Die Grenzen zwischen Lobbyismus und Journalismus verschwimmen
Mit der morgigen Abstimmung im Europäischen Parlament zur Urheberrechtsrichtlinie geht (vielleicht) eine bislang in dieser Form noch nicht dagewesene Lobbykampagne zu Ende, die leider auch vor den etablierten Medien nicht Halt macht.
Den publizistischen Tiefschlag liefern mit Heribert Prantl und Andrian Kreye ausgerechnet zwei der bekanntesten Journalisten der Süddeutschen Zeitung. Während Kreye meint: „Ihr unterstützt datengierige US-Konzerne“, um anschließend, die These aufzustellen, es ginge um Datensouveränität, spitzt Prantl noch stärker zu:
Aber die Vorwürfe stimmen nicht, es handelt sich um Lügen und Finten der Internet-Großkonzerne. Sie haben die Netzgemeinde mit diesen Lügen eingewickelt. Diese Konzerne tarnen ihre Geschäftsinteressen mit heuchlerisch idealistischem Gerede.
Hätte sich Prantl nur ein kleinwenig mit dem Thema befasst, dann wäre ihm nicht entgangen, dass sich eine Vielzahl führender Fachleute unterschiedlicher Disziplinen kritisch bis ablehnend mit dem Gesetzesvorhaben auseinandergesetzt haben. Reto Hilty und Valentina Moscon, Rechtswissenschaftler am Max-Planck-Institut für Immaterialgüter- und Wettbewerbsrecht in München, gehen davon aus, dass die Richtlinie ihre zentrale Zielsetzung über weite Strecken verfehlt. Hannes Federrath, Präsident der Gesellschaft für Informatik und einer der führenden Wissenschaftler auf dem Gebiet der Informationssicherheit appellierte an die EU-Abgeordneten, die Richtlinie abzulehnen.
Kreye hätte sich beispielsweise mit der Veröffentlichung des Datenschutzrechtlers Malte Engerer befassen können, der in einem aktuellen Beitrag Art. 17 (vormals Art. 13) der geplanten Richtlinie für unvereinbar mit Art. 7 und 8 der Grundrechtecharta und der Datenschutz-Grundverordnung hält. Wenn man auf die Website der Süddeutschen geht, wird der aufmerksame Nutzer bemerken, dass er von einer zweistelligen Anzahl an Tracking-Tools erfasst wird, was bei mir natürlich die Frage aufwirft, ob ich mich lieber datengierigen deutschen Verlagen aussetzen will – gegen die deutsche Aufsichtsbehörden interessanterweise nach wie vor nicht vorgehen – oder amerikanischen Großkonzernen. Noch bin ich unentschieden, aber in puncto Heuchelei sehe ich derzeit einen leichten Vorsprung deutscher Zeitungsverlage gegenüber Google & Co.
In einem eigenen Blogbeitrag hatte ich sechs gängigen Thesen der Befürworter der Richtlinie widersprochen. Womit ich mich nicht auseinandergesetzt habe, war die zentrale These der Befürworter, man müsse diese Richtlinie unterstützen, um für eine bessere Vergütung der Kreativen zu sorgen. Wem das ein ernsthaftes Anliegen ist, der darf sich, anders als Prantl und Kreye, auch dem Reality-Check nicht verweigern. Nichts in dieser Richtlinie wird die Vergütungssituation der Urheber verbessern, denn dafür fehlt es schlicht an den notwendigen Regelungen. Die geplante Vorschrift des Art. 16 (vormals Art. 12) normiert vielmehr folgendes:
Die Mitgliedstaaten können festlegen, dass für den Fall, dass ein Urheber einem Verleger ein Recht übertragen oder ihm eine Lizenz erteilt hat, diese Übertragung oder Lizenzierung eine hinreichende Rechtsgrundlage für den Anspruch des Verlegers auf einen Anteil am Ausgleich für die jeweilige Nutzung des Werkes im Rahmen einer Ausnahme oder Beschränkung für das übertragene oder lizenzierte Recht darstellt.
Was harmlos klingt, ist ein Bruch mit der jüngeren Rechtsprechung des BGH, der entschieden hat, dass die Verwertungsgesellschaft VG Wort keinen pauschalierten Verlegeranteil an Verlage abführen darf, sondern vielmehr alles an den Autor/Urheber auszuschütten hat. Die Neuregelung schafft die Voraussetzung dafür, dass künftig wieder an Verlage ausgekehrt werden und damit der Anteil des Autors reduziert werden kann. Ein Ergebnis des Lobbyismus der Verlage, das sich unmittelbar zum Nachteil von Autoren/Journalisten auswirken wird. Es ist deshalb auch kein Zufall, dass sich die Freischreiber, ein Berufsverband freier Journalisten und Autoren, gegen die Richtlinie aussprechen.
Und man sollte an dieser Stelle auch nicht verschweigen, dass es die deutsche Verlagslobby war, die, zusammen mit dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk eine angemessene Vergütung ihrer Journalisten und Autoren verhindert hat. Es ist also keineswegs so, dass die Interessen der Autoren zwangsläufig mit denen der Verlage deckungsgleich sind, auch wenn dies gerne behauptet wird.
Jedenfalls dann, wenn man ein Mindestmaß an journalistischer Sorgfalt beachten will, ist es geboten, sich mit diesen Positionen auseinanderzusetzen, anstatt so zu tun, als wären die Gegner der Richtlinie samt und sonders von amerikanischen Großkonzernen fehlgeleitete Naivlinge. Aber es geht bei Prantl und Kreye offenbar nicht mehr darum, Argumente zu widerlegen und den konstruktiven Widerspruch zumindest zu versuchen. Ihre Texte enthalten keine Zwischentöne mehr, kein Pro und Contra, keine Abwägung. Die Technik dieser beiden Journalisten ist vielmehr die Diffamierung derjenigen, die man als Gegner ausgemacht hat, unter Ausblendung sämtlicher Sachargumente.
Dieses mediale Phänomen, für das Kreye und Prantl nur exemplarisch stehen, wird flankiert und befeuert von einer politischen Desinformationskampagne, die zumindest hierzulande alles in den Schatten stellt, was es bisher gab. Abgeordnete, vornehmlich der Union hatten u.a. behauptet, Beschwerde-E-Mails kämen von Bots und amerikanische Unternehmen würden Demonstranten kaufen und bezahlen.
Das was wir hier beobachten können, ist nichts anderes als eine Form des Dirty Campaignings, bei dem die Grenzen zwischen politischem Lobbyismus und Journalismus verschwimmen. Diese Form der politischen und medialen Auseinandersetzung scheint endgültig auch hierzulande angekommen zu sein und sie benutzt dieselben Techniken, die einen Trump an die Macht gebracht und den Brexit ermöglicht hat. Diejenigen, die sich wie ein Prantl auf die Aufklärung berufen, sollten einen Moment innehalten. Denn die einzig vernünftige Schlussfolgerung besteht in der Ablehnung dieses Richtlinienvorschlags. Nur das bietet die Chance, dass es doch noch zu einer sinnvollen und zukunftsorientierten Regelung kommen kann. Das würde allerdings voraussetzen, dass auf die Fachleute gehört wird und nicht nur auf die Lobbyisten der Verlage und Rechteverwerter. Auch die Zivilgesellschaft wäre in diese Debatte einzubeziehen. Denn es geht um weit mehr als um urheberrechtliche Fragen. Und am Ende würde man vielleicht sogar an den Punkt kommen, dass Google mehr zahlen muss als bisher. Aber in überwiegendem Maß an die Urheber und nicht an die Rechteinhaber und auf Basis eines auch für die Allgemeinheit akzeptablen Regelwerks.