Internet-Law

Onlinerecht und Bürgerrechte 2.0

13.12.15

SPD-Innenpolitiker glaubt, die Bürokratie würde den Verfassungsschutz behindern

Der innenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion Burkhard Lischka hat „Sieben Thesen zur effektiveren Bekämpfung der Bedrohung durch islamistische Gefährder“ formuliert, die mich in meiner Einschätzung bestätigen, dass wir vor Geheimdiensten und manchen Innenpolitikern mehr Angst haben müssen, als vor allem anderen. In dem Thesenpapier von Lischka findet man zahlreiche bemerkenswerte Stellen. Ein Highlight seiner Ausführungen ist sicherlich folgende Passage:

Die vor allem für die Polizeibehörden bereits bestehenden Möglichkeiten müssen hier erweitert und damit auch für den Verfassungsschutz in der Praxis handhabbar gemacht werden. Deswegen muss es beispielsweise dem Verfassungsschutz ohne unnötigen bürokratischen Aufwand und langwierigen Vorlauf möglich sein, zur Überwachung von Gefährdern im Einzelfall oder zur Beobachtung von Hotspots, wie einschlägige Treffpunkte oder etwa beim Aufeinandertreffen von Rechtsextremen mit Salafisten, Beobachtungsdrohnen einzusetzen.

Hier möchte jemand offenbar die Verfassungsschutzbehörden mit polizeilichen Befugnissen ausstatten. Die Überwachung von Personen im Einzelfall – sei es präventiv oder repressiv – ist nicht Aufgabe der Verfassungsschutzbehörden, sondern der Polizei. Die formal strikte Trennung von Polizei und Geheimdiensten in Deutschland ist gerade auch eine Folge der historischen Erfahrungen mit der Gestapo und der Stasi. Wer so wie Lischka argumentiert und offenbar die Grenzen zwischen Polizei und Verfassungsschutzbehörden aufweichen bzw. verwischen will, müsste konsequenterweise eigentlich gleich die Abschaffung der Inlandsgeheimdienste fordern.

Ungeachtet dessen, ist es ja nicht so, dass die Überwachung von Gefährdern auf präventiv-polizeilicher Grundlage gänzlich ausgeschlossen ist. Ihr sind allerdings rechtsstaatliche Grenzen gesetzt, denn ohne Vorliegen einer konkreten Gefahrensituation, kann man in einem demokratischen Rechtsstaat nicht beliebig Menschen überwachen.

Dass Lischka gleichzeitig fordert, schwerwiegende Grundrechtseingriffe „unbürokratisch“ zu ermöglichen, spricht für sich. Grundgesetz und Grundrechte stellen demnach nur eine lästige, bürokratische Hürde bei der Verhinderung und Bekämpfung von Straftaten dar. Das ist leider zwar die wenig rechtsstaatliche Betrachtungsweise vieler Ermittler, ein gewählter Abgeordneter, der keiner rechten Partei angehört, sollte sich diese Haltung aber nicht zu eigen machen.

Über allem schwebt auch die weit verbreitete Haltung, dass Geheimdienste die Sicherheit der Bürger erhöhen. Was aber, wenn genau das Gegenteil der Fall sein sollte? Ein Verfassungsschutz, der V-Leute aus der rechten Szene immer wieder mit beträchtlichen finanziellen Mitteln unterstützt hat und damit die rechte Szene stärkt, während man den Mordserien des NSU gänzlich ahnungslos gegenüberstand, weil man vorwiegend mit der Überwachung von Journalisten, von gemeinnützigen Organisationen und kritischen Demokraten beschäftigt war, hat keinen Vertrauensvorschuss der Bürger verdient. Vielmehr stellt sich eher die Frage seiner Notwendigkeit und Berechtigung.

posted by Stadler at 14:21  

14 Comments

  1. Wie hat es mein Ö-Rechts-Prof. mal erzählt: Nach langem Vortrag vor Parlamentariern als Gutachter, dass das, was sie planen, nicht mit dem GG vereinbar ist, kam die Frage, die ungefähr so war: “ Nun sagen Sie uns noch, warum wir das nicht machen sollen“. Da verschlägt es selbst einem wortgewandten Juristen die Sprache.

    Comment by M — 13.12, 2015 @ 18:45

  2. @M Nennen Sie mir einen Zeitpunkt (eine Zeitspanne) nach 1949, in dem das Grundgesetzt von den dentscen Behörden, der Regierung der Bundesrepublik Deutschloand eingehalten wurde?

    Weshalb verwundert Sie eine ehrlich gemeinte Frage?

    Comment by RolfSchaelike — 13.12, 2015 @ 19:44

  3. @RolfSchaelike (in der Hoffnung, dass Sie kein Troll sind, sondern zu rationalen Argumentationen fähig): Sicher gibt es schwarze Schafe (irgendwas zwischen 0% und 100%), aber zu behaupten, alle deutschen Regierungen und Behörden hätten in jeder einzelnen Sekunde seit dem Inkrafttreten des Grundgesetzes dieses in all seinen Bestimmungen mißachtet, ist mir dann doch zu Pegida-mäßig.

    Comment by martinf — 13.12, 2015 @ 21:27

  4. @martinf Das Godwin’s law ist nun erweitert auf Pegina-mäßig. Dann bin ich eben ein Nazi und Pegida-mäßig. Was kann ich dagegen tun? Vergas mich doch.

    Ein Troll bin ich nicht.

    Comment by RolfSchaelike — 14.12, 2015 @ 00:50

  5. Die SPD ist keine linke Partei. Sondern sie ist eine Partei zum Absaugen und Neutralisieren von linkspolitischen Charakteren.

    Meine Fresse, das fing schon an 1914 bei Zustimmung zu Kriegskrediten.

    Korrektur: nein schon vorher.

    Comment by Wolf-Dieter — 14.12, 2015 @ 06:03

  6. Nicht die Regierung muss das Volk regieren, sondern das Volk die Regierung regieren.

    Wenn die Demokratie führt, brauchen wir keine Führer.

    Comment by Habnix — 14.12, 2015 @ 08:33

  7. @Habnix Wir haben in Deutschland eine repräsentative Demokratie. D.h. nach der Wahl haben wiur unsere Führer.

    Wählen heißt, die Führer wählen.

    Ohne Führer lebt es sich viel schwieriger, wie ohne Gott, dem Oberführer.

    Comment by RolfSchaelike — 14.12, 2015 @ 15:20

  8. Genau. Hier noch eine hübsche Verschwörungstheorie ohne jeglichen Realitätsbezug:

    Nachdem der Verfassungsschutz seine Arbeit durch die Installierung von IM Erika als Bundeskanzlerin gekrönt hat, ist es nun an der Zeit, die Zentralisierung der Sicherheitsbehörden zu Ende zu bringen, und eine Stasi 2 zu konstituieren.
    Was dann noch fehlt, ist die Ernennung des Vorgesetzten von IM Erika, Gregor Gysi, der Honecker direkt unterstellt war, zum Innenminister.

    Vor diesem Hintergrund hat der Verfassungsschutz in der Tat keinerlei Funktion mehr, was auch schon durch Untersuchungsausschüsse bestätigt wurde.

    Das BKA hat bereits jetzt extensive Weisungsbefugnisse gegenüber Landesbehörden.
    Die Polizei wiederum ist extensiv mit Geheimdienstbefugnissen ausgestattet.

    Es gibt fast nichts, was nicht überwacht wird. Nur: für eine effektive Strafverfolgung fehlt schlicht und einfach das Personal, wie auch für die Bekämpfung islamistischer oder rechter Gewalttäter. Deswegen findet sie auch nicht statt.

    Putscht jetzt bald die NATO? Greift die Organisation Viertes Reich zur Macht?

    Das könnte daran scheitern, dass der Bundeswehr die Ersatzteile fehlen. Außerdem scheint man sich in Afghanistan, im Irak und in Syrien irgendwie verheddert zu haben.

    Comment by Arne Rathjen RA — 14.12, 2015 @ 20:23

  9. Typisch SPD

    Comment by JH — 14.12, 2015 @ 22:20

  10. Geschätzter Kollege,

    bitte tun sie uns mal den Gefallen und definieren Sie: „Staatswohl“ bzw. „Wohl des Bundes“. Es ist an der Zeit hier juristisches Neuland zu bearbeiten. So wie hier kann es jedenfalls nicht weitergehen:
    „War der Attentäter auf Henriette Reker ein V-Mann oder hatte Kontakte zum Verfassungsschutz?
    (Das war die Bürgermeisterkandidatin in Köln, die direkt vor der Wahl niedergestochen wurde)
    Die Antwort der Bundesregierung ist ernüchternd:
    Zu 14 c)
    Die Bundesregierung ist nach sorgfältiger Abwägung zu der Auffassung gelangt, dass eine Beantwortung der Frage nicht erfolgen kann. Der Informationsanspruch des Parlaments findet eine Grenze bei geheimhaltungsbedürftigen Informationen, deren Bekanntwerden das Wohl des Bundes oder eines Landes gefährden kann“
    http://blog.fefe.de/?ts=a88e825d

    Wir leben realistisch betrachtet in Absurdistan. Die Exekutive kann allein, selbstherrlich und willkürlich darüber entscheiden, was dem Staatswohl dient und was nicht, was dieses Staatswohl im Zusammenhang mit Geheimhaltung von Behörden- und Verwaltungsvorgängen bedeutet, wird ebenfalls von einigen wenigen Personen, auf Grundlage von Fakten und Zusammenhängen die man uns nicht mitteilt, entschieden.
    Was ist das? FDGO?

    Comment by Das Staatswohl — 15.12, 2015 @ 18:03

  11. Gutes Thema für eine hypothetische Doktorarbeit: Die Selbstbespiegelung mit Drohnen in der bundesdeutschen Rechtspraxis.
    Es ist allerdings nicht zu erwarten, dass so etwas jemals gedruckt wird.

    Comment by Arne Rathjen RA — 15.12, 2015 @ 18:40

  12. Die Überwachung von Personen im Einzelfall ist sehr wohl Aufgabe des Verfassungsschutzes (§8 BVerfSchG). Man kann das schlecht finden, man kann auch Geheimdienste per se schlecht finden. Aber zu behaupten, es sei keine Aufgabe (im Sinne von: vom Gesetzgeber aufgegeben) ist falsch

    Comment by Jonas — 16.12, 2015 @ 16:26

  13. @martinf:
    Weder war von „in all seinen Bestimmungen“ die rede noch wurde _behauptet_ dass das GG in jeder sekunde missachtet wurde. Es wurde lediglich impliziert, dass die fraglichen zeitspannen wohl unangenehm kurz sein wuerden. Dem kann man widersprechen oder auch nicht, aber doch bitte nicht so.
    Die kindische antwort wiederum macht auch eher wenig hoffnung auf fruchtbaren diskurs ;-)

    Comment by rob — 16.12, 2015 @ 16:40

  14. Nicht nur Fefe fasst den letzten Satz kürzer: „Abschaffen!“

    Comment by kdm — 16.12, 2015 @ 16:52

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