Internet-Law

Onlinerecht und Bürgerrechte 2.0

15.11.19

OLG Köln: Löschanspruch gegen Jameda

Das Oberlandesgericht Köln hat gerade das Ärztebewertungsportal Jameda u.a. dazu verurteilt, sämtliche zu einem bewerteten Arzt gespeicherten Informationen zu löschen (Urteile vom 14.11.2019, Az.: 15 U 89/19 und Az.: 15 U 126/19).

Nach Auffassung des OLG Köln habe Jameda ihre grundsätzlich geschützte Position als „neutrale Informationsmittlerin“ dadurch verlassen, dass sie den zahlenden Kunden „verdeckte Vorteile“ zukommen lasse. Das sei der Fall, wenn die ohne ihre Einwilligung aufgenommenen Basiskunden auf dem Portal als „Werbeplattform“ für Premiumkunden benutzt würden und letzteren durch die Darstellung ein Vorteil gewährt werde, der für die Nutzer nicht erkennbar sei. Dann diene das Portal nicht mehr allein dem Informationsaustausch zwischen (potentiellen) Patienten. In diesem Fall müssten Ärzte nicht hinnehmen, ohne ihre Einwilligung als Basiskunden aufgeführt zu werden.

Zusätzlich vertritt das OLG Köln – in Einklang mit der Rechtsprechung des BGH – die Auffassung, dass sich Jameda nicht auf das Medienprivileg berufen könne, weil das Geschäftsmodell der Plattform nicht als eigene meinungsbildende Tätigkeit aufgefasst werden könne, sondern allenfalls als ein Hilfsdienst zur besseren Verbreitung von (Dritt-)Informationen. Das OLG meint, dass sich nur derjenige auf das Medienprivileg berufen könne, der einer eigenen journalistischen Tätigkeit nachgeht.

Damit beachtet das OLG, ebenso wie schon zuvor der BGH, die meinungseinschränkende Wirkung der von ihm postulierten Löschungsverpflichtung zu wenig und löst das erhebliche Spannungsverhältnis zwischen Datenschutz und Meinungsfreiheit nicht korrekt auf.

Art. 85 DSGVO verpflichtet die Mitgliedsstaaten dazu, das Recht auf den Schutz personenbezogener Daten gemäß der DSGVO mit dem Recht auf freie Meinungsäußerung und Informationsfreiheit in Einklang zu bringen. Die Verarbeitung zu journalistischen Zwecken wird im Anschluss nur exemplarisch erwähnt. Am Ende ist eine Abwägung unterschiedlicher grundrechtlich geschützter Rechtspositionen vorzunehmen. Vor diesem Hintergrund ist bereits das Postulat, nur die journalistische Tätigkeit könne in den Genuss eines Medienprivilegs kommen, ersichtlich verfehlt und wird der zentralen Bedeutung der Meinungs- und Informationsfreiheit nicht gerecht. Dafür spricht auch Erwägungsgrund 153 der DSGVO, der verlangt, dass Begriffe wie Journalismus weit ausgelegt werden müssen, um der Bedeutung des Rechts auf freie Meinungsäußerung in einer demokratischen Gesellschaft Rechnung zu tragen.

Man wird auch nicht per se davon ausgehen können, dass die klassische journalistische Tätigkeit für die Meinungs- und gerade auch die Informationsfreiheit von größerer Bedeutung ist, als die bloße Informationsvermittlung über Bewertungsportale. Darüber hinaus stellt sich auch die Frage, weshalb die klassisch journalistisch-redaktionelle Tätigkeit äußerungsrechtlich einen weiterreichenden Schutz genießen sollte, als sonstige Meinungsäußerungen. Man darf im konkreten Fall auch nicht übersehen, dass das Oberlandesgericht Köln mit einer Löschung sämtlicher Daten eines Arztes auch die Löschung von Bewertungen verfügt, die äußerungsrechtlich nicht zu beanstanden sind, was zudem dazu führt, dass der betreffende Arzt auf Jameda gar nicht mehr bewertet werden kann. Das bewirkt aber dann genau den Effekt, den Art. 5 GG und Art. 11 der Grundrechtecharta verhindern wollen, nämlich, dass sich jemand mit Blick auf seine berufliche Betätigung der öffentlichen Kritik entziehen kann. Der Verbotsausspruch des OLG Köln stellt einen empfindlichen Eingriff in die Grundrechte unterschiedlicher Beteiligter dar, der sich am Ende auf eine Differenzierung zwischen journalistischer und nichtjournalistischer Betätigung in einem meinungsrelevanten Kontext stützt, was aus grundrechtlicher Sicht nicht maßgeblich sein kann.

Vor diesem Hintergrund hat auch der EuGH (Urteil vom 14.02.2019, Az.: C-345/17) entschieden, dass selbst das Einstellen eines Videos durch eine Privatperson, das einen fragwürdigen Polizeieinsatz dokumentiert, als journalistisch zu betrachten ist, wenn die Veröffentlichung ausschließlich zum Ziel hat, Informationen, Meinungen oder Ideen in der Öffentlichkeit zu verbreiten.

Wenn man dieses Begriffsverständnis des EuGH zugrunde legt, kann die Schlussfolgerung für Bewertungsportale nur die sein, dass man zunächst davon auszugehen hat, dass die Nutzerbewertungen, die Jameda veröffentlicht, eine journalistische Tätigkeit der Nutzer im Sinne der Rechtsprechung des EuGH darstellen, gegen die datenschutzrechtliche Einwände nicht durchgreifend sind. Auch in der juristischen Literatur wird mittlerweile die Ansicht vertreten, dass Nutzerbewertungen, die Informationen, Meinungen und Ideen in der Öffentlichkeit verbreiten, dem Medienprivileg unterfallen müssen (Michel, ZUM 2018, 836, 839).

Das bedeutet dann aber auch, dass äußerungsrechtlich zulässige Bewertungen nicht auf Grundlage datenschutzrechtlicher Erwägungen gelöscht werden dürfen. Wenn man eine solche Löschung vom Nutzer selbst nicht verlangen könnte, kann man sie aber auch nicht vom Portalbetreiber verlangen. Ansonsten gestattet man immer die Verkürzung von Grundrechten über die Hintertür. Nach der Logik der Presso-Grosso Entscheidung des BVerfG muss man deshalb Intermediäre wie die Betreiber von Bewertungsportalen, die eine notwendige Hilfstätigkeit dafür erbringen, dass solche Bewertungen überhaupt möglich sind, im selben Umfang wie den Äußernden selbst in den Schutzbereich der Meinungsfreiheit einbeziehen. Das bedeutet, dass sich solche Intermediäre auch auf das Medienprivileg berufen können.

Das OLG Köln hat den Anspruch der Kläger auf Löschung des ohne Einwilligung eingerichteten Profils auf §§ 823 Abs. 2, 1004 BGB analog in Verbindung mit Art. 6 Abs. 1 f) DSGVO gestützt. Diese rechtliche Bewertung ist deshalb unrichtig, weil sich auch Jameda auf das Medienprivileg stützen kann und deshalb weder eine Löschung ganzer Ärzteprofile verlangt werden kann, noch eine Löschung von Bewertungen, die nach allgemeinen Kriterien äußerungsrechtlich nicht zu beanstanden sind.

Man muss mit Blick auf die erstinstanzlichen Urteile des Landgerichts Köln dennoch hervorheben, dass dieses weitgehend aufgehoben wurden.

Hinweis: Die Kanzlei SSB, für die ich mittlerweile anwaltlich tätig bin, hat Jameda in dem Verfahren vor dem OLG Köln vertreten.

posted by Thomas Stadler at 22:27  

13.12.18

SPD will Datenschutz und Meinungsfreiheit in Einklang bringen

Das Spannungsverhältnis von Datenschutz und Meinungsfreiheit war bereits mehrfach Thema hier im Blog, zuletzt auch mit Blick auf die seit Mai geltende Datenschutzgrundverordnung (DSGVO). Der europäische Gesetzgeber hat nicht versucht, dieses Spannungsverhältnis aufzulösen, oder den äußerungsrechtlichen Bereich von der DSGVO auszunehmen, sondern es vielmehr dabei belassen, mit Art. 85 DSGVO eine Öffnungsklausel zu schaffen, die es den nationalen Gesetzgebern ermöglicht, sie letztlich aber auch dazu verpflichtet, spezifische Regelungen zu treffen, die das Recht auf den Schutz personenbezogener Daten mit dem Recht auf freie Meinungsäußerung und Informationsfreiheit, in Einklang bringen. Dieser Ansatz ist regelungstechnisch zunächst insofern unbefriedigend, als die DSGVO damit den gesamten meinungsrelevanten Bereich mitregelt, ohne selbst unmittelbar sicherzustellen, dass der Datenschutz die Meinung- und Informationsfreiheit nicht beeinträchtigt.

Der deutsche Gesetzgeber ist dem Regelungsauftrag des Art. 85 DSGVO bislang nur teilweise nachgekommen. Die Länder haben für den journalistisch-redaktionellen Bereich Regelungen in den Landespressegesetzen und im Rundfunkstaatsvertrag (RStV) geschaffen. Exemplarisch sei insoweit auf § 57 Abs. 1 S. 4 – S. 8 RStV verwiesen, der ein Medienprivileg für die Onlineangebote der Rundfunkanbieter schafft und weite Teile der DSGVO für nicht anwendbar erklärt.

Eine Regelung für private bzw. nichtjournalistische Äußerungen fehlt bislang. Das ist schon deshalb unbefriedigend, weil veröffentlichte Meinungen und Informationen in sozialen Medien und Blogs damit nicht explizit privilegiert sind, sondern nur solche im journalistisch-redaktionellen Kontext. In einer Anhörung im Innenausschuss des Bundestages hat Malte Engeler unlängst deshalb eine solche gesetzliche Regelung angemahnt und als ausgesprochen relevant bezeichnet.

Mittlerweile liegt ein erster Vorschlag aus der Bundestagsfraktion der SPD vor, der die Schaffung eines neuen § 27a BDSG mit folgendem Wortlaut vorsieht:

27a BDSG-neu – Datenverarbeitung zu Zwecken der Ausübung des Rechts auf freie Meinungsäußerung und Informationsfreiheit

(1) Eine Verarbeitung personenbezogener Daten ist zulässig, sofern sie zu Zwecken des Rechts auf freie Meinungsäußerung und Informationsfreiheit, einschließlich der Verarbeitung zu journalistischen Zwecken und zu wissenschaftlichen, künstlerischen oder literarischen Zwecken stattfindet und die Interessen oder Grundrechte und Grundfreiheiten der betroffenen Personen am Schutz ihrer personenbezogenen Daten nicht überwiegen.

(2) Spezielle Regelungen des Bundes- und Landesrechts zur Zulässigkeit der Verarbeitung zu den in Art. 85 der Verordnung (EU) 2016/679 genannten Zwecken der Ausübung des Rechts auf freie Meinungsäußerung und Informationsfreiheit sowie der Verarbeitung zu wissenschaftlichen, künstlerischen, journalistischen oder literarischen Zwecken, einschließlich der Veröffentlichung, bleiben unberührt.

(3) Die Rechte der Betroffenen des Abschnitt II bis IX der Verordnung (EU) 2016/679 gelten nur, sofern sie unter Abwägung mit dem Recht auf freie Meinungsäußerung und Informationsfreiheit, einschließlich der Verarbeitung zu wissenschaftlichen, künstlerischen, journalistischen oder literarischen Zwecken angemessen sind. Satz 1 gilt nicht für Artikel xx, xx, xx.

(4) Führt die Verarbeitung personenbezogener Daten gemäß Absatz 1 zur Verbreitung von Gegendarstellungen der betroffenen Person oder zu Verpflichtungserklärungen, Gerichtsentscheidungen über die Unterlassung der Verbreitung oder über den Widerruf des Inhalts der Daten, so sind diese Gegendarstellungen, Verpflichtungserklärungen, Gerichtsentscheidungen und Widerrufe zu den gespeicherten Daten zu nehmen und dort für dieselbe Zeitdauer aufzubewahren, wie die Daten selbst sowie bei einer Offenlegung der Daten gemeinsam offenzulegen.

Der Vorschlag ist im Grundsatz zu begrüßen, wirkt aber insgesamt noch nicht ausgereift.

In Abs. 1 wird durch die Formulierung „sofern sie zu Zwecken…stattfindet“ zunächst dem Äußernden die Darlegung- und Beweislast dafür auferlegt, dass seine Datenverarbeitung meinungsrelevanten Zwecken dient und außerdem die notwendige Grundrechtsabwägung zu seinen Gunsten ausfällt. Diese Regelungstechnik ist kritikwürdig, weil in einem freiheitlichen Rechtsstaat eine Vermutung zugunsten der freien Rede zu gelten hat, was vom BVerfG auch immer wieder betont worden ist. Aus grundrechtlicher Sicht erscheint daher eine Regelung geboten, die die Datenverarbeitung zu Zwecken der Meinung- und Informationsfreiheit zunächst grundsätzlich für zulässig erklärt und es dem von einer Äußerung Betroffenen überlässt, das Überwiegen seiner persönlichkeits- und datenschutzrechtlichen Interessen darzulegen.

Abs. 3 des Gesetzesvorschlags will die Regelungen der Abschnitte II bis IX der DSGVO – es handelt sich weitgehend um datenschutzrechtliche Folge- und Nebenpflichten – weiterhin anwenden, allerdings einer Abwägung im Einzelfall unterziehen, während diese Regelungen im journalistischen Bereich weitgehend nicht gelten sollen. Hier stellt sich auch die Frage, ob es nicht eher sachgerecht ist, einen Gleichlauf mit der Vorschrift des § 57 RStV herzustellen.

Der in Abs. 4 des Vorschlags enthaltene Verweis auf Gegendarstellungen des Betroffenen, erscheint ebenfalls nicht zu Ende gedacht. Die Gegendarstellung ist ein typisches presserechtliches Instrumentarium. Ein Blick auf die für den Onlinebereich relevante Vorschrift des § 56 RStV zeigt, dass der Gegendarstellungsanspruch journalistisch-redaktionell gestaltete Angebote verlangt. In diesem Bereich würde aber dann ohnehin § 57 RStV gelten und nicht § 27a BDSG. Es stellt sich also die Frage, ob es überhaupt Gegendarstellungen gibt, die § 27a BDSG unterfallen können oder ob man sich in diesen Fällen nicht ohnehin vollständig im Bereich des Landesrechts bewegt. Ganz generell erscheint es vorzugswürdig, in der bundesgesetzlichen Regelung des § 27a BDSG jedweden Hinweis auf journalistische Zwecke, wie er auch in Abs. 1 enthalten ist, zu streichen, weil damit nur unnötige Abgrenzungsfragen zu den landesrechtlichen Regelungen aufgeworfen werden. Sofern es dieser Formulierung darum geht, den Veröffentlichungszweck zu betonen, wäre es vorzugswürdig einen anderen Begriff zu wählen.

Obwohl die DSGVO schon mehr als ein halbes Jahr gilt, ist der Bundesgesetzgeber seinem Regelungsauftrag aus Art. 85 DSGVO bislang nicht nachgekommen. Eine entsprechende Regelung ist überfällig.

posted by Stadler at 17:54  

5.6.17

Warum das Netzwerkdurchsetzungsgesetz den falschen Ansatz wählt

Das geplante Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzG) wird seit Monaten kontrovers diskutiert. Auch wenn man durchaus politischen und gesetzgeberischen Handlungsbedarf sehen kann, ist der Gesetzesentwurf inkonsistent.

Das was man auf der Website des BMJ dazu lesen kann,

Um die sozialen Netzwerke zu einer zügigeren und umfassenderen Bearbeitung von Beschwerden insbesondere von Nutzerinnen und Nutzer über Hasskriminalität und andere strafbare Inhalte anzuhalten, werden durch den Entwurf gesetzliche Compliance-Regeln für soziale Netzwerke eingeführt.

verdeutlicht unmittelbar, warum das Gesetz falsch konstruiert ist.

Erklärtes Ziel ist es nach den Worten des Ministeriums den betroffenen Nutzern dabei zu helfen, ihre Rechte besser durchzusetzen. Wenn dem so ist, hätte man sich fragen müssen, welche Maßnahmen zu ergreifen sind, damit Nutzer, die durch Veröffentlichungen in sozialen Netzwerken in ihren Rechten verletzt werden, besser und effektiver direkt gegen Facebook, Twitter & Co. vorgehen können. Was macht der Entwurf des BMJ stattdessen? Er definiert einen Katalog von Straftaten und diesbezügliche Verhaltens- und Handlungspflichten des Anbieters. Daran knüpft er dann Bußgeldtatbestände. Der Gesetzgeber schafft also ein öffentlich-rechtliches Ordnungswidrigkeitenrecht, das als solches nicht unmittelbar geeignet ist, die Position der Nutzer/Bürger zu verbessern. Was will der Gesetzgeber? Das Verhalten der Anbieter durch Bußgelder die Strafcharakter haben sanktionieren oder ein Regelungssystem schaffen, das die Rechtsdurchsetzung für die Betroffenen erleichtert? Dem jetzigen Regelungskonzept geht es nicht um den betroffenen Nutzer, sondern es geht darum, ein neues staatliches Ordnungs- und Sanktionssystem zu schaffen.

Die einzige Neuregelung, die geeignet ist, die Nutzer bei der besseren Durchsetzung ihrer Rechte zu unterstützen, ist die Pflicht zur Benennung eines inländischen Zustellungsbevollmächtigten. Damit könnte eine komplizierte und zeitaufwändige Auslandszustellung der Klageschrift bzw. des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Verfügung verhindert werden. Nur leider bleibt der Gesetzgeber hier auf halbem Wege stehen, weil er es versäumt hat, den Anbieter dazu zu verpflichten, Namen und Anschrift des Zustellungsbevollmächtigten auch für den Nutzer leicht zugänglich zu veröffentlichen. Im Zuge dessen hätte man auch gleich noch genauer definieren können, welche Befugnisse dieser Zustellungsbevollmächtigte haben muss und vor allem klarstellen können, dass durch die Zustellung an den inländischen Zustellungsbevollmächtigten die Auslandszustellung (§183 ZPO) entbehrlich wird und auch keine Übersetzungen von Schriftsätzen und richterlichen Verfügungen notwendig sind. Wünschenswert und sinnvoll wäre eine Regelung gewesen, die es dem Anbieter, der sich mit seinem Service an ein (größeres) inländisches Publikum richtet, gebietet, sich wie ein inländisches Unternehmer vor einem deutschen Gericht verklagen und prozessual behandeln zu lassen.

Bei dem Beschwerdemanagement, das der Gesetzesentwurf in seinem § 3 vorgibt, hätte man vor allen Dingen regeln können, dass sich der Nutzer – außerhalb des Beschwerdeformulars auf der Website – unmittelbar per E-Mail, Telefax oder Brief an eine zu benennende Beschwerdestelle des Anbieters im Inland wenden kann und das Unternehmen verpflichtet ist, die Nutzerbeschwerde innerhalb einer kurzen Frist zu beantworten und hierbei zudem gehalten ist, inhaltlich auf die vom Nutzer konkret vorgebrachten Aspekte einzugehen und sich nicht darauf beschränken kann, lediglich pauschal mitzuteilen, dass keine Regelverstöße erkennbar sind.

Auf den Rest des Gesetzes hätte man getrost verzichten können. Die starren Löschpflichten, die das Gesetz jetzt vorgibt, dürften nicht nur europarechtswidrig sein, weil sie mit den Vorgaben der E-Commerce-Richtlinie nicht übereinstimmen, sondern sie schaffen auch einseitige Löschanreize, die in der Breite zwangsläufig dazu führen werden, dass in größerem Umfang auch rechtlich nicht zu beanstandende Inhalte gelöscht werden. Das wäre fatal im Sinne der Meinungs- und Informationsfreiheit.

posted by Stadler at 21:23  

1.6.17

Zensururheberrecht: BGH legt an den EuGH vor

Über den Missbrauch des Urheberrechts durch den Staat zum Zweck der Verhinderung der Veröffentlichung unliebsamer Informationen, wurde in diesem Blog schon vor längerer Zeit berichtet. Der Fall, in dem die Bundesrepublik der WAZ-Gruppe die Veröffentlichung von militärischen Lageberichten der Bundeswehr („Afghanistan Papiere“) untersagt hat, ist nunmehr in der Revision beim Bundesgerichtshof angelangt. Der BGH hat die Frage, ob die Annahme einer Urheberrechtsverletzung im Lichte der europäischen Grundrechte auf Informations- und Pressefreiheit ausscheidet, dem EuGH vorgelegt und dabei im Vorlagebeschluss (Beschluss vom 1. Juni 2017, Az.: I ZR 139/15) eine klare urheberrechtsfreundliche bzw. meinungsfeindliche Betrachtung angestellt. In der Pressemitteilung des BGH heißt es:

Der BGH hat dem EuGH ferner die Frage vorgelegt, ob die Grundrechte der Informationsfreiheit (Art. 11 Abs. 1 EU-Grundrechtecharta) und der Pressefreiheit (Art. 11 Abs. 2 EU-Grundrechtecharta) Einschränkungen des ausschließlichen Rechts der Urheber zur Vervielfältigung und zur öffentlichen Wiedergabe ihrer Werke außerhalb der in der Richtlinie 2001/29/EG vorgesehenen Schranken dieser Rechte rechtfertigen. Diese Frage stellt sich, weil die Voraussetzungen der – hier allein in Betracht kommenden – Schranken der Berichterstattung über Tagesereignisse und des Zitatrechts nach dem Wortlaut der betreffenden Regelungen der Richtlinie nicht erfüllt sind. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hat die Beklagte sich darauf beschränkt, die militärischen Lageberichte in systematisierter Form im Internet einzustellen und zum Abruf bereitzuhalten. Danach stand die Vervielfältigung und öffentliche Wiedergabe der UdP nicht in Verbindung mit einer Berichterstattung und erfolgte auch nicht zu Zitatzwecken. Darüber hinaus waren die UdP zum Zeitpunkt ihrer Vervielfältigung und öffentlichen Wiedergabe durch die Beklagte der Öffentlichkeit nicht bereits – wie es das Zitatrecht voraussetzt – rechtmäßig zugänglich gemacht worden. Der BGH hat in seinem Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH deutlich gemacht, dass nach seiner Ansicht eine außerhalb der urheberrechtlichen Verwertungsbefugnisse und Schrankenbestimmungen angesiedelte allgemeine Interessenabwägung durch die Gerichte nicht in Betracht kommt, weil sie in das vom Richtliniengeber im Rahmen seiner Gestaltungsfreiheit bereits allgemein geregelte Verhältnis von Urheberrecht und Schrankenregelung übergreifen würde. Danach könnte sich die Beklagte zur Rechtfertigung eines Eingriffs in das Urheberrecht an den militärischen Lageberichten nicht mit Erfolg auf ein gesteigertes öffentliches Interesse an deren Veröffentlichung berufen.

Man kann das einfache Gesetz (Urheberrecht) ja auslegen wie man will, sollte dabei aber nicht vergessen, wo es herkommt. Der durchaus umstrittene Begriff des geistigen Eigentums macht sehr deutlich, dass man das Urheberrecht als grundrechtlich geschützte Rechtsposition betrachtet, die man historisch am Eigentumsgrundrecht aufgehängt hat. Demgegenüber stehen hier unzweifelhaft die Grundrechte auf Meinungs- Presse- und Informationsfreiheit. Es liegt also im Grunde eine klassische Grundrechtskollision vor. Und eine Auslegung, die sich allein an den Vorgaben des (einfachen) Urheberrechts orientiert und eine allgemeine Grundrechtsabwägung – wie der BGH meint – nicht zulässt, erscheint mir schwer nachvollziehbar. Zumal der EuGH auch den Prüfungsmaßstab der Menschenrechtskonvention zu berücksichtigen hat. Dass das auch kaum der Grundrechtsdogmatik des BVerfG entspricht, hat der I. Zivilsenat des BGH offenbar auch bemerkt. Wohl auch deshalb hat er betont, dass eine Interessenabwägung außerhalb der Vorgaben der Urheberrechtsrichtlinie gar nicht in Betracht kommt, weshalb auch eine Überprüfung durch das BVerfG ausscheiden müsste.

Es bleibt zu hoffen, dass der EuGH den Blick über den Tellerrand wagt, denn, dass das Urheberrecht vorliegend nur als Vehikel zur Informationsunterdrückung dient, ist ein Aspekt, den eine sachgerechte grundrechtliche Betrachtung schlichtweg nicht ignorieren kann.

posted by Stadler at 21:56  

21.2.17

Wann haben Blogs Informationsrechte gegenüber Behörden?

Nach einem Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 27.01.2017 (Az.: 7 CE 16.1994), der mir vorliegt, stellt das Blog einer Verlagsgruppe zu einer bestimmten Thematik, in dem von der Redaktion zugelassene und redaktionell betreute Autoren Artikel veröffentlichen, ein Telemedium mit journalistisch-redaktionell gestalteten Angeboten im Sinne von § 55 Abs. 2 Satz 1 RStV dar. Im konkreten Fall ist dies mit der Folge verbunden, dass ein Auskunftsanspruch gegenüber Behörden nach § 9a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 55 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 RStV geltend gemacht werden kann.

Zur Begründung seiner Entscheidung führt der VGH u.a. folgendes aus:

Bei dem Internetblog „Störungsmelder“ handelt es sich um ein Telemedium mit journalistisch-redaktionell gestalteten Angeboten i.S.v. § 55 Abs. 2 Satz 1 RStV. Entscheidend hierfür ist die publizistische Zielsetzung der Beiträge der Autoren des Blogs (VGH BW, B.v. 25.3.2014 –1 S 169/14 – juris Rn. 22). Es handelt sich dabei nicht um bloße Meinungskundgebungen und Diskussionsbeiträge, sie zielen vielmehr auf eine Teilhabe am Prozess der öffentlichen Meinungsbildung ab. Sie berichten über Vorkommnisse im Bereich des Rechtsextremismus und beruhen auf einem Mindestmaß an Recherchearbeit. Die publizistische Zielsetzung des Telemedienangebots wird nicht dadurch beeinträchtigt, dass die Möglichkeit für Leser besteht, Kommentare abzugeben, die im Blog veröffentlicht werden. Die Kommentierungen, die jedermann offenstehen, unterscheiden sich deutlich von den Impulsartikeln. Sie sind auch bei Aufruf des Angebots nicht erkennbar, sondern müssen eigens aufgerufen werden.

Dem Charakter eines journalistisch-redaktionell gestalteten Angebots widerspricht auch nicht, wenn im Blog um weitere Autoren geworben wird. Sie können nicht unmittelbar Beiträge einstellen, sondern müssen sich der Redaktion mit näheren Angaben (Wo lebst du? Was verbindet dich mit dem Thema? Worüber genau möchtest du
berichten? Wie oft möchtest du bloggen?) vorstellen.

Die Antragstellerseite hat ferner unwidersprochen vorgetragen, dass die Autoren und die Beiträge durch ein Redaktionsmitglied betreut werden. Die Beiträge werden damit nicht beliebig und ungefiltert in das Angebot eingestellt. Die journalistisch-redaktionelle Ausrichtung des Angebots wird nach außen schon allein durch seine Aufmachung erkennbar. Als Anbieter tritt unverkennbar die bundesweit bekannte Verlagsgruppe „DIE ZEIT“ auf. An die journalistische Qualität des Angebots dürfen im Übrigen keine zu hohen Anforderungen gestellt werden. Neben dem „Ob“ ist auch das „Wie“ der Berichterstattung Teil des Selbstbestimmungsrechts der Presse und der ihr verwandten neuen Medien (BVerfG, B.v. 8.9.2014 – 1 BvR 23/14 – juris Rn. 29).

Anders als das Kammergericht, in einer äußerst fragwürdigen neueren Entscheidung, stellt der VGH darauf ab, ob ein Blog eine publizistische Zielsetzung verfolgt. Das Gericht macht andererseits deutlich, dass nicht schon jede Meinungskundgabe und jeder Diskussionsbeitrag ein Blog zu einem journalistisch-redaktionell gestalteten Angebot macht. Diese Differenzierung des VGH erscheint mir sachgerecht, gerade auch vor dem Hintergrund, dass der Gesetzgeber mit §§ 55 Abs. 2 – 57 RStV Regelungen für die „elektronische Presse“ treffen wollte.

posted by Stadler at 11:55  

6.12.16

Fordern kann man viel… – zur sog. Charta für digitale Grundrechte

Von Dr. Arnd-Christian Kulow und Thomas Stadler

Am 30.11.2016 hat eine Initiative von Netzaktivisten, Politikern, Wissenschaftlern und Autoren den Entwurf einer „Charta der Digitalen Grundrechte der Europäischen Union“ vorgestellt.

Wir entsprechen dem Wunsch der Initiatoren und kommentieren den Vorschlag nachfolgend. „Gewogen und für zu leicht befunden“ ist vielleicht noch das mildeste Verdikt, jedenfalls von juristischer Seite. Die im einzelnen geäußerte und höchst berechtigte Kritik soll hier allerdings nicht nochmals vollständig wiederholt werden. Wir haben am Textende einige weiterführende Links zu kritischen Anmerkungen aufgenommen.

Die grundlegende Frage die sich uns stellt ist, ob das Vorgehen der Initiatoren als solches überhaupt hilfreich war und ist oder eher nicht. Um die Antwort vorwegzumehmen: Diese Charta ist nicht geeignet, die Grundrechte im digitalen Zeitalter zu stärken und sollte daher nicht weiter verfolgt werden. Eine öffentliche Debatte jedenfalls dieses Textes halten wir nicht für zielführend.

Wir unterstellen eine gute Absicht bei den Initiatoren und ja, die Digitalisierung wirft Fragen auf, die auch das Recht beantworten muss. Eine „Charta“ zu entwerfen, ist eine Möglichkeit einen Diskurs anzustoßen. Andern Orts ist schon gesagt worden, dass die Charta mit „digitalen“ Grundrechten allerdings etwas fordert, was es nicht gibt. Nein, das ist keine Beckmesserei, sondern mahnt sprachliche Klarheit an, die gerade bei solchen Texten notwendige Bedingung der Wirksamkeit ist.

Die Charta ist in doppelter Hinsicht anmaßend. Sie kombiniert Elemente des deutschen Grundgesetzes mit denen der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, berücksichtigt aber in keinster Weise verfassungsjuristisches Handwerkszeug. Dies verwundert, sind doch renommierte Juristen unter den Initiatoren. Es ist längst verfassungsrechtliches Allgemeingut, dass Verfassungstexte und diesen nachempfundene „Charten“ Textstufen durchlaufen. In rechtlichen Kontexten, zumal wenn sie Neuland betreten ist „robustes“ Arbeiten angesagt und nicht mehr oder weniger freies Assoziieren.

Was hätte die Verfasser also tun sollen?

Es wäre zunächst eine Bestandsaufnahme von Grundrechten und einfachgesetzlichen Regelungen mit Bezug auf digitale Sachverhalte in allen Verfassungen und Rechtsordnungen der EU-Mitgliedstaaten durchzuführen gewesen. Brauchen wir überhaupt „digitale Grundrechte“ oder genügen uns die vorhandenen vollauf? So haben ja bekanntlich der Bundesgerichtshof und das Bundesverfassungsgericht mit dem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht schon sehr früh ein unbenanntes Grundrecht geschaffen, das gleichwohl in der Lage ist, auf neue Fragen der Digitalisierung zu antworten: das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung und das Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme zeugen davon.

In einem zweiten Schritt hätte dann eine Defizitanalyse, bzw. wertende Rechtsvergleichung stattfinden müssen, um festzustellen, welche Lücken vorhanden sind und wie diese geschlossen werden können.

Die so gefundenen Ergebnisse hätte man anschließend mit dem Ziel einer Präzisierung bestehender Grundrechte sowohl in Fachkreisen als auch generell öffentlich diskutieren können. An einer derart strukturierten, methodischen Vorgehensweise fehlt es ganz augenscheinlich aber vollständig.

Was hat man stattdessen getan?

Die Verfasser versuchen, parallel zur bereits vorhandenen Grundrechtecharta der EU eine zweite (vollständige) Charta der digitalen Grundrechte zu schaffen, wobei beide offenbar gleichberechtigt nebeneinander stehen sollen. Der Ansatz verwundert bereits deshalb, weil man meinen könnte, die Unterscheidung zwischen einer Online- und Offlinewelt sei zu überwinden und nicht zu vertiefen.

Gibt es etwa eine besondere Menschenwürde im digitalen Raum oder vielleicht doch nur eine einzige universelle Menschenwürde? Wer die Frage in letzterem Sinne beantwortet, wird sich der Erkenntnis nicht verschließen können, dass Art. 1 Abs. 1 des Chartaentwurfs vollständig überflüssig ist.

Das erste ernsthafte juristische Problem wirft sodann bereits Art. 1 Abs. 3 des Entwurfs auf, der postuliert, dass die Charta gegenüber staatlichen Stellen und Privaten gelten soll. Das ist in zweierlei Hinsicht bemerkenswert. Grundrechtsverpflichtete waren bislang stets nur staatliche Stellen, nachdem Grundrechte per definitionem Abwehrrechte gegenüber dem Staat sind. Träger von Grundrechten sind demzufolge (nur) Private, vorrangig natürliche Personen. Wenn man nun den Kreis der Grundrechtsverpflichteten auf Private ausdehnt, stellt dies nicht nur einen Bruch mit der bisherigen verfassungsrechtlichen Dogmatik dar, sondern wirft Folgefragen auf, die niemand mehr widerspruchsfrei wird beantworten können. Es entstünde nämlich dadurch die Situation, dass Private (zugleich) Grundrechtsberechtigte und –verpflichtete wären. Wird also das Verfassungsrecht zum Privatrecht, oder welche Bedeutung hat es, wenn Grundrechte zwischen Privaten gelten? Und wer wacht darüber? Diese Rolle wird selbstverständlich der Staat einehmen. Was das bedeutet ist klar. Die Charta macht ihn zum Leviathan: zum freiheitsfressenden Monster.

Darüber hinaus gilt die Grundrechtecharta der EU nach ihrem Art. 51 nur für Stellen der EU, für die Mitgliedsstaaten aber nur dann, wenn sie Unionsrecht durchführen. Das hat seinen  Grund darin, dass die EU keine umfassende Regelungskompetenz für alle Rechts- und Lebensbereiche besitzt und demzufolge auch keinen Grundrechtskatalog definieren kann, der uneingeschränkt für sämtliches Handeln der Mitgliedsstaaten gilt. Das soll nach Art. 1 Abs. 3 dieses Entwurfs allerdings anders sein, die Charta soll für jedwedes staatliches Handeln gelten und damit auch jegliches Handeln der Mitgliedsstaaten regeln. Das ist schlicht nicht europarechtskonform.

Die Grundkonzeption der Charta funktioniert auch bei anderen Grundrechten nicht, was wir exemplarisch anhand von Art. 5 (Meinungsfreiheit) verdeutlichen wollen. Soweit Art. 5 Abs. 1 des Entwurfs die Meinungsfreiheit auch für die digitale Welt – was ist das eigentlich? – gewährleistet, so ist dies schlicht überflüssig. Die Meinungsfreiheit ist bereits in Art. 11 der Grundrechtecharta und in sämtlichen Verfassungen der Mitgliedsstaaten gewährleistet, in Deutschland in Art. 5 GG.

Die sich anschließende Regelung in Art. 5 Abs. 2 der Digitalcharta ist je nach Lesart merkwürdig, gefährlich oder überflüssig. Eine Auslegung, die auf eine sinnvolle Regelung hindeuten könnte, erschließt sich uns derzeit nicht. Die Vorschrift fordert, dass digitale Hetze, Mobbing sowie Aktivitäten, die geeignet sind, den Ruf oder die Unversehrtheit einer Person ernsthaft zu gefährden, zu verhindern sind und zwar durch die Grundrechtsverpflichteten, also durch staatliche Stellen und Private. Wenn also alle staatlichen Stellen und alle Privaten diese Pflicht trifft, ist also im Grunde jeder dazu verpflichtet das zu verhindern. Auch der Hetzer ist danach verpflichtet, sich selbst in die Schranken zu weisen. Hier zeigt sich bereits die Absurdität der Ausweitung des Kreises der Grundrechtsverpflichteten auf Private.

Was soll damit aber sachlich-inhaltlich geregelt werden? Handelt es sich um eine Schranke wie in Art. 5 Abs. 2 GG, wonach das Grundrecht auf Meinungsfreiheit seine Schranken in den allgemeinen Gesetzen, den gesetzlichen Bestimmungen des Jugend- und Ehrschutzes findet? Wenn das gemeint sein sollte, ist die Formulierung komplett misslungen. Dem Wortlaut nach soll eine unmittelbare Handlungspflicht normiert werden, was Fragen aufwirft, zumal es sich bei unbestimmten Begriffen wie Mobbing und Hetze noch nicht einmal um Rechtsbegriffe handelt. Letztlich gehört eine solche Regelung systematisch in ein einfaches Gesetz. Sie kann nicht Verfassungsrang haben, weil sonst unterbunden wird, dass  sie uneingeschränkt auch anhand des Grundrechts überprüft und an diesem gemessen wird. Hetzerische Postings sind nach unserem aktuellen Verständnis von Meinungsfreiheit, wie es durch das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) und den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) geprägt worden ist, keineswegs per se unzulässig. Es ist ganz im Gegenteil so, dass ein freiheitlich-demokratischer Staat in diesem Bereich u.U. sehr viel von dem ertragen muss, was man als hetzerisch, rassistisch oder diskriminierend empfindet.

Darüber hinaus muss der hier zum Grundrechtsverpflichteten mutierte Private – angesprochen sind damit u.a. Betreiber von sozialen Netzen oder Meinungsportalen – auch immer die Informationsfreiheit seiner Nutzer berücksichtigen. Die Informationsfreiheit regelt Art. 5 des Entwurfs interessanterweise aber nicht, sie wird vielmehr scheinbar in Art. 2 Abs. 1 als Recht auf freie Information angesprochen. Ob damit tatsächlich die Informationsfreiheit im Sinne von Art. 5 Abs. 1 S. 1 (2. Alt.) GG und Art. 11 Abs. 1 S. 2 EU-Grundrechtecharta abgebildet wird, erscheint angesichts des Wortlauts fraglich. Wer, wie die Verfasser dieser Charta, den Anspruch hat, die Meinungsfreiheit nochmals für den Digitalbereich zu regeln, der sollte dies zumindest vollständig tun und nicht die Hälfte weglassen.

Der aktuelle Textvorschlag wirft insgesamt die Frage auf, ob die dort skizzierte Vorstellung von Meinungsfreiheit nicht möglicherweise (deutlich) hinter dem Rahmen zurückbleibt, den EGMR und BVerfG abgesteckt haben. Die Meinungsfreiheit soll hier in einer Art und Weise einschränkt werden, die die Bedeutung und Tragweite dieses für jeden demokratischen Rechtsstaat schlicht konstituierenden Grundrechts fundamental verkennt.

Man kann insgesamt sicherlich darüber diskutieren, ob der tradierte Katalog der Grundrechte ergänzungsbedürftig ist. Existierende Grundrechte wie die Meinungsfreiheit müssen dafür aber nicht neu- und vor allem nicht umdefiniert werden.

Die Charta vergisst zudem auch, dass das vom BVerfG in der Lebach-Entscheidung in seiner Verfassungsgemäßheit bestätigte Allgemeine Persönlichkeitsrecht in seinen Ausprägungen des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung und Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme sehr wohl in der Lage ist, den Herausforderungen der Digitalisierung zu begegnen. Dass die datenschutzrechtlichen Regelungen des Entwurfs defizitär sind und der Entwurf insoweit ein „heilloses Durcheinander aus Buzzwords, unvollständigen Begriffssammlungen und ungenutzten Chancen“ darstellt, hat Malte Engeler treffend herausgearbeitet. Insgesamt ist die Frage zu stellen, ob wirklich Lücken des grundrechtlichen Systems zu beklagen sind oder ob wir nicht eher ein Vollzugsgedefizit beobachten können, an dem auch neue und veränderte Grundrechte nichts ändern werden. Die Schaffung neuer Grundrechtskataloge ist nicht die Antwort auf die zunehmende Gefährdung der Grundrechte in der sog. digitalen Welt. Vielmehr sollte man sich Gedanken darüber machen, wie man den bereits vorhandenen und weitestgehend ausreichenden Rechten und Regelungen zu stärkerer Geltung verhilft.

Eine methodische und wissenschaftliche Vorgehensweise unter Berücksichtigung des vorhandenen Grundrechtsniveaus hätte die Intiatoren vor ihrem zentralen Fehler bewahrt: Den an das Grundgesetz angelehnten und um Elemente der Grundrechtecharta ergänzten Entwurf allen Ernstes Europa als Lösung anzudienen. Wolfgang Michal kritisiert den Entwurf völlig zurecht als deutschen Sonderweg. Bescheidenheit und Integrationskompetenz, das sollten wir Europa anbieten, auch im Bereich der Informationstechnologie.

 

Weiterführende Links:

Unstable – Der Digitalcharta fehlt ihr Datenschutzfundament (Malte Engeler)

Verkehrte Welt: Zur Zweckentfremdung von “Grundrechten” und zur Verklärung des “Nichtwissens” (Niko Härting)

„Digi­tale Grund­rechte“ – warum eigent­lich? (Niko Härting)

Digitale Chartastimmung (Markus Kompa)

Kommentare zur “Charta der digitalen Grundrechte der Europäischen Union” (Jürgen Geuter)

Vorschlag für EU-Digitalgrundrechte: Nachbesserungen beim Urheberrecht nötig (Julia Reda)

Digitalcharta: Dinge verbieten, im Namen der Freiheit (Simon Assion)

Die Digitalcharta – und was wir statt dessen brauchen (Marc Pütz-Poulalion)

posted by Arnd Kulow at 09:20  

14.6.16

BGH zum Spannungsverhältnis von Meinungsfreiheit und Wettbewerbsrecht

Kritische oder auch herabsetzende Äußerungen zwischen Konkurrenten sind im Wirtschaftsleben an der Tagesordnung. Die juristisch interessante Frage ist hierbei, ob bei einem bestehenden Wettbewerbsverhältnis strengere Anforderungen an die Zulässigkeit einer Meinungsäußerung zu stellen sind, als nach allgemeinen äußerungsrechtlichen Grundsätzen.

In einer neuen Entscheidung (Urteil vom 17.12.2015, Az.: I ZR 219/13) geht der BGH davon aus, dass Meinungsäußerungen, die zugleich wettbewerblichen Zwecken dienen, strenger zu bewerten sind als Äußerungen, die lediglich dem allgemeinen Deliktsrecht unterliegen. Auch Meinungsäußerungen, die die Grenze zur unzulässigen Schmähkritik nicht überschreiten, können eine nach § 4 Nr. 7 UWG (aF) unzulässige Herabsetzung darstellen. Der BGH verlangt gleichwohl eine umfassende Güter- und Interessenabwägung. Insbesondere dann, wenn das Interesse des sich Äußernden auf politische, wirtschaftliche, soziale oder kulturelle Belange der Allgemeinheit gerichtet ist, ist im Interesse der Meinungs- und Informationsfreiheit ein grozügigerer Maßstab anzulegen, als bei nur privat bzw. wirtschaftlich motivierten Auseinandersetzungen.

Der BGH führt in seiner Entscheidung hierzu aus:

Auch wenn die Voraussetzungen einer stets unzulässigen Schmähkritik – wie das Berufungsgericht zutreffend angenommen hat – im Streitfall nicht vorliegen, führt die gebotene Abwägung dazu, dass die beanstandete Äußerung des Beklagten als eine nach § 4 Nr. 7 UWG aF unzulässige Herabsetzung des Klägers einzustufen ist.

Ist eine Schmähkritik zu verneinen, kann sich die lauterkeitsrechtliche Unzulässigkeit einer Äußerung über einen Mitbewerber aufgrund einer umfassenden Interessenabwägung ergeben. Erforderlich ist insofern eine Gesamtwürdigung, bei der alle Umstände des Grundrechts unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit gegeneinander abzuwägen sind (vgl. BGH, GRUR 2012, 74 Rn. 33 – Coaching-Newsletter; Köhler in Köhler/Bornkamm aaO § 4 Rn. 7.21; Dittmer in Büscher/Dittmer/Schiwy, Gewerblicher Rechtsschutz Urheberrecht Medienrecht, 3. Aufl., § 4 Nr. 7 UWG Rn. 19). Ein beeinträchtigendes Werturteil kann daher umso eher zulässig sein, je nützlicher die Information für die Adressaten ist oder je mehr aus anderen Gründen ein berechtigtes Informationsinteresse oder hinreichender Anlass für die Kritik besteht und je sachlicher die Kritik präsentiert wird (Dittmer in Büscher/Dittmer/Schiwy aaO § 4 Nr. 7 Rn. 19). Weiterhin von Bedeutung ist das Maß an Herabsetzung, das mit der Äußerung einhergeht (vgl. Ohly in Ohly/Sosnitza aaO Rn. 7/18). Bei der Gewichtung der Meinungsäußerungsfreiheit gegenüber anderen Grundrechtspositionen ist zudem zu berücksichtigen, ob vom Grundrecht der Meinungsäußerungsfreiheit im Rahmen einer privaten Auseinandersetzung zur Verfolgung von Eigeninteressen oder im Zusammenhang mit einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage Gebrauch gemacht wird. Je mehr das Interesse des sich Äußernden auf politische, wirtschaftliche, soziale oder kulturelle Belange der Allgemeinheit gerichtet ist, desto eher ist seine Äußerung in Abwägung mit anderen Belangen gerechtfertigt (BVerfG, GRUR 2008, 81, 83). Aus diesem Grund sind Meinungsäußerungen, die zugleich wettbewerblichen Zwecken dienen, strenger zu bewerten als Äußerungen, die nicht den lauterkeitsrechtlichen Verhaltensanforderungen, sondern lediglich dem allgemeinen Deliktsrecht unterliegen (vgl. BGH, GRUR 2012, 74 Rn. 33 – Coaching-Newsletter).

posted by Stadler at 10:49  

10.2.16

Auch Staatsunternehmen in privater Rechtsform müssen der Presse Auskunft erteilen

Ein Journalist kann von einem privaten Unternehmen das durch die öffentliche Hand beherrscht wird, gem. § 4 des nordrhein-westfälischen Landespressegesetzes Auskunft über den Abschluss und die Abwicklung von Verträgen mit Dienstleistern verlangen, um über verdeckte Wahlkampffinanzierungen zu recherchieren. Das hat das Oberlandesgerichts Hamm mit Urteil vom 16.12.2015 (Az.: 11 U 5/14) entschieden. In der Pressemitteilung des OLG Hamm heißt es hierzu u.a.:

Die Beklagte sei als Behörde im Sinne des nordrhein-westfälischen Landespressegesetzes zur Auskunft verpflichtet, auch wenn sie als Aktiengesellschaft organisiert sei und privatrechtlich tätig werde. Dem Landespressegesetz unterfielen auch juristische Personen des Privatrechts, wenn sich die öffentliche Hand ihrer zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben bediene. Das treffe auf die Beklagte zu. Sie werde von der öffentlichen Hand beherrscht und erfülle Aufgaben der Daseinsvorsorge.

Die entscheidende Frage scheint mir zu sein, ob man ein privatrechtlich organisiertes Unternehmen der öffentlichen Hand als Behörde im Sinne des Landespressegesetzes NRW betrachten kann. Für die Auslegung des OLG Hamm spricht der alte öffentlich-rechtliche Grundsatz „keine Flucht ins Privatrecht“. Danach kann sich der Staat durch die bloße Wahl einer privatrechtlichen Rechtsform nicht den Bindungen des öffentlichen Rechts entledigen. Andererseits ist ein Privatunternehmen natürlich keine Behörde im engeren Sinne.

Das Urteil ist nicht rechtskräftig, die Revision ist beim BGH bereits anhängig (Az.: I ZR 13/16).

posted by Stadler at 09:07  

13.9.15

Muss Facebook stärker gegen rassistische Postings vorgehen?

Bundesjustizminister Heiko Maas fordert von Facebook ein stärkeres Vorgehen gegen rassistische Äußerungen. Konkret verlangt Maas, dass Facebook ein Team mit deutschsprachigen Mitarbeitern einstellt, das gezielt gegen Hass-Botschaften vorgeht, die über das soziale Netzwerk verbreitet werden und Ausländer und Flüchtlinge betreffen. Das hat erwartungsgemäß zu kontroversen Diskussionen geführt, im Heise-Newsticker war sogar davon die Rede, Maas würde ein deutschsprachiges Zensurteam von Facebook fordern.

Im Zusammenhang mit amerikanischen Anbietern wie Facebook oder Google wird immer wieder die Frage gestellt, weshalb sie sich überhaupt an deutschen Gesetzen orientieren sollten. Diese Frage ist sowohl in der deutschen wie auch der europäischen Rechtsprechung geklärt. Maßgeblich für die Anwendung von nationalem Recht ist ein hinreichender Inlandsbezug. Wenn also beispielsweise auf Facebook Deutsche, in deutscher Sprache, über ein aktuelles inländisches Thema wie den Zustrom von Flüchtlingen nach Deutschland diskutieren, dann ist der Bewertungsmaßstab der Äußerungen der Nutzer das deutsche Recht.

Sobald Facebook Kenntnis von Äußerungen erhält, die Strafgesetze verletzen, also insbesondere eine Volksverhetzung oder Beleidigung darstellen, ist Facebook zur Löschung verpflichtet. Gleiches gilt auch für ehr-, persönlichkeits- und datenschutzrechtsverletzende Postings.

Nun ist allerdings nicht alles, was man als rassistisch oder hetzerisch betrachten kann, ohne weiteres strafbar. Die Hürden für eine Volksverhetzung im Sinne von § 130 StGB sind vielmehr eher hoch, so dass sie nur in wenigen Fällen überschritten sein werden.

Ein Blick in die Geimschaftsstandards von Facebook macht allerdings deutlich, dass Facebook nach seinen selbstaufgestellten Regeln, die die Nutzer bei der Anmeldung akzeptieren, Hassbotschaften ganz allgemein verbietet. Wer eine Person, wegen ihrer Rasse, ethnischen Zugehörigkeit, wegen ihrer sexuellen Orientierung oder des Geschlechts direkt angreift oder Hass gegen eine solche Personengruppe schürt, wird nach diesen Regeln bei Facebook gelöscht. Die Schwelle der Community-Standards von Facebook ist also deutlich niedriger als die des § 130 StGB bei der Volksverhetzung.

An dieser Stelle muss sich Facebook in der Tat fragen lassen, warum es sich nicht einmal an seine eigenen, selbstgesetzten Regeln hält. Gemessen an den eigenen Standards hätte Facebook in letzter Zeit deutlich mehr löschen müssen. Meine Erfahrung als Anwalt ist die, dass Facebook auch bei klar rechtswidrigen Äußerungen häufig nicht reagiert, während beispielsweise nackte Brüste oder auch (behauptete) Urheber- oder Markenrechtsverletzungen oftmals sehr schnell gelöscht werden.

Den Vorschlag von Heiko Maas, dass Facebook ein deutschsprachiges Team zusammenstellen soll, das rechtswidrige Äußerungen von Nutzern überprüft, kann man meines Erachtens nicht ernsthaft kritisieren. Facebook hat als Betreiber eines sozialen Netzwerks die Vorgaben des Strafrechts und zum Schutz der persönlichen Ehre zu beachten und es darf politisch auch angehalten werden, seine eigenen Standards zu befolgen.

Man muss andererseits natürlich berücksichtigen, dass das übereifrige Löschen von Postings die aus dem rechten Spektrum kommen, auch die Meinungs- und Informationsfreiheit der Nutzer beeinträchtigen kann. Unserem Grundgesetz liegt das Konzept einer streitbaren Demokratie zugrunde und auch Rechtsradikale, Rassisten und Nazis können sich deshalb in ihrem Sinne an der öffentlichen Debatte beteiligen, solange sie keine Straftatbestände erfüllen oder die persönliche Ehre eines Anderen verletzen. Die Löschung von Postings erfordert daher immer eine sorgfältige Abwägung. Dass diese Abwägung zumindest in einem ersten Schritt auf Unternehmen wie Facebook abgewälzt wird, mag man bedauern oder für bedenklich halten, liegt aber in der Natur der Sache. Wer, wenn nicht Facebook selbst, sollte die Durchsetzung von Regeln auf Facebook denn gewährleisten? Die Entscheidungen von Facebook bestimmte Inhalte zu löschen oder nicht zu löschen, unterliegen außerdem der gerichtlichen Kontrolle. Facebook wird derzeit von Deutschland aus nur selten verklagt, weil es vielen Betroffenen zu mühsam oder riskant erscheint, sich mit Facebook auseinanderzusetzen. Wenn sich das ändert, wird Facebook in Zukunft vielleicht auch sorgfältiger prüfen, welche Äußerungen zu beanstanden sind und welche nicht.

Update:
Mein heutiges Interview mit der Radiowelt auf Bayern2 zum Thema kann man hier nachhören.

posted by Stadler at 21:05  

28.7.15

OLG Köln: WAZ-Gruppe darf militärische Lageberichte der Bundeswehr nicht veröffentlichen

Das OLG Köln hat der WAZ-Gruppe mit Urteil vom 12.06.2015 (Az.: 6 U 5/15) untersagt, militärische Lageberichte der Bundeswehr („Afghanistan Papiere“) im Internet zu veröffentlichen.

Konkret geht es um die Unterrichtung des Parlaments gemäß § 6 Abs. 1 ParlBG über die Auslandseinsätze der Bundeswehr. Die entsprechenden Berichte werden unter der Bezeichnung „Unterrichtung des Parlaments“ an ausgewählte Abgeordnete des Deutschen Bundestages, Referate im Bundesministerium der Verteidigung und an andere Bundesministerien sowie nachgeordneten Dienststellen versandt. Die Berichte werden als Verschlussache für den Dienstgebrauch eingestuft und entsprechend gekennzeichnet.

Das Unterlassungsurteil des OLG Köln stützt sich auf urheberrechtliche Vorschriften. Das OLG hat die Lageberichte als Sprachwerke bzw. Schriftwerke im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 1 UrhG eingestuft, was durchaus zutreffend sein mag. Den Charakter eines amtlichen Werkes im Sinne von § 5 UrhG, das veröffentlicht werden dürfte, verneint der Senat.

Durchaus interessant sind dann die Ausführungen des OLG zu der Frage, ob aus verfassungsrechtlicher Sicht ein Überwiegen der Meinungs- und Pressefreiheit in Betracht kommt, weil das Urheberrecht von der Bundesrepublik hier nur als Mittel zur Unterbindung unliebsamer Berichterstattung genutzt wird. Das OLG führt hierzu aus:

Das Landgericht hat zutreffend festgestellt und ausführlich begründet, dass weder eine Berichterstattung über Tagesereignisse im Sinne von § 50 UrhG vorliegt noch ein zulässiges Zitat im Sinne von § 51 UrhG gegeben ist, wenn sich das Internetportal eines Zeitungsverlages darauf beschränkt, die militärischen Lageberichte in systematisierter Form einzustellen und zum Abruf bereitzuhalten; neben der Auslegung und Anwendung der urheberrechtlichen Vorschriften bedürfe es keiner gesonderten Grundrechtsabwägung. Die Abwägung habe vielmehr im Rahmen der Auslegung und Anwendung der Schrankenregelungen §§ 50, 51 UrhG zu erfolgen.

Auch mit ihren hiergegen gerichteten Beanstandungen dringt die Beklagte im Ergebnis nicht durch. Sie stützt sich auf die Argumente von Hoeren/Herring aus dem Aufsatz „Urheberrechtsverletzung durch WikiLeaks? Meinungs-, Informations- und Pressefreiheit vs. Urheberinteressen“ (MMR 2011, 143). Diese vertreten für die ähnlich gelagerte Problematik der Veröffentlichung von Botschaftsdepeschen, in denen sich – wie teilweise in den UdP – v.a. Einschätzungen über die politische Lage im jeweiligen Land, Gesprächsprotokolle, Hintergründe zu Personalentscheidungen und Ereignissen oder Psychogramme einzelner Politiker finden, die von US-Botschaften und Konsulaten an das US-Außenministerium in Washington geschickt werden, die Auffassung, dass ausnahmsweise auch im Urheberrecht die entgegenstehenden Interessen miteinander abgewogen werden, wenn das Urheberrecht als Handhabe gegen die Veröffentlichung vertraulicher Dokumente eingesetzt werde. Auf dieser Linie argumentiert die Beklagte auch für die ihr auf unbekanntem Wege zugespielten UdP. Sie wendet sich nicht gegen die Feststellungen des Landgerichts, dass deren Veröffentlichung nach dem „klassischen“ Verständnis der Schranken der §§ 50, 51 UrhG nicht gedeckt sei, fordert jedoch eine weite Auslegung der Schrankenbestimmungen und insbesondere eine Ausweitung des § 51 UrhG im Informationsinteresse der Allgemeinheit, das im Streitfall einem nur behaupteten Geheimhaltungsinteresse und sonstigen Verwertungsinteressen der Klägerin vorgehe.

Dem folgt der Senat nicht. Auch wenn man – im Ansatz mit der Beklagten – die Pressefreiheit weit auslegt und auch ein Berufen auf die Informationsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG berücksichtigt, und selbst wenn diese Grundrechte im Wege verfassungskonformer Auslegung der urheberrechtlichen Schrankenbestimmungen in einen Ausgleich zu den Verwertungs- und Geheimhaltungsinteressen der Klägerin zu bringen sind, überwiegen die Grundrechte der Beklagten gegenüber denjenigen, auf die sich die Klägerin berufen kann, nicht in dem Sinne, dass auch die Veröffentlichungen der gesamten und ungekürzten UdP von dem Zweck der urheberrechtlichen Schrankenregelung des Zitatrechts gedeckt sind. Die Beklagte räumt ein, dass die Klägerin die in Rede stehenden Dokumente – in Gestalt der UdÖ – selbst größtenteils bereits für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht hat. Damit ist dem Informationsinteresse bereits in hohem Maße Rechnung getragen. Die Veröffentlichung einzelner Auszüge aus den Dokumenten – wie sie in Gestalt der UdÖ erfolgt – reicht aus, um die Sichtweise der Klägerin auf die von ihr in den Berichten behandelten Nationen und die Lage im jeweiligen Land wiederzugeben. Dem Leser der Internetseite der Beklagten werden darüber hinaus von dieser keine Informationen über die Hintergründe oder Erklärungen zu den in den UdP behandelten Themen nebst inhaltlicher Auseinandersetzung präsentiert; die Klägerin zieht daher zu Recht in Zweifel, ob die Allgemeinheit angesichts der allgemein zugänglichen UdÖ tatsächlich ein solches Interesse an der Verbreitung der vollständigen Dokumente hat. Bereits das Landgericht hat zu Recht darauf verwiesen, dass die Beklagte den Zweck der Auseinandersetzung mit einer angeblichen Diskrepanz zwischen UdÖ und UdP auch dadurch hätte erreichen können, dass sie einzelne Abschnitte der UdP im Rahmen einer Analyse erörtert und diesen die entsprechenden Abschnitte der UdÖ gegenübergestellt hätte – eine entsprechende Gegenüberstellung und Analyse findet sich etwa auf der Homepage „www.datenjournalist.de/was die Bundeswehr in den Berichten an die Öffentlichkeit alles weglässt“. Eine vergleichbare journalistische Bearbeitung, Analyse oder vertiefte Auseinandersetzung der Beklagten mit den Berichten erfolgt jedoch nicht. Demgegenüber hat die Klägerin in ihrem bereits oben zitierten Ablehnungsbescheid legitime Gründe für die Geheimhaltung bestimmter Informationen angegeben, weil die UdP militärische und sonstige sicherheitsempfindliche Belange der Bundeswehr betreffen. Dies überzeugt ohne weiteres, soweit eine Bedrohungslage oder die Rolle einer handelnden Person eingeschätzt und bewertet oder Strategien der Bundeswehr oder Details ihrer Einsatzstärke dargestellt werden. Im Übrigen muss der Klägerin wie bereits ausgeführt insoweit ein entsprechendes und nicht in jedem Einzelfall zu begründendes Ermessen eingeräumt werden. Soweit die Beklagte darauf hinweist, es seien keine nennenswerten Vermögensinteressen der Klägerin betroffen, verkennt sie, dass dem Urheber grundsätzlich insbesondere auch die Entscheidung über das „Ob“ der Veröffentlichung zusteht.

posted by Stadler at 21:28  
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