Ein Blogbeitrag des Kollegen Arnd Kulow und eine aktuelle Diskussion auf Twitter, haben mich dazu inspiriert, ein paar Gedanken zum schillernden Institut des geistigen Eigentums (Intellectual Property) niederzuschreiben, das in der gesamten westlichen Welt, trotz zunehmender Kritik, als praktisch unumstößlich gilt.
Eigentum an Sachen ist etwas, was die Menschheit seit Jahrtausenden kennt und anerkennt. Das Konstrukt des geistigen Eigentums stellt demgegenüber eine (juristische) Fiktion dar, die erst wenige Jahrhunderte alt ist und die von der Vorstellung getragen wird, dass man die Inhaberschaft an einem Geisteswerk in gleicher Weise wie eine Sache einer einzelnen Person ausschließlich und absolut zuordnen kann.
Bevor wir über die Notwendigkeit und Sinnhaftigkeit einer Reform des Urheberrechts sprechen, ist es vielleicht notwendig, noch einen Schritt zurückzugehen und die Prämisse von der Existenz eines geistigen Eigentums auf den Prüfstand zu stellen.
Der Journalist Dirk von Gehlen hat genau das in seinem Buch „Mashup“ – dessen Lektüre ich wirklich jedem empfehlen kann, der in der Urheberrechtsdebatte seinen Horizont erweitern und über den Tellerrand blicken will – getan, wobei sein Ausgangspunkt nicht das „geistige Eigentum“, sondern dessen Widerpart die Kopie ist.
Die Kopie wird in unserer modernen Gesellschaft als etwas Minderwertiges betrachtet und in urheberrechtlicher Hinsicht eindimensional zumeist nur als Urheberrechtsverletzung. Ihr Gegenstück ist, zumindest in unserer Wahrnehmung, das Original, und damit nach verbreiteter Vorstellung ein Geisteswerk, das von einem Urheber geschaffen wurde, dem regelmäßig der Ruf der Genialität anhängt. Von Gehlen erläutert schlüssig und nachvollziehbar, dass es sich beim Kopieren um eine jahrtausendealte Kulturtechnik handelt, die der Menscheit nicht nur ihr Überleben gesichert, sondern vielmehr dafür gesorgt hat, dass sich die Menschheit weiterentwickeln konnte. Der Motor des menschlichen Fortschritts war also etwa hunderttausend Jahre lang keineswegs der Schutz geistiger Leistungen, sondern vielmehr sein nunmehr ungeliebter Widersacher die Nachahmung und Kopie. Erst seit 200 Jahren gilt diese in der westlichen Welt als minderwertig, während sie beispielsweise in asiatischen Kulturen eine ganz andere Bedeutung und einen ganz anderen Stellenwert innehat, was einer der Gründe für den wirtschaftlichen Aufstieg von Staaten wie China sein dürfte.
Eine nach wie vor mächtige Lobby versucht uns allerdings einzureden, dass das Urheberrecht und die gewerblichen Schutzrechte die Grundlage von Wohlstand und Fortschritt seien. Gleichzeitig hat man es geschafft, die Kopie als unerlaubte Vervielfältigung zu pönalisieren und mithilfe der Fiktion vom geistigen Eigentum auch mit dem Diebstahl oder gar dem Raub gleichzusetzen. Wer dies in sprachlicher und juristischer Hinsicht analysiert, wird schnell merken, dass es kaum einen unpassenderen Begriff gibt als den der Raubkopie. Denn beim Raub wird etwas weggenommen und zwar mit Mitteln der Gewalt. Beim urheberrechtswidrigen Kopieren wird aber weder Gewalt angewendet noch findet eine Wegnahme statt. Es wird ganz im Gegenteil etwas hinzugefügt, weshalb der Begriff der Raubkopie die denkbar unpassendste Beschreibung einer urheberrechtswidrigen Vervielfältigung ist. Der Begriff der Raubkopie stellt ein Oxymoron dar.
Wir müssen uns deshalb wohl die Frage stellen, ob der erste Schritt hin zu einer halbwegs neutralen Herangehensweise nicht in der Abkehr von unpassenden und irreführenden Begriffen besteht. Begriffe wie geistiges Eigentum und Raubkopie dienen der Ideologisierung und behindern damit die notwendige Sachdiskussion.
Außerdem ist ergebnisoffen die Frage zu diskutieren, ob eine fortlaufende Verschärfung des Urheberrechts tatsächlich dem Wohl der Allgemeinheit dient, oder ob nicht auch das Gegenteil zutreffend sein könnte. Denn das „geistige Eigentum“ steht in wesentlich stärkerem Maße in einem Spannungsverhältnis zu den Belangen der Allgemeinheit als dies beim Sacheigentum der Fall ist. Das hat der Gesetzgeber im Grunde auch erkannt, andernfalls hätte er im Urheberrechtsgesetz keine Schranken des Urheberrechts definiert. Die Lobby der Rechteinhaber setzt freilich alles daran, diese Schranken wieder einzudampfen. Wenn man in dogmatischer Hinsicht den eingeschlagenen Weg des geistigen Eigentums weiter gehen möchte, wird man sich allerdings früher oder später der Einsicht nicht verschließen können, dass diese Form des Eigentums einer deutlich stärkeren Sozialbindung unterliegen muss als das klassische Sacheigentum.
Dass das Konzept des geistigen Eigentums Bildung und Wissenschaft beeinträchtigt, ist naheliegend. Auf ein diesbezügliches Beispiel aus der Praxis habe ich hier bereits hingewiesen. Sozial schädliche Auswirkungen des geistigen Eigentums zeigen sich noch deutlicher am Beispiel der Generika-Diskussion. Weil Patente es erlauben, Nachahmerprodukte zu verbieten und damit den Preis teuerer Orginalmedikamente hochzuhalten, sterben weltweit Menschen. Sie sterben speziell in den Entwicklungsländern deshalb, weil sie sich die teueren Originalmedikamente beispielsweise gegen AIDS nicht leisten können und billige Generika aus patentrechtlichen Gründen nicht verfügbar sind.
Dass aber auch die weit verbreitete These vom Urheberrecht als Innovationsschutz kritisch zu hinterfragen ist, verdeutlicht ein – zugegebenermaßen bereits häufiger bemühtes – Beispiel. Mozart gilt zu Recht als eines der größten und originärsten Genies der Musikgeschichte. Weniger bekannt ist, dass sein Werk – nach heutigem Verständnis – von Plagiaten durchsetzt ist. Denn Mozart hat sich gerne bei anderen Komponisten seiner Zeit bedient, was zu dieser Zeit auch nicht als anstößig galt. Das war ihm allerdings nur deshalb möglich, weil es noch kein Urheberrecht gab. Das Werk Mozarts könnte unter Geltung des heutigen Urheberrechts in seiner uns bekannten Form wohl überhaupt nicht mehr entstehen, weil es zu viele Urheberrechtsverletzungen beinhalten würde. Wer also sagt, dass das Urheberrecht Innovation fördert, der muss auf der anderen Seite erkennen, dass das Urheberrecht auch Innovation verhindert. Die Auswirkung des Urheberrechts auf die Innovation ist deshalb eher zwiespältig und keinesfalls so eindeutig, wie es uns gerne erzählt wird.
Die vorherrschende Betrachtungsweise hängt sehr stark an der Vorstellung und dem Wunsch nach einem Original. Dahinter steckt das Bild eines genialen Schöpfers, den wir Urheber nennen, der ein originäres Geisteswerk schafft, das für sich alleine steht.
In Wirklichkeit sind die meisten Urheber aber Zwerge, die auf den Schultern von Giganten stehen. Ein zu wenig beachteter Aspekt, den Dirk von Gehlen in seinem Buch „Mashup – Lob der Kopie“ ebenfalls herausarbeitet. Es gibt keine originären Werke, die aus dem Nichts entstehen. Vielmehr knüpft jeder Urheber an etwas Bestehendes an und entwickwelt es weiter. Und an dieser Stelle offenbart sich das Dilemma des Urheberrechts, das bislang ignoriert wird. Das Urheberrecht erweist sich als als Hemmschuh, das selbst wirkliche Genies wie Mozart ausgebremst hätte. Oder um es mit Oscar Wilde zu sagen: „Talent borrows, genius steals“. Gerade auch das Genie muss auf das Bestehende zurückgreifen und hat es daher schwer, sich unter den Gegebenheiten des modernen Urheberrechts zu entfalten.
Um dieses Spannungsverhältnis, das unter den Gegebenheiten einer Informationsgesellschaft noch deutlich verschärft wurde, aufzulösen, sehe ich grundsätzlich zwei unterschiedliche (rechtsdogmatische) Lösungsansätze.
Man kann und sollte sich meines Erachtens von der Vorstellung des geistigen Eigentums verabschieden und aufhören, das Urheberrecht oder gewerbliche Schutzrechte als absolute, eigentumsgleiche Rechte zu betrachten. Vielmehr sollte man übergehen zu einem Konstrukt einer zwar geschützten Rechtsposition, die sich aber der ergebnisoffenen Abwägung mit anderen legitimen Interessen und Rechtspositionen stellen muss und keinen regelmäßigen Vorrang für sich reklamieren kann.
Wenn man stattdessen den tradierten Weg fortsetzen will, so muss man doch erkennen, dass es dem Wesen des „geistigen Eigentums“ entspricht, einer wesentlich stärkeren Sozialbindung zu unterliegen als das Sacheigentum. Denn Geisteswerke sind gleichzeitig auch Bestandteil des Wissens und der Kultur der gesamten Menschheit und als solches ab dem Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung auch Allgemeingut. Sie sollten deshalb idealerweise nicht nur ungehindert zugänglich sein, sondern auch einer möglichst ungestörten Weiterentwicklung unterliegen.