Internet-Law

Onlinerecht und Bürgerrechte 2.0

18.7.11

Das gewerbliche Ausmaß der Rechtsverletzung beim Filesharing

In Fällen des Filesharing ist eine Ermittlung des Anschlussinhabers über den Zugangsprovider des (vermeintlichen) Rechtsverletzers nur dann möglich, wenn eine Rechtsverletzung in gewerblichem Ausmaß vorgelegen hat. Denn nur unter dieser Voraussetzung gewährt das Gesetz nach § 101 UrhG einen Auskunftsanspruch.

Die massenhafte Beauskunftung auf der Basis richterlicher Beschlüsse nach § 101 Abs. 9 UrhG findet somit nur deshalb statt, weil die mit der Auskunft befassten Landgerichte ein gewerbliches Ausmaß in äußerst großzügier Art und Weise oftmals schon bei einem Film bzw. einem Musikalbum oder -titel annehmen.

Hier greift das OLG Köln in letzter Zeit beschränkend ein. Nach einem neuen Beschluss vom 05.05.2011 (Az.: 6 W 91/11) soll bei Filmen ein gewerbliches Ausmaß nur dann vorliegen, wenn sie noch relativ neu und nicht länger als sechs Monate auf DVD erhältlich sind.

Man kann auch bei dieser Rechtsprechung noch erhebliche Zweifel haben, ob damit nicht dem Wortlaut der gesetzlichen Regelung Zwang angetan wird. Denn es handelt sich in den meisten Fällen immer noch um eine private Nutzung eines P2P-Netzwerkes zum Zwecke des Tausches einzelner Filme. Gleichwohl schränkt das OLG Köln damit die bisherige Rechtsprechung des Landgerichts Köln erheblich ein, die davon ausging, dass selbst der Tausch eines einzelnen Films ganz generell ein gewerbliches Ausmaß begründet.

Update vom 19.07.2011:
Das Landgericht München I sieht dies in einer neuen Entscheidung anders und noch deutlich enger als das OLG Köln und meint, dass derjenige, der ein Werk in uneingeschränkter digitaler Qualität zum freien Download ins Netz stellt, wie ein legaler On-demand-Anbieter in gewerblichem Ausmaß handelt.

In den Kommentaren  unten wird vom Kollegen Michael Seidlitz angemerkt, dass sich das Problem aus der Enforcement-Richtlinie und dem dortigen Erwägungsgrund 14 ergäbe. Die Frage ist allerdings insoweit die, ob man daraus die Schlussfolgerung ziehen kann, dass der bösgläubige Privatnutzer auch stets in gewerblichem Ausmaß handelt. Darauf läuft beispielsweise die Entscheidung des LG München I hinaus.

Die Durchsetzungsrichtlinie gilt schließlich auch für den Bereich des Markenrechts, wo man es allerdings weiterhin für ausreichend hält, es beim Merkmal des Handelns im geschäftlichen Verkehr zu belassen.

Wenn man die Richtlinie also einheitlich auslegen würde, dann käme ein gewerbliches Ausmaß im Urheberrecht auch nur bei solchen Personen in Betracht, die im geschäftlichen Verkehr handeln. Damit wäre aber in Fällen des Filesharing ein Auskunftsanspruch regelmäßig zu verneinen.

Leider zieht man diese Konsequenz nicht, sondern geht im Urheberrecht deutlich weiter als im Markenrecht. Meines Erachtens muss Grundvoraussetzung eines gewerblichen Ausmaßes immer ein Handeln im geschäftlichen Verkehr sein, weil man sonst keine Abgrenzung zu privatem Handeln mehr vornehmen kann. Das einschränkende Merkmal des gewerblichen Ausmaßes läuft in der aktuellen Praxis der Gerichte damit praktisch leer.

posted by Stadler at 16:03  

12 Comments

  1. Hallo Thomas,

    das Problem ist folgende Formulierung in der Gesetzesbegründung:

    Zu § 101 Abs. 1

    „Um einen Gleichlauf des deutschen Urheberrechtsgesetzes mit der Richtlinie zu erreichen, wird für die Regelung des Auskunftsanspruchs der Begriff des gewerblichen Ausmaßes genutzt, den auch die Richtlinie verwendet. Nach Erwägungsgrund 14 der Richtlinie zeichnen sich in gewerblichem Ausmaß vorgenommene Rechtsverletzungen dadurch aus, dass sie zwecks Erlangung eines unmittelbaren oder mittelbaren wirtschaftlichen oder kommerziellen Vorteils vorgenommen werden. Handlungen, die in gutem Glauben von Endverbrauchern vorgenommen werden, sind hiernach in der Regel nicht erfasst.

    Satz 2 stellt klar, dass das einschränkende Merkmal „gewerbliches Ausmaß“ nicht nur quantitative, sondern auch qualitative Aspekte aufweist. Für den Fall der Rechtsverletzung im Internet bedeutet dies, dass eine Rechtsverletzung nicht nur im Hinblick auf die Anzahl der Rechtsverletzungen, also etwa die Anzahl der öffentlich zugänglich gemachten Dateien, ein „gewerbliches Ausmaß“ erreichen kann, sondern auch im Hinblick auf die Schwere der beim Rechtsinhaber eingetretenen einzelnen Rechtsverletzung. Letzteres kann etwa dann zu bejahen sein, wenn eine besonders umfangreiche Datei, wie *****ein vollständiger Kinofilm oder ein Musikalbum oder Hörbuch*****, vor oder unmittelbar nach ihrer Veröffentlichung in Deutschland widerrechtlich im Internet öffentlich zugänglich gemacht wird.“

    http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/16/087/1608783.pdf

    Comment by RA Michael Seidlitz — 18.07, 2011 @ 18:06

  2. Hm, wenn ich das so sehe, bin ich nach geltender Rechtsauffassung bereits Taxifahrer, weil ich mal einen Bekannten abends noch zu Hause vorbei gebracht habe.

    Jeder One-Night-Stand wäre demnach bereits Prostitution, oder wie es früher hieß ‚Gewerbe‘.

    Comment by Dierk — 18.07, 2011 @ 19:00

  3. Lieber Thomas,

    in der Sache gebe ich Dir völlig Recht.

    Problematisch ist nur, dass der deutsche Gesetzgeber im Rahmen der Umsetzung der Enforcement-RiLi in der *****Gesetzesbegründung zu § 101 Abs. 1 UrhG***** exemplarisch aufgeführt hat, wann eine Rechtsverletzung ein „gewerbliches Ausmaß“ erreichen kann, und zwar dann, wenn eine besonders umfangreiche Datei, wie *****ein vollständiger Kinofilm oder ein Musikalbum oder Hörbuch*****, vor oder unmittelbar nach ihrer Veröffentlichung in Deutschland widerrechtlich im Internet öffentlich zugänglich gemacht wird.”

    Dass der Gesetzgeber „gewerblich“, „geschäftlich“, „geschäftsmäßig“ auch in Fällen fehlender Gewinnerzielungsabsicht annimmt, ist leider nichts Neues.

    Comment by RA Michael Seidlitz — 19.07, 2011 @ 10:50

  4. Hallo Michael,
    wir sind uns aber vermutlich auch dahingehend einig, dass die historische Auslegung anhand der Gesetzesbegründung methodisch nachrangig ist.

    Meines Erachtens ist diese Auslegung von gewerbsmäßig mit Wortlaut und Wortsinn nicht mehr in Einklang zu bringen.

    Comment by Stadler — 19.07, 2011 @ 11:57

  5. Moin,

    „Damit wäre aber in Fällen des Filesharing ein Auskunftsanspruch regelmäßig zu verneinen.“

    Welche Folgen hätte das?

    1. Der „Abmahnindustrie“ bräche ein komplettes Geschäftsfeld weg – es sei denn, sie gingen wieder den klassischen Weg über Strafanzeige, Akteneinsicht etc., was sich wohl kaum lohnte – oder?

    2. Man würde sich wieder auf die tatsächlich „im geschäftlichen Verkehr“ Handelnden konzentrieren, also professionelle Raubkopierer und nicht mehr jeden Schullümmel wegen eines herunter- bzw. vielmehr heraufgeladenen Filmwerks abmahnen und im Zweifel mit der ganzen Härte des UrhG überziehen. Das dürfte auch dem ursprünglichen Willen des hist. Gesetzgebers eher entsprechen – oder?

    Aber ist das auch (politisch) gewollt? Da hätte ich meine Zweifel bzw. ich sehe im Moment nicht, ob oder wie der Gesetzgeber da nachsteuern könnte oder besser: wollte.

    Bleibt nur die Hoffnung auf eine weitere Grundsatzentscheidung des BGH – in „Sommer unseres Lebens“ musste er sich mit der Frage ja (noch) nicht befassen.

    Gegenwärtig wird „gewerbsmäßig“ jedenfalls viel zu weit ausgelegt, denn unabhängig davon, ob die historische Auslegung anhand der Begründung des Gesetzgebers nun nachrangig ist oder nicht: Vom Wortlaut/-sinn wird die von einigen Gerichten (s. nur LG München I o.) betriebene Auslegung meines Erachtens nicht mehr abgedeckt, denn die grammatikalischen Auslegung zeigt im Ergebnis auch die Grenze des gerade noch anzunehmenden Sinns einer Norm auf.

    Hilft alles nichts: Wir können hier noch so lange diskutieren und wären uns i. E. sicher einig, aber: Solange einige Gerichte ihre Spruchpraxis nicht nachhaltig ändern, müssen wir in der Praxis irgendwie damit umgehen.
    Persönlich hoffe ich immer noch auf eine großzügige RSV, die es mir erlaubt, so einen Fall unabhängig von Kostenrisiken einmal bis zum Anschlag durchzustreiten…

    Comment by RA Dr. Christian Behrens LL.M. — 19.07, 2011 @ 13:26

  6. Systematisch würde ich es wie folgt sehen:

    Grundsätzlich ist die Grenze jeder Auslegung der Wortlaut der Norm.

    Der Begriff „gewerbliches Ausmaß“ ist ebenso wie die Begriffe „Gewerbe“ und „gewerbsmäßig“ (§ 108a UrhG) weder im UrhG noch im StGB noch in anderen Gesetzen gesetzlich definiert.

    Auch sind sie aus sich selbst heraus nicht ohne Weiteres verständlich.

    Die Begriffe sind daher sowohl auslegungsbedürftig als auch auslegungsfähig.

    Richtig ist, dass die vorgenannten Begriffe von der Rechtsprechung in einer bestimmten Art und Weise interpretiert und inhaltlich ausgefüllt wurden.

    Die Kommentierung zu § 108a StGB zeigt aber deutlich, dass es schon immer darum ging, abzugrenzen, wann eine private Tätigkeit in eine gewerbliche umschlägt, so dass die Auslegung bei § 101 UrhG durchaus noch zur gleichartigen Auslegung bei anderen §§ und in anderen Rechtsbereichen passt, auch wenn einem das nicht gefällt.

    In der Sache selbst stimme ich jedoch mit Dir überein, so dass Du bei mir offene Türen einrennst.

    Allerdings müssen wir sowohl mit den geltenden Gesetzes als auch mit der herrschenden Auslegung durch die Gerichte leben, was jedoch nicht bedeutet, dass wir keine Änderungen anstreben sollten.

    Comment by RA Michael Seidlitz — 19.07, 2011 @ 13:44

  7. Na, wenn ich mir so anschaue, wie schlecht die Qualität der Filme im Web teilweise ist, ist das dann definitiv nicht geschäftlich :-)

    Comment by Rene — 19.07, 2011 @ 14:21

  8. Mir scheint, der Gesetzgeber hat in der Gesetzesbegründung wohl eher diejenigen im Blick gehabt, die für die erste illegale Verbreitung sorgen (oder zumindest für eine sehr frühe). Deswegen auch die Verwendung von „unmittelbar nach der Veröffentlichung“.

    Auch wenn die Gewinnerzielungsabsicht für „gewerbliches Ausmaß“ nicht notwendig ist, so doch zumindest die Möglichkeit, damit ein Gewerbe zu betreiben und Gewinne zu erzielen. Bei einem einzelnen Werk, das schon weit verbreitet ist, ist das wohl kaum gegeben.

    Comment by AndreasM — 19.07, 2011 @ 15:21

  9. Zufällig im Netz gefunden, eine Linksammlung Abmahnwahn:

    http://pdfcast.org/pdf/bunte-tuete-15-07-2011

    Würden sich das die Richter einmal genauer ansehen, würden die wohl gar keine Auskunft mehr gewähren, sondern die Fälle an die Kollegen der Strafkammer bzw. Finanzbehörden weiterleiten…

    Comment by Behaarte Uhse — 19.07, 2011 @ 15:50

  10. Der GroBteil der Gerichtsentscheidungen geht davon aus dass in gewerblichem AusmaB handelt wer ein Musikalbum kurz nach. Das LG Frankenthal hingegen sieht ein gewerbliches AusmaB erst im Angebot von min.

    Comment by business daily — 19.07, 2011 @ 20:43

  11. Der wurde vor der Verabschiedung in einem wesentlichen Punkt .So reicht es fur den Auskunftsanspruch auch gegen den Dritten aus dass die Rechtsverletzung in gewerblichem AusmaB begangen wurde. Deshalb bitte die Ergebnisse in diesem Abschnitt mit Vorsicht genieBen sofern ich mich auf den geschaftlichen Verkehr gestutzt habe..Das Merkmal gewerbliches AusmaB durfte dennoch erst bei gerichtlicher Klarung handhabbar werden.

    Comment by business review — 20.07, 2011 @ 00:31

  12. OLG München
    Beschluss vom 26.07.2011
    29 W 1268/11

    Einer Rechtsverletzung, die im Angebot einer Datei mit urheberrechtlich geschütztem Inhalt auf einer Internet-Tauschbörse liegt, kommt grundsätzlich gewerbliches Ausmaß zu, ohne dass es weiterer erschwerender Umstände bedürfe.

    http://miur.de/2349
    http://medien-internet-und-recht.de/pdf/VT-MIR-2011-Dok-071.pdf

    Das OLG München nimmt ausdrücklich Bezug auf den Inhalt der Gesetzesbegründung.

    Comment by RA Michael Seidlitz — 29.07, 2011 @ 15:35

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