Das Urheberrecht und seine Auslegung treibt seltsame Blüten
Ein neues Urteil des Landgerichts Stuttgart zu § 52a UrhG hat Prof. Rainer Kuhlen dazu veranlasst, zu zivilem Ungehorsam aufzurufen.
Was war geschehen? Das Landgericht Stuttgart (Urteil vom 27.09.2011, Az.: 17 O 671/10) hat die Fernuniversität Hagen zur Unterlassung verurteilt, u.a. weil man Studierenden im Rahmen einer geschlossenen Benutzergruppe Auszüge aus einem Lehrbuch als PDF-Datei zur Verfügung gestellt hat.
Dies kann zwar urheberrechtlich grundsätzlich nach § 52a Abs. 1 Nr. 1 UrhG zulässig sein – was auch das LG Stuttgart konzidiert – aber nach Ansicht des Gerichts nicht in Form einer PDF-Datei, die die Studenten zudem auf ihrem Rechner speichern können. Denn der Gesetzgeber, so das Landgericht, wollte mit § 52a UrhG nur eine Nutzung ermöglichen, die der analogen Nutzung vergleichbar ist. Die Speicherung auf den Computern der Studenten stellt aber eine qualitativ höherwertige Form der Vervielfältigung als die analoge Nutzung dar, weil das abgespeicherte Werk sogleich in die Textverabeitung übernommen werden kann. Man hätte deshalb ein anderes Dateiformat wählen müssen.
Diese Urteilsbegründung ist m.E. falsch und auch gänzlich praxisfern, weil sie weder vom Wortlaut noch von der ratio der Vorschrift gedeckt ist. Man stellt sich hier unweigerlich auch die Frage, welche Form der Nutzung denn der analogen Nutzung entsprechen würde. Die PDF-Datei ist eine derjenigen Umsetzungen, die einer analogen Kopie noch am ehesten entsprechen. Dass man Dateien grundsätzlich speichern kann, liegt in der Natur der Sache. Die Fernuni Hagen hat mittlerweile offenbar von PDF-Dateien auf Flash-Lösungen umgestellt.
Unabhängig davon, ob das Landgericht Stuttgart das geltende Recht zutreffend anwendet oder nicht, zeigt der Fall aber auch, dass es der Gesetzgeber bislang verabsäumt hat, im Interesse der Allgemeinheit ein bildungsfreundliches Urheberrecht zu schaffen.
Vielmehr wird das Urheberrecht laufend zu Gunsten der Rechteinhaber (Verlage, Plattenfirmen, Filmverleihgesellschaften) verschärft. Die Lobbyismusmaschinerie der Rechteinhaber hat die Politik in Berlin und Brüssel fest im Griff. Und dies geht zu Lasten des Gemeinwohls. Speziell eine Regelung wie § 52a UrhG – die in dieser Form erst 2003 in das Urheberrechtsgesetz eingefügt wurde – die eine gesetzliche Beschränkung der Rechte des Urhebers zugunsten von Unterricht und Forschung vorsieht, springt noch deutlich zu kurz.
An dieser Stelle ist leider nicht wirklich eine Besserung in Sicht, solange die Bürger nicht auf die Barrikaden gehen. Und deshalb ist die Aufregung Kuhlens sehr gut nachvollziehbar. Derartigen gesetzgeberischen Kleinmut kann sich eine Wissens- und Informationsgesellschaft auf Dauer nicht leisten.