Internet-Law

Onlinerecht und Bürgerrechte 2.0

15.3.13

Rechnet sich der Ankauf von Steuersünder-CDs für den Staat?

Udo Vetter schreibt in seinem lawblog, dass der Ankauf von Steuer-CDs für das Land Nordrhein-Westfalen noch nicht einmal kostendeckend gewesen sei, während man Pressemeldungen der WAZ und des Handelsblatts entnehmen kann, dass der Ankauf von Steuersünder-CDs in der Schweiz laut Finanzministerium angeblich 640 Mio. EUR in die Staatskassen gespült hätte.

Die WAZ spricht von 7.800 Selbstanzeigen in drei Jahren, die allein zu Einnahmen von 370 Mio. EUR geführt haben sollen. Die interessante Frage ist natürlich die, ob es sich hierbei um Selbstanzeigen handelt, die kausal auf den Ankauf von Steuer-CDs zurückgehen oder ob man zur Schönung der Zahlen einfach alle Selbstanzeigen der letzten drei Jahre aufgenommen hat. Es wäre dann natürlich wichtig zu wissen, wieviele Selbstanzeigen es in den drei Jahren davor gegeben hat, um zu sehen, ob der Ankauf überhaupt zu einem relevanten Anstieg der Selbstanzeigen geführt hat. Wenn man allein auf den wirtschaftlichen Effekt abstellt, müsste man natürlich außerdem die Verwaltungskosten gegenrechnen.

Gerade bei der SPD besteht ein gewisser Druck, den Ankauf von Steuer-CDs als Erfolg zu verkaufen, nachdem man das vor dem Abschluss stehende Steuerabkommen mit der Schweiz im Bundesrat hat platzen lassen. Dieses Abkommen war möglicherweise nicht optimal, aber es hätte voraussichtlich zu Einnahmen geführt, die jetzt fehlen. Vor diesem Hintergrund ist es schon fast zwingend, dass der Ankauf von Steuer-CDs von einem SPD-geführten Finanzministerium als Erfolg dargestellt werden muss.

Wenn man wie in NRW geschehen aufgrund angekaufter CDs mehr als 3.400 Steuerstrafverfahren einleitet, die bislang nur zu 11 (!) Strafbefehlen geführt haben, dann kann man das kaum als Erfolg werten. Es ist wohl eher so, dass diese fragwürdige Form des Whistleblowings dazu führt, mehrheitlich unschuldige Bürger zu denunzieren und einer Strafverfolgung auszusetzen. Und das kann nicht die Aufgabe eines Rechtsstaats sein. Hierüber hätte eine kritische Presse sicherlich auch berichtet, aber unsere Qualitätsmedien kauen offenbar nur unreflektiert das wieder, was ihnen das nordrhein-westfälische Finanzministerium vorsetzt.

posted by Stadler at 16:55  

11.3.13

DAV: Geplantes Berliner Gesetz zu Übersichtsaufnahmen bei Versammlungen ist verfassungswidrig

Der Deutsche Anwaltverein (DAV) hat sich in einer Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes des Berliner Abgeordnetenhauses über Übersichtsaufnahmen zur Lenkung und Leitung des Polizeieinsatzes bei Versammlungen unter freiem Himmel und Aufzügen geäußert.

Die Einschätzung des Fachausschusses Gefahrenabwehr des DAV ist eindeutig. Es liegt ein Eingriff in das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit vor, der schon nicht geeignet ist, die öffentliche Sicherheit zu stärken. Auch die Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne wird vom DAV bezweifelt.

Letztlich halte ich gerade auch folgende Erwägungen des DAV für überzeugend und durchgreifend:

Zudem steht zu befürchten, dass das nun vorliegende Gesetz Ausgangspunkt für die Etablierung weiterer Eingriffsbefugnisse der Polizei in Zusammenhang mit Videoüberwachung bei Versammlungen sein wird. Das BVerfG hat zwar in seiner Eilentscheidung zum ersten Entwurf des Bayrischen Versammlungsgesetzes ausdrücklich ausgeführt, dass die Aufzeichnung von Übersichtsaufnahmen nur bei Vorliegen konkreter Anhaltspunkte für eine erhebliche Gefahr für öffentliche Sicherheit und Ordnung zulässig sei. Wenn aber entsprechend dem Berliner Entwurf laufend ohne Vorliegen einer konkreten Gefahr derartige Übersichtsaufnahmen angefertigt werden, liegt es aus polizeilicher Perspektive nahe, vorläufige Aufzeichnungen vorzunehmen, um sodann nach der Versammlung über das Vorliegen der Voraussetzungen einer Speicherung nach § 12a VersG zu entscheiden. Das würde im Ergebnis dann eine umfassende, anlasslose Videoüberwachung von Versammlungen bedeuten.

Nicht hinreichend beachtet hat man in Berlin auch die Vorgaben des BVerfG. Danach stellt die Anfertigung solcher Übersichtsaufzeichnungen nach dem heutigen Stand der Technik für die Aufgezeichneten immer einen Grundrechtseingriff dar, weil auch in Übersichtsaufzeichnungen die Einzelpersonen in der Regel individualisierbar mit erfasst sind. Ein prinzipieller Unterschied zwischen Übersichtsaufzeichnungen und personenbezogenen Aufzeichnungen besteht nach der Rechtsprechung des BVerfG wegen des Stands der heutigen Technik deshalb nicht mehr.

Letztlich ist das Gesetz zur Anfertigung von Übersichtsaufnahmen gleichzeitig auch ein Gesetz zum Filmen einzelner Demonstrationsteilnehmer. Genau das ist aber, jedenfalls zum Zweck der „Lenkung und Leitung des Polizeieinsatzes“ nicht mit dem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit vereinbar.

posted by Stadler at 21:48  

25.2.13

Fall Mollath: Weiter nichts Neues aus der Anstalt

Seit einiger Zeit ist der Wiederaufnahmeantrag von Mollaths Verteidiger Strate öffentlich bekannt, der sich wie eine Fehlerchronik der Justiz liest. Mich hat daran allerdings etwas verwundert, dass sich der Antrag explizit auf das Beweis- und Aktenmaterial beschränkt, das dem Landgericht Nürnberg-Fürth bei seinem Urteil am 8.8.2006 zur Verfügung stand oder bei ordnungsgemäßer Aufklärung schon damals hätte zur Verfügung stehen können. Im Zentrum des Antrags steht deshalb der Vorwurf der vorsätzlichen Rechtsverletzung durch Gericht und Sachverständige, während betont wird, dass die neuen Erkenntnisse, die die Staatsanwaltschaft Regensburg gewonnen hat, bewusst nicht verarbeitet wurden, weil sich der Verteidigerantrag als Ergänzung des zu erwartenden staatsanwaltlichen Antrags versteht. Der Schuss könnte natürlich nach hinten losgehen, sollte die Staatsanwaltschaft doch keinen Wiederaufnahmeantrag stellen. Zumal mir etwas der Glaube daran fehlt, dass ein Gericht dem seinerzeit entscheidenden Gericht tatsächlich Rechtsbeugung attestieren wird.

Lesenswert ist auch der Blogbeitrag von Henning-Ernst Müller, der offenbar Einsicht in die Akte hatte und zu dem Schluss kommt, dass in dem Verfahren derart viele und so erhebliche Fehler gemacht worden seien, dass die Rechtskraft des Urteils und die weitere Unterbringung nicht mehr mit rechtsstaatlicher Legitimität aufrecht erhalten werden könne.

Oliver Garcia befasst sich in einem neuen Blogbeitrag mit der Rolle des Gutachters Klaus Leipziger und legt auch juristisch überzeugend dar, weshalb man dessen maßgebliches Gutachten als fehlerhaft und nicht tragfähig einschätzen muss. Das bestätigt meine bereits vor einiger Zeit hier vertretene Ansicht.

Ganz unabhängig davon, ob die Voraussetzungen eines Wiederaufnahmeverfahrens vorliegen oder nicht, ist mittlerweile wohl mehr als deutlich, dass die Voraussetzungen einer Unterbringung zu keinem Zeitpunkt in ordnungsgemäßer und rechtsstaatlicher Art und Weise festgestellt wurden. Und das kann und muss bei der Frage der Fortdauer berücksichtigt werden.

Je mehr Fakten und Details bekannt werden, umso stärker erinnert der Fall Mollath allerdings an „Einer flog über das Kuckucksnest“ und weniger an ein rechtsstaatliches Verfahren.

posted by Stadler at 22:13  

18.2.13

BVerfG nimmt Verfassungsbeschwerde gegen biometrischen Reisepass nicht an

Das Bundesverfassungsgericht hat die Verfassungsbeschwerde der Schriftstellerin Juli Zeh gegen den biometrischen Reisepass nicht zur Entscheidung angenommen (Beschl. vom 30.12.2012, Az.: 1 BvR 502/09).

Obwohl das BVerfG zu verstehen gibt, dass sich insoweit schwierige materiell-rechtliche Fragen stellen, geht es im konkreten Fall davon aus, dass eine Verletzung der Rechte der Antragsteller nicht ausreichend dargelegt worden ist, weshalb man bereits die Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde verneint. Das BVerfG wörtlich:

Obwohl die Verfassungsmäßigkeit der angegriffenen Regelungen maßgeblich von diesem Nutzungsregime abhängt, gehen die Beschwerdeführer nicht sachhaltig auf diese Vorschriften ein und greifen auch die damit zusammenhängende Frage, ob die verschiedenen, das Nutzungsregime der biometrischen Daten bestimmenden Vorschriften einzeln oder in ihrem Zusammenspiel geeignet sind, die Verhältnismäßigkeit der angegriffenen Vorschriften sicherzustellen, nicht auf. Damit werden sie den an die Substantiierung der Verfassungsbeschwerde zu stellenden Anforderungen – unabhängig von der Frage, wie die angegriffenen Vorschriften materiell verfassungsrechtlich zu würdigen sind – nicht gerecht. Auch gehen die Beschwerdeführer nur kursorisch auf eine etwaige Nutzung der gespeicherten Daten durch ausländische Staaten ein.

Nachdem ich die Beschwerdeschrift und den konkreten Vortrag nicht kenne, ist eine Einschätzung natürlich schwierig zu treffen. Man hat aber beim BVerfG verstärkt den Eindruck, dass man dort nur noch das annimmt, was man annehmen will und dementsprechend flexibel auch mit der Zulässigkeitshürde umgegangen wird. Im konkreten Fall stellt sich die Frage, welche Ausführungen man als betroffener Bürger denn zum (behördlichen) Nutzungsregime vernünftigerweise überhaupt machen kann. Man müsste dazu vorab die Regelungen des § 16 und 16a PassG auch im Hinblick auf ihre technische Umsetzung bzw. Umsetzbarkeit überprüfen lassen, was mir deutlich übertrieben erscheint. Noch schwieriger dürfte es aus Sicht des betroffenen Bürgers sein, im Rahmen einer Verfassungsbeschwerde den möglichen Missbrauch der Daten durch andere Staaten darzulegen. Genau das scheint das Bundesverfassungsgericht aber zu erwarten.

Die Frage, ob und bis zu welchem Grad man sich als Bürger von der Passbehörde erkennungsdienstlich behandeln lassen muss, erscheint mir außerdem, auch unabhängig vom Ausmaß und Umfang der Nutzung, eine grundrechtlich relevante Frage zu sein. Das Gericht scheint allerdings die Erhebung biometrischer Daten für unproblematisch zu halten und möchte mit einer Prüfung erst bei der Frage der anschließenden Verwendung der Daten ansetzen. Das erinnert mich entfernt an die Argumentationslinie aus dem Urteil zur Vorratsdatenspeicherung. Man darf den Geist also schon aus der Flasche lassen, wenn man ihn anschließend noch ausreichend kontrolliert und seine übermäßige Ausbreitung verhindert. Ob man mit diesem Ansatz in Karlsruhe künftig noch für einen hinreichenden Schutz der Grundrechte sorgen kann und wird, darf bezweifelt werden. In beiden Fällen wollte sich das Gericht aber ersichtlich nicht mit der Frage auseinandersetzen, ob die Vorgaben des EU-Rechts mit den Grundrechten kollidieren.

Es wäre natürlich auch interessant zu wissen, welche Anforderungen das Gericht hätte genügen lassen, um die Zulässigkeit zu bejahen und in die materielle Prüfung einzusteigen. Auf derartige Fragen bekommt man freilich niemals eine Antwort. Vielleicht möchte es ja noch mal jemand mit einer (vermeintlich) substantiierteren Begründung versuchen, um zu sehen, ob eine weitere Verfassungsbeschwerde in Karlsruhe dann wieder abgebügelt wird.

Update vom 19.02.2013:
Die Verfassungsbeschwerde ist im Volltext online, so dass sich jedermann selbst ein Bild davon machen kann, ob das Verfassungsgericht die Zulässigkeit zu Recht verneint hat.

posted by Stadler at 12:29  

23.1.13

Generalbundesanwaltschaft hält Quellen-TKÜ für unzulässig

Über die Frage der rechtlichen Zulässigkeit der sog. Quellen-TKÜ – die auf die Überwachung der Internettelefonie abzielt – wird seit Jahren gestritten. Teile der Rechtsprechung halten sie für zulässig, weshalb sie auch immer wieder richterlich angeordnet wird. Nach der überwiegenden Ansicht der Rechtswissenschaft enthält die Strafprozessordnung aber derzeit keine ausreichende Rechtsgrundlage für die Anordnung einer Quellen-TKÜ. Vor einem Jahr habe ich diese Frage in einem Aufsatz für die Zeitschrift MMR untersucht.

Der Generalbundesanwalt hat bereits 2010 in einem Papier, das allerdings mit dem Vermerk „Nur für die Handakten“ versehen war und jetzt veröffentlicht wurde, vermerkt, dass eine Anordnung einer Quellen-TKÜ aus Rechtsgründen nicht in Betracht kommt und man deshalb eine solche – entgegen der Anregung des BKA – seitens der Bundesanwaltschaft auch nicht beantragt.

posted by Stadler at 16:57  

22.1.13

Das deutsche Strafverfahren genügt den rechtsstaatlichen Anforderungen nicht

Die ARD hat gestern Abend eine Reportage mit dem Titel „Unschuldig in Haft – Wenn der Staat zum Täter wird“ ausgestrahlt, die über zwei eklatante Fälle unrichtiger Strafurteile berichtet hat und über eine Justiz die auch dann noch mauert und abwiegelt, wenn die Fehler bereits offenkundig sind. Denn der Justizirrtum ist im System nicht vorgesehen und eigene Fehler räumt die Strafjustiz nur widerwillig ein.

Henning-Ernst Müller hat den ARD-Beitrag im Beck-Blog zum Anlass genommen, die Frage aufzuwerfen, was gegen den Justizirrtum helfen kann und nennt Vorschläge, die es seit Jahren gibt, wie „Tonbandaufnahmen von Vernehmungen, Wortprotokolle in der LG-Hauptverhandlung, die zweite Tatsacheninstanz auch (und gerade!) bei schweren Tatvorwürfen.“

Auch wenn ich kein wirklicher Strafverteidiger bin, übernehme ich in jedem Jahr auch ein paar Strafsachen und habe im Laufe meiner jetzt sechzehnjährigen Anwaltstätigkeit schon eine ganze Reihe von Strafverfahren als Verteidiger miterlebt.

Der nach meiner Wahrnehmung vermutlich eklatanteste Mangel des deutschen Strafverfahrens besteht im Fehlen eines ordentlichen Protokolls, insbesondere der fehlenden vollständigen Protokollierung von Zeugenaussagen. Das Problem ist im Gesetz selbst angelegt, weil eine wörtliche und/oder vollständige Protokollierung nicht verlangt wird. Lediglich die wesentlichen Ergebnisse der Vernehmung sind in das Protokoll aufzunehmen. In der Praxis sieht das dann so aus, dass ein Mitglied des Gerichts handschriftliche Notizen anfertigt – die allzuoft äußerst lückenhaft sind -, die anschließend vom Vorsitzenden unterzeichnet und zur Akte genommen werden.

Weil eine ausreichende und transparente Dokumentation fehlt, habe ich es schon mehrfach erlebt, dass der Inhalt einer Zeugenaussage im Urteil dann deutlich anders wiedergegeben wurde, als es meiner Erinnerung entsprach. In diesem Kontext muss man sich auch bewusst machen, dass im Zivilrechtsstreit, selbst bei geringen Forderungsbeträgen, zumeist ein vernünftiges Protokoll mit einer im Regelfall ordentlichen Protokollierung von Zeugenaussagen angefertigt wird. Dasselbe findet man in Strafverfahren, in denen es wirklich um etwas geht, weil Menschen u.U. zu langjährigen Haftstrafen verurteilt werden, zumeist nicht.

Solange das Gesetz nicht zwingend eine wörtliche Protokollierung von Zeugenaussagen verlangt, wird auch künftig immer nur das festgehalten werden, was das Gericht – im Moment der Vernehmung – für wesentlich erachtet.

Als Anwalt ist man, nicht nur im Strafverfahren, sondern ebenso im Zivilverfahren, auch immer wieder darüber erstaunt, wie Richter die Glaubwürdigkeit von Zeugenaussagen einschätzen. Obwohl zu diesem Thema eine ganze Menge Literatur existiert und spezielle Seminare angeboten werden, sind Richter regelmäßig nicht darauf geschult, typische Merkmale und Umstände die für oder gegen die Glaubwürdigkeit sprechen, abzuarbeiten, sondern entscheiden zumeist nur aus dem Bauch heraus. Es wäre deshalb zwingend erforderlich, die Richterschaft im Hinblick auf die Fragetechnik bei der Zeugeneinvernahme zu schulen sowie auch mit Blick auf die Beurteilung der Glaubwürdigkeit einer Aussage.

Dass man es darüber hinaus immer wieder mit voreingenommenen Richtern zu tun hat, die sich ihre Meinung bereits gebildet haben, ist ein anderes Problem, das auch der Gesetzgeber nicht beseitigen kann. Speziell in Bayern fällt mir bei Strafrichtern außerdem immer wieder eine zu große Nähe zur Staatsanwaltschaft auf, was m.E. maßgeblich damit zusammenhängt, dass jeder Richter zu Beginn seiner Laufbahn mehrere Jahre als Staatsanwalt tätig gewesen sein muss und es auch ansonsten nicht unüblich ist, wenn zwischenzeitlich die Seiten gewechselt werden. Es wäre sinnvoll und notwendig, die Laufbahnen von Strafrichtern und Staatsanwälten strikt zu trennen.

Andererseits möchte ich nicht unerwähnt lassen, dass ich sowohl im Strafrecht als auch im Zivilrecht immer wieder gut und ordentlich arbeitenden Richtern begegne. Ein pauschales Richter-Bashing ist daher nicht angebracht.

Eine Reihe systembedingter Schwächen und Mängel müssen vom Gesetzgeber beseitigt werden. Vordringlich wäre eine Neufassung der Vorschriften über das Sitzungsprotokoll und die Beurkundung der Hauptverhandlung (§§ 271 ff. StPO), insbesondere die Einführung einer zwingenden wörtlichen Protokollierung. Das wäre dringend geboten, um den rechtsstaatlichen Anforderungen an ein faires Strafverfahren zu genügen.

posted by Stadler at 11:47  

28.12.12

Mollath: Irgendwie gefährlich

Unter dem Titel „Irgendwie gefährlich“ nimmt der Jurist, Kriminologe und Psychologe Thomas Galli in der SZ vom 27.12.2012 (S. 2) den Fall Mollath zum Anlass, die gesetzlichen Regelungen zu kritisieren, die die Gefährlichkeit als maßgebliche Voraussetzung einer Unterbringung in der Psychiatrie ansehen.

Denn es gibt laut Galli keinen wissenschaftlichen Nachweis dafür, dass Gefährlichkeitsprognosen auch nur annähernd präzise möglich sind. Und wer einmal als gefährlich eingestuft worden ist, gerate laut Galli in einen Teufelskreis, denn niemand wolle die Verantwortung dafür übernehmen, diese Prognose zu revidieren. Letztlich tue man nur so, als könnte man die Gefährlichkeit eines Individuums wissenschaftlich objektivieren und messen.

Bezogen auf den Fall Mollath ist auch frappierend, wie wenig ihm gedroht hätte, wäre er nur als gewöhnlicher Straftäter qualifiziert worden. Denn Mollath hätte – gefährlich oder nicht – für die ihm vorgeworfenen Straftaten voraussichtlich nur eine Bewährungsstrafe erhalten und wäre nie in Haft gegangen. Nur weil er im Strafprozess als schuldunfähig eingestuft wurde, sitzt Mollath letztlich seit sieben Jahren in der Psychiatrie. Mollath gilt also im Grunde nur deshalb für die Allgemeinheit als dauerhaft gefährlich, weil er für verrückt gehalten wird. Man kann sich hier durchaus die Frage stellen, weshalb die Schwelle für eine Unterbringung nach § 63 StGB – wie im Falle Mollath – deutlich niedriger ist, als beispielsweise bei einer Unterbringung eines schuldfähigen Täters in der Sicherungsverwahrung nach § 66 StGB.

posted by Stadler at 22:55  

28.12.12

Der Streit um die Meinungshoheit im Fall Mollath ist auch ein journalistisches Lehrstück

Die ZEIT und der SPIEGEL haben unlängst versucht, den Fall Mollath in einem anderen Licht darzustellen und die These vom Justizirrtum zu widerlegen. Der Versuch, die Meinungsführerschaft der Süddeutschen zu brechen, war beiden Artikeln gemein. Beide Artikel bieten Anlass dafür, sich über die Seriosität und Ausgewogenheit der Berichterstattung Gedanken zu machen.

Der Beitrag der ZEIT, der zunächst zumindest fundierter wirkte als der bei SPON, hat sich vor allem mit der unrichtigen Behauptung ins Aus geschossen, Mollath hätte den Strafverteidiger Gerhard Strate nicht mandatiert, was man mit der These verknüpfte, Mollath würde es sich in der Rolle des Märtyrers der bayerischen Strafjustiz bequem machen. Denn wie sich kurze Zeit später herausstellte, hatte Mollath Strate bereits vor Erscheinen des ZEIT-Artikels mit dem Wiederaufnahmeverfahren beauftragt. Eine steile These deren Ausgangspunkt eine falsche Tatsachenbehauptung ist, ist nicht unbedingt das, was man sich unter Qualitätsjournalismus vorstellt.

Dass aus dem Kontext gerissene Einzelumstände fast immer die Möglichkeit bieten, einen Sachverhalt in gänzlichem Gegensatz zur Wirklichkeit darzustellen, weiß im Grunde jeder. Um diese Technik im konkreten Einzelfall zu erkennen, muss man sich als Leser aber bereits intensiv mit einem bestimmten Thema befasst haben. Und genau das haben die meisten Leser von ZEIT oder SPIEGEL natürlich nicht getan. Vielmehr vertrauen sie darauf, dass ihnen ein solide recherchierter Bericht geboten wird, der die Fakten ausgewogen beleuchtet. Ein Vertrauen, das zumindest in diesem Fall nicht gerechtfertigt war.

Die Süddeutsche hat in der Sache Mollath im Anschluss an die Artikel von SPIEGEL und ZEIT nochmals nachgelegt, was wie ein Seitenhieb auf ZEIT und SPIEGEL wirkte. Die Süddeutsche weist darauf hin – was ZEIT und SPON verschweigen – dass die psychiatrische Untersuchung Mollaths im Strafverfahren überhaupt erst auf Initiative seiner Exfrau erfolgte. Wenn man sich vor diesem Hintergrund die Chronologie der Gutachten und gutachterlichen Stellungnahmen zum Geisteszustand Mollaths vor Augen führt, gewinnt die eidesstattliche Versicherung des Zahnarztes Edward Braun deutlich an Plausibilität. Braun hatte erklärt, Mollaths Frau habe ihm gegenüber telefonisch angekündigt, ihren Mann fertig zu machen und auf seinen Geisteszustand überprüfen zu lassen, sollte er ihre Geschäfte zur Anzeige zu bringen.

Auch mit dem von ZEIT und Spiegel für den Geisteszustands Mollaths ins Feld geführten Umstand, Mollath hätte sich in der Einrichtung über längere Zeit hinweg geweigert, sich zu waschen, beschäftigt sich die SZ. Offenbar hatte Mollath angegeben, sich aufgrund von Allergien seit Jahren lediglich mit Kernseife zu waschen, die man ihm in der Einrichtung aber verweigerte. Anschließend hat er sich dann solange nicht gewaschen, bis er schließlich die Kernseife bekam. Sprechen derartige Umstände tatsächlich für eine gestörte Psyche? Jedenfalls kann man auch an solchen Nebensächlichkeiten ganz offensichtlich eine Story in eine bestimmte Richtung hochziehen, wie die ergänzende Stellungnahme der Journalistin Beate Lakotta recht anschaulich belegt.

Dabei gerät in der Berichterstattung insgesamt aus dem Blick, was juristisch relevant ist. Das ist nämlich die Frage, ob Mollath tatsächlich Straftaten begangen hat und ob er (weiterhin) eine Gefahr für die Allgemeinheit darstellt. Und das erscheint auf Basis der bekannten Fakten mittlerweile mehr als zweifelhaft. Diese Schlussfolgerung ist zu ziehen und sie wird jetzt voraussichtlich auch juristisch gezogen werden. Im Streit um die journalistische Meinungsführerschaft scheint das aber keine Rolle zu spielen.

Die Berichterstattung der ZEIT und des SPIEGEL ist erkennbar von dem Wunsch getragen, einen Scoop zu landen. Es wäre wenig spektakulär gewesen, nur das zu wiederholen, was andere bereits geschrieben haben. Es musste deshalb etwas Neues her. Aus diesem Grund wurde das bisher Geschriebene in Zweifel gezogen, um einen Kontrapunkt zu setzen. Um dieses Ergebnis zu erreichen, war es erforderlich, Fakten selektiv darzustellen und auch die ein oder andere Unwahrheit einzustreuen.

Die journalistische Technik die ZEIT und SPON hier anwenden, habe ich im Laufe der Jahre bei Themen, mit denen ich mich auskenne, immer wieder beobachten können. Der Tendenzjournalismus ist wohl deutlich weiter verbreitet, als gemeinhin angenommen wird. Und diesen Umstand sollte man bei allem was man liest berücksichtigen, egal in welchem (vermeintlich) seriösen Medium ein Beitrag erscheint. Denn auch Blätter wie ZEIT oder SPIEGEL sind bereit, dem Leser etwas vorzugaukeln, wenn dadurch die Story spektakulärer wird.

posted by Stadler at 09:16  

19.12.12

Spiegel-Autorin antwortet auf meinen Blogbeitrag zum Fall Mollath

Mein Blogbeitrag „Fall Mollath: Alles nur heiße Luft?“ ist oft erwähnt worden und hat jetzt auch die von mir kritisierte Spiegel-Autorin Beate Lakotta zu einer Stellungnahme veranlasst.

Auch wenn Frau Lakotta mir (ebenfalls) Verzerrung vorwirft, bestätigt ihre Stellungnahme den Vorwurf des Tendenzjournalismus eher als ihn zu widerlegen. Denn Beate Lakotta relativiert ihre Aussagen zumindest teilweise und gibt zu erkennen, dass sie bestimmte Umstände gar nicht erwähnt hat, obwohl sie ihr bekannt und bewusst waren.

Meine Aussage, dass den maßgeblichen Gutachten weder eine körperliche Untersuchung noch ein ausführliches Explorationsgespräch zu Grunde lag, ist im Kern zutreffend. Dass das Explorationsgespräch deshalb nicht stattgefunden hat, weil Mollath sich dem Gespräch verweigert hat, mag sein. Aber das macht meine Aussage nicht unrichtig. In äußerst blumiger Art und Weise erläutert Lakotta hierzu ergänzend , dass Mollath tagelang spärlich bekleidet auf seiner  Station herumgelaufen sei und dass er das Waschen so lange verweigert hätte, bis er so stank, dass es zu Konflikten mit den Mitpatienten gekommen sei. Ob das so war, kann ich nicht beurteilen. Aber selbst wenn Mollath verwirrt oder psychisch krank sein sollte, besagt dies nichts über die maßgebliche Frage der Gefährlichkeit.

Und auf welcher tatsächlichen Grundlage die Gutachter eine Gefährlichkeit Mollaths prognostizieren, erläutert auch Lakotta nicht näher, obwohl sie die psychiatrischen Gutachten offenbar genau kennt, wie sie betont. Ein gut recherchierter Beitrag, der die bisherige Berichterstattung in Zweifel zieht, hätte aber genau an dieser Stelle ansetzen müssen. Das ist aber bereits deshalb schwierig, weil die Gutachten – bzw. zumindest das eine, das ich gelesen habe – in diesem Punkt eher spekulativ und faktenarm argumentieren.

Lakotta räumt schließlich auch ein, mit dem weiteren Gutachter Dr. Simmerl gesprochen zu haben. Warum steht davon dann aber nichts in ihrem Artikel? Vermutlich weil es schlicht nicht in ihr Konzept passt.

Beate Lakotta wirft Kollegen anderer Blätter oder Sender vor, gewisse Dinge einfach auszublenden. Aber trifft das auf Lakotta nicht mindestens im selben Maß zu? Ich lese bei ihr nichts von der eidesstattlichen Versicherung des Zahnarztes Edward Braun und auch nichts davon, dass die Finanzbehörden wegen der Schwarzgeldvorwürfe möglicherweise nur deshalb nicht ermittelt haben, weil der Vorsitzende Richter, der Mollath verurteilt hatte, dort angerufen und Mollath als Spinner dargestellt hat.

Auch die Darstellung des arbeitsgerichtlichen Prozesses der Exfrau Mollaths – dessen Akten ich definitiv nicht kenne – erschien mir sowohl bei der ZEIT als auch beim Spiegel als eher zweifelhaft. Denn eine Abfindung gibt es in einem Kündigungsschutzprozess eigentlich nur im Vergleichswege. Der Abschluss eines Vergleichs kann viele Gründe haben, im konkreten Fall vielleicht auch den, dass die Bank kein Interesse an einer Berichterstattung hatte. Beide Artikel suggerieren allerdings das Arbeitsgericht hätte durch Urteil entschieden, was ich angesichts der in der Berichterstattung hervorgehobenen Abfindungszahlung für eher unwahrscheinlich halte. Es ist genau diese verzerrende Art der Berichterstattung, die verfälscht. Denn der Leser wird anschließend sagen, ein Arbeitsgericht hätte entschieden, obwohl das vermutlich nicht geschehen ist.

Die Replik Lakottas bestärkt mich insgesamt in der Einschätzung, dass es ihr primär darum geht, einen journalistischen Kontrapunkt zur Berichterstattung anderer Medien, insbesondere der SZ, zu setzen. Und dafür macht sie genau das, was sie ihren Journalistenkollegen vorwirft. Sie stellt den komplexen und facettenreichen Fall Mollath äußerst selektiv dar.

Es kann schon sein, dass Mollath psychisch krank ist. Das wäre aber weder ein Beleg für seine Gefährlichkeit, noch dafür, dass er die ihm vorgeworfenen Straftaten tatsächlich begangen hat.

Es scheint zu viele Journalisten zu geben, die sich auf einer Mission wähnen, anstatt ihren Lesern umfassende und ausgewogene Informationen anzubieten. Man muss nicht zwingend von einem Justizskandal reden, um zu erkennen, dass im Fall Mollath Zweifel an der Richtigkeit der bisherigen offiziellen Feststellungen bestehen. Die Fronten müssen aber (journalistisch) offenbar immer absolut und eindeutig verlaufen. Dabei wird aber nicht nur von Lakotta verkannt, dass die Uneindeutigkeit (juristisch) für Mollath spricht und nicht gegen ihn.

Update:
Auch Oliver Garcia antwortet auf die Replik Lakottas und bewertet den Artikel der Spiegel-Autorin weiterhin in ähnlicher Form wie ich.

posted by Stadler at 22:24  

14.12.12

Fall Mollath: Alles nur heiße Luft?

Auf SPON ist unlängst ein Artikel von Beate Lakotta erschienen, der versucht zu erklären, warum der Justitzskandal um Gustl Mollath doch keiner ist.

Die Autorin lässt dabei allerdings wesentliche Aspekte unberücksichtigt, verfälscht andere Punkte und stützt ihre Schlussfolgerung letztlich darauf, dass sich einige Spekulationen nicht bewahrheitet hätten, was sie dann natürlich ausführlich darstellt. Wer sich mit den derzeit bekannten Fakten und Hintergründen des gesamten Falls befasst hat, merkt allerdings sehr schnell, dass sich der Artikel von Beate Lakotta nicht um eine ausgewogenen Darstellung aller relevanten Umstände bemüht.

Aus diesem Grunde sollen hier die Verzerrungen und Unrichtigkeiten des Textes anhand einiger zentraler Aussagen einmal aufgearbeitet und dargestellt werden.

Lakotta schreibt in ihrem Artikel beispielsweise:

Da argumentieren Mollaths Unterstützer beispielsweise, anders als drei gut beleumundete forensische Psychiater übereinstimmend feststellten, sei Mollath gar nicht gefährlich. Denn das Attest, das seine Frau vorgelegt habe, sei nicht nur ein Jahr nach dem angeblichen Übergriff Mollaths gegen Petra Mollath ausgestellt worden; es sei möglicherweise eine Fälschung.

Woher Lakotta die Erkenntnis nimmt, die Unterstützer Mollaths würden seine Ungefährlichkeit aus eventuellen Ungereimtheiten im Zusammenhang mit dem Attest herleiten, bleibt unklar. Es dürfte sich um eine Unterstellung handeln, die lediglich dem Zweck dient, eine bestimmte Argumentation aufzuziehen. Aber auch daran scheitert die Autorin. Sie vermengt nämlich in unzulässiger Weise die Frage des Tatvorwurfs einer Körperverletzung, für die Mollath vermutlich keine unbedingte Freiheitsstrafe erhalten hätte, mit der Frage der Gefährlichkeit, die Voraussetzung einer Unterbringung nach § 63 StGB ist. Das eine betrifft die Vergangenheit und das andere die Zukunft. Der Umstand, dass Mollath eventuell eine Körperverletzung begangen hat, ist zwar eine Grundvoraussetzung der Unterbringung, weil es ansonsten ja bereits an einer Straftat fehlt. Andererseits ist dieser Umstand allein bei weitem nicht ausreichend, andernfalls müsste man jeden Straftäter unterbringen. Die Argumentation Lakottas ist an dieser Stelle also inkonsistent.

Was die Feststellungen der drei von Lakotta als gut beleumundet bezeichneten Psychiater angeht, vergisst die Autorin auf zwei durchaus relevante Aspekte hinzuweisen. Alle diese Gutachten und Feststellungen wurden nach Aktenlage erstellt, es lag ihnen also weder eine körperliche Untersuchung noch ein ausführliches Explorationsgespräch zu Grunde. Demgegenüber hat ein ebenfalls renommierter Neurologe, Psychiater und Psychotherapeut, nämlich der leitende Arzt der Allgemeinpsychiatrie in Mainkofen, Mollath tatsächlich untersucht und nicht nach Aktenlage attestiert. Und zwar nicht im Auftrag Mollaths, sondern in gerichtlichem Auftrag im Rahmen eines Betreuungsverfahrens. Das Gutachten hat deshalb Gewicht, weil es sich nicht um ein Parteigutachten handelt. Dieses Gutachten hat Mollath 2007 als „psychopathologisch unauffällig und geschäftsfähigeingestuft.  Das Gutachten kommt zu dem Ergebnis, dass bei Mollath mit Sicherheit keine schizophrentypischen Wahnideen vorliegen und es keine Hinweise auf psychotische Erkrankung gibt.

Man könnte an dieser Stelle auch die abweichende und vermutlich zwingende Ansicht vertreten, dass dasjenige Gutachten, dem eine tatsächliche ärztliche Untersuchung zugrunde lag, die höchste Aussagekraft besitzen muss. Damit bliebe allerdings von der einhelligen gutachterlichen Beurteilung, auf die sich Beate Lakotta stützt, nicht viel übrig.

Die weitere Behauptung Lakottas

Denn anders als vielfach behauptet, begründen alle drei psychiatrischen Gutachter, die Mollath für krank und weiterhin gefährlich halten, die Diagnose seiner Wahnkrankheit nicht mit seinen Schwarzgeldbehauptungen.

ist schlicht falsch. Um dies festzustellen, genügt bereits die Lektüre des Strafurteils.

Der gerichtlich bestellte Sachverständige attestierte Mollath – nach Aktenlage – ein paranoides Gedankensystem. Als ein wesentliches Indiz hierfür wertete der Sachverständige den Umstand, dass Mollath, wie es im Urteil wörtlich heißt “unkorrigierbar der Überzeugung sei, dass eine ganze Reihe von Personen aus dem Geschäftsfeld seiner früheren Frau, diese selbst und nunmehr auch beliebige weitere Personen die sich gegen ihn stellten (…) in dieses komplexe System der Schwarzgeldverschiebung verwickelt wären.

Auch die letzte Begutachtung zur Fortdauer der Unterbringung aus dem Jahr 2011 stützt sich nochmals ausdrücklich, wenn auch nicht ausschließlich, auf den Aspekt der Schwarzgeldgeschäfte. In der Stellungnahme der Bezirksklinik Bayreuth heißt es, Mollath sei unverändert der Überzeugung, er solle aus dem Weg geräumt werden, weil er „Schwarzgeldverschiebungen“ habe aufdecken wollen. Das OLG Bamberg ordnet daraufhin die Fortdauer der Unterbringung an.

An dieser Stelle arbeitet Lakotta also ganz eindeutig mit unrichtigen Behauptungen.

Beate Lakotta schreibt in ihrem Artikel dann weiter:

Bislang gibt es keinen Beweis dafür, dass Petra Mollath als Angestellte der HypoVereinsbank in Schwarzgeldgeschäfte und Beihilfe zur Steuerhinterziehung verstrickt war, wie ihr Mann behauptet.

Wenn man den Ausgangspunkt betrachtet, erscheint auch diese Aussage Lakottas deutlich gegen den Strich gebürstet. Dass dieser Verdacht nicht aufgeklärt wurde und vermutlich auch nicht mehr werden wird, obwohl es durchaus einen hinreichenden Anfangsverdacht gegeben hat, ist ein schweres Versäumnis der Justiz und der Finanzbehörden, aber nicht der Fehler Gustl Mollaths. Dennoch versucht die Autorin auch diesen, eigentlich an die Justiz- und Finanzbehörden zu adressierenden Vorwurf gegen Mollath zu richten.

Anschließend heißt es bei Lakotta:

Die Bank geht von legalen Transfers legaler Gelder aus.

Auch das ist falsch. Auf S. 7 des Revisionsberichts der HVB ist explizit von Schwarzgeld die Rede. Zuwendungen der Kunden in der Größenordnung von 25.000 DM an beteiligte HVB-Mitarbeiter sind überhaupt nur dann plausibel erklärbar, wenn die Bankmitarbeiter eine Gegenleistung für die Unterstützung bei illegalen Geldgeschäften erhalten haben. Die reguläre Tätigkeit eines Bankmitarbeiters würde kein wirtschaftlich denkender Kunde mit derartigen Geldgeschenken honorieren.

Der Artikel von Beate Lakotta krankt schließlich auch daran, dass sie maßgebliche neue Tatsachen überhaupt nicht erwähnt. Ein früherer Bekannter des Ehepaars Mollaths, der angibt erst 2010 von der Unterbringung Mollaths erfahren zu haben, hat 2011 eine eidesstattliche Versicherung abgegeben, in der er mehrere Telefongespräche mit Herrn und Frau Mollath schildert. In einem dieser Telefonate soll Frau Mollath u.a. ankündigt haben, ihren Mann fertig machen zu wollen und auf seinen Geisteszustand prüfen zu lassen, wenn er ihre Schwarzgeldgeschäfte anzeigt. In diesem Kontext wäre dann auch dem Umstand Bedeutung beizumessen, dass die Exfrau Mollaths ihre Strafanzeige erst erstattet hat, kurz nachdem ihr die HVB – auf Basis der Informationen Mollaths – die fristlose Kündigung erklärt hatte. Denn daraus ergibt sich zumindest ein naheliegendes und handfestes Motiv für eine Falschbeschuldigung.

Wenn dieser Bekannte seine Angaben in einem Wiederaufnahmeverfahren bestätigt und man gleichzeitig berücksichtigt, dass das Aussageverhalten der Ehefrau aufgrund der mittlerweile bekannt gewordenen Umstände anders und deutlich kritischer zu bewerten ist, könnte das Ergebnis eines Wiederaufnahmeverfahrens auch sein, dass Mollath nicht nur wegen der Voraussetzungen des § 20 StGB freizusprechen ist, sondern weil seine Schuld nicht mit der notwendigen Gewissheit festgestellt werden kann. Man sollte an dieser Stelle auch immer berücksichtigen, dass im Strafrecht der Grundsatz in dubio pro reo gilt. Zweifel müssen deshalb, was die strafrechtliche Bewertung angeht, zugunsten von Mollath gehen und nicht zu seinen Lasten.

Die Ausführungen Lakottas zu dem Tatvorwurf des Reifenstechens erscheinen mir symptomatisch für den ganzen Beitrag:

Mollath kennt sich aus mit Reifen. Er zersticht sie auf eine Weise, dass die Luft nicht sofort entweicht, sondern erst beim Fahren. Einigen Fahrern passiert dies auf der Autobahn, bei hohem Tempo, reine Glückssache, dass niemand zu Schaden kam

Dass die diesbezügliche Verurteilung nicht auf eindeutigen Beweismitteln, sondern nur auf zwei eher vagen Indizien beruht, schreibt Lakotta natürlich nicht. Das erinnert in der Tat an die Argumentation der bayerischen Justizministerin und des Bayerischen Richtervereins, die das Urteil deshalb für richtig halten, weil es rechtskräftig ist und vom BGH (auf Rechtsfehler) überprüft wurde. Wer nachvollziehen will, wie die Atmosphäre in der Hauptverhandlung tatsächlich war, dem sei das Interview das Oliver Garcia mit dem Schöffen Westenrieder – einem Mitglied des Gerichts! – geführt hat, empfohlen.

Die Unterbringung Mollaths war und ist nur dann gerechtfertigt, wenn er die Straftaten tatsächlich begangen hat, wenn er im Tatzeitpunkt  an einer krankhaften seelischen Störung oder einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung gelitten hat und zudem für die Allgemeinheit auch weiterhin eine Gefahr darstellt. An allen drei Voraussetzungen bestehen bei vernünftiger Würdigung der jetzigen Faktenlage Zweifel.

Das bedeutet deshalb nicht, dass das Gegenteil richtig sein muss.

Die ZEIT vertritt in ihrer aktuellen Ausgabe in einem Artikel von Blasberg/Kohlenberg/Rückert ebenfalls die These, dass der Justizskandal möglicherweise keiner ist. Auch wenn der Beitrag in der ZEIT deutlich ausgewogener ist als der Spiegelartikel von Lakotta, ist auch dort ein eher selektiver Umgang mit den Fakten erkennbar. In der ZEIT wird ebenfalls fälschlich behauptet, dass sämtliche mit Mollath befassten Sachverständigen eine Geisteskrankheit attestiert haben.

Schwer erträglich und vor allen Dingen auch schwer unsachlich ist allerdings die dort gezogene Parallele zu einem Sexualstraftäter, den man nach 30 Jahren rausgelassen hatte und der nach drei Monaten erneut eine Frau vergewaltigt hat. Selbst wenn Mollath seine Frau im Rahmen einer ehelichen Auseinandersetzung geschlagen und gewürgt haben sollte, spricht das kaum für eine Gemeingefährlichkeit. Der Vergleich mit einem Wiederholungstäter im Bereich des Sexualstrafrechts ist ganz erkennbar Stimmungsmache.

Der Artikel „Ein Kranker wird Held“ in der ZEIT endet mit der Aussage, Mollath habe einem Strafverteidiger, den ihm die Freien Wähler geschickt haben und der nicht einmal Geld verlangt hätte, abgelehnt. Hieraus ziehen die Autorinnen sodann den Schluss, Mollath würde eventuell gar keine Wiederaufnahme wollen, weil ihm die Rolle des Märtyrers der bayerischen Strafjustiz gefalle.

Wenn ich derartige Dinge lese, dann wünsche ich mir, dass man diese Autorinnen einfach mal fünf Jahre lang in der Psychiatrie unterbringt. Vielleicht sind sie dann auch so verzweifelt wie Mollath und schreiben sogar an den Papst.

Bei vernünftiger Betrachtungsweise hätte man schlussfolgern müssen, dass die Nichtmandatierung  eines bestimmten Strafverteidigers für gar nichts spricht. Mollath hat schließlich einen bekannten Rechtsanwalt mit einer Verfassungsbeschwerde betraut, gerade weil er aus der Psychiatrie entlassen werden will.

Das was der Spiegel und leider auch die ZEIT hier anbieten, ist kein Qualitäts- sondern emotionaler Tendenzjournalismus.

Mit den beiden Beiträgen in ZEIT und Spiegel setzen sich auch Oliver Garcia und Henning Ernst Müller kritisch auseinander.

posted by Stadler at 17:30  
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