Internet-Law

Onlinerecht und Bürgerrechte 2.0

16.2.10

Der Jugendmedienschutz muss generell auf den Prüfstand

Derzeit wird viel über einen neuen Entwurf eines Jugendmedienschutzstaatsvertrags (JMStV) diskutiert. Dieser Entwurf verfestigt mit Blick auf die neuen Medien aber nur eine Jugendschutzpolitik, die sich bereits in der geltenden Fassung des JMStV wiederfindet.

Die Einhaltung der Vorgaben des JMStV ist Sache der sog. Kommission für Jugendmedienschutz (KJM). Sie dient, wie § 14 Abs. 2 JMStV besagt, den jeweiligen Landesmedienanstalten als Organ bei der Erfüllung der gesetzlichen Aufgaben des Jugendmedienschutzes.

Alvar Freude stellt in seinem Blog nun die These auf, dass die KJM gefährlicher sei als „Zensursula“ und das Zugangserschwerungsgesetz. Freude stützt diese Ansicht vor allem auf ein Papier der KJM in dem es u.a. um die Möglichkeit von Sperrungsverfügungen gegen Access-Provider geht. In seiner Schlussfolgerung, dass wir insgesamt ein Umdenken beim Jugendmedienschutz brauchen, kann ich ihm freilich nur zustimmen.

Die derzeitige Diskussion greift zu kurz, wenn sie nur den neuen Entwurf des JMStV kritisch betrachtet. Vielmehr ist das Gesamtkonzept des deutschen Jugendmedienschutzes in Frage zu stellen. Denn die Mechanismen die der JMStV vorsieht, knüpfen an Vorstellungen der Rundfunkregulierung an, die auf das Netz nicht nur nicht 1:1, sondern überhaupt nicht übertragen werden können. Diejenigen, die in Deutschland in diesem Bereich derzeit meinungsbildend sind, kommen allerdings primär aus dem Rundfunkbereich bzw. dem klassischen Jugendschutz. Und das ist eine der Ursachen der derzeitigen Fehlentwicklung.

Am Anfang aller Überlegungen sollte die Einsicht stehen, dass der Jugendmedienschutz in seiner jetzigen Form lediglich Scheinlösungen anbietet, die niemandem nutzen. Jeder durchschnittlich begabte Hauptschüler kann heutzutage soviele pornographische Inhalte aus dem Netz saugen, wie er niemals konsumieren kann. Die meisten Anbieter von Inhalten, die nach inländischen Kriterien als jugendgefährdend eingestuft werden, haben sich zudem formal ohnehin längst im Ausland angesiedelt und dem Zugriff deutscher Behörden entzogen. Ob deutsche Jugendschützer ein paar Webseiten kennzeichnen oder nicht, spielt deshalb im Ergebnis keine Rolle und dient nur dazu, in der Öffentlichkeit den Anschein eines wirksamen Jugendschutzes aufrecht zu erhalten.

Man wird in diesem Zusammenhang auch früher oder später die Frage zu diskutieren haben, ob pornographische Inhalte für einen 15-jährigen tatsächlich entwicklungsbeeinträchtigend sind und ob die derzeitige Stoßrichtung des Jugendschutzes sich insoweit noch auf eine ausreichend tragfähige Grundlage stützen kann. Mir persönlich erscheinen hier zu oft, fragwürdige Moralvorstellungen die Diskussion zu dominieren.

Unabhängig davon, würde sich für den Jugendmedienschutz keinerlei nennenswerte Veränderung ergeben, wenn man den JMStV morgen ersatzlos streicht. Denn derzeit passiert praktisch ohnehin nichts.

Nachdem man das auch bei den zuständigen Stellen wie der KJM weiß, aber öffentlich niemals zugeben würde, versucht man die eigene Hilflosigkeit und Untätigkeit dadurch zu kaschieren, dass man Regulierungsansätze auf Ebene der Access-Provider propagiert. Das kann bei dem Teil der Bevölkerung, der mit den Zusammenhängen und Hintergründen nicht vertraut ist, durchaus auf positive Resonanz stoßen, wie die Wahlkampfshow Ursula von der Leyens gezeigt hat. Tatsächlich stellt dies aber nur ineffektives Blendwerk dar und gefährdet darüber hinaus die freie und ungehinderte Kommunikation im Netz. Es ist deshalb an der Zeit, dass die Netzgemeinde gegen das Konzept des JMStV in gleicher Weise mobil macht, wie gegen das Zugangserschwerungsgesetz.

Was aber ist tatsächlich nötig im Bereich des Jugendmedienschutzes? Einige Thesen:

1. Der Jugendschutz im Internet unterscheidet sich von dem in anderen Medien wie Rundfunk und Print fundamental. Das Internet ist keine moderne Form des Rundfunks. Eine sinnvolle Änderung des JMStV würde darin bestehen, den Bereich des Internets abzukoppeln und mit einem eigenständigen Expertengremium zu besetzen. Eine Art KJM für das Netz, die mit wirklichen Fachleuten besetzt ist, die die Mechanismen des Internets verstehen.

2. Die im Inland möglichen Maßnahmen gegen Inhaltsanbieter müssen konsequent ergriffen werden. In diesem Bereich besteht ein erhebliches Vollzugsdefizit. Die Diskussion über Netzsperren soll über diese Defizite hinwegtäuschen und stellt lediglich politisch motivierte Augenwischerei dar.

3. Die Ziele des Jugendmedienschutzes sind nicht länger primär durch Ge- und Verbote gegenüber Anbietern zu erreichen. Sowohl der Gesetzgeber als auch die zuständigen Behörden müssen sich von dieser Vorstellung verabschieden. Aufgabe des Staates wird es künftig vor allen Dingen sein, in den Schulen Medienkompetenz zu vermitteln. Ansonsten fällt es primär in den Verantwortungsbereich der Eltern, dafür Sorge zu tragen, dass ihre Kinder nicht mit bedenklichen Inhalten in Kontakt kommen.

posted by Stadler at 22:00  

19 Comments

  1. Hier ein Link zu einem Vortrag über die Wirkung von Pornographie auf Jugendliche aus 2000:
    http://www.scireview.de/vortrag/index.html

    Alles nicht so wild, wie es die Moralisten gerne hätten.

    Comment by Sikk — 16.02, 2010 @ 23:08

  2. Vorallen sollten diejenigen mehr verpflichtet werden die am meisten Einfluss haben (sollten).. die Eltern… es ist unverantwortlich wenn man einen 10 jährigen einen Internetanschluss ohne aufsicht zur freien Verfügung überlässt….
    Und ein 10 jähriger kann kein eigenen Anschluss haben, ergo sind Eltern dafür verantwortlich.. und nicht ein ISP .. der Verträge nur mit Erwachsene abschließt… Das ist doch der Punkt ansich

    Comment by Anonymous — 16.02, 2010 @ 23:20

  3. @Sikk
    Der Link funktioniert leider nicht. Beim Internet Archive gibt es glücklicherweise noch eine Kopie.

    Comment by Anonymous — 17.02, 2010 @ 00:39

  4. Ich erinnere in diesem Zusammenhang an die Diskussion 1950, in der Erich Kästner bereits festgestellt hat, dass solche Gesetze unsinnig sind.
    (->Gesetz zu jugendgefährdenten Schriften).
    Wenn ein Kind auf der Straße spielt, ist es in Gefahr. Ziel der Erziehung und Entwicklung muss ein Leben mit den Gefahren sein. Wenn Jugendliche laut Gesetz erwachsen sind (18), geht kein geheimnisvoller Vorhang auf und erleuchtet den Jugendlichen um plötzlich selbstverantwortlich handeln zu können.
    Entweder wir schaffen es unsere Kinder auf diese Gefahren schon in ihrer Entwicklung vorzubereiten oder es kommt zum "kleinen Schock" wenn plötzlich der "Erwachsenenvorhang" fällt.
    Glücklicherweise wußten es schon viele Jugendliche (wie wir auch), diese Verbote zu umgehen und uns vorher schlau zu machen. Könnten wir das Versteck spielen nun endlich mal sein lassen?

    Comment by Anonymous — 17.02, 2010 @ 07:25

  5. Absolut richtiger Beitrag. Kann nur zustimmen.

    Comment by code — 17.02, 2010 @ 08:49

  6. Also nein. Einfach den Eltern die Verantwortung für die Erziehung ihrer Kinder in die Schuhe schieben zu wollen. Wo kommen wir denn da hin? Wo bitteschön bleibt die Fürsorge des Staates?

    Also ehrlich, ich halte es aus staatpolitischer Sicht für sehr bedenklich, Bürgern einfach so Verantwortung für sich und seine Mitmenschen überlassen zu wollen. Was, wenn diese sie auf einmal wirklich tragen wollen? Das könnte unsere politische Landschaft erheblich verändern.

    Also – viel zu gefährlich. Lieber mehr commercials im Fernsehen, kostenloses Parken überall und natürlich ein ausgewogenes, kinder-, frauen-, männer-, minderheiten-, mehrheitenkonformes und überprüftes Internet in dem man nur ungefährliche Inhalte sehen kann. Bitte. Danke.

    Comment by Anonymous — 17.02, 2010 @ 12:03

  7. Die Diskussion um die Verantwortung der Eltern hat einen ur-alten langen Bart. Dort, wo die Eltern versagen, ist ein sozialer Staat verpflichtet, zu handeln. Das ist nun durch und durch gesellschaftlicher Konsens und 1000-fach diskutiert.

    Auch die Wirkung von Pornografie auf unter 16jährige ist in der Diskussion so alt, wie Joschkas Hauen auf Polizeibeamte. Pornos vermitteln Heranwachsenden nun einmal ein schiefes Bild von Sexualitaet und Rollenbildern. Leute, auch wenn Ihr gerne Pornos anseht, Euer 12jähriger Sohn sollte besser Fussballspielen gehen. Diejenigen, die am lautesten Schreien, dass Pornos Kindern nichts ausmachen, sind meistens kinderlos oder selbst Pornokonsumenten.

    … mal drueber nachdenken …

    Comment by Anonymous — 17.02, 2010 @ 12:24

  8. @ Anonym (über mir)
    Sicher mag manches einen langen Bart haben.. heißt aber nicht dass es verkehrt ist auch mal über die Erziehung zu sprechen…
    Zum Thema staatliche Verantwortung:
    Der Staat versucht die Verantwortung in dem Sinne zu übernehmen dass er Sie an einen Internetprovider überträgt.. dieser soll für Dinge gradestehen die er nicht produziert hat…
    Die Diskussion muss zurück zur Basis und die fängt im Elternhaus an .. Wer sich nicht um Kinder kümmert.. ihnen nur TV und Internet vorsetzt und ihnen auf gut deutsch alles in den A… schiebt brauch sich nicht zu wundern wenn irgendwas schief läuft. Nur dafür kann werder T-Online noch Vodafone und Kabel Deutschland etwas.. und es sind definiv die falschen die dafür grade stehen sollten

    Comment by Anonymous — 17.02, 2010 @ 12:57

  9. "Aufgabe des Staates wird es künftig vor allen Dingen sein, in den Schulen Medienkompetenz zu vermitteln."
    – Eigentlich sehr schön: Das erzähle aber mal unseren fortbildungsresistenten Lehrern.

    "Ansonsten fällt es primär in den Verantwortungsbereich der Eltern, dafür Sorge zu tragen, dass ihre Kinder nicht mit bedenklichen Inhalten in Kontakt kommen."

    Das ergäbe eine zwei bis drei Klassen Gesellschaft:
    Eine Klasse, die ungehinderten Zugang zu allen Internetinhalten erlangt und sei es über volljährige Strohleute.
    Eine zweite Klasse, die keinen Zugang zu den sie gefährdenden Internetinhalten findet, da die Eltern dem hier von Dir Postulierten voll und ganz entsprechen.
    Und eine (grosse) Klasse an Internetkindern, die zwar aufmerksame und gebildete Eltern hat, wo die Eltern aber nicht überall sein können, da beide arbeiten müssen(!). In dieser Gesellschafts-Klasse ist das Kind noch nicht so unter elterlichem und sozialem Druck wie in der gerade zuvor skizzierten (und von Dir postulierten) zweiten Eltern-Klasse, und dieses Kind hätte von daher soziale, moralische und intellektuelle Möglichkeiten eben doch an es womöglich gefährdende Internetinhalte heranzukommen.

    Comment by HarryHIII — 17.02, 2010 @ 16:37

  10. Ich stimme voll zu.

    Aber ich hasse diese Formulierungen wie "bedenkliche Inhalte" oder "entwicklungsbeeinträchtigend".

    Das erste ist ein totaler Euphemismus. Alles ist es wert bedacht zu werden. Es geht um Inhalte die einem nicht passen, nicht um welche über die man nachdenken sollte.

    Das zweite ist seltsamer. Schule ist auch entwicklungsbeeinträchtigend und soll das auch sein – das ist der Punkt. Wieso wird also immer "entwicklungsbeeinträchtigend" statt "negativ entwicklungsbeeinträchtigend" gesagt? Damit man irgendwann auch Dinge zensieren kann über die gar kein Konsens über seine negativ entwicklungsbeeinträchtige Wirkung besteht? Oder sogar Dinge die positiv entwicklungsbeeinträchtigend sind aber staatlich nicht gewollt sind? In Formulierungsnöte geraten würde man dann nicht, man hat ja schon vorher die Leute darauf trainiert nicht mehr auf das "negativ" zu achten.

    Comment by Tanja Tockel — 17.02, 2010 @ 20:05

  11. Wieso wird Ziffer 1) gefordert? Wie sollen die internetfähigen Experten handeln?

    Comment by Anonymous — 17.02, 2010 @ 21:50

  12. Letzter Kommentar wäre auch meine Frage.
    Kann der Autor auch nur skizzieren, wie ein Jugendmedienschutz für das / im Internet aussehen sollte?
    Ich halte den Gedanken für nahezu obsolet.

    Comment by 4nduril — 18.02, 2010 @ 16:58

  13. […] weiterer Quellen: taz Telespiegel CARTA.info vorwärts.de Telemedicus Internet-Law.de ODEM.blog Stellungsnahme der Jungen Piraten (offizielle Jugendorganisation der Piratenpartei […]

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