Uploadfilter waren gestern
Wer dachte, die faktische Verpflichtung zu Uploadfiltern sei schon der Supergau, hat sich wohl getäuscht. Denn im Streit um den geplanten Art. 13 der Richtlinie über das Urheberrecht im digitalen Binnenmarkt hat sich die Situation nochmals verschärft. Der zwischen Parlament und Rat abgestimmte endgültige Text, trägt keineswegs den vielfach geäußerten Bedenken Rechnung, sondern geht vielmehr noch einen Schritt weiter.
Art. 13 Nr. 1 lautet nunmehr wie folgt:
Member States shall provide that an online content sharing service provider performs an act of communication to the public or an act of making available to the public for the purposes of this directive when it gives the public access to copyright protected works or other protected subject matter uploaded by its users. An online content sharing service provider shall therefore obtain an authorisation from the right holders referred to in Article 3(1) and (2) of Directive 2001/29/EC, for instance by concluding a licencing agreement, in order to communicate or make available to the public works or other subject matter.
Die Anbieter sollen also jetzt nicht mehr nur eine Veröffentlichung ohne Zustimmung des Rechteinhabers verhindern. Das hätte es erforderlich gemacht, die vieldiskutierten Uploadfilter einzuführen. Nach dem aktuellen Konzept sollen die Plattformbetreiber vielmehr gleich direkt beim Rechteinhaber eine Lizenz erwerben. Selbst Uploadfilter wären dann kein zwingend geeignetes Instrument mehr, um eine eigene Haftung zu vermeiden.
Es ist zwar nach wie vor so, dass Art. 13 Nr. 4 es dem Content Sharing Service Provider immer noch ermöglicht, sich ohne eigene Lizenz darauf zu berufen, er hätte alles getan, um eine Rechtsverletzung zu vermeiden. Die Beweislast liegt dabei aber bei ihm. Welche Anforderungen insoweit zu erfüllen wären, ist auch nicht gänzlich klar. Nach der aktuellen Formulierung, scheint die Messlatte allerdings äußerst hoch zu liegen. Im Zweifel helfen also nicht einmal mehr Uploadfilter.
Anbieter von User-Generated-Content Plattformen wie YouTube, nach meiner Einschätzung aber auch soziale Netzwerke wie Facebook, Instagram oder Twitter, werden damit also so behandelt, als würden sie die urheberrechtlichen Nutzungshandlungen ihrer User selbst vornehmen, weshalb sie auch originär dafür verantwortlich wären, sich selbst beim Rechteinhaber eine urheberrechtliche Gestattung (Lizenz) zu besorgen.
Das geht deutlich über die bisher geplante Regelung hinaus. Letztlich wird damit das bisherige Geschäftsmodell sämtlicher Plattformen, die den Upload von Inhalten durch Nutzer ermöglichen, in Frage gestellt. Denn der Anbieter kann, wenn sich auf seinem Portal urheberrechtswidriger Content befindet, unmittelbar auf Unterlassung und vor allem auch auf Schadensersatz in Anspruch genommen werden. Die bisherigen Haftungsprivilegien, die eine Haftung erst dann einsetzen ließen, wenn der Anbieter Kenntnis von einem Verstoß hatte und untätig blieb, sind damit für diesen Bereich hinfällig. Die bisherige Regelungslogik, die auch im US-Recht als Notice And Take Down umgesetzt ist, wird dadurch beseitigt. Das stellt Art. 13 Nr. 3 sogar ausdrücklich klar, indem er die Haftungsprivilegierung des Art. 14 der ECRL für das Hosting explizit für unanwendbar erklärt. Die EU überholt die durchaus urheberrechtsfreundlichen USA damit mal eben locker.
Die damit zusammenhängenden Fragen sind von gesamtgesellschaftlicher Relevanz und sollten daher nicht auf Ebene einer Urheberrechtsreform entschieden werden. Letztlich geht es nämlich auch darum, welches Internet wir als Bürger haben wollen. Man hat erneut das Gefühl, dass vielen Abgeordneten des EU-Parlaments einmal mehr die Bedeutung und Tragweite ihrer Entscheidung nicht bewusst ist.
Die Anbieter von Plattformen für User-Generated-Content, werden sich künftig sehr genau überlegen, ob sie wie bislang den freien Upload und das freie Einstellen von Inhalten durch ihre Nutzer ermöglichen wollen, oder ob dies aufgrund der urheberrechtlichen Vorgaben nicht mehr mit vertretbarem wirtschaftlichem Risiko möglich ist.
Obwohl ich nicht zu Alarmismus neige, ist die Befürchtung, dass eine solche Regelung Plattformen wie YouTube, Facebook oder Instagram in Europa generell in Frage stellt, keinesfalls mehr abwegig oder übertrieben. Die Anbieter werden sich jedenfalls sehr genau überlegen, ob sie die erhöhten wirtschaftlichen Risiken in Kauf nehmen wollen.
Das Urheberrecht beachtet die Interessen der Allgemeinheit in immer geringerem Maße. Das ist für eine Informationsgesellschaft generell keine gute Nachricht. Es gelingt speziell der EU-Gesetzgebung nicht, die notwendige Balance zwischen den Gemeinwohlinteressen und den Interessen der Rechteinhaber herzustellen.
Die Plattformen wie YouTube, Facebook oder Instagram haben ja aufgrund ihrer wirtschaftlichen Potenz überhaupt noch die Chance, da Lizenzen zu erwerben.
Aus Sicht eines mittelgroßen Internetforenbetreibers (eher Hobby als Nebenerwerb, allerdings schon seit 2001 und damit deutlicher länger als 3 Jahre…) gibt es wohl nur eine einzige Möglichkeit: Forum auf ReadOnly zu stellen. Ok, vielleicht noch selbst Beiträge verfassen, da weiß ich, was drin steht.
Comment by Michael Ebner — 18.02, 2019 @ 20:17
YouTube macht Google kein Geld. Es gab noch keinen Zeitpunkt, wo es sich als wirtschaftlich bewiesen hätte, meines Wissens nach. Als damals die Sache mit der GEMA war, wurden Videos für deutsche Nutzer einfach gesperrt. Ich könnte mir vorstellen, das passiert dann eben EU-weit.
Comment by Semilocon — 18.02, 2019 @ 20:34
Guten Abend, Herr Stadler. Schon mit Herrn Ebner wegen der Lizensierung seines Werkes in Verhandlung getreten?
Comment by Orlet — 18.02, 2019 @ 21:51
Ist gegen das Gesetz nach Inkraftsetzung mit einer Klage anzukommen? Oder ist klagen technisch gegen ein Eu-Gesetz gar nicht möglich?
Comment by Uwe — 19.02, 2019 @ 00:51
Ein triftiges Argument, was leider immer wieder übergangen wird, ist, dass die freie Meinungsäußerung bald nicht mehr möglich sein wird. Durch geplante Regularien werden Zitate und Referenzen unterbunden. Rezensionen auf Plattformen wie Amazon werden dadurch unkonstruktiv, wenn man ein Produkt bewertet, nimmt man Bezug auf die Herausgabe des Herstellers. Man bräuchte hierfür die Genehmigung des Herstellers, die Rezensionen zu schreiben bzw. auf Seiten von der Plattform sich zuvor von jedem Hersteller diese Genehmigung einzuholen. Damit werden Jahrhunderte alte Argumentationsstrukturen über den Haufen geworfen und das Verbreiten von Fehlmeldungen / Fake-News gefördert. Dass die Politiker selbst das Internet für sich abschotten, ist ihnen wohl noch nicht bewusst.
Folgende Plattformen leiden meiner Meinung auch darunter: Twitter, Twitch, Verkaufsplattformen (Bevorzugung von direkten Hersteller-Shops -> kein Vergleich mehr…) und sämtliche Foren.
Wir sind keine berechenbare Programme, welche die Petitionen gegen Artikel 11 und 13 unterschrieben haben.
Wir werden aber zu welchen, sobald sich dieses Gesetz durchsetzt.
Comment by Sebastian Hellmuth — 19.02, 2019 @ 06:56
Das stimmt so wiederum nicht. In einem Absatz von Artikel 13 wird explizit gesagt, dass Zitate und Reviews davon ausgenommen werden.
Ich weiß den genauen Absatz leider nicht, aber ich glaube, es war Absatz 5.
Comment by Leonie — 19.02, 2019 @ 07:29
Nur weil in einem Absatz die Absicht erklärt wird, dass diese davon ausgenommen sind, bedeutet das ja nicht, dass es in Endeffekt auch unproblematisch so funktioniert. Alleine beim content ID system von YouTube lässt sich sehen wie “gut“ so etwas funktioniert. Und da reden wir noch von Filtern, der aktuelle Stand scheint ja noch schlimmer.
Comment by Joel — 19.02, 2019 @ 09:17
Faktisch ist das korrekt, nur kann ein Algorithmus leider nicht zwischen einer Filmszene entscheiden, die anschließend analysiert und kritisiert wird und einer Filmszene die aus raubkopiererischem Interesse ins Netz gestellt wird. Lediglich die Filmszene wird als urheberrechtlich geschütztes Material erkannt und gesperrt.
Comment by Tim — 19.02, 2019 @ 09:18
@Leonie Jedoch ist es unmöglich für einen algorithmus zu unterscheiden ob es sich jetzt um ein Zitat, Parodie oder Satire handelt womit diese halt auch geblockt werden.
Auf einem Technischen level gäbe es dann kein freies Internet mehr…
Comment by Jan — 19.02, 2019 @ 10:42
Herr Stadler postuliert, dass die großen Plattformen Youtube, Facebook, Instagram und Twitter bei stringenter Anwendung des Urheberrechts nicht wirtschaftlich betreibbar sind. Ich bezweifle das und halte das für genau den Alarmismus, zu dem er eigentlich nicht neigen will.
Aber selbst, wenn es so wäre: Ist ein Geschäftsmodell, das seine Wirtschaftlichkeit auf die massenhafte Verletzung der Rechte Dritter gründet überhaupt schützenswert?
Ich glaube nicht, dass EuGH oder BVerfG die von Herrn Stadler implizit geforderte Priorisierung der Meinungsfreiheit über die Eigentumsfreiheit (Immaterialgüterrecht) mittragen würden. Man muss sich in diesem Zusammenhang auch einfach mal wieder verdeutlichen, dass es auch vor dem Internet Möglichkeiten des gesellschaftlichen Diskurses gab und immer noch gibt. Man kann Meinungsfreiheit im Sinne der anwendbaren Verfassungsnormen nicht allein auf den Kanal Internet reduzieren und daraus folgern, dass bei einer Störung dieses Kanals quasi schon ein Ausschluss der Meinungsfreiheit zu folgern ist.
Comment by Thomas Elbel — 19.02, 2019 @ 11:12
Was mich interessieren würde:
1. Gibt es eigentlich Zahlen dazu, in welchem Umfang überhaupt Uploads betroffen sind. Also Katzenvideo vs. Auseinandersetzung mit Film-Zitaten, die ggf. vom Zitatrecht gedeckt wären.
2. Gibt es Untersuchungen zur Technologiefolgenabschätzung – oder anders gesagt: Will man wollen, dass eine technische Möglichkeit zur normativen Kraft des Faktischen wird. Welche Pflichten kann man dann überhaupt UGC-Plattformen zumuten – oder gar keine? Also ein Freibrief ausstellen?
3. Wer ist in die Pflicht zu nehmen, oder niemand. Wären dann nicht rückwirkend auch wieder diese ganzen Angebote von Firmen, die Uploadplätze anbieten zulässig zu machen. Siehe Rapishare etc.
4. Was ist eigentlich das Geschäftsmodell von YouTube? Klingt simpel, die Frage, aber im Moment weiß ich es wirklich nicht.
MH
Comment by Huflaikhan — 19.02, 2019 @ 11:19
@ Thomas Elbel: Lässt sich nicht bereits eine Priorisierung der Meinungsfreiheit gegenüber der Eigentumsfreiheit aus dem Grundgesetz herleiten? Beim Eigentumsrecht hat der Gesetzgeber die Möglichkeit, den Inhalt festzulegen (Art. 14 (1) Satz 2 GG). Die anderen Grundrechte (z.B. Art. 5) können durch Gesetzesvorbehalte lediglich eingeschränkt werden. Das ist m. E. ein feiner, aber kein kleiner Unterschied.
Comment by Schmunzelkunst — 19.02, 2019 @ 13:05
Es mag vielleicht daran liegen, dass ich noch relativ jung bin aber mir persönlich erschließen sich diese Wege des gesellschaftlichen Diskurses nicht wirklich. Welche Möglichkeiten gibt es denn seine Meinung so frei und zugänglich zu äußern wie auf Plattformen wie YouTube, Facebook etc.?
Ich mag mich täuschen aber ein Leserbrief in meiner Regionalzeitungen scheint mir nicht sehr effektiv.
Gerade der bereits besprochenen Diskurs basiert doch auf der Schnelllebigkeit des Internets, der so erzeugten Transparenz. Ist es nicht wichtig auf Missstände in z.B. Unternehmen so schnell und unverblümt aufgedeckt werden können? Ohne, dass solche Beiträge möglichst schnell gelöscht werden oder erst gar nicht online gehen aus Angst der Plattform davor mit Klagen rechnen zu müssen?
Comment by Patricia — 19.02, 2019 @ 15:39
1
Comment by Anonymous — 19.02, 2019 @ 17:03
@Patricia:
Ist doch ganz einfach: Auf zum Speaker’s Corner in London.
Ansonsten bringt Thomas Elbel die Meinungsfreiheit, bzw. den „Ausschluss der Meinungsfreiheit“ selber neu in die Diskussion ein. Stadler sprach von gesamtgesellschaftlicher Relevanz und Gemeinwohlinteressen. Das auf den Aspekt Meinungsfreiheit zu reduzieren, ist ein wenig dürftig.
Comment by Kein Name — 19.02, 2019 @ 17:26
Das ganze Konstrukt nimmt dann Meinungsvielfalt und somit -freiheit, wenn es jemanden für etwas haftbar macht, was er selber nicht verschuldet und somit den organisatorischen Aufwand ad ultima steigert.
Nichts ist umsonst im Leben, auch nicht das kleine Forum der Gartenfreunde Piepnest.
Comment by Peter Schaefer — 19.02, 2019 @ 18:09
Das Lächerliche an dem Gesetz ist einfach, wenn ich es mit anderen Dingen vergleiche.
Ich wasche Wäsche und Packe diese in den Wäschekorb, diese wird von meiner Frau in der Falschen Schrank Hälfte aufgehangen.
Ich bemerke dieses und Verklage Ikea weil kein Upload Filter im Schrank war….
Ja das Beispiel ist stark runter gebrochen, aber lustiges. Lieber ein anderes?
Jemand kauft sich eine Waffe bei einem Waffenhändler, dieser Jemand erschießt einen Menschen. Der Waffenhändler wird Haftbar.(Hust schlecht für die Deutsche Rüstungs Industrie die wäre auf einmal Schuld. Upsi)
Comment by PapaVonErza — 20.02, 2019 @ 00:36
Sehr geehrter Herr Stadler,
kennen Sie den Satz „namentlich gekennzeichnete Artikel geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder“ und viele andere dieser Art? Irgend jemand muß für veröffentlichte Inhalte verantwortlich sein. Normalerweise sind das die Autoren. Da aber gerade Facebook und andere dieser Art keine Personen sondern, wie alle totalitären Systeme, gezielt und bewußt feige Anonymlinge zu Wort kommen lassen, muß stellvertretend der Herausgeber die Verantwortung tragen. Wer sonst? Das Opfer, der von Inhalten auf Facebook nachweislich geschädigte, darf in einem Rechtssaat nicht hilflos im Regen stehen gelassen werden. Oder wollen Sie genau das?
Axel Berger, Ossendorf
Comment by Axel Berger — 20.02, 2019 @ 10:51
@Axel Berger:
Lieber Axel, warum gleich so hysterisch und ausfallend? Darf ich mich jetzt von Dir als „feiger Anonymling“ beleidigt fühlen? Oder wen meinst Du damit eigentlich?
Comment by Kein Name — 20.02, 2019 @ 19:29
Siehe hierzu auch https://www.internet-law.de/2015/12/ist-die-anonymitaet-im-netz-eine-heilige-kuh-die-man-schlachten-sollte.html#comment-784175
mit einem Zitat aus der Spick-Mich-Entscheidung des BGH:
„Eine Beschränkung der Meinungsäußerungsfreiheit auf Äußerungen, die einem bestimmten Individuum zugeordnet werden können, ist mit Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG nicht vereinbar. Die Verpflichtung, sich namentlich zu einer bestimmten Meinung zu bekennen, würde nicht nur im schulischen Bereich, um den es im Streitfall geht, die Gefahr begründen, dass der Einzelne aus Furcht vor Repressalien oder sonstigen negativen Auswirkungen sich dahingehend entscheidet, seine Meinung nicht zu äußern.“
Comment by Schmunzelkunst — 20.02, 2019 @ 19:47
Was ich mich jetzt frage, ist das Folgende: Angenommen, die Sache geht jetzt so durch und angenommen, (z.B.) YouTube muss jetzt eine Lizenzabmachung mit (z.B.) Disney eingehen, die das Erscheinen (zumindest für EU-Bürger) von Disney-Inhalten auf YouTube abdeckt. Bedeutet das, dass EU-Bürger dann nach Belieben Disney-Inhalte auf YouTube hochladen und anschauen dürfen (lizenziert müßten sie ja sein)? Was hieße das für Disneys Pläne, ein eigenes Netflix-Äquivalent für Disney-Inhalts-Abos anzubieten? Oder muss YouTube weiter nach Kräften verhindern, dass Disney-Inhalte hochgeladen werden, und die Lizenzvereinbarung gilt nur für Material, das trotzdem irgendwie durchrutscht?
Comment by Anselm — 20.02, 2019 @ 23:41
@Thomas Elbel: Es geht nicht darum, ein „Geschäftsmodell, das seine Wirtschaftlichkeit auf die massenhafte Verletzung der Rechte Dritter gründet“, zu schützen. Denn das tun diese Geschäftsmodelle schon lange nicht mehr. Die Auseinandersetzungen zwischen Youtube und der Gema beispielsweise sind ja allgemein bekannt und wurden im Sinne der Rechteinhaber beigelegt – und so lange keine Einigung bestand, wurden auch keine Videos unlizenziert verbreitet (man erinnert sich an die entsprechenden Hinweise wie „in deinem Land nicht verfügbar“).
Es geht um nutzergenerierten Content, und der enthält als Versatzstücke immer wieder urheberrechtlich geschütztes, aber legal (lizenzfrei) genutztes Material. Das Problem ist, dass sich echte Urheberrechtsverletzungen nicht automatisiert unterscheiden lassen von legaler Nutzung im Sinne von Kunst, Zitat und politischer Diskussion. Deshalb werden die Plattformen lieber viel zu viel als auch nur etwas zu wenig sperren – und damit werden die Plattformen ihrer meisten Inhalte beraubt.
Für den Nutzer werden sie dadurch letztlich nutzlos, weil sie nur mehr Verbreitungsplattformen für kommerziell verwertete urheberrechtlich geschützte Inhalte sein werden.
Darüber hinaus sind viele Urheber nicht bekannt, auch nicht greifbar, und viele urheberrechtlich geschützten Inhalte sind nicht registriert oder zuordenbar. Letztlich ist nämlich jedes Videoschnippselchen, jedes Foto und auch jeder Text erstmal urheberrechtlich geschützt, auch das banale Video vom Kindergeburtstag oder das mittelmäßige Urlaubsfoto vom Strand.
Die Filter der Plattformen können also überhaupt nur jene urheberrechtlich geschützten Inhalte identifizieren, die ihnen bekannt sind – das sind meist die kommerziell verwerteten der großen Inhaltekonzerne. Alle anderen Inhalte sind aber ebenso geschützt, und nicht mal ein menschlicher Prüfer kann erkennen, ob ich in meinem Video fremde Inhalte verwendet habe oder nicht, also ich tatsächlich der Urheber des Videos bin oder einen großen Teil davon geklaut habe. Das Risiko, dass ein anderer dann aber eine Urheberrechtsverletzung beklagt, bleibt dann vollumfänglich beim Betreiber.
Tatsächlich müsste ein Filter erkennen können, dass ganz sicher keine Urheberrechtsverletzung vorliegt, bevor einen Inhalt zulässt. Das ist aber prinzipiell nicht möglich. Er kann höchstens einige Urheberrechtsverletzungen relativ sicher erkennen.
Die Pflicht zur Prüfung ist deshalb schlicht und einfach nicht erfüllbar, deshalb wird es keine nutzergenerierten Inhalte mehr geben. Das Risiko ist zu groß.
Comment by fr.osch — 21.02, 2019 @ 01:41
Für mich liegt die Problematik viel tiefer. Es gibt keinen in Urheber, auch keine professionellen, der nicht irgendetwas geklaut hat und nun urheberechtlich schütz.
Die Beklauten wehren sich. Das ist nicht nur im Urheberrecht so.
Gestritten wird immer über das Maß der Rückgabe des Geklauten an die Beklauten, der Umgang mit dem Geklauten im Sinne der Beklauten. Gegenwärtig obsiegt der negative Teil der neoliberalen Ideologie. Irgendwann rächt sich das, weil die heutige Herangehensweise das Schaufeln des eigenen Grabens beschleunigt.
ES wird viele Überraschungen geben, denn die Macher wissen nicht, was sie tun.
Comment by Rolf Schälike — 21.02, 2019 @ 10:17
Ich verstehe die Fragen nicht. Seit es seriöse Zeitungen gibt — rund vierhundert Jahre — wurden noch nie anonyme Leserbriefe abgedruckt. (Keine Namensnennung in begründeten Ausnahmen mit dem Zusatz „Name und Anschrift der Redaktion bekannt“ ist etwas anderes.) Bis AOL die Netze für die Massen öffnete bestand im Usenet eine Realnampflicht, ohne bekam man schlicht keinen Account. Flugblätter haben seit jeher eine Impressumspflicht. Woher stammt dann angeblich das Vorbild für dieses ominöse „Recht auf Anonymität“. Anonymes Posten ist ein völlig neues Phänomen — eine Aberration aus den seinerzeit zahlreichen BBS zum Tausch von Raubkopien. Wie deren Umgangsformen als „der Standard des Netzes“ etabliert werden konnten, ist mir seit jeher unbegreiflich. Und wie Gerichte diese Sitten krimineller Kreise zur gesellschftlichen Norm erheben konnten noch viel mehr. Es gab vor dem WWWeb keine anonyme öffentliche Meinungsäußerung und es gibt keinen Grund, sie jetzt neu einzuführen. Anonymes Denunzieren ist ein Mittel totalitärer Regime.
Comment by Axel Berger — 21.02, 2019 @ 11:32
Ich bin einmal gespannt, wann Google&Co. sich zu Wort melden. Wenn es noch ein Umdenken bewirken soll, so müsste es vor der Abstimmung im EU-Parlament sein.
@fr.osch
So sehe ich es auch. Eventl. harte Konsequenz: Einstellung des Betriebes in der EU.
Comment by GustavMahler — 21.02, 2019 @ 11:33
Zum „Recht auf Anonymität“ siehe z.B.:
https://www.heise.de/forum/Technology-Review/Kommentare/Lob-der-Anonymitaet/Recht-auf-Anonymitaet/posting-260440/show/
mit Zitat aus der Begründung zum Rundfunkstaatsvertrag, der Meinungsäußerungen in Foren von der sogenannten Impressungspflicht entbindet: „Eine Kennzeichnungspflicht würde ansonsten dazu führen, dass entweder die Privatsphäre in diesen Fällen nicht mehr geschützt wäre oder aber die Kommunikation unterbliebe.“
Noch deutlicher wird wie gesagt die Spick-Mich-Entscheidung des BGH (siehe Beitrag 20).
Comment by Schmunzelkunst — 21.02, 2019 @ 13:11
Das Recht auf Anonymität zeugt davon, dass die Rechtsprechung in Deutschland nicht funktioniert. Deswegen wird Anonymität erlaubt.
Ganz was anderes ist das Ergebnis. Aber bei jedem Fortschritt, jeder Neueinführung von Rechten profitieren Betrüger, Ganoven mehr als der normale biedere Bürger. War so mit der Einführung des Drucks, der Elektrizität, der Eisenbahn, des Autos, des Flugzeuges und inzwischen des Internets. Wird nicht anders, womöglich schlimmer mit der Durchsetzung der KI sein.
Grundsätzliches Umdenken und völlig anderes Handeln ist erforderlich, um aus dieser Selbstmordspirale herauszukommen.
Comment by Rolf Schälike — 21.02, 2019 @ 13:35
Ich habe nie bestritten, daß es solche Urteile neuerdings gibt sondern nur hervorgehoben, daß sie historisch ohne Vorbild dastehen und ein völlig neues Phänomen bilden. Vor den „sozialen Medien“ (sie sind weder sozial, noch handelt es sich um Medien) gab es so etwas ganz einfach nicht und jetzt auf einmal soll ein Anspruch darauf bestehen.
Comment by Axel Berger — 21.02, 2019 @ 16:34
Ich glaube nicht daß das Internet sich verändern wird. Vielmehr wird die EU, falls dieses chaotische, ungenaue Gesetz wirklich durchkommt, sich in einer digitalen Wüste wieder finden wo Plattformen wie Reddit, Twitter, Vimeo und viele andere durch diese neue Haftungsumlage nicht agieren können.
Die Politiker wissen das ja auch und wollen schlichtweg zurück in die 90er oder 80er Jahre in ein pre-Internet Zeitalter. Sie wollen diese Internet Dienste einfach nicht, ziehen davon selber nicht wirklich nutzen und schätzen die nicht. Diese unbekannten Neulandsdienste scheinen auch irgendwie viel zuviel Power zu haben. Darum ist dieses Gesetz absichtlich brutal und unumsetzbar für soziale Medien geschrieben. Die EU Kommission will das alte Medienzeitalter zurück.
Bold move EU, lets see how it works out. Ich glaube im Endeffekt wird man sich bei so einem dummen Gesetz an den Spruch erinnern: “Play stupid games, win stupid prizes.” Die “Preise” die wir als EU Bürger letztendlich mit dem Gesetz dann gewinnen sind dann glaube ich nicht wo schmackhaft, außer man mag Sand.
Comment by Robert E. — 21.02, 2019 @ 17:16
@29. Es sind wahrscheinlich weniger die Politiker, die das wollen, als die Medienkonzerne, die sich eine Zeit zurückwünschen, in der sie mehr oder weniger die Kontrolle darüber hatten, was veröffentlicht wurde und was nicht. Deswegen machen Artikel 11 und 13 es ja den Medienkonzernen leicht, *ihre* Inhalte en gros als “urheberrechtlich geschützt” in das Content-Filter-System oder die Verwertungsgesellschaft für Suchmaschinen-Schnipsel einzubauen, während es höchstwahrscheinlich keine Vorkehrungen geben wird, mit denen der durchschnittliche Internetnutzer seine kreativen Werke ins System einspielen kann, um den gleichen Nutzen (Schutz vor unerlaubtem Wieder-Upload durch Dritte, Pflicht-Lizenzabkommen mit den sozialen Netzen usw.) für sich in Anspruch zu nehmen. Im Gegenteil; wir hatten ja kürzlich den Fall, wo ein Privatmensch seine selbst eingespielten Audiofiles von Bachs “Wohltemperiertem Klavier” (einem gemeinfreien Werk) hochladen wollte, was der Contentfilter aber – Sony-BMG sei Dank – zur Raubkopie stempelte und zurückwies.
Die Politiker sind an der Misere insoweit (mit) schuld, als sie sich von den Medienkonzernen den Floh haben ins Ohr setzen lassen, dass die schärferen Regeln dringend gebraucht werden, um den “Urhebern” zu helfen. Wenn eine Sache bei dem Ganzen sicher ist, dann, dass die tatsächlichen *Urheber* von den erhofften Einnahmen den kleinsten Teil abbekommen (wenn überhaupt); das Meiste wird in den Taschen der Medienkonzerne landen.
Comment by Anselm — 22.02, 2019 @ 01:44
@25. Von Google&Co. ist an der Stelle nicht mit viel zu rechnen. Sollte Artikel 11 tatsächlich durchkommen, wird Google den Dienst “Google News” in der EU einfach dicht machen (so wie das auch jetzt schon in Spanien ist) und, falls nötig, die entsprechenden Presseerzeugnisse aus der Suchmaschine tilgen, bevor sie auch nur einen roten Heller für “Leistungsschutzrechte” zahlen.
Was Artikel 13 angeht, so hätten YouTube usw. natürlich lieber die aktuellen Regeln, wo sie nicht haften müssen. Wenn das aber nicht geht, dann ist YouTube vernünftigerweise für die strengste mögliche Regelung mit Uploadfiltern usw., denn den Uploadfilter haben sie schon (zumindest in einer rudimentären, aber dennoch sehr teuren Form). Jegliche EU-Firma, die gerne das nächste YouTube sein möchte, muss aber erst mal Abermillionen in Uploadfilter usw. stecken, um den einfachsten gesetzlichen Vorgaben genügen zu können. Für YouTube bedeutet ein strenger Artikel 13 also eine Quasi-Garantie darauf, die eigene Vormachtsstellung bis in alle Ewigkeit festgeschrieben zu bekommen.
Wie sich das Ganze mit dem oft von Politikern gehörten Lamento verträgt, es sollte doch endlich mal ein europäisches Google, Facebook, Twitter oder YouTube entstehen, ist mir nicht wirklich klar; Artikel 11 und vor allem 13 ersticken jegliche Innovation in diesem Sektor ziemlich effektiv.
Comment by Anselm — 22.02, 2019 @ 01:55
In dieser ganzen Diskussion — und außerhalb — wird immer so getan, als hätten Beschränkungen für kommerzielle Betreiber wie Facebook irgendetwas mit Redefreiheit im Internet zu tun. Ich habe geade nachgesehen: RSS ist volle fünf Jahre älter als Facebook, bietet denselben Komfort und ICH entscheide, wem ich folgen und was ich lesen will und nicht Herr Zuckerberg, der es für mich vorfiltert.
Mark Zuckerberg ist irgenwann mit einer großen Rolle Stacheldraht ins freie Internet getreten und hat mitten drin einen Gulag errichtet. Und alle Welt strömt da rein und verläßt ihn nie wieder, obwohl die Tore nie geschlossen wurden. „Soziale Medien“ sind weder sozial noch Medien. Es hülfe, genauer hinzusehen, wessen Interessen es fördert, öffentlich so zu tun, als wären sie es.
Comment by Axel Berger — 22.02, 2019 @ 08:44
@Sebastian Hellmuth — 19.02, 2019 @ 06:56
Der Topexperte auf dem Gebiet, Berichterstatter des Trialogs an das EU-Parlament sagt, man könne sogar komplette Zeitungsartikel hochladen.
https://www.golem.de/news/eu-urheberrechtsreform-das-absolute-unverstaendnis-des-axel-voss-1902-139511.html
Comment by thorstenv — 22.02, 2019 @ 10:14
31. @ Anselm
Wann, wenn nicht jetzt will Google&Co. argumentieren? Es muss vor der Abstimmung im EU-Parlament sein. Zu diesem Zeitpunkt müssen die möglichen Konsequenzen aufgezeigt sein. Nachher nützt es nichts.
Bei der Masse und Verschiedenheit der Daten pro Tag können weder ein Filter noch Lizenzen helfen. Überhaupt nicht beherrschbar. Die Folge wären zigtausende Prozesse in der EU mit Schadensersatzforderungen. Ob die Unternehmen sich dies – auf der Basis der jetzigen Modelle – antun?
Comment by GustavMahler — 22.02, 2019 @ 13:08
„Bis AOL die Netze für die Massen öffnete bestand im Usenet eine Realnampflicht, ohne bekam man schlicht keinen Account.“
Ich weiß nicht, in welchem UUCP-Netzwerk du unterwegs warst, aber im Usenet gab es nie eine Realnamepflicht.
Und dein Beispiel zeigt eins sehr schön: es werden kräftig Sachen vermischt und über einen Kamm geschert, um zu einem Ergebnis zu gelangen das mit der eigenen Meinung übereinstimmt, aber nicht unbedingt mit dem geltenden Rechtsrahmen..
Comment by le D — 22.02, 2019 @ 22:48
@35. Ich erinnere mich an ein paar deutschsprachige USENET-Gruppen, wo die Stammgäste vehement versuchten, eine “Realnamenpflicht” durchzusetzen. Wie die allerdings aus der Ferne entscheiden wollten, ob jemand wirklich “Helmut Kohl” heißt oder nicht, war nicht so recht klar – zumal einige der entschlossenen Befürworter unter Namen posteten, die so ungewöhnlich waren, dass man sie auch nicht unbedingt für echt gehalten hätte.
Comment by Anselm — 23.02, 2019 @ 01:00
Kleiner Einwurf am Rande:
Wie verträgt sich dieser EU Vorstoß eigentlich mit der „Fair Use“ Regelung vgl. https://en.wikipedia.org/wiki/Fair_use die in den USA angewendet wird oder anders gefragt, welches Rechtssystem soll da angewendet werden?
Falls der Einwand von „das Recht des Landes in dem der Poster sitzt“ kommt…dann sag ich nur VPN mit US-IP-Nummer….auch gut geeignet um Geoblocking zu umgehen….
bombjack
Comment by bombjack — 26.02, 2019 @ 07:50
@37: Auch wenn es nicht der Weisheit letzter Schluss ist, könnte als Einstieg in die Problematik das Suchwort „Schutzlandprinzip“ weiterhelfen. Siehe z. B. unter https://de.wikipedia.org/wiki/Schutzlandprinzip mit dem Abschnitt „Schutzlandprinzip und Internet“.
Comment by Schmunzelkunst — 26.02, 2019 @ 18:26
Ich war ein paar Tage verreist, aber da die Diskussion noch nicht abgebrochen ist:
Ja, das Usenet selbst hat keine Regel für die Namensnennung, einfach deshalb, weil sie überflüssig war. Um überhaupt am Usenet teilnehmen zu können, braucht man einen Account und einen Zugang. VOR dem ewigen September und AOL waren das in erster Linie Hochschulaccounts und die waren stets an den Namen und die bekannte echte Identität geknüpft. Eines der ganz wenigen BBS-Netze, das schon früh über ein Gateway verfügte — nach dem ewigen September wurde es egal — war das MausNet mit ebenfalls grundsätzlicher Realnamepflicht für alle Teilnehmer. Die Gateways wurden auf der Usenetseit lange sehr kritsch gesehen und im MausNet gab es regelmäßige Ermahnungen der Sysops zur Netiquette, um nicht vom Gateway abgeklemmt zu werden. Seit 1995 und AOL ist alles anders, aber vorher gab es im ganzen Usenet nichts anderes als echte Namen, so daß niemand auf die Idee gekommen wäre, die Frage anzusprechen.
Comment by Axel Berger — 26.02, 2019 @ 19:45
@38: Danke für den Link…zeigt aber auch, dass selbst jetzt schon es unmöglich ist eine Sache so zu veröffentlichen, dass sie völlig legal ist….ist aber derzeit nicht das Problem da der Betreiber eines Angebots ja erst auf Hinweis aktiv werden muss…mit dem EU-Vorstoß ändert sich das und da wird es dann zum Problem….weil Arschlöcher die Klagen werden sich da immer finden…
bombjack
Comment by bombjack — 27.02, 2019 @ 06:38
@39 (Axel Berger): Um sich am USENET zu beteiligen, brauchte man nichts außer einem Modem und einem (oder ein paar) anderen UUCP-Knoten, die man anrufen durfte, um Mail und News auszutauschen. Das waren seinerzeit in Deutschland vor allem, aber keineswegs ausschließlich, Unis.
UUCP-Teilnahme war aber nicht an einen persönlichen Account gebunden – auf Knoten X wurden Mail und News *aller* Knoten-X-Benutzer gesammelt und dann als Bündel an Knoten Y und/oder Knoten Z geschickt, von wo sie an Knoten A, B und/oder C weitergeleitet wurden und so weiter. Niemand auf den Knoten Y, Z, A, B, oder C interessierte sich dafür oder hatte irgendeine Handhabe, zu überprüfen, an wen und wie gewissenhaft auf Knoten X – ob nun Uni oder Firma oder privat – Benutzerzugänge vergeben werden. (Massive Störenfriede wurden abgeklemmt, aber dazu gehörte schon etwas mehr, als unter Pseudonym aufs Usenet zu posten.)
Deswegen ist es eine Fiktion, dass auf dem USENET jede(r) unter dem eigenen Namen unterwegs gewesen sei. Das war vielleicht gängig, aber in keiner Weise vorgeschrieben, und es gibt genug Beispiele für USENET-“Originale”, deren “reale Namen” eben nicht allgemein bekannt waren.
Comment by Anselm — 1.03, 2019 @ 17:50