BGH zur Zitierfreiheit
Der BGH hat mit Urteil vom 30.11.2011 (Az. I ZR 212/10), das erst jetzt im Volltext veröffentlicht wurde, ein zitatfreundliches Urteil des OLG Brandenburg aufgehoben.
Der BGH betont zwar, dass das Zitatrecht im künstlerischen Bereich, um den es in der Entscheidung ging, einen weiteren Anwendungsbereich genießt als bei gewöhnlichen Texten, hat aber im konkreten Fall einer literarischen Collage bzw. Montage den Charakter als Kunstwerk abgesprochen. Diese materielle Wertung des BGH könnte im Hinblick auf den eher formalen Kunstbegriff des BVerfG durchaus noch ein verfassungsgerichtliches Nachspiel haben.
Das Urteil ist aber unabhängig davon interessant, weil es zeigt, dass der juristische Zitatbegriff, zumal außerhalb des künsterischen Bereichs, sehr eng ist und die Anforderungen äußerst hoch sind. Viele der „Zitate“, die man im Netz findet, sind von der Zitierfreiheit des UrhG nicht gedeckt und streng genommen Urheberrechtsverletzungen. Insoweit ist die nachfolgende Passage aus den Urteilsgründen von Interesse, weil sie deutlich macht, wie eng die urheberrechtliche Zitierfreiheit tatsächlich ist:
Die Zitatfreiheit soll die geistige Auseinandersetzung mit fremden Werken erleichtern (BGH, Urteil vom 5. Oktober 2010 – I ZR 127/09, GRUR 2011, 415 Rn. 22 – Kunstausstellung im Online-Archiv; Urteil vom 7. April 2011 – I ZR 56/09, GRUR 2011, 1312 Rn. 45 = WRP 2011, 1463 – ICE). Die Zitierfreiheit gestattet es nicht, ein fremdes Werk nur um seiner selbst willen zur Kenntnis der Allgemeinheit zu bringen. Ebenso wenig reicht es aus, dass ein solches Werk in einer bloß äußerlichen zusammenhanglosen Weise eingefügt und angehängt wird. Die Verfolgung des Zitatzwecks im Sinne des § 51 UrhG erfordert vielmehr, dass der Zitierende eine innere Verbindung zwischen dem fremden Werk und den eigenen Gedanken herstellt und das Zitat als Belegstelle oder Erörterungsgrundlage für selbständige Ausführungen des Zitierenden erscheint (BGH, Urteil vom 20. Dezember 2007 – I ZR 42/05, BGHZ 175, 135 Rn. 42 – TV Total; BGH, GRUR 2011, 1312 Rn. 46 – ICE). An einer solchen inneren Verbindung fehlt es regelmäßig, wenn sich das zitierende Werk nicht näher mit dem eingefügten fremden Werk auseinandersetzt, sondern es nur zur Illustration verwendet (BGH, GRUR 2011, 415 Rn. 22 – Kunstausstellung im Online-Archiv, mwN), es in einer bloß äußerlichen, zusammenhanglosen Weise einfügt oder anhängt (BGH, Urteil vom 23. Mai 1985 – I ZR 28/83, GRUR 1986, 59, 60 = NJW 1986, 131 – Geistchristentum) oder das Zitat ausschließlich eine informierende Berichterstattung bezweckt (BGH, Urteil vom 1. Juli 1982 – I ZR 118/80, BGHZ 85, 1, 10 f. – Presseberichterstattung und Kunstwerkwiedergabe). In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass die auf der Sozialbindung des geistigen Eigentums beruhenden Schrankenbestimmungen der §§ 45 ff. UrhG generell eng auszulegen sind (BGHZ 185, 291 Rn. 27 – Vorschaubilder I).
Nach dem Zitatzweck bestimmt sich auch, in welchem Umfang ein Zitat erlaubt ist (vgl. BGH, GRUR 1986, 59 f. – Geistchristentum; Schricker/Spindler in Schricker/Loewenheim, Urheberrecht, 4. Aufl., § 51 UrhG Rn. 19; Dustmann in Fromm/Nordemann, Urheberrecht, 10. Aufl., § 51 UrhG Rn. 18; Lüft in Wandtke/Bullinger, Urheberrecht, 3. Aufl., § 51 UrhG Rn. 14). Ist der Zitatzweck überschritten, so ist – wie das Landgericht zutreffend angenommen hat – nicht nur der überschießende Teil, sondern das ganze Zitat unzulässig (vgl. Schricker/Spindler aaO § 51 UrhG Rn. 19; Dustmann aaO § 51 UrhG Rn. 47; Lüft aaO § 51 UrhG Rn. 6).
D.h. am Besten keine Zitate mehr verwenden….
Erst lebten die Menschen in Höhlen und Kuhlen. Dann bauten sie sich Zelte und Häuser und später Hochhäuser.
Inzwischen sind wir dank der unermeßlichen Gier 5% aller Menschen wieder auf dem Weg in Höhlen und Kuhlen…Kultur nur noch gegen Bares, Zitate nur noch von Künstlern, die mindestens 3000 Jahre tot sind (wer hat eigentlich die Rechte an der Bibel, da lässt sich doch bestimmt auch jemand finden?).
Comment by Frank Schenk — 6.06, 2012 @ 09:48
Rechte an der Bibel im weitesten Sinne gibt es, da die Übersetzungen in der Regel jüngeren Datums sind und dadurch in der Tat geschützt sind. Den Volltext der Einheitsübersetzung findet man dadurch z.B. nicht im Netz.
Comment by Arno — 6.06, 2012 @ 17:30
Mit der Bibel kann ich zwar nicht dienen, aber „Rechte“ an den Kompositionen von Johann Sebastian Bach werden im Internet technokratische durchgesetzt und von Google in klingende Münze verwandelt. Wohlgemerkt, an den Kompositionen, nicht an einem Notensatz oder einer Aufführung.
Comment by Elias Schwerdtfeger — 6.06, 2012 @ 17:53
„Ebenso wenig reicht es aus, dass ein solches Werk in einer bloß äußerlichen zusammenhanglosen Weise eingefügt und angehängt wird. Die Verfolgung des Zitatzwecks im Sinne des § 51 UrhG erfordert vielmehr, dass der Zitierende eine innere Verbindung zwischen dem fremden Werk und den eigenen Gedanken herstellt und das Zitat als Belegstelle oder Erörterungsgrundlage für selbständige Ausführungen des Zitierenden erscheint.“
Und welcher Sachverständige soll das beurteilen? Das kollidiert mit der Freiheit der Kunst. Mal sehen.
Comment by pour l'art — 6.06, 2012 @ 17:56
…und hier gibt’s die Bibel: http://www.bibleserver.com/
Comment by Peter — 6.06, 2012 @ 18:21
was für eine pfpfafasd%&$$%&!!!!!
Collagen sind keine Kunst mehr? Hallo? Kann denen mal jemand sagen, die sollen aufhören permanent mit ihrer Birne gegen Wände zu laufen?
Was für ein wunderbar regressiver Fortschritt!
Kauft eure Bücher doch selber, ihr Vögel. Schreib ich halt mein eigenes und lese nur noch Bücher von schon laaaaange Toten!
Comment by icksarr — 6.06, 2012 @ 19:06
Ich hoffe mal, den guten, alten Götz von Berlichingen darf man noch zitieren. Den habe ich nämlich bisher noch fast jedes mal gebraucht, wenn ich die Begriffe „Urteil“ und „Kunst“ im selben Satz gelesen habe.
Tucholsky hat da auch ein paar schöne Dinge zum Thema „Unfug“ und „schwarze Roben“ gesagt. Aber den Zitieren war schon immer gefährlich…
Comment by Tom — 6.06, 2012 @ 19:30
Ich denke, man kann einfach eine Webseite über die Häufigkeit einzelner Buchstaben in der deutschen Sprache erstellen. Als Belege für die Behauptungen muss man natürlich zitieren. Dabei setzt man sich inhaltlich mit dem Werk auseinander (wobei der Inhalt hier aus den verwendeten Buchstaben besteht). Dann hängt man an jedes Zitat eine Auswertung, welche Buchstaben wie häufig vorkommen (das kann der Server auch automatisch machen).
Dabei kann man auch nicht den Zitatzweck überschreitend zitieren, denn es geht ja um _alle_ Buchstaben des Zitats.
Und wenn man wirklich meint, noch etwas vermitteln zu wollen, dann macht man noch eine kleine Seite über die Bedeutung der Buchstabenhäufigkeit für kryptographische Algorithmen.
Comment by Heinz Handtuch — 6.06, 2012 @ 20:30
Das wird bestimmt besonders lustig wenn man Promotions und Habilitationschriften mit diesen Kriterien betrachtet. Da ist dann Schluß mit lustig.
Comment by richard wittgenstein — 6.06, 2012 @ 22:53
Vielleicht in diesem kontext nicht relevant, aber die Überlegung sei dennoch angestellt:
Macht es einen Unterschied (und wenn ja, wo und wie), ob die zitierende Website rein privat oder eben (auch) kommerziell betrieben wird.
Comment by ebertus — 6.06, 2012 @ 22:59
Ich habe aufgehört im Internet eigene Webseiten zu betreiben, auf denen andere ihre Meinung sagen können. Meine Webseite hat noindex/nofollow.
Haben wir jetzt amerikanisches case law? Was soll die Aufregung? Ein Schwarzkittel der schlecht urteilt ist doch nix neues, passiert jeden Tag. Das Urteil war bestimmt eine konzertierte Aktion des gemeinnützigen „Vereins zum Abbau der am Hungertuch nagenden Armwälte“, die nun ein neues Abmahngeschäft damit aufbauen können.*Ironie off*
Comment by rudram — 7.06, 2012 @ 10:59
Apropos Zitate: Es sollte Richtern allen Ernstes verboten werden, private und in nebenberuflicher Tätigkeit zum Verdienstzwecke hergestellte »Kommentare« (mit welchen über die steuerliche Geltendmachung »künstlerischer« Aufwendungen meist das Brutto der Kommentatoren zum Netto gemacht wird) in ihren Urteilen zu zitieren, denn die dort zitierten Personen sind weder gesetzlicher Richter i.S.d. Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG noch können sie, im Falle, dass ihre Kommentare nicht dem Inhalt des Gesetzes entsprechen, wegen Befangenheit abgelehnt werden. Sie sind unsichtbare und damit unzulässige Richter. Zudem kann der davon Betroffene sich gegen den Inhalt dieser Kommentare nicht wehren, weil sie ihm vorher nicht bekannt sind. Auch die Praxis des häufigen und sehr beliebten Selbstzitats fällt unter diese Kritik.
Comment by Hans Berger — 7.06, 2012 @ 13:58
@Hans Berger,
das Zitieren von Kommentar-Literatur ist ein Verstoß gegen gen gesetzlichen Richter? Alles klar, Herr Kommissar.
Comment by fernetpunker — 8.06, 2012 @ 09:03
PS: Was immer das auch mit Urheberrecht zu tun hat, s. § 5 UrhG.
Comment by fernetpunker — 8.06, 2012 @ 09:23
Man muss sich halt kundig machen und nicht wie ein ahnungsloser Parzival durch die Welt laufen. Vieles hängt halt davon ab, ob überhaupt und wie böse die Rechte durchgesetzt werden; grob gesagt, um so mehr Geld es geht, um so mehr Recht es geht. Picasso also besser nicht „zitieren“.
Zu den Literaten: beim Erich Kästner musst fast schon Angst haben, wenn Du nur seinen Namen nennst, auch Hemingway ist so ein Fall. (Die Hemingway-Forschung wird nach 2031 alle früheren Forschungen als reinsten Humbug verschmähen, sage ich voraus.)
Oder nehmen wir Hitlers „Mein Kampf“, da könnte es selbst 70 Jahre nach seinem Tod noch „heiss“ werden; da brauchst Du, falls Du den demnächst kritisch und historisch herausbringen möchtest, eben viel Geld und gute Rechtsanwälte. Brauchst aber nicht im Nachinhein nicht so tun, als hättest Du das vorher rein gar nicht gewusst.
Comment by Franz Krojer — 14.01, 2014 @ 21:37