Internet-Law

Onlinerecht und Bürgerrechte 2.0

16.12.21

Telegram: Welche Maßnahmen kann der Staat ergreifen?

Die Forderung nach einer Regulierung des Messengerdienstes Telegram ist derzeit in aller Munde. Der neue Justizminister Buschmann hält ein staatliches Vorgehen gegen Telegram auf Grundlage des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes (NetzDG) für möglich. Adressat des NetzDG sind nach der Regelung in § 1 Abs. 1 S. 1 aber nur sog. soziale Netzwerke. Das Gesetz definiert sie als

Telemediendiensteanbieter, die mit Gewinnerzielungsabsicht Plattformen im Internet betreiben, die dazu bestimmt sind, dass Nutzer beliebige Inhalte mit anderen Nutzern teilen oder der Öffentlichkeit zugänglich machen (soziale Netzwerke).

Demgegenüber nimmt das NetzDG in § 1 Abs. 1 S. 3

 Plattformen, die zur Individualkommunikation oder zur Verbreitung spezifischer Inhalte bestimmt sind

ausdrücklich vom Anwendungsbereich des Gesetzes aus.

Hier zeigt sich schon der erste Schwachpunkt der gesetzlichen Regelung, denn wie multifunktionale Dienste einzuordnen sind, bleibt unklar. Wenn man Telegram im Sinne einer Entweder-Oder-Logik nur als soziales Netzwerk oder als einen zur Individualkommunikation bestimmten Dienst betrachten kann, ist die Zuordnung eindeutig. Messengerdienste dienen vorrangig der Individualkommunikation und sind keine sozialen Netze.

In der Diskussion wird nun aber häufiger die Ansicht vertreten, man müsse Teildienste wie Gruppen oder Channels als (eigene) soziale Netzwerke qualifizieren. An dieser Stelle erscheint zunächst aber etwas mehr Differenzierung nötig. Channels, die keine Interaktion der Nutzer ermöglichen, sondern nur wie ein Nachrichtenkanal (Des-) Informationen lediglich ausspielen, sind keine sozialen Netze. Bei Gruppen kommt es darauf an, ob die Gruppe für jedermann offen ist und jeder Nutzer nach einem Betritt zur Gruppe auch sämtliche Inhalte aufrufen und mit anderen Nutzern interagieren kann. Geschlossene Nutzergruppen wird man demgegenüber kaum als soziale Netze einstufen können.

Wenn man also offene und für jedermann zugängliche Telegramgruppen als soziale Netzwerke betrachten möchte, ist die nächste Frage, wer der Anbieter solcher sozialer Medien ist. Denn die Entscheidung darüber, überhaupt eine Gruppe zu eröffnen und diese Gruppe für jeden beliebigen Nutzer zugänglich zu machen, trifft nicht Telegram, sondern der Admin/Owner der Gruppe. Deshalb wird man auch nur den Owner der Gruppe als Anbieter des sozialen Netzwerks Gruppe sehen können, während Telegram lediglich die technische Plattform bietet.

An diese Erkenntnis schließt sich dann allerdings ein weiterer Problempunkt an. Denn das NetzDG gilt nur für Telemediendiensteanbieter, die mit Gewinnerzielungsabsicht Plattformen im Internet betreiben. Und das wird auf den Owner einer Gruppe zumeist nicht zutreffen. Darüber hinaus, sind soziale Netzwerke mit weniger als zwei Millionen Nutzern im Inland nach § 1 Abs. 2 NetzDG von den wesentlichen gesetzlichen Pflichten befreit. Die Nutzeranzahl der Telegramgruppen ist aber auf 200.000 begrenzt, so dass die gesetzliche Grenze nicht überschritten wird.

Es zeigt sich also, dass das NetzDG aus verschiedenen Gründen keine geeignete Grundlage für ein Vorgehen gegen Telegram bietet. Die Aussage von Justizminister Marco Buschmann, wonach das NetzDG keine pauschalen Ausnahmen für Messenger-Dienste wie Telegram kennen würde, erweist sich also als unzutreffend.

Erfolgsversprechender erscheint ein Rückgriff auf die gute alte Störerhaftung. Es entspricht gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung, dass Intermediäre wie Hoster, die fremde Inhalte zum Abruf bereithalten einer eingeschränkten Haftung unterliegen, sofern sie zumutbare Prüfpflichten verletzt haben. Das setzt insbesondere voraus, dass ein solcher Anbieter über einen konkreten rechtswidrigen Inhalt in Kenntnis gesetzt wird und anschließend untätig bleibt. In solchen Fällen hat die Rechtsprechung des BGH, beginnend mit der Entscheidung Blogpost, einen Prüfprozess entwickelt, den der BGH in weiteren Entscheidungen zu Bewertungsportalen wie Jameda immer weiter ausdifferenziert hat.

Danach könnte Telegram also, auf konkreten Hinweis hin verpflichtet sein, rechtswidrige Inhalte zu entfernen.

Ob der Ansatz, auf Apple und Google einzuwirken, um Telegram aus den Appstores zu nehmen, einen rechtlich gangbaren Weg darstellt, erscheint zumindest auf den ersten Blick fraglich. Denn bei Telegram handelt es es sich in jedem Fall um einen legalen und legitimen Messengerdienst, dessen komplette Verbannung wegen einzelner rechtswidriger Inhalte in Gruppen nicht gerechtfertigt erscheint. Dies kann allenfalls ultima ratio sein, wenn alle anderen denkbaren Mittel und Wege auf Telegram mit Blick auf die Löschung rechtswidriger Inhalte, erfolglos geblieben sind.

posted by Thomas Stadler at 18:25  

18.2.19

Uploadfilter waren gestern

Wer dachte, die faktische Verpflichtung zu Uploadfiltern sei schon der Supergau, hat sich wohl getäuscht. Denn im Streit um den geplanten Art. 13 der Richtlinie über das Urheberrecht im digitalen Binnenmarkt hat sich die Situation nochmals verschärft. Der zwischen Parlament und Rat abgestimmte endgültige Text, trägt keineswegs den vielfach geäußerten Bedenken Rechnung, sondern geht vielmehr noch einen Schritt weiter.

Art. 13 Nr. 1 lautet nunmehr wie folgt:

Member States shall provide that an online content sharing service provider performs an act of communication to the public or an act of making available to the public for the purposes of this directive when it gives the public access to copyright protected works or other protected subject matter uploaded by its users. An online content sharing service provider shall therefore obtain an authorisation from the right holders referred to in Article 3(1) and (2) of Directive 2001/29/EC, for instance by concluding a licencing agreement, in order to communicate or make available to the public works or other subject matter.

Die Anbieter sollen also jetzt nicht mehr nur eine Veröffentlichung ohne Zustimmung des Rechteinhabers verhindern. Das hätte es erforderlich gemacht, die vieldiskutierten Uploadfilter einzuführen. Nach dem aktuellen Konzept sollen die Plattformbetreiber vielmehr gleich direkt beim Rechteinhaber eine Lizenz erwerben. Selbst Uploadfilter wären dann kein zwingend geeignetes Instrument mehr, um eine eigene Haftung zu vermeiden.

Es ist zwar nach wie vor so, dass Art. 13 Nr. 4 es dem Content Sharing Service Provider immer noch ermöglicht, sich ohne eigene Lizenz darauf zu berufen, er hätte alles getan, um eine Rechtsverletzung zu vermeiden. Die Beweislast liegt dabei aber bei ihm. Welche Anforderungen insoweit zu erfüllen wären, ist auch nicht gänzlich klar. Nach der aktuellen Formulierung, scheint die Messlatte allerdings äußerst hoch zu liegen. Im Zweifel helfen also nicht einmal mehr Uploadfilter.

Anbieter von User-Generated-Content Plattformen wie YouTube, nach meiner Einschätzung aber auch soziale Netzwerke wie Facebook, Instagram oder Twitter, werden damit also so behandelt, als würden sie die urheberrechtlichen Nutzungshandlungen ihrer User selbst vornehmen, weshalb sie auch originär dafür verantwortlich wären, sich selbst beim Rechteinhaber eine urheberrechtliche Gestattung (Lizenz) zu besorgen.

Das geht deutlich über die bisher geplante Regelung hinaus. Letztlich wird damit das bisherige Geschäftsmodell sämtlicher Plattformen, die den Upload von Inhalten durch Nutzer ermöglichen, in Frage gestellt. Denn der Anbieter kann, wenn sich auf seinem Portal urheberrechtswidriger Content befindet, unmittelbar auf Unterlassung und vor allem auch auf Schadensersatz in Anspruch genommen werden. Die bisherigen Haftungsprivilegien, die eine Haftung erst dann einsetzen ließen, wenn der Anbieter Kenntnis von einem Verstoß hatte und untätig blieb, sind damit für diesen Bereich hinfällig. Die bisherige Regelungslogik, die auch im US-Recht als Notice And Take Down umgesetzt ist, wird dadurch beseitigt. Das stellt Art. 13 Nr. 3 sogar ausdrücklich klar, indem er die Haftungsprivilegierung des Art. 14 der ECRL für das Hosting explizit für unanwendbar erklärt. Die EU überholt die durchaus urheberrechtsfreundlichen USA damit mal eben locker.

Die damit zusammenhängenden Fragen sind von gesamtgesellschaftlicher Relevanz und sollten daher nicht auf Ebene einer Urheberrechtsreform entschieden werden. Letztlich geht es nämlich auch darum, welches Internet wir als Bürger haben wollen. Man hat erneut das Gefühl, dass vielen Abgeordneten des EU-Parlaments einmal mehr die Bedeutung und Tragweite ihrer Entscheidung nicht bewusst ist.

Die Anbieter von Plattformen für User-Generated-Content, werden sich künftig sehr genau überlegen, ob sie wie bislang den freien Upload und das freie Einstellen von Inhalten durch ihre Nutzer ermöglichen wollen, oder ob dies aufgrund der urheberrechtlichen Vorgaben nicht mehr mit vertretbarem wirtschaftlichem Risiko möglich ist.

Obwohl ich nicht zu Alarmismus neige, ist die Befürchtung, dass eine solche Regelung Plattformen wie YouTube, Facebook oder Instagram in Europa generell in Frage stellt, keinesfalls mehr abwegig oder übertrieben. Die Anbieter werden sich jedenfalls sehr genau überlegen, ob sie die erhöhten wirtschaftlichen Risiken in Kauf nehmen wollen.

Das Urheberrecht beachtet die Interessen der Allgemeinheit in immer geringerem Maße. Das ist für eine Informationsgesellschaft generell keine gute Nachricht. Es gelingt speziell der EU-Gesetzgebung nicht, die notwendige Balance zwischen den Gemeinwohlinteressen und den Interessen der Rechteinhaber herzustellen.

posted by Thomas Stadler at 20:03  

29.1.18

Der Staatstrojaner: Überwachung von Smartphones direkt beim Nutzer

Seit einigen Tagen wird in den Medien darüber berichtet, dass das Bundeskriminalamt Überwachungssoftware einsetzt, um Smartphones oder Computer zu überwachen und dort gespeicherte Informationen auszulesen.

Während die klassische Telefonüberwachung bei TK-Anbietern wie Telekom oder Vodafone ansetze und dort Telefonate belauschte, tritt im Zeitalter der internetgestützten Telekommunikation an deren Stelle ein Instrumentarium, das man gerne verharmlosend als Quellen-TKÜ bezeichnet. Die Überwachung findet hier an der Quelle, also direkt beim Nutzer statt. Für diese Form der Telekommunikationsüberwachung ist es allerdings grundsätzlich erforderlich, das Computersystem des Gesprächsteilnehmers heimlich mit einer speziellen Überwachungssoftware zu infiltrieren, die anschließend die Kommunikation überwacht und die Kommunikationsinhalte an die Strafverfolgungsbehörden übermittelt.

In technischer Hinsicht eng verwandt ist die sog. Online-Durchsuchung, bei der es ebenfalls erforderlich ist, auf dem Rechner des Betroffenen heimlich eine Spionagesoftware zu installieren. Diese Software überwacht dann allerdings nicht nur die laufende Kommunikation, sondern durchsucht die Festplatte des Betroffenen oder erfasst andere Kommunikationsvorgänge, wie beispielsweise die Nutzung des WWW.

Um zu verstehen, warum auch die neugeschaffene gesetzliche Regelung zur sog. Quellen-TKÜ in § 100a Abs. 1 S. 2 StPO nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügt, reicht die Lektüre folgender Passage aus der Entscheidung des BVerfG zur Onlinedurchsuchung:

Die Quellen-TKÜ ist in technischer Hinsicht also eine Online-Durchsuchung, die vom Gesetzgeber im Käfig der Telefonüberwachung gehalten werden muss, um rechtmäßig sein zu können. Dies hat der Gesetzgeber durch die Abs. 5 und 6 von § 100a StPO versucht. Juristisch interessant ist hierbei u.a. die Frage, was bei einer Kommunikation mittels eines Messenger wie WhatsApp konkret unter laufender Kommunikation verstanden werden soll. Bei der Sprachtelefefonie ist die laufende Kommunikation klar durch den Anfang und das Ende eines Telefonats begrenzt. In einem Messenger erfolgt die Kommunikation nicht in Echtzeit, so dass allein hierdurch eine massive qualitative Ausweitung erfolgt. Ist eine Unterhaltung via WhatsApp, die sich über Tage hinweg fortsetzt und immer wieder durch längere Pausen unterbrochen wird, noch laufend?

Den Vorgaben des BVerfG hätte der Gesetzgeber auch nur dann gerecht werden können, wenn er konkrete Vorgaben an die Anforderungen der einzusetzenden Software definiert hätte. Dies wird stattdessen den Ermittlungsbehörden überlassen, so dass faktisch kein Unterschied zwischen Quellen-TKÜ und Onlinedurchsuchung besteht. Der Einsatz multifunktionaler Programme wird vom Gesetzgeber gerade nicht unterbunden. Das Gesetz macht keinerlei Vorgaben zur Qualitätssicherung und Überprüfung der eingesetzten Software.

Die vom BVerfG vorgegebene Differenzierung zwischen Online-Überwachung und Quellen-TKÜ wird vom Gesetzgeber nicht nachvollzogen. Es stellt sich aber auch ganz generell die Frage, ob dies in technischer Hinsicht überhaupt trennscharf und zuverlässig möglich ist, denn die Quellen-TKÜ ist in technischer Hinsicht stets eine Onlinedurchsuchung. Der Begriff des Staatstrojaners erscheint daher mehr als passend.

Schwer wiegt auch der Umstand, dass die gesetzliche Regelung die Ermittlungsbehörden ermutigt, vorhandene  Sicherheitslücken auszunutzen, um fremde informationstechnischen Systeme mit Schadsoftware zu infiltrieren. Der Staat verhält sich also wie ein Cyberkrimineller. Das schafft, wie Ulf Buermeyer in seiner sachverständigen Stellungnahme für den Bundestag beklagt, fatale Fehlanreize, weil die Behörden damit ein erhebliches Interesse daran haben, Sicherheitslücken in informationstechnischen Systemen nicht an die Hersteller zu melden, sondern sie vielmehr gezielt aufrecht zu erhalten. Das läuft dem Allgemeininteresse an möglichst sicheren informationstechnischen System zuwider und begründet eine Gefährdung der IT-Sicherheit, die sich auf allen Ebenen (Staat, Unternehmen, Bürger) auswirkt und insgesamt eine Gefahr gerade für sicherheitskritische Infrastrukturen begründet. Aufgabe des Staates wäre es freilich, derartige Gefahren zu vermeiden und abzuwehren. Wer die Fortsetzung der GroKo für vernünftig hält, sollte auch derartige Gesetze in seine Betrachtung einbeziehen.

posted by Stadler at 21:50  

10.1.18

Die Debatte um das NetzDG ist unsachlich

Die aktuelle Debatte um das Für und Wider des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes (NetzDG) ist hysterisch, eine ruhige und sachliche Auseinandersetzung ist selten erkennbar, auch nicht bei den zahlreich diskutierenden Juristen. Dies passt zum Zeitgeist und ist Ausdruck einer Debattenkultur, die nahezu zwanghaft auf Polarisierung setzt, nur noch schwarz und weiß kennt und in der die differenzierte Betrachtung nicht mehr viel gilt.

Das Gesetz geht zunächst ein tatsächlich vorhandenes Problem an. Soziale Netzwerke wie Facebook oder Twitter löschen nur einen Bruchteil derjenigen Inhalte, die strafbar oder rechtswidrig sind. Gleichzeitig, und das geht in der aktuellen Debatte stark unter, entfernen soziale Netzwerke häufiger Postings und Inhalte, die erkennbar rechtmäßig sind. Die Kriterien, nach denen Facebook & Co. ihre Löschentscheidungen treffen, waren bislang weder transparent noch nachvollziehbar. Zum Teil sind falsche Löschentscheidungen einfach auch dem Umstand geschuldet, dass die Anbieter nicht genügend und vor allem kein ausreichend geschultes Personal vorhalten. Wenn wir also wollen, dass rechtswidrige Inhalte in größerem Umfang als bislang gelöscht werden, dann ist es unumgänglich den Betreibern sozialer Netze entsprechende Pflichten aufzuerlegen und Verstöße auch zu sanktionieren.

Man kann das NetzDG mit guten Gründen wegen Verstoß gegen das Herkunftslandprinzip und die Haftungsprivilegierungstatbestände der E-Commerce-Richtlinie für europarechtswidrig halten. Wer die Rechtsprechung des EuGH zur Provider- und Linkhaftung verfolgt, weiß aber auch, dass wir es allzu oft mit einer Wundertüte zu tun haben. Man sollte also nicht darauf wetten, dass der EuGH das deutsche Gesetz tatsächlich am Ende auch für europarechtswidrig halten wird, sollte es ihm vorgelegt werden. In diesem Zusammenhang muss man auch berücksichtigen, dass die Kommission bereits Überlegungen anstellt, die in eine ganz ähnliche Richtung gehen und eher noch weiter reichen werden. Es spricht also einiges dafür, dass die künftige europäische Marschroute ähnlich verlaufen wird.

Ein ebenfalls oft gehörtes Argument ist das von der Privatisierung der Rechtsdurchsetzung, das mir allerdings wenig stichhaltig erscheint. Facebook und Twitter werden ja nicht dazu angehalten, Aufgaben der Strafverfolgung zu übernehmen, sondern nur dazu, strafbare Inhalte zu löschen. Wer sich das Gesetz genau ansieht, wird außerdem erkennen, dass das NetzDG gar keine neuen Löschpflichten begründet, sondern wie schon bisher das TMG von bereits bestehenden Löschpflichten ausgeht. Was manche offenbar zu irritieren scheint, ist der Umstand, dass Facebook & Co. in zunehmendem Maße wie Medienanbieter betrachtet werden und nicht mehr so sehr wie Provider. Würde man einem Fernsehsender oder einer Zeitung gestatten, rechtswidrige Inhalte zu verbreiten? Und wer anders als der Plattformbetreiber sollte rechtswidrige/strafbare Inhalte denn löschen? Der Vorwurf der Privatisierung der Rechtsdurchsetzung greift letztlich nicht. Die Strafjustiz wird außerdem niemals in der Lage sein, Millionen strafbarer Einzelinhalte zu verfolgen und schon gar nicht zeitnah. Wer also rechtswidrige Inhalte aus dem Netz bekommen will, muss den Plattformbetreibern entsprechende Pflichten auferlegen. Hierzu gibt es keine praktikable Alternative.

Auch der immer wieder erhobene Zensurvorwurf ist nicht durchgreifend. Abgesehen davon, dass die Zensur im Sinne des Grundgesetzes jedenfalls nach überwiegender Ansicht nur die Vorzensur meint, ist nicht wirklich erkennbar, warum die Ausgestaltung eines Verfahrens zur Löschung strafbarer Inhalte in sozialen Netzen als Zensur zu betrachten sein sollte. Dieser Logik folgend wäre der Straftatbestand, der die Verbreitung bestimmter Inhalte untersagt oder eine richterliche Unterlassungsentscheidung ebenfalls Zensur.

In sachlicher Hinsicht macht das NetzDG nichts anderes, als den Betreibern sozialer Netzwerke Verfahrensregeln aufzuerlegen, die sicherstellen sollen, dass bestimmte strafbare Inhalte kurzfristig entfernt werden. Zumindest die gesetzgeberische Intention kann man m.E. im Grundsatz nicht ernsthaft kritisieren.

Das bedeutet freilich noch nicht, dass dem Gesetzgeber eine sinnvolle Umsetzung gelungen ist. Denn das Gesetz schafft einen einseitigen Löschanreiz. Vor diesem Hintergrund hätte das NetzDG von vornherein Maßnahmen gegen die Gefahr des Overblockings ergreifen müssen. Denn der Gesetzgeber darf nicht allzu leichtfertig die fälschliche Löschung von rechtmäßigen Inhalten in Kauf nehmen, weil dies in der Tat sowohl die Meinungs- als auch die Informationsfreiheit beeinträchtigt. Vor diesem Hintergrund wäre zumindest eine Art Rechtsbehelf des von der Löschung Betroffenen in das Verfahren zu implementieren gewesen. Möglicherweise müsste man an dieser Stelle sogar noch einen Schritt weiter gehen und hätte dem Betroffenen unmittelbar ein effektives behördliches oder gerichtliches Verfahren an die Hand geben müssen, das es ihm gestattet, vor einem inländischen Gericht oder einer Behörde gegen die Löschentscheidung des Netzwerkbetreibers vorzugehen, wenn der Betreiber auf die Beschwerde des Nutzers hin nicht abhilft.

Um die Gefahr des Verstoßes gegen europarechtliche Vorgaben zu reduzieren, wäre es zudem sinnvoll, den Wortlaut von § 3 Abs. 2 an den von § 10 TMG bzw. Art. 14 ECRL anzupassen. Zumal die jetzige Differenzierung zwischen rechtswidrigen und offensichtlich rechtswidrigen Inhalten wenig sinnvoll erscheint und den Betreiber nur vor ein zusätzliches Abgrenzungsproblem stellt.

posted by Stadler at 21:35  

9.10.17

Anmerkungen zum „Facebook-Gesetz“

Am 01.10.2017 ist das Gesetz mit dem sperrigen Titel „Gesetz zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken“ (Netzwerkdurchsetzungsgesetz – NetzDG) in Kraft getreten, das in den Medien zuweilen nur als „Facebook-Gesetz“ bezeichnet wird. Das Gesetz verpflichtet soziale Netze wie Facebook und Twitter dazu, bestimmte rechtswidrige Inhalte kurzfristig zu löschen. Das Gesetzesvorhaben wurde im Netz und auch in der juristischen Fachwelt überwiegend kritisiert und dies häufig sogar in äußerst alarmistischer Art und Weise. Als jemand, der die Kritik jedenfalls nicht durchgehend zu teilen vermag, möchte ich eine differenzierte Betrachtung anstellen.

Gegen das Gesetz bestehen erhebliche juristische Bedenken, von denen die europarechtlichen sicherlich am stichhaltigsten sind. Die zeitlich starren Sperrvorgaben des § 3 Abs. 2 NetzDG, die die Anbieter dazu verpflichten, offensichtlich rechtswidrige Inhalte innerhalb von 24 Stunden zu löschen und sonstige rechtswidrige Inhalte unverzüglich, worunter der deutsche Gesetzgeber in der Regel einen Zeitraum von sieben Tagen versteht, stehen in Konflikt mit der E-Commerce-Richtlinie. Die Vorschriften dieser Richtlinie zur Haftungsprivilegierung verlangen von Anbietern, die Informationen für einen Nutzer speichern, ein unverzügliches Tätigwerden, sobald sie Kenntnis von einer rechtswidrigen Information erlangt haben. Die Richtlinie gibt also keine festen Sperrfristen vor, sondern orientiert sich an den Umständen des Einzelfalls. Das heißt, gemessen an der Richtlinie können 24 Stunden zu kurz oder sieben Tage zu lang sein. Das deutsche Gesetz entspricht also nicht den Vorgaben der Richtlinie und diese Abweichung kann durchaus als europarechtswidrig betrachtet werden. Kontrovers diskutiert wird in europarechtlicher Hinsicht auch die Frage, ob das NetzDG gegen das sog. Herkunftslandprinzip verstößt, das besagt, dass ausländische Dienstanbieter keinen strengeren Anforderungen unterworfen werden dürfen, als in ihrem Sitzmitgliedsstaat. Der wissenschaftliche Dienst des Bundestages betrachtet das Gesetz als mit dem Herkunftslandprinzip unvereinbar. Auch die sachlich höchst sinnvolle Verpflichtung der sozialen Medien, einen inländischen Zustellungsbevollmächtigten zu benennen, könnte gegen das Herkunftslandprinzip der E-Commerce-Richtlinie verstoßen.

Allerdings sollte man in der europarechtlichen Diskussion auch deren Dynamik nicht verkennen. So gibt es bei der Kommission bereits aktuell Überlegungen, die nicht nur in eine ganz ähnliche Richtung weisen wie das NetzDG, sondern deutlich und in teilweise bedenklicher Form darüber hinausgehen. Es steht also nicht unbedingt zu erwarten, dass die Kommission das deutsche Gesetz beanstanden wird, nachdem man dort noch viel weiterreichende Regulierungsmaßnahmen im Auge hat. In einem aktuellen Papier „Tackling Illegal Content Online – Towards an enhanced responsibility of online platform„, denkt die Kommission darüber nach, Portalbetreibern wesentlich konkretere Handlungspflichten aufzuerlegen als bisher, einschließlich einer engeren Zusammenarbeit mit staatlichen Stellen, dezidierten Berichtspflichten, proaktiven Filterpflichten, sowie kurzen und konkreten Löschfristen.

Als weit weniger griffig erachte ich die geäußerte Kritik dann allerdings, soweit von einer Gefahr für die Meinungs- und Informationsfreiheit die Rede ist.

Diese Kritik verkennt den momentanen status quo und unterstellt eine Verschlechterung im Vergleich zur aktuell bestehenden Situation, die kaum zu erwarten ist.

Dazu muss man sich allerdings vergegenwärtigen, wo wir eigentlich herkommen. Derzeit löscht Facebook nach gänzlich intransparenten Kriterien Inhalte, die teilweise erkennbar nicht rechtswidrig sind, während bei ersichtlich rechtswidrigen Inhalten häufiger die textbausteinartige Antwort erfolgt, dass ein Verstoß gegen die Community-Regeln nicht gegeben ist. Der Ausgangszustand auf den das Gesetz reagiert, ist also im Lichte der Meinung- und Informationsfreiheit alles andere als optimal. Es besteht mithin durchaus der Bedarf, Facebook & Co. rechtsstaatlicher Kuratel zu unterstellen, weil eine gesetzeskonforme und rechtsstaatlich akzeptable Löschpraxis dort schlicht nicht existiert. Vor diesem Hintergrund verwundert es auch etwas, dass das NetzDG gerade wegen seiner grundrechtlichen Auswirkungen abgelehnt wird.

Allein den Umstand, dass große Anbieter wie Facebook gezwungen werden, Geld in die Hand zu nehmen, um ein transparenteres und professionelleres System der Überprüfung und Löschung von rechtswidrigen Inhalten zu etablieren, muss man als Fortschritt gegenüber dem status quo betrachten. Auch die im Gesetz normierten Berichtspflichten sind zu begrüßen, denn sie zwingen die sozialen Netzwerke dazu, mit Blick auf ihre Löschpraxis öffentlich Farbe zu bekennen und Rechenschaft abzulegen. Es ist daher kaum naheliegend anzunehmen, dass sich die Zahl falscher Löschentscheidungen erhöhen wird. Vielmehr darf man, wenn man die Thematik primär aus dem Blickwinkel der Meinungs- und Informationsfreiheit betrachtet, berechtigterweise sogar auf eine Verbesserung im Vergleich zur aktuellen Situation hoffen. Gerade in grundrechtlicher Hinsicht teile ich die vielerorts artikulierten Bedenken deshalb nicht.

Man sollte gleichwohl nicht verschweigen, dass das Gesetz den falschen Grundansatz wählt, indem es allein auf ein öffentlich-rechtliches Ordnungswidrigkeitensystem setzt, ohne gleichzeitig die Rechtsdurchsetzung für die Betroffenen zu erleichtern.

Es ist zudem nicht von der Hand zu weisen, dass das Gesetz einseitige Löschanreize schafft. Denn das Gesetz sanktioniert nur die Nichtlöschung rechtswidriger Inhalte, während die Löschung rechtmäßiger Inhalte keinerlei Konsequenzen hat.

Das Gesetz kann insgesamt nicht als der große Wurf betrachtet werden, der es eventuell bei anderer Ausgestaltung hätte sein können. Die oft beschworene Gefahr für die Meinungs- und Informationsfreiheit besteht, jedenfalls gemessen am status quo, aber auch nicht.

posted by Stadler at 17:30  

7.12.15

Ist die Anonymität im Netz eine heilige Kuh, die man schlachten sollte?

Der Rechtswissenschaftler Gerald Spindler hat sich auf einer Veranstaltung zur Zukunft des Urheberrechts laut Medienberichten dafür ausgesprochen, die Anonymität im Netz, die für viele Nerds eine heilige Kuh sei, auch mal zu schlachten. Wenn man dem Bericht auf Heise-Online glauben darf, wurden auf der besagten Konferenz in dieser Frage äußerungsrechtliche Aspekte mit urheberrechtlichen vermengt und speziell von Spindler Auswirkungen auf den Umfang der Haftungsprivilegien der E-Commerce-Richtlinie bzw. des TMG diskutiert.

Ulf Buermeyer hat die Diskussion auf Heise-Online kritisiert und vor Kollateralschäden für unser Gemeinwesen und die  Demokratie gewarnt.

Wer die Debatte um bzw. gegen Anonymität im Internet gerade im urheberrechtlichen Kontext führt, sollte allerdings auch deutlich machen, dass wir einerseits bereits eine gesetzliche Regelung haben, die differenziert und andererseits das Urheberrechtsgesetz den Rechteinhabern weitreichende Instrumentarien zur Rechtsverfolgung an die Hand gibt, die in anderen Bereichen fehlen.

Für Diensteanbieter besteht nach dem TMG und dem RStV eine Pflicht zur Anbieterkennzeichung, lediglich bloße Nutzer haben die Möglichkeit, sich anonym im Netz zu bewegen.

Im Urheberrecht besteht bereits jetzt nach § 101 Abs. 2 und Abs. 9 UrhG die Möglichkeit, von Access- und Hostprovidern anhand ermittelter IP-Adressen, Auskunft über die Person des Inhabers eines Internetanschlusses zu verlangen. Diese gesetzliche Regelung hat im Bereich des Filesharing zur Entstehung einer fragwürdigen Abmahnindustrie geführt, eine Entwicklung die rechtspolitisch wohl eher zu hinterfragen wäre, als die anonyme Internetnutzung.

Zur Diskussion pro und contra Anonymität möchte ich, auch in Ergänzung zu dem was Ulf Buermeyer geschrieben hat, einfach mal fünf Thesen in den Raum stellen:

1. Es besteht die Gefahr, dass Nutzer, die nicht mehr die Möglichkeit haben, sich anonym oder unter Pseudonym zu äußern, sich künftig überhaupt nicht mehr trauen werden, ihre Meinung online zu artikulieren bzw. über ihre Erfahrungen zu berichten oder Informationen und Erlebnisse preiszugeben. Die Abschaffung der Anonymität im Netz, würde sich daher negativ auf die Meinungs- und Informationsfreiheit auswirken.

2. Menschen, die Anonymisierungsdienste benutzen, versuchen damit zu verhindern, dass ihr gesamtes Nutzungsverhalten von Dritten, seien es Unternehmen wie Google oder Facebook oder auch Behörden, erfasst und getrackt wird. Diese Nutzer machen damit letztlich nur von ihrem Recht auf informationelle Selbstbestimmung Gebrauch, das durch eine weitreichende Klarnamenspflicht erheblich beeinträchtigt würde. Die Einführung einer Klarnamens- oder Registrierungspflicht aller Internetnutzer würde die Schreckensvision vom gläsernen Bürger Wirklichkeit werden lassen. Das wirft nicht nur Fragen auf, die sich um die Grundrechte auf informationelle Selbstbestimmung und Datenschutz sowie das Fernmeldegeheimnis drehen. Es geht hier letzten Endes um die Frage der Menschenwürde, denn der Einzelne droht zum Objekt des Staates degradiert zu werden bzw. mithilfe des Staates zum Objekt einzelner Interessengruppen. Es ist vor diesem Hintergrund nicht zielführend, die Frage der Anonymität isoliert in einem urheberrechtlichen oder persönlichkeitsrechtlichen Kontext zu diskutieren. Vielmehr muss die gesamte Tragweite einer solchen Forderung beleuchtet werden.

3. Bei äußerungsrechtlichen Sachverhalten ist zudem zu berücksichtigen, dass Art. 5 GG gerade auch anonyme Meinungsäußerungen schützt.

4. Es besteht keine Notwendigkeit für eine Klarnamenspflicht aller Nutzer. Für Diensteanbieter und Anbieter publizistischer Inhalte gibt es bereits ein „Vermummungsverbot“, weil sowohl das TMG als auch der RStV eine Anbieterkennzeichnung (Impressum) verlangen. Damit steht dann aber auch ein Portalbetreiber zur Verfügung, der, wenn auch eingeschränkt, auf Beseitigung oder Unterlassung haftet. Zudem kann nach neuerer Rechtsprechung auch von Suchmaschinenbetreibern verlangt werden, dass sie ihren Suchindex um rechtsverletzende Inhalte bereinigen. Das geltende Recht bietet also bereits verschiedenste Möglichkeiten, Rechtsverletzungen zu bekämpfen.

5. Eine Klarnamenspflicht im Internet funktioniert nicht. Selbst wenn jedes Portal und jeder Anbieter eine namentliche Registrierung aller Nutzer verlangen würde, wäre dennoch nicht kontrollierbar, ob sich die Nutzer nicht doch unter falschen Namen anmelden. Der Anbieter kann die Nutzerangaben nicht verifizieren.

posted by Stadler at 11:16  

31.7.15

Ist das Landesverrat?

Der Generalbundesanwalt ermittelt gegen die beiden Bloggern Markus Beckedahl und Andre Meister von netzpolitik.org wegen Landesverrat (§ 94 StGB) und zwar wegen dieser beiden Artikel:

Geheimer Geldregen: Verfassungsschutz arbeitet an „Massendatenauswertung von Internetinhalten“

Geheime Referatsgruppe: Wir enthüllen die neue Verfassungsschutz-Einheit zum Ausbau der Internet-Überwachung

Der Straftatbestand des § 94 StGB hat folgenden Wortlaut:

Wer ein Staatsgeheimnis
1. einer fremden Macht oder einem ihrer Mittelsmänner mitteilt oder
2. sonst an einen Unbefugten gelangen läßt oder öffentlich bekanntmacht, um die Bundesrepublik Deutschland zu benachteiligen oder eine fremde Macht zu begünstigen,
und dadurch die Gefahr eines schweren Nachteils für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland herbeiführt, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr bestraft.

Es handelt sich hierbei wohlgemerkt um einen Verbrechenstatbestand der mit einer Mindestfreiheitsstrafe von einem Jahr bedroht ist.

Es muss also zunächst ein Staatsgeheimnis vorliegen, das veröffentlicht wurde, um die Bundesrepublik zu benachteiligen, wodurch (konkret) ein schwerer Nachteil für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik herbeigeführt worden sein muss.

Man muss an dieser Stelle die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, die davon ausgeht, dass die öffentliche Bekanntmachung von Staatsgeheimnissen durch die Presse grundsätzlich unter anderen Gesichtspunkten zu betrachten ist als ein gemeiner Landesverrat durch Agenten oder Spione, erst gar nicht bemühen, um zu erkennen, dass weder der Tatbestand des § 94 StGB noch der von §§ 95 oder 97 StGB erfüllt ist.

Es liegt bereits erkennbar kein Staatsgeheimnis vor.

Geheimnisse aus dem nachrichtendienstlichen Bereich sind nur dann Staatsgeheimnisse im Sinne von § 93 StGB, wenn ihr Verrat zugleich Auswirkungen auf die äußere Sicherheit hätte und der drohende Nachteil zudem schwer wäre, was nur dann der Fall ist, wenn er für die gesamte äußere Machtposition der Bundesrepublik deutlich ins Gewicht fällt (Fischer, Strafgesetzbuch, § 93, Rn. 7 f.). Der Nachteil von dem das Gesetz spricht, muss gerade dadurch drohen, dass eine Macht, die das Geheimnis bisher nicht kannte, es selbst nützt oder auswertet. Die Gefährdung der äußeren Sicherheit besteht in einer Verschiebung der allgemeinen Machtpositionen, welche die Bundesrepublik gegen Angriffe anfälliger macht (Fischer, Strafgesetzbuch, § 93, Rn. 7).

Wenn man die „Geheimnisse“ die netzpolitik.org öffentlich gemacht hat, an diesen Vorgaben misst, reibt man sich verwundert die Augen. Markus Beckedahl und Andre Meister sollen die internationale Machtposition der Bundesrepublik dauerhaft verschoben haben, indem sie darüber berichtet haben, dass das BfV eine neue Abteilung für Internetüberwachung geschaffen hat und u.a. daran arbeitet, Internetinhalte massenhaft zu erfassen und auszuwerten, eine Information, die im Amt selbst übrigens nur mit der geringsten Geheimhaltungsstufe klassifiziert worden ist.

Darüber hinaus müssten Meister und Beckedahl die Absicht verfolgt haben, die Bundesrepublik zu benachteiligen oder eine fremde Macht zu begünstigen. Wenn das hier der Fall sein sollte, müsste man konsequenterweise jedweder Berichterstattung über (fragwürdige) Überwachungspläne von Geheimdiensten eine derartige Absicht unterstellen. Die Berichterstattung zum Zwecke der Information und Aufklärung der Bevölkerung wie netzpolitik.org sie betreibt, schadet der Bundesrepublik nicht, sondern nützt ihr.

Hinzu kommt kommt jetzt noch die vom BVerfG betonte Privilegierung der Berichterstattung, denn schließlich berichtet netzpolitik.org über das Vorhaben der Internetüberwachung durch das BfV und einer massenhaften Auswertung von Daten, bei der sich auch die Frage der Rechtmäßigkeit stellt.

Man kann also auch ohne Einholung eines Gutachtens relativ schnell erkennen, dass der Straftatbestand offensichtlich nicht erfüllt ist. Wenn es nach juristischen Maßstäben allerdings erkennbar an einem Tatverdacht fehlt, können diese Ermittlungen nur politisch motiviert sein.

Aufgrund der unglaublichen Solidarisierungswelle der letzten 24 Stunden rudert Generalbundesanwalt Range bereits leicht zurück und hat mitgeteilt, dass er bis zum Eingang des Gutachtens zur Frage eines Staatsgeheimnisses mit den Ermittlungen innehalten möchte.

Die Einschätzung, dass Range in jedem Fall anklagen wird, teile ich übrigens nicht. Range wird nach dem Vorliegen des Gutachtens, das ergeben wird, dass kein Staatsgeheimnis vorliegt – was von vornherein klar war – eine ausreichende Begründung dafür vorliegen haben, das Ermittlungsverfahren einzustellen bzw. einstellen zu müssen.

Denn der Verfahrenszweck dürfte von Anfang an primär die Einschüchterung von Bloggern, Journalisten und potentiellen Whistleblowern gewesen sein. Ob der Generalbundesanwalt diesen Zweck angesichts der breiten Empörung und der Solidarisierungswelle erreicht hat, darf man bezweifeln. Das Vorgehen von Range, der offenbar nicht nach dem Legalitäts- sondern nach dem Opportunitätsprinzip ermittelt, beschädigt das Amt des Generalbundesanwalts jedenfalls schwer.

posted by Stadler at 15:22  

30.7.15

Amerikanische Verhältnisse: Generalbundesanwalt ermittelt gegen Blogger

Der Generalbundesanwalt hat bei der Verfolgung von Straftaten im Umfeld der NSA-/BND-Affäre bisher eine klägliche Figur abgegeben. Von vielen wird dies auch darauf zurückgeführt, dass der Generalbundesanwalt nicht unabhängig ist, während ein Interesse der Bundesregierung besteht, dass möglichst keine Ermittlungsergebnisse geliefert werden. Strafverfahren gegen Mitarbeiter und Verantwortliche amerikanischer Dienste oder gar amerikanische Politiker, kämen in Washington nicht gut an. Strafverfahren gegen Verantwortliche von BND oder Verfassungsschutz möchte die Bundesregierung ebenfalls tunlichst vermeiden, denn sie würden die Frage aufwerfen, in welchem Umfang die Regierung Merkel rechtswidrige Aktivitäten deutscher Dienste gedeckt oder gar angeordnet hat.

Dass der Generalbundesanwalt auf Antrag des Verfassungsschutzpräsidenten jetzt nicht nur gegen Whistleblower, sondern sogar gegen die verantwortlichen Blogger von netzpolitik.org wegen des Verdachts des Landesverrats ermittelt, toppt die amerikanischen Verhältnisse noch.

Während man die Angehörigen der Dienste, die das Recht brechen, unbehelligt lässt, werden Journalisten und Blogger ins Visier genommen.

Anlass der Ermittlungen ist offenbar der Bericht „Geheimer Geldregen: Verfassungsschutz arbeitet an Massendatenauswertung von Internetinhalten.“ Im Zuge dieses Berichts hatte netzpolitik.org einen Teil des als geheimhaltungsbedürftig eingestuften Haushaltsplans des Verfassungsschutzes veröffentlicht, um darzustellen, in welchem Umfang Mittel für die Internetüberwachung bereitgestellt werden.

posted by Stadler at 16:07  

15.6.15

Jugendmedienschutz: Immer noch unausgegoren und gefährlich

Nachdem eine Neufassung des Jugendmedienschutzstaatsvertrags (JMStV) vor einigen Jahren vollständig gescheitert ist, unternehmen die Länder nunmehr einen erneuten Anlauf für eine Neufassung.

Wieder im Programm ist das seit vielen Jahren kritisierte Vorhaben einer Alterskennzeichnung für Websites als Jugendschutzmaßnahme. Wer sein Angebot mit einer Alterskennzeichnung versieht, die von geeigneten Jugendschutzprogrammen nach § 11 Abs. 1 und 2 ausgelesen werden kann, soll damit seine Pflicht, jugendbeeinträchtigende Inhalte von Jugendlichen fernzuhalten, nach § 5 Abs. 3 Nr. 1 JMStV erfüllen können. Die Erkenntnis, dass das schon aus technischen Gründen keine sinnvolle Jugendschutzmaßnahme darstellt, hat sich also offenbar nach wie vor nicht durchgesetzt.

Beachtlich ist daneben auch die geplante Neuregelung in § 11 Abs. 4:

Wer gewerbsmäßig oder in großem Umfang Telemedien verbreitet oder zugänglich macht, soll auch die für Kinder oder Jugendliche unbedenklichen Angebote für ein geeignetes Jugendschutzprogramm nach § 11 Abs. 1 und 2 programmieren, soweit dies zumutbar und ohne unverhältnismäßige Kosten möglich ist.

Das betrifft grundsätzlich Zugangs- und Hostprovider. Die Vorschrift erscheint mir schon in sprachlicher Hinsicht völlig missglückt. Was mit der Formulierung, dass der Provider Angebote für ein Jugendschutzprogramm programmieren soll, gemeint ist, erschließt sich mir auch nach längerer Überlegung nicht. Die Vorschrift soll wohl in Richtung einer Filterverpflicht für Provider gehen, wobei unklar ist, ob sich die Soll-Vorschrift speziell bei großen Providern wie der Telekom, die sich diesen Aufwand leisten können, zu einer Rechtspflicht verdichtet. Damit wäre man inhaltlich dann allerdings wiederum beim Thema Netzsperren und Zugangserschwerung angekommen, Zensursula Reloaded sozusagen.

Interessant ist zudem die geplante Vorschrift des § 11 Abs. 6, die lautet:

Von Diensteanbietern, die gewerbsmäßig fremde Informationen für Nutzer speichern, kann der Nutzer verlangen, dass der Diensteanbieter ihm die Alterskennzeichnung nach § 5 Abs. 3 Nr. 1 technisch ermöglicht.

Die Vorschrift betrifft Hoster, Betreiber von sozialen Medien, Videoplattformen wie YouTube, aber auch Meinungsportale und Blogs, die Nutzerkommentare ermöglichen. Jeder, der es also zulässt, dass andere bei ihm posten, ist grundsätzlich gehalten diesen Nutzern eine Alterskennzeichnung zu ermöglichen. Das einschränkende Kriterium ergibt sich insoweit lediglich aus der Notwendigkeit der Gewerbsmäßigkeit.

Derjenige, der in dieser Vorschrift als Nutzer bezeichnet wird, dürfte übrigens der Anbieter im Sinne von § 5 Abs. 3 Nr. 1 JMStV sein. Insoweit erscheint die Regelung zumindest folgerichtig, auch wenn die Begriffe Nutzer und Anbieter nicht mehr einheitlich verwendet werden.

Zum selben Thema: Alvar Freude beim AK Zensur.

posted by Stadler at 17:29  

10.6.15

Die Angstgesellschaft

Wir leben in einer Angstgesellschaft. Obwohl die Menschen noch nie in der Geschichte derart sicher und in relativem Wohlstand leben konnten, wie in unserem Land und der gesamten sog. westlichen Welt, haben sie, wie selten zuvor, Angst vor allen möglichen Dingen. Vor Lebensmitteln, denen ungesunde Eigenschaften zugeschrieben werden, vor einer angeblich drohenden Islamisierung des Abendlandes, vor einer vollständigen Gleichstellung Homosexueller, irgendwie vor jedweder gesellschaftlicher Veränderung. Und natürlich auch vor Terroristen und Kriminellen im Allgemeinen.

Das klingt nicht nur paradox, sondern es ist es auch. Viele Menschen sind empfänglich für einfache Antworten, die eine vermeintliche Abschwächung der allerorts lauernden Gefahren versprechen. Wer zu denen gehört, die glutenfreie Getreideprodukte kaufen, obwohl es bei ihm keinerlei Anzeichen für Zöliakie gibt, der wird auch für die Heilsversprechen der Apologeten der inneren Sicherheit empfänglich sein.

Man kann beispielsweise gegen alle Fakten glauben, dass Geheimdienste diese Welt sicherer machen, ebenso wie man glauben kann, dass Überwachungsbefugnisse wie die Vorratsdatenspeicherung ein unverzichtbares Instrument der Verbrechensbekämpfung darstellen und damit dem Schutz des Bürgers und seiner Freiheit dienen. Aber man muss es eben glauben. Und das tun nicht nur viele Bürger sondern auch Teile der Medien, obwohl die Politik zu keiner Zeit eine tragfähige Begründung angeboten hat.

Wer sich mit den Fakten beschäftigt, der wird allerdings erkennen, dass die Geheimdienste in den letzten ca. 15 Jahren weltweit sehr viel Unheil angerichtet haben und dem kein nennenswerter Positiveffekt gegenübersteht. Mit der Vorratsdatenspeicherung verhält es sich ähnlich. Wer beispielsweise die Bundesregierung nach deren Notwendigkeit fragt, bekommt seltsam ausweichende Antworten. Das Dogma von der Notwendigkeit einer weitgehenden Überwachung u.a. des Telekommunikationsverkehrs ist von pseudo-religiöser Qualität und wird von Politikern folgerichtig auch wie ein Glaubenssatz gepredigt. Das passt auch sehr gut zu dem allgemeineren Dogma von der Alternativlosigkeit merkelscher Politik. Mir kommt an dieser Stelle immer ein Titel von Tocotronic in den Sinn: Pure Vernunft darf niemals siegen, wir brauchen dringend neue Lügen.

Und zwischen den politischen Lügen, die den Bürger in die Irre führen sollen und den Angstzuständen dieser Gesellschaft besteht ein untrennbarer Zusammenhang. Am Rande des Irrtums liegt der Zustand der Angst, schreibt Carolin Emcke unter Berufung auf Anne Carson in einem Beitrag zur Gleichstellungsdebatte. Denn Angst, so Emcke, verengt den Blick und untergräbt die Vernunft. Diese Schlussfolgerung passt auf fast alle illiberalen Phänomene die unsere heutigen, an sich liberalen Gesellschaften zum Vorschein bringen.

Mit dem Trend zur Angstgesellschaft geht auch ein zunehmendes Verständnis vieler Bürger für staatliche Überwachungsmaßnahmen einher. Es wird schon irgendwie sinnvoll und notwendig sein, ist das, was viele Bürger denken. Eine konkrete und fundierte Begründung braucht die Politik da nicht mehr zu liefern, zumal es nicht genügend Bürger gibt, die eine solche Begründung vehement genug einfordern. Worin besteht also die Lösung? Es gilt die Angst zu überwinden und den Ausgang aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit zu suchen. Und dieser Ausgang heißt, wie wie wir von Kant wissen, immer noch Aufklärung.

Derzeit ist die Aufklärung und damit die Mündigkeit auf dem Rückzug, während in gleichem Maße die Überwachungsgesellschaft auf dem Vormarsch ist. Wir sind bislang erst eine überwachte Gesellschaft, werden aber aktiv verhindern müssen, dass sich daraus ein Überwachungsstaat entwickelt. Sowohl in der Gesellschaft, wie auch in der Politik sind es aktuell nur Minderheiten, die diese Entwicklung, häufig auch mit Hilfe der Gerichte, bremsen.

posted by Stadler at 09:03  
Nächste Seite »