art. 10 GG eröffnet ist, kommt es für den Grundrechtsschutz weder auf die Staatsangehörigkeit noch auf auf den Aufenthaltsort des Kommunikationsteilnehmers an.

Der Verfassungsrechtler Matthias Bäcker zieht in seiner Stellungnahme für den NSA-Untersuchungsausschuss daraus folgende, zwingende Schlussfolgerung:

Die gegenwärtige Praxis der Auslandsaufklärung ist darum rechtswidrig und muss in dieser Form gestoppt werden. Um einen verfassungskonformen Rechtszustand herzustellen, könnte die strategische Auslandsaufklärung auf § 5 G 10 gestützt werden, der nach seinem Wortlaut als Rechtsgrundlage passt. Der BND müsste dann allerdings auch das gesetzlich vorgesehene Verfahren einhalten, um eine solche Aufklärung durchzuführen. Insbesondere wäre er der Kontrolle der G 10-Kommission unterworfen.

Der BND agiert also manchmal im Weltraum und dabei stets und in jedem Fall wie in dem alten NDW-Hit völlig losgelöst von der Erde. Und nicht nur das, er agiert damit leider auch völlig losgelöst von den Grundrechten in einem – nach eigenem Verständnis – gänzlich grundrechtsfreien Raum.

Man möchte deshalb gerade auch den Unionspolitikern, die uns matraartig immer wieder erklärt haben, dass das Internet kein rechtsfreier Raum sei, zurufen: Sorgt bitte dafür, dass der BND das Internet nicht weiter zum grundrechtsfreien Raum machen kann. Stoppt den Verfassungsbruch!

posted by Stadler at 15:31  

19 Comments

  1. In diesem Zusammenhang wird auch die Floskel „Auf deutschem Boden gilt deutsches Recht“ viel verständlicher. Boden ist dabei wörtlich, also physisch, gemeint.
    Schon ein kleiner Hüpfer kann einen u. U. in die rechtslosen Sphären des Alls befördern.

    Comment by luftikus — 10.10, 2014 @ 15:42

  2. Es wird mal Zeit ein Mantra der Union aufzuwärmen: Der BND darf kein Rechtsfreier Raum sein!!!

    Comment by Andre — 10.10, 2014 @ 19:37

  3. Die BRD liegt irgendwo im Weltall, wo nur geringe rechtliche Bindungen existieren, also gilt in der BRD das Recht des Weltraums ( s.o. ). Oder: da Geld nur in Form von Daten existiert und diese flüchtig sind, können diese, nun ja, umprogrammiert werden oder gelöscht. Das nennt man Rettungsschirm.

    Der Haken: wozu nur wurden alle diese völkerrechtlichen Verträge unterschrieben, wie etwa die UN-Menschenrechtskonvention, wozu gibt es den Europarat, und so weiter, und so fort, was stand in der KSZE-Schlussakte ?

    Dann gibt es mittlerweile den ICC…werden international Kommunikationsdaten erhoben, dann ist dies auch ein Eingriff in die Rechtspositionen der
    ausländischen Teilnehmer, etwa aus diversen Menschenrechtskonventionen multilateraler Art, die bindende Wirkung haben.

    Das Ganze erinnert dann ein wenig an die CDU-Ost
    ( DDR ): es steht CDU drauf, es ist SED drin.

    Comment by Arne Rathjen, RA — 10.10, 2014 @ 19:42

  4. Tja, einige sind in ihren Argumenten recht….abgehoben

    Comment by Christian — 11.10, 2014 @ 10:38

  5. Guten Morgen Herr Stadler,
    gut erklärt und auf den Punkt gebracht. Ich befürchte allerdings, dass dieses Problem einer ordnungsgemäßen Rechtsauffassung unserer Bundesregierung noch tiefer reicht und nur gelöst werden kann, wenn fortgesetzte Rechtsbrüche politisch nicht mehr vom Staat gewünscht sind.

    Seit den ersten Enthüllungen von Edward Snowden wurde für mich deutlich, dass westliche und angeblich demokratische Staaten erkannt haben, der Bürger ist das Problem, also der der Staat erst möglich macht und das alles auch mit seinen Abgaben und Steuern bezahlt.

    Der Feind des Staates ist heute meiner Meinung nach eindeutig der Bürger. Eine andere Erklärung fällt mir nicht mehr ein. Die NSA arbeitet wie gewohnt weiter. Der britische GCHQ offenbar auch völlig ungestört, nebst der drei weiteren Diensten dieser berühmt und berüchtigten „Big Five“.

    Unser deutscher NSA Untersuchungsausschuss wird offensichtlich vorsätzlich behindert und erhält lediglich geschwärzte Unterlagen, die vollkommen wertlos sind. Zeugenbefragungen geraten zur Farce. So geht das permanent – ohne dass sich etwas verändert – einfach weiter.

    Wir Bürger sind das Ziel von staatlicher Aufklärung geworden. Ich gehe davon aus, dass auch ihr Blog und meine Webseite oder Kommentare bereits Ziel von Aufklärung sind oder es bald sein werden.

    Es scheint so zu sein, dass unser Land, die USA und viele weitere europäische Staaten sich zu totalitären Staaten entwickeln. Gewollt und wohl mit klarem Vorsatz!
    Im demokratischen Rechtsstaat wird es der Bevölkerung lediglich geschickter verkauft, als es in China oder Russland geschieht.

    Lieber Herr Stadler, wir scheinen mittlerweile völlig losgelöst von Rechtsstaatlichkeit. Ein schönes Weekend für Sie und den weiteren Kommentierenden wünsche ich jetzt noch.

    Comment by Tom — 11.10, 2014 @ 11:23

  6. @Tom

    „Wir Bürger sind das Ziel von staatlicher Aufklärung geworden. Ich gehe davon aus, dass auch ihr Blog und meine Webseite oder Kommentare bereits Ziel von Aufklärung sind oder es bald sein werden.“

    Du kannst sicher sein, daß jedes Blog-Angebot wie dieses vom BND, der CIA und NSA täglich gelesen wird. Man meint, die Vermutung sei lächerlich, weil man die Überwachung nicht spürt, sie ist dennoch da. Nachrichtendienste stellen sogar unendlich viele Mitarbeiter ein, die in Blogs, Foren und Kommentarseiten falsche, manipulative Beiträge schreiben. Das machen die Amis, die Russen und alle anderen mehr oder weniger. Bezüglich Wiki ist das schon seit Jahren bekannt.

    Man glaubt selber immer, es findet nicht hier und jetzt statt, weil man ja vermeintlich so lokal schreibt, vom Sofa aus, für eine Runde der Themeninteressierten.

    Falsch. Die Geheimdienste lesen und posten fleißig mit. Auch hier. Wir haben nach Sichtung der Stasiakten gesehen, wie belanglos und trivial die Tätigkeiten von Geheimdiensten sein können. Nichts mit 007, sondern tägliche Falschmeldungen in Blogs und Foren posten ist unter anderem deren Aufgabe.

    Comment by Eckhard — 11.10, 2014 @ 13:57

  7. Ich finde auch, dass der BND solche Entscheidungen des BVerfG kennen und beachten sollte. Dass der auslandsinterne Telefonverkehr in den Schutzbereich des Fernmeldegeheimnisses des Grundgesetzes fällt, wie das BVerfG ohne nähere Begründung zu meinen beliebt, ist aber schlicht hanebüchener Unsinn, BVerfG hin oder her.

    Comment by Gast — 11.10, 2014 @ 15:38

  8. Es wird gemacht, was möglich ist.

    Bei mir nicht. Selbstbestimmung und das Einschalten des Rest-IQ sollten reichen, um sich zu schützen.

    Ich lache immer, wenn ich die jüngsten Skandale höre, sie betreffen nur die Dummen. Und die haben es verdient.

    Comment by Eckhard — 11.10, 2014 @ 17:21

  9. Immer gut, wenn man einen auf Lager hat.

    Comment by ANON — 11.10, 2014 @ 18:03

  10. Wir mögen es, wenn Menschen ohne Angst posten möchten.

    anonymouse.org.

    Bei uns ist jeder auf der sicheren Seite.

    Comment by ANON — 11.10, 2014 @ 18:34

  11. Die beste Erfindung, seit es Schokolade gibt.

    Comment by Eckhard — 11.10, 2014 @ 18:43

  12. „…viele Mitarbeiter ein, die in Blogs, Foren und Kommentarseiten falsche, manipulative Beiträge…“

    Da im Zeitalter der perfekten Demokratie alles gescannt, abgehört und großenteils auch archiviert wird, was 2013 heraus kam, ist es logisch, dass auch Blogs und die freieste Presse aller Zeiten gescannt…usf. werden.

    Offen war bisher der Umfang direkter operativer Einwirkung, er lässt sich aber angesichts der Fülle des Datenmaterials gut nachrecherchieren. Möglicherweise gibt es mittlerweile mehr Desinformationsakteure in
    militärischer Funktion als Redakteure in Zivil.

    Gut dargestellt ist dieser Aspekt etwa bei Max Otte in Der Informationscrash. Laut Otte werden wir mit surrealer wirtschaftlicher Desinformation so gründlich zugeschüttet, dass man sich kaum noch orientieren kann ( und pleite geht aufgrund falscher Dispositionen ).

    Die Berichterstattung über den Bereich Menschenrechte hat einen geradezu märchenhaften Charakter.

    BLOGS (!!!) sind in diesem Kontext eine Gefahr für den Meinungsmonopolismus.

    Weshalb sie bearbeitet werden.

    Comment by Arne Rathjen, RA — 11.10, 2014 @ 20:18

  13. Sehr geehrter Herr Stadler,

    die Sache ließe sich ganz einfach aus der Welt schaffen: der BND zieht von Pullach nicht nach Berlin, sondern in den Weltraum.

    Comment by Zbig — 11.10, 2014 @ 23:09

  14. Na, dann wird ja eine zukünftige politische Strategie der Totalüberwachungsstrategen erkennbar. Sie werden eine Verfassungsänderung von Art. 10 GG (Post- und Fernmeldegeheimnis) fordern. Aus dem Menschenrecht, welches auch Ausländer schützt, werden sie ein reines Deutschengrundrecht machen wollen, welches nach dem Wortlaut dann nur noch für Deutsche gilt. Schein-Argument: „Ja die bösen ausländischen Geheimdienste schützen unsere Bürger doch auch nicht, warum sollen wir dann Ausländer schützen?“.
    Wer sich die Debatte zum großen Lauschangriff aus den Neunzigern rückblickend ansieht, merkt, dass solche Projekte konsequent und andauernd über 10-15 Jahre verfolgt werden, bis sie umgesetzt werden können…

    Comment by RA Zieschang — 12.10, 2014 @ 12:27

  15. „…zukünftige politische Strategie …“

    M. E. wurde der Kurs um 1968 um 180° gedreht
    ( Demokratiegefahr ) und seither läuft ein Rückmarsch gen
    1600.

    Art. 10 GG wirkt daher wie ein Hamsterschutzgesetz, welches existiert, obwohl Hamster längst nicht mehr existent sind.

    Comment by Arne Rathjen, RA — 12.10, 2014 @ 19:33

  16. Wenn wir so einen BND Präsidenten dann zum Mond schießen, dann ist das doch auch nicht strafbar oder?!

    Comment by maSu — 13.10, 2014 @ 15:25

  17. „…zum Mond schießen…“

    Kommt darauf an, wer ihn zum Mond schießt. Viel ausrichten wird man in der komplett verwanzten Zentrale in Berlin auch nicht können. Und die Chefin steht auf einer Liste wenig erwünschter Personen, welche die NSA laufend abhört, zusammen mit dem Präsidenten eines Staates, dessen Flugzeuge immer wieder abhanden kommen.

    Comment by Arne Rathjen, RA — 13.10, 2014 @ 19:32

  18. Von Cable-Gate mal ganz abgesehen, können Wanzenfinder für ein paar Tausend Euro im Netz bestellt werden. Sie finden alles, Kameras, Wanzen, Funker und Verkabelungen.

    Wer meint, diese Geräte zu brauchen, findet einen gut bestückten Markt. Kostenpunkt ab 2800 Euro aufwärts. Für gute Geräte sollte man ca. 5000 Euro auf den Tisch legen.

    Comment by Eckhard — 17.10, 2014 @ 14:04

  19. Wie ist das eigentlich dann mit den Drohnen, die von Deutschland aus gesteuert werden? Zieht man sich da auch z.B. als Bundesregierung damit aus der Affäre, dass „Boden“ = Territorium, wo Deutschland zuständig sein müsste, physisch gemeint ist????

    BTW: geschieht Luftraumüberwachung in Deutschland im rechtsfreien Raum, weil deutscher Boden nur der Boden ist und kein Millimeter drüber (ganz zu schweigen von tausenden Metern und so…:-)

    Comment by Alexandra Bader — 12.11, 2014 @ 20:02

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