Internet-Law

Onlinerecht und Bürgerrechte 2.0

11.12.12

Die Sumpfgebiete der Justiz

Das Amtsgericht Dresden hatte zwei Journalisten wegen eines Beitrags für ZEIT-ONLINE zum sog. Sachsensumpf wegen übler Nachrede zum Nachteil von zwei Polizisten verurteilt. Diese Verurteilung hat das Landgericht Dresden gestern aufgehoben und die beiden Journalisten freigesprochen. Gegen das Urteil des Landgerichts steht der Staatsanwaltschaft das Rechtsmittel der Revision zur Verfügung.

Das bedenkliche an dem Verfahren bleibt allerdings die rechtsstaatsferne Haltung der Dresdener Staatsanwaltschaft und der Umstand, dass sich ein Strafrichter zu einer Verurteilung hinreißen lässt. Denn wenn sich ein Journalist derart schnell strafbar machen kann, dann muss er künftig eigentlich von jeglicher Verdachtsberichterstattung die Finger lassen. Der Dresdener Fall ist aber auch deshalb besonders heikel, weil der „Sachsensumpf“ gerade auch Justizkreise betrifft, weshalb man schon die Frage stellen kann, ob es der Staatsanwaltschaft nicht auch darum gegangen sein könnte, unbequeme Journalisten mundtot zu machen.

Es gibt auch noch andere bedenkliche Fälle von Verurteilungen wegen Äußerungsdelikten, die die Justiz unmittelbar betreffen. Vom Amtsgericht Würzburg wurde kürzlich ein Strafverteidiger wegen übler Nachrede verurteilt, weil er einem Richter vorgeworfen hatte, einen Durchsuchungsbeschluss nicht einmal ansatzweise einer eigenständigen Prüfung unterzogen zu haben. Dieser Vorwurf war auch vor dem Hintergrund zu sehen, dass es in Würzburg gängige Praxis ist, dass die Staatsanwaltschaft einen vollständig vorformulierten ermittlungsrichterlichen Beschluss – bereits mit dem Briefkopf des Gerichts – einreicht, der  in aller Regel vom Ermittlungsrichter unverändert unterzeichnet wird. Es ist trotz dieser Sachlage nach Ansicht des Amtsgerichts Würzburg dennoch „völlig abwegig“ anzunehmen, ein Richter würde nur blind unterschreiben. Und wer dies trotzdem in Erwägung zieht, begeht eine üble Nachrede. Der Strafantrag wurde in diesem Verfahren übrigens nicht von dem betroffenen Richter gestellt, sondern von der Landgerichtspräsidentin als Dienstvorgesetzte des Richters.

Die beiden geschilderten Verfahren betreffen keine Petitessen. Denn es geht um die Beeinträchtigung der Pressefreiheit und der Freiheit der Advokatur.

Die Justiz ist insgesamt etwas öffentlichkeitsscheu und scheint Berichterstattung und öffentliche Kritik zu fürchten. Gerade Verfahren wie die oben genannten, oder auch der Fall Mollath, brauchen aber die Öffentlichkeit, um überhaupt wieder in geordnete Bahnen zu kommen. Die Justiz ist unabhängig. Aber genau das verleitet einige ihrer Angehörigen offenbar zu der Annahme, niemandem gegenüber verantwortlich zu sein. Gerichtsverhandlungen sind gerade deshalb öffentlich, weil Geheimverhandlungen hinter verschlossenen Türen nicht rechtsstaatlich sind und sich auch die Gerichte der Öffentlichkeit stellen müssen. Wer kritische Berichterstattung als Angriff auf die Unabhängigkeit der Justiz betrachtet, sollte seinen eigenen Standpunkt hinterfragen. Die Öffentlichkeit muss insgesamt besser über die Mechanismen und Abläufe des Justizbetriebs informiert werden, weil erst dadurch der ein oder andere Missstand abgestellt werden kann.

posted by Stadler at 17:39  

11.12.12

Europäische Überwachungsunion

Bei der anlasslosen Speicherung von TK-Verbindungs- und Standortdaten hat das BVerfG in der Entscheidung zur Vorratsdatenspeicherung eine Speicherdauer von 6 Monaten als gerade noch verfassungsgemäß betrachtet.

Die EU will jetzt eine Richtlinie verabschieden, die die Speicherung von Fluggastdaten für die Dauer von fünf Jahren vorsieht. Zu dem Thema hatte ich schon einmal gebloggt. Es handelt sich dabei letztlich ebenfalls um Verbindungs- und Standortdaten, die speziell bei Vielfliegern auch die Erstellung von Bewegungsprofilen ermöglichen. Die Airlines sollen Daten wie Name, Anschrift, Reiseziel, Sitzplatzreservierung und Zahlungsmittel an eine sog. PNR-Zentralstelle weiterleiten, die in jedem Mitgliedsstaat errichtet wird. Diese Zentralstelle soll diese Daten verarbeiten dürfen, wenn der Verdacht einer schweren Straftat besteht. In diesem Fall darf  die PNR-Zentralstelle die Verarbeitung der Daten anhand im Voraus festgelegter Kriterien vornehmen. Das ist letztlich nichts anderes als eine Rasterfahndung.

Der Innenausschuss des EU-Parlaments wird nächste Woche über das Vorhaben abstimmen. Diese Abstimmung wird wohl bereits vorentscheidend sein für die Abstimmung im Plenum.

Mir stellt sich bei derartigen Vorhaben, die vor 10 Jahren noch jeder in den Bereich der Überwachungsfantasien verwiesen hätte, auch immer die Frage, was als nächstes kommt. Vielleicht, dass die Bahn die Passagierdaten von Reisenden ebenfalls erfassen und an eine staatliche Zentralstelle weiterleiten muss?

posted by Stadler at 09:20  

6.12.12

NPD-Verbotsverfahren immer kurz vor der Bundestagswahl

Max Steinbeis hat in seinem Verfassungsblog ein äußerst lesenswertes Interview mit dem ehemaligen Verfassungsrichter Dieter Grimm geführt, der einem neuen NPD-Verbotsantrag eher kritisch gegenübersteht und außerdem darauf hinweist, dass ein solches Verbot auch vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) kippen könnte, da die Hürden für ein Parteiverbot in Straßburg höher seien als in Karlsruhe, weil man dort auch maßgeblich darauf abstellt, ob die ernsthafte Gefahr besteht, dass es der besagten Partei tatsächlich gelingen kann, die verfassungsmäßige Grundordnung zu beseitigen.

Auch wenn man davon ausgehen darf, dass sich der jetzige Antrag anders als vor gut zehn Jahren nicht maßgeblich auf Informationen von V-Leuten stützen wird, bleibt die Frage, wie stark die NPD tatsächlich von V-Leuten der Verfassungsschutzbehörden durchsetzt ist und eventuell sogar geleitet wird, bestehen.

Warum ich einen Verbotsantrag ablehne, habe ich vor längerer Zeit schon ausführlich erläutert. An dieser Einschätzung hat sich nichts geändert. Und im Gegensatz zu dem was Heribert Prantl heute in der SZ schreibt, glaube ich auch nicht, dass ein solches Verbot dem Schutz des türkischen Gemüsehändlers – womit Prantl allerdings wiederum nur ein Klischee bemüht – dient. Ganz im Gegenteil. Ein NPD-Verbot wird zur Radikalisierung eines Teils der NPD-Anhänger führen, die in den Untergrund gedrängt vermutlich eine noch größere Neigung verspüren werden, dem terroristischen Vorbild des NSU nachzueifern.

Ein Verbotsverfahren ist die Handlungsweise eines schwachen und ängstlichen Staates, der sich dadurch mehr Probleme einhandelt als er löst. Es kommt vielleicht auch nicht von ungefähr, dass ein neuer Verbotsantrag unmittelbar vor einem bedeutenden Wahljahr angekündigt wird. Denn in der Bevölkerung wird ein solcher Antrag mehrheitlich wohl befürwortet und die Entscheidung aus Karlsruhe kommt ohnehin erst nach den Wahlen. Der zeitliche Ablauf war übrigens vor gut 10 Jahren derselbe. Der Verbotsantrag wurde 2001 gestellt, 2002 waren Bundestagswahlen und 2003 kam die ablehnende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Diese Parallele ist aber mit Sicherheit reiner Zufall.

posted by Stadler at 10:14  

30.11.12

Bundestagsfraktion der Grünen fordert Auflösung des Verfassungsschutzes

Die Bundestagsfraktion der Grünen fordert die Auflösung des Verfassungsschutzes und des MAD und will den gesamten Bereich neu strukturieren.

Die Grünen wollen zunächst ein unabhängiges Institut Demokratieförderung errichten, das die Strukturen und Zusammenhängen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit in Deutschland beobachtet und analysiert. Es soll sich dabei um eine unabhängige Institution ohne hoheitliche Eingriffsbefugnisse handeln, die dem Parlament und der Regierung Bericht erstattet.

Daneben soll eine sog. Inlandsaufklärung geschaffen werden, die den bisherigen Verfassungsschutz ablöst, allerdings mit deutlich eingeschränkten Befugnissen.

Gruppierungen und Einzelpersonen, die ihre Gedanken lediglich in Wort, Schrift und Bild äußern, sollen grundsätzlich nicht mehr mit nachrichtendienstlichen Mitteln überwacht werden, wenn ihre Aktivitäten keinen Gewaltbezug aufweisen. Diese Gruppen gehören zukünftig in die Aufgabensphäre des Instituts Demokratieförderung.

Zur Aufgabe der Inlandsaufklärung soll es aber auch gehören, Bestrebungen zu identifizieren, die dabei sind, Gewaltbezug und Gewaltstrukturen zu entwickeln.

Im Hinblick auf die Inlandsaufklärung sollen die Kontrollrechte des Parlaments gegenüber dem geltenden Recht deutlich gestärkt und auch die Auskunftsrechte der Betroffenen ausgeweitet werden.

Die Fraktion der Grünen hat ganz offensichtlich erkannt, dass der Verfassungsschutz in seiner jetzigen Form nicht behebbare strukturelle und systemische Defizite aufweist und die öffentlich bekannt gewordenen Probleme und Skandale keineswegs nur eine Folge individueller Fehler sind. Der Vorschlag der Grünen stellt, auch wenn einige Punkte noch vage bleiben, im Vergleich zur jetzigen Regelung einen rechtsstaatlichen Quantensprung dar, der zu begrüßen ist, zumal er mit einem konkreten, konstruktiven Konzept aufwartet. Und das ist weit mehr als alle anderen Parteien in dieser Frage bisher angeboten haben.

posted by Stadler at 16:02  

25.11.12

Fall Mollath: Gibt es Anzeichen für einen Bayernsumpf?

Die Kollegin Jakobs erkennt im Fall Mollath bereits jetzt einen der größten Justizskandale der deutschen Nachkriegsgeschichte, was man nach bisheriger Faktenlage allerdings für übertrieben halten kann. Andererseits kann man als vernunftbegabter Mensch kaum mehr in Abrede stellen, dass die bayerische Justiz im Fall Mollath erhebliche Fehler gemacht hat und das damalige Urteil gegen Gustl Mollath auf Grundlage der mittlerweile öffentlich bekannten Fakten nicht hätte ergehen dürfen.

Gustl Mollath ist aufgrund eines Strafurteils des Landgerichts Nürnberg-Fürth aus dem Jahre 2006 in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht worden. Eine solche Unterbringung setzt nach § 63 StGB voraus, dass die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, dass von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist.

Diese Prognose wurde aufgrund eines psychiatrischen Gutachtens erstellt, dem  weder eine Untersuchung von Herrn Mollath zugrunde lag noch ein ausführliches Explorationsgespräch. Der Sachverständige attestierte Mollath – nach Aktenlage – ein paranoides Gedankensystem. Als ein wesentliches Indiz hierfür wertete der Sachverständige den Umstand, dass Mollath wie es im Urteil wörtlich heißt „unkorrigierbar der Überzeugung sei, dass eine ganze Reihe von Personen aus dem Geschäftsfeld seiner früheren Frau, diese selbst und nunmehr auch beliebige weitere Personen die sich gegen ihn stellten (…) in dieses komplexe System der Schwarzgeldverschiebung verwickelt wären.

Zwischenzeitlich hat sich allerdings herausgestellt, dass dieses komplexe System der Schwarzgeldverschiebung bei der HVB tatsächlich existierte, die Exfrau Mollaths darin verwickelt war und sich die tatsächlichen Angaben Mollaths hierzu auch als zutreffend erwiesen hatten. Das wird u.a. in einem internen Revisionsbericht der HVB bestätigt. Dies hätte die Staatsanwaltschaft bereits vor der Verurteilung Mollaths ermitteln können und müssen, zumal Mollath ganz konkrete Hinweise gegeben hatte.

Und genau diese Umstände werfen auch ein neues Licht auf die Tatsachenfeststellungen des Gerichts bzgl. der Taten die Mollath vorgeworfen wurden. Denn diese Taten beruhen wesentlich auf den Zeugenaussagen der früheren Ehefrau Mollaths, an deren Glaubwürdigkeit das Gericht keine Zweifel hatte und die nach Ansicht des Gerichts auch keinerlei Belastungseifer zeigte. Da die Ehefrau aufgrund der Aussagen und Angaben ihres Ehemanns über die Schwarzgeldgeschäfte mit einer eigenen Strafverfolgung rechnen musste, hatte sie natürlich ausreichend Grund ihren Exmann zu belasten. Diese Annahme wird durch eine eidesstattliche Versicherung eines Bekannten des Ehepaars Mollath aus dem Jahr 2011 bestärkt. Dieser Bekannte, der erst 2010 von der Unterbringung Mollaths erfahren hat, schildert mehrere Telefongespräche mit Herrn und Frau Mollath, in denen Frau Mollath u.a. ankündigt haben soll, ihren Mann fertig machen zu wollen und auf seinen Geisteszustand prüfen zu lassen, wenn er ihre Schwarzgeldgeschäfte anzeigt.

Was die Bejahung der Unterbringungsvoraussetzungen angeht, kann es durchaus sein, dass der Sachverständige seine Schlussfolgerungen nicht allein und noch nicht einmal überwiegend auf die Aussagen Mollaths zu den Schwargeldgeschäften gestützt hat. Andererseits muss die Frage erlaubt sein, was ein Gutachten noch Wert ist, wenn sich herausstellt, dass es zumindest in einem nicht unwesentlichen Punkt von einer vollständig falschen Grundannahme ausgeht.

Die misstrauische Grundhaltung Mollaths, die der Sachverständige zudem betont, erscheint mir, angesichts der Vorgeschichte, mehr als verständlich zu sein und spricht daher wohl eher gegen als für eine Störung.

Obwohl das Urteil also aufgrund der mittlerweile bekannten Fakten zweifelsfrei von falschen Annahmen getragen ist, beharren sowohl die bayerische Justizministerin als auch z.B. der Bayerische Richterverein auf der Richtigkeit des Urteils. Der Bayerische Richterverein greift Kritiker wie den Strafrechtsprofessor Henning-Ernst Müller in einer von Korpsgeist getragenen Heftigkeit an, die nur als befremdlich bezeichnet werden kann. Müller hatte, in durchaus überzeugenden Art und Weise, die bayerische Justiz kritisiert. Die eher formale Entgegnung des Richtervereins, auch der BGH habe die Entscheidung in der Revision bestätigt, ist fadenscheinig. Der BGH ist keine Tatsacheninstanz, weshalb er die tatsächlichen Feststellungen und Annahmen des Landgerichts zu keiner Zeit überprüft hat. Die Prüfung des BGH beschränkte sich vielmehr auf Rechtsfehler.

Bei der Annahme, der Fall Mollath sei ein politisch gesteuerter Justizskandal, mag es sich um eine Verschwörungstheorie handeln. Ob die Strafanzeige Mollaths gegen die Schwarzgeldgeschäfte bei der HVB tatsächlich auf Intervention eines Spitzenpolitikers von der Staatsanwaltschaft nicht weiter verfolgt worden ist, wie die Verfassungsbeschwerde Mollaths nahelegt, wird vermutlich auch nicht mehr aufgeklärt werden. Aber auch der Umstand, dass die Konzernspitze der HVB zumnindest von dem fraglichen Revisionsbericht wusste, bietet Anlass für Spekulationen.

Bemerkenswert und bedenklich ist zudem, dass die Fortdauer der Unterbringung u.a. mit der mangelnden Kranheits- und Behandlungseinsicht Mollaths begründet wird. Denn diese Begründung fußt letztlich auf einem Zirkelschluss. Angesichts der Fehlerhaftigkeit der ursprünglichen gutachterlichen Feststellungen muss zumindest in Erwägung gezogen werden, dass die Störung des Geisteszustandes, die Mollath unterstellt wird, überhaupt nicht vorliegt. Wäre es dann nicht nachvollziehbar, wenn sich jemand, der gar keine psychische Erkrankung hat, auch nicht untersuchen und behandeln lassen will? Zumal durch Ärzte, die ihm nicht wirklich unvoreingenommen gegenübertreten.

Der Fall Mollath könnte  in der Tat ein großer Justizskandal sein. Aber auch wenn man die Spekulationen beiseite lässt, legt er den Blick auf eine Justiz frei, die stur und starrsinnig an einer einmal getroffenen Entscheidungen festhält, obwohl offenkundig ist, dass ein Teil der Tatsachengrundlagen, auf die man sich anfangs gestützt hat, weggebrochen ist.

Wir müssen in diesem Fall von der durchaus naheliegenden Möglichkeit ausgehen, dass sich ein Mensch rechtstreu verhalten wollte, mit seinem Gewissen rang und genau deshalb, mit tatkräftiger Unterstützung der Justiz, seit Jahren in der Psychiatrie sitzt.

 

posted by Stadler at 21:57  

16.11.12

Verfassung ohne Schutz

Über den Verfassungsschutz könnte man eigentlich fast täglich bloggen, zumal alle Verschwörungstheorien gerade von der Realität eingeholt werden.

Vor Monaten hatte ich den Berliner Piratenabgeordneten Pavel Meyer einmal als politisch naiv dafür kritisiert, dass er den Berliner Verfassungsschutz als gesetzestreu gelobt hat. Jetzt ist die Chefin des Berliner Verfassungsschutzes zurückgetreten, weil ihr das System Verfassungsschutz zum Verhängnis wurde. Obwohl ich es nicht weiß, nehme ich stark an, dass Meyer und einige andere Berliner Piraten die Naivität ihrer Position mittlerweile erkannt haben dürften.

Die Süddeutsche Zeitung berichtet aktuell darüber, dass sich der Bayerische Verfassungsschutz in den 90’er Jahren aktiv am Aufbau des rechtsextremen Thule-Netzes beteiligt hat. Der Staat fördert und unterstützt die rechte Szene also aktiv, auch finanziell.

Und heute lese ich, dass der Zug zum NPD-Verbotsverfahren rollt. Das hat insofern mit dem Verfassungsschutz zu tun, als der letzte Verbotsantrag beim Bundesverfassungsgericht noch nicht einmal inhaltlich geprüft wurde, weil ca. 1/3 der Führungsebene der NPD aus V-Leuten der Verfassungsschutzbehörden bestanden hatte. Dass der Staat den Rechtsextremismus also aktiv fördert, war damit bereits damals klar. Auch wenn ich grundsätzlich ein Gegner des Verbotsantrags bin, könnte das Verfahren und die begleitende Berichterstattung vielleicht noch das ein oder andere Detail des Treibens der Verfassungsschutzbehörden ans Licht bringen. Der Verbotsantrag im nächsten Jahr hat wohl auch wahltaktische Gründe, zumal die zu befürchtende neuerliche Klatsche aus Karlsruhe dann erst nach der Bundestagswahl käme.

posted by Stadler at 17:56  

2.11.12

Der „Deal“ im Strafrecht vor dem BVerfG

Das Bundesverfassungsgericht verhandelt am 07.11.2012 über die Zulässigkeit von Absprachen zwischen Gericht, Staatsanwaltschaft und dem Angeklagten bzw. seinem Verteidiger. Das Gesetz ermöglicht in § 257c StPO einen solchen „Deal“ im Strafverfahren unter gewissen Voraussetzungen.

Das BVerfG hat im Rahmen der zu verhandelnden Verfassungsbeschwerden Prof. Altenhain von der Universität Düsseldorf beauftragt, eine empirische Studie zur Praxis der Verständigung im Strafverfahren durchzuführen. Die Ergebnisse dieser Studie sind bereits durchgesickert, worüber die Süddeutsche in ihrer heutigen Ausgabe berichtet. Nach dem Bericht der Süddeutschen treffen mehr als die Hälfte der Strafrichter informelle Absprachen unter Umgehung von § 257c StPO. Außerdem, so die SZ, hält die Hälfte der Richter den Deal zwar für unverzichtbar, gleichzeitig wird die gesetzliche Regelung von der Richterschaft mehrheitlich aber für untauglich erachtet. Man darf gespannt sein, ob die Untersuchung vollständig veröffentlicht wird und welche Auswirkungen sie auf die Entscheidung des BVerfG haben wird.

Selbst als jemand, der nur gelegentlich Strafverteidungen macht, kennt man die Situation. Vom Gericht und von der Staatsanwaltschaft wird einem bedeutet, dass die Verurteilungswahrscheinlichkeit sehr hoch sei, während man gleichzeitig für den Falle des Geständnisses des Angeklagten einen spürbaren Strafnachlass in Aussicht gestellt bekommt. In dieser Situation lassen sich eine Reihe von Angeklagten zu einem Geständnis bewegen, weil man ihnen einerseits deutlich zu verstehen gibt, dass sie ohnehin verurteilt werden und es deshalb unklug wäre, auf den Strafnachlass zu verzichten. In dieser faktischen Drucksituation werden zwangsläufig auch falsche Geständnisse abgegeben. Andererseits führt der Deal bei komplexen Sachverhalten z.B. im Wirtschaftsstrafrecht gelegentlich auch zu unangemessen niedrigen Strafen. Beides wirft rechtsstaatliche Fragen auf. Die derzeitige gesetzliche Regelung wurde beispielsweise auch von BGH-Richter Thomas Fischer, der zugleich einer der bedeutendsten Strafrechtler hierzulande ist, mehrfach deutlich kritisiert.

posted by Stadler at 10:53  

21.10.12

Wer schützt uns vor solchen Verfassungsschützern?

Der Freistaat Bayern hat sich in einem Vergleich verpflichtet, die Einträge zur Antifaschistischen Informations-, Dokumentations- und Archivstelle München . e. V. (a.i.d.a.)  in den Verfassungsschutzberichten 2009, 2010 und 2011 zu streichen und a.i.d.a. auch künftig (!) nicht mehr in den Verfassungsschutzberichten zu nennen.

Das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz hatte den Verein im jährlichen Verfassungsschutzbericht mehrfach als linksextremistische Gruppierung eingestuft. Eine Bewertung, die der BayVGH bereits 2010 mit den Worten kassierte, es würde sich um ein “nicht ansatzweise durch tatsächliche Anhaltspunkte nachvollziehbar belegtes Negativurteil“ handeln. Das hat die Behörde allerdings nicht davon abgehalten, diese Eintragung, mit ausdrücklicher Unterstützung des Innenministeriums, auch in den Folgejahren zu wiederholen.

Diese Unbelehrbarkeit macht deutlich, dass der jetzige Vergleich alles andere als freiwillig zustande kam, sondern nur dem Zweck diente, eine erneute krachende Niederlage vor dem VGH abzuwenden.

Das Totalversagen von Innenministerium und Verfassungsschutz bei den NSU-Morden, von denen fünf in Bayern stattgefunden haben, muss in unmittelbarem Zusammenhang mit solchen Vorgängen wie der Beobachtung von a.i.d.a. gesehen werden. Denn die Überwachung kritischer Demokraten aus ideologischen Gründen hält den Bayerischen Verfassungsschutz ganz offensichtlich davon ab, seine eigentliche Arbeit zu machen. Als Bürger frage ich mich ernsthaft, wer uns vor solchen Verfassungsschützern und Politikern schützt.

posted by Stadler at 21:05  

13.10.12

Punkband unter Beobachtung des Verfassungsschutzes

Dass Verfassungsschutzbehörden viel lieber kritische Demokraten beobachten, als sich mit wirklichen Extremisten zu befassen, ist nicht ganz neu und kann anhand des bayerischen Verfassungsschutzberichts praktisch jährlich nachvollzogen werden.

Über einen nicht minder haarsträubenden Fall aus Mecklenburg-Vorpommern berichtet publikative.org. Es ist insoweit durchaus instruktiv, den ganzen Eintrag zur Punkband „Feine Sahne Fischfilet” (FSF) im Verfassungsschutzbericht 2011 (ab S. 84) zu lesen. Man ist danach wirklich einigermaßen sprachlos, gerade auch darüber, wie Verfassungsschutzbehörden in einem grundrechtsintensiven Bereich agieren.

posted by Stadler at 22:33  

23.9.12

Beschlüsse des Juristentages sind in der Tendenz bürgerrechts- und internetfeindlich

Der letzte Woche zu Ende gegangene 69. Deutsche Juristentag hat eine ganze Reihe fragwürdiger und diskussionsbedürftiger Beschlüsse gefasst, die auf eine stärkere Regulierung und Überwachung des Internets abzielen. Diese Beschlüsse werden von den Fachabteilungen des DJT gefasst, die mir angesichts dessen, was inhaltlich abgestimmt wurde, doch deutlich von einer konservativen und nicht gerade liberalen Grundhaltung dominiert zu sein scheinen.

Die für das Internet relevanten Beschlüsse des DJT finden sich in dem Beschlusspapier u.a. auf S. 9 – 11 (Strafrecht) und S. 23 ff. (IT- und Kommunikationsrecht).

Der DJT spricht sich für eine Vorratsdatenspeicherung, Onlinedurchsuchung (in engen Grenzen) und Quellen-TKÜ aus. Ein Recht auf anonyme Internetnutzung lehnt der DJT ab. Gefordert wird ferner, dass bei der Verarbeitung personenbezogener Daten von Minderjährigen eine Einwilligung des einsichtsfähigen Minderjährigen und seines gesetzlichen Vertreters notwendig sein soll. Das würde natürlich u.a. eine Nutzung sozialer Netze durch Minderjährige erheblich erschweren und ist relativ weit von der Lebenswirklichkeit entfernt.

Eine Auswahl derjenigen Beschlüsse, die mir für das Internet wesentlich erscheinen, habe ich nachfolgend zusammengestellt. Ob der Beschlussvorschlag angenommen oder abgelehnt wurde, ergibt sich aus dem Klammerzusatz am Ende.

Überwachungstechnologien:
Der Gebrauch der existierenden Technologie für eine flächendeckende Überwachung, Filterung und Kontrolle jeglicher elektronischer Kommunikation ist allenfalls mit äußerster Zurückhaltung anzuwenden. Sind Überwachungs- und Filterbefugnisse erst einmal gewährt, so entziehen sie sich einer effektiven Kontrolle durch Justiz und Parlament. (abgelehnt)

Quellen-Telekommunikationsüberwachung:
aa) Ein heimliches Eindringen in ein informationstechnisches System zum Zwecke einer repressiven Quellen-Telekommunikationsüberwachung sollte als Ausgleich für die technisch meist unmögliche Telekommunikationsüberwachung entsprechend den Voraussetzungen der §§ 100a, 100b StPO möglich sein. (angenommen)

bb) Die hierfür eingesetzte Software muss vorab unabhängig zertifiziert werden, z.B. durch den Datenschutzbeauftragten, um sicherzustellen, dass die technischen und rechtlichen Anforderungen eingehalten und die beim Einsatz dieser Software unvermeidlichen Gefahren beherrschbar sind. (angenommen)

cc) Es sollte eine gesetzliche Pflicht geschaffen werden, in jedem Einzelfall nachträglich den Datenschutzbeauftragten zu informieren. (abgelehnt)

Online-Durchsuchung:
aa) Ein heimliches Eindringen in ein informationstechnisches System zum Zwecke einer repressiven Online-Durchsuchung ist angesichts der Möglichkeit einer Verschlüsselung der gespeicherten Daten ein wichtiges Ermittlungsinstrument und sollte daher, wenn auch unter hohen, verfassungsrechtlich vorgegebenen Eingriffsschwellen (vgl. BVerfGE 120, 274) erlaubt werden. (angenommen)

bb) Die hierfür eingesetzte Software muss vorab unabhängig zertifiziert werden, z.B. durch den Datenschutzbeauftragten, um sicherzustellen, dass die technischen und rechtlichen Anforderungen eingehalten und die beim Einsatz dieser Software unvermeidlichen Gefahren beherrschbar sind. (angenommen)

cc) Es sollte eine gesetzliche Pflicht geschaffen werden, in jedem Einzelfall nachträglich den Datenschutzbeauftragten zu informieren. (abgelehnt)

Vorratsdatenspeicherung:
Telekommunikationsanbieter sollten generell und soweit verfassungsrechtlich zulässig nach Maßgabe der RL 2006/24/EG (EU-Vorratsdatenspeicherungsrichtlinie) verpflichtet werden, bestimmte Verkehrsdaten zu sammeln und für mindestens sechs Monate zu speichern. (angenommen)

Anonymität:
a) Im Interesse einer effektiven Durchsetzung des Rechts auf freie Meinungsäußerung im Internet besteht ein schützenswertes Recht der Internetnutzer auf Anonymität. Ansprüche Dritter wegen Rechtsverletzungen durch Internetnutzer sollen weitestmöglich hinter dem Recht auf Anonymität zurückstehen, Identifizierungspflichten von Internetdiensten sind entsprechend zu beschränken (abgelehnt)

b) Ein „Recht auf anonyme Internet-Nutzung“ ist nicht anzuerkennen. Bei aktiver Nutzung des Internets mit eigenen Beiträgen darf der Nutzer nicht anonym bleiben, sondern muss im Rahmen einer Verwendung von Pseudonymen zumindest identifizierbar sein. Nur dann lassen sich Rechtsverstöße wirksam verfolgen. Internet-Dienste sollen den Klarnamen und die Internetverbindung ihrer Nutzer registrieren. (angenommen)

Datenschutz, Persönlichkeitsrecht, Störerhaftung:
Für die wirksame (datenschutzrechtliche, Anm. des Verf.) Einwilligung Minderjähriger ist sowohl die Zustimmung der gesetzlichen Vertreter als auch die Einwilligung des einsichtsfähigen Minderjährigen erforderlich. (angenommen)

Bei behaupteten Persönlichkeitsrechtsverletzungen ist dem Betroffenen – in Anlehnung an §§ 101 UrhG, 19 MarkenG, 140b PatG – ein Auskunftsanspruch zur Benennung des Rechtsverletzers zu gewähren; Ausnahmen sind nur in verfassungsrechtlich gebotenen Fällen zuzulassen. (angenommen)

Der Störerhaftung soll ein Dienstebetreiber nur dann unterliegen, wenn er zumutbare Verhaltens-, namentlich Prüfpflichten verletzt, die nach Art des Internetdienstes unterschiedlich weitreichend sein können. Die vom BGH in der „Blogger“-Entscheidung (Urt. v. 25.10.2011 – VI ZR 93/10) aufgegriffenen Grundsätze – keine Verantwortlichkeit des Providers, wenn er nach Meldung der Rechtsverletzung durch den Rechtsinhaber die Veröffentlichung löscht – sind fortzuentwickeln. Für Äußerungen auf Kommunikationsplattformen sollte ein „Notice-and-take-down“-Verfahren eingeführt werden, in dem auf Meldung eines potentiell Verletzten zunächst der Äußernde zur Stellungnahme aufgefordert wird. Nimmt er nicht in gesetzter Frist Stellung, wird seine Äußerung entfernt; andernfalls findet die rechtliche Auseinandersetzung zwischen Äußerndem und Verletztem statt. (angenommen) (…) Bei anonymen Meinungsäußerungen erfolgt eine umgehende Entfernung der Äußerung (angenommen)

Das geltende Regelungskonzept des Datenschutzes, ein Verbot der Verwendung personenbezogener Angaben mit Erlaubnisvorbehalt, ist grundsätzlich beizubehalten, aber mit deutlich erweiterten Erlaubnistatbeständen für die Internetkommunikation. Datenschutzrechtliche Anforderungen sollten bei überwiegenden Kommunikationsinteressen zurücktreten. (angenommen)

Sowohl die europäische „Datenschutz-Grundverordnung“ als auch die entsprechende nationale Regelung sollten die Verantwortlichkeit von Suchmaschinenbetreibern und deren Umgang mit personenbezogenen Daten regeln. (angenommen)

posted by Stadler at 14:15  
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