Internet-Law

Onlinerecht und Bürgerrechte 2.0

14.11.14

Das Rechts- und Verfassungsverständnis des BND ist nicht von dieser Welt

Darüber, dass der BND ein eigenartiges Rechts- und Verfassungsverständnis hat, habe ich vor einiger Zeit hier schon gebloggt. Gestern hat ein hochrangiger Beamter des BND im NSA-Untersuchungsausschuss die Auffassung vertreten, dass Menschen, die der BND im Ausland überwacht, sog. Funktionsträger seien und damit keine Grundrechtsträger. Kai Biermann hat hierfür bei ZEIT-Online mit „Die Anarchos vom BND“ die richtige Überschrift gewählt.

Bei derartigem juristischem Unfug muss jeder, der sich auch nur ansatzweise mit Staastrecht und Grundrechtsdogmatik befasst hat, tief durchatmen. Art. 10 GG ist ein sog. Jedermannsrecht. Geschützt ist also jede Person, nicht nur der deutsche Staatbürger. Der persönliche Schutzbereich erstreckt sich natürlich auch und gerade auf solche Menschen, denen staatliche Behörden eine rechtswidrige Handlung vorwerfen. Denn gerade ihrem Schutz dienen die Grundrechte ja. Grundrechte sind Abwehrrechte des Bürgers gegenüber dem Staat. Der sachliche und persönliche Schutzbereich eines Grundrechts wird nicht von Behörden definiert und steht auch nicht zu ihrer Disposition.

Hätte das Rechts- und Verfassungsverständnis des BND, das definitiv nicht von dieser Welt ist, nicht so ernsthafte und weitreichende Folgen, müsste man es schlicht als albern bezeichnen. Die fehlende rechtsstaatliche Gesinnung, die die Behörde Bundesnachrichtendienst offenbar wie einen roten Faden durchzieht, stellt für diesen Staat und diese Gesellschaft aber leider ein ernsthaftes Problem dar.

posted by Stadler at 17:45  

10.11.14

Der BND und das Grundgesetz

Der BND möchte nach Presseberichten auf dem grauen Markt Informationen über Softwareschwachstellen einkaufen, um Zugang zu geschützter Kommunikation durch Lücken in Betriebssystemen zu erhalten. Nach Ansicht des CCC führt die Beteiligung von Geheimdiensten an solchen Schwarzmarktgeschäften dazu, dass eklatante Sicherheitslücken länger unentdeckt bleiben, was vor allem auch Kriminellen zugute kommt. Die entsprechenden Lücken können dann für längere Zeit sowohl von Geheimdiensten als auch von kriminellen Hackern unbemerkt ausgenutzt werden um in informationstechnische Systeme einzudringen.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gibt es allerdings ein Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme. In der Entscheidung des BVerfG heißt es hierzu:

Die heimliche Infiltration eines informationstechnischen Systems, mittels derer die Nutzung des Systems überwacht und seine Speichermedien ausgelesen werden können, ist verfassungsrechtlich nur zulässig, wenn tatsächliche Anhaltspunkte einer konkreten Gefahr für ein überragend wichtiges Rechtsgut bestehen. Überragend wichtig sind Leib, Leben und Freiheit der Person oder solche Güter der Allgemeinheit, deren Bedrohung die Grundlagen oder den Bestand des Staates oder die Grundlagen der Existenz der Menschen berührt. Die Maßnahme kann schon dann gerechtfertigt sein, wenn sich noch nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit feststellen lässt, dass die Gefahr in näherer Zukunft eintritt, sofern bestimmte Tatsachen auf eine im Einzelfall durch bestimmte Personen drohende Gefahr für das überragend wichtige Rechtsgut hinweisen.

Das Grundgesetz schützt also die Integrität informationstechnischer Systeme, der BND gefährdet sie. Deutlicher könnte ein Gegensatz also kaum ausfallen.

 

posted by Stadler at 21:17  

14.10.14

Wir brauchen mehr Whistleblower

Über die seit einigen Monaten kolportierte These von einem zweiten Whistleblower bei der NSA wird gerade wieder verstärkt berichtet, unter anderem wohl auch wegen des Dokumentarfilms „Citizenfour“ von Laura Poitras.

In der Tat wäre es eine gute Nachricht, wenn es nicht nur einen Snowden geben würde, sondern viele. Und das nicht nur bei den US-Diensten, sondern zum Beispiel auch in Großbritannien oder Deutschland, also überall dort, wo es ernsthafte Anhaltspunkte dafür gibt, dass die Dienste Recht und Verfassung brechen. In Deutschland ist der Rechtsbruch des BND mittlerweile praktisch offenkundig, allerdings wissen wir noch lange nicht genug über sein tatsächliches Ausmaß.

Während der massive Rechtsbruch durch Geheimdienste bislang nur wenig Konsequenzen hat, werden Whistleblower wie Edward Snowden vielfach weiterhin als Verräter betrachtet und geächtet. In den USA lassen sich zahlreiche Unterstützer der These, Snowden habe die nationale Sicherheit der USA gefährdet, finden.

Aber welche andere Möglichkeit als das Whistleblowertum gibt es, den Rechtsbruch der Dienste ans Licht der Öffentlichkeit zu bringen? Die gerichtliche und parlamentarische Kontrolle von Geheimdiensten funktioniert nirgendwo auf der Welt. Der Druck einer kritischen Öffentlichkeit scheint das einzige halbwegs erfolgsversprechende Korrektiv zu sein, das überhaupt noch Hoffnung auf Veränderungen bietet, die erforderlich sind um die Grundrechte der Bürger weltweit zu schützen. Aber diese kritische Öffentlichkeit muss informiert werden und die notwendigen Informationen kommen derzeit leider fast ausschließlich von Whistleblowern.

Die Entwicklung der letzten Zeit hat deutlich gemacht, dass gegen das rechtswidrige Treiben von Geheimdiensten ausschließlich Transparenz hilft und staatliche Vorgaben zur Geheimhaltung in Wahrheit häufig nur der Vertuschung von Rechtsbrüchen dienen.

Geheimdienste in ihrer aktuellen Ausprägung gefährden die Demokratie und das Recht kann nicht auf Seiten derer stehen, die unsere Grundrechte verletzen. Heribert Prantl hat es, in einem seiner besten Texte (Süddeutsche Nr. 130, Pfingsten, 7./8./9.Juni 2014, S. 11), dahingehend formuliert, dass die globale Überwachungstechnik ebenso wie einst die Folter das Unvermögen und den Unwillen widerspiegle, auf rechtsstaatliche Weise zur Wahrheitsfindung zu gelangen. Überwachung sei daher, so Prantl, eine subtile Vorform der Folter, die geächtet werden muss. Besser kann man es nicht formulieren.

Selbst wenn sich Whistleblower nach nationalen Vorschriften des Geheimnisverrats schuldig machen, kann man einen Snowden, der auf erhebliche Missstände bei den US-Diensten hingewiesen hat, nicht als Verräter betrachten, zumal wenn das gesamte rechtsstaatliche Kontrollsystem versagt und das Öffentlichmachen von rechtswidrigen Praktiken der einzige Weg ist, gegen die erkannten Missstände vorzugehen. Whistleblower wie Snowden machen sich nämlich um den Schutz der Grundrechte und des demokratischen Rechtsstaats verdient. Das wirkliche Unrecht besteht in ihrer Ächtung und Verfolgung. Es ist die Verfolgung von Whistleblowern, die rechtsstaatliche Defizite offenbart. Als Bürger müssen wir deshalb auf viele Snowdens hoffen, überall auf der Welt.

posted by Stadler at 09:01  

4.10.14

Im rechtsfreien Raum

Die Süddeutsche Zeitung berichtet in ihrer Wochenendausgabe ausführlich über eine enge Zusammenarbeit zwischen BND und NSA auf deutschem Boden, die u.a. zum Gegenstand hatte, TK-Rohdaten an den US-Dienst zu übermitteln, die der BND zuvor massenhaft am Internetknotenpunkt in Frankfurt ausgeleitet hatte. Der BND hat, bevor die Weiterleitung an die NSA erfolgte, mit einem allerdings unzureichenden Technik versucht, die Kommunikation deutscher Staatsbürger auszufiltern. Die Zusammenarbeit von BND und NSA hat laut Informationen der SZ in dieser Form von 2004 bis 2008 gedauert. Die Süddeutsche beruft sich auf streng geheime Unterlagen zu dem Projekt „Eikonal“, die die Bundesregierung dem NSA-Untersuchungsausschuss vorgelegt hat und die offenbar auch dem Rechercheteam aus SZ, NDR und WDR vorliegen. Die Zusammenarbeit und auch die Weiterleitung von Rohdaten an die NSA ist nach Angaben der SZ vom damaligen Kanzleramtsminister Steinmeier genehmigt worden. Die Operation sei dann 2008 eingestellt worden, als man beim BND bemerkt habe, dass die USA auch versucht haben, Konzerne wie EADS und französische Behörden auf diesem Weg auszuspionieren.

In der Berichterstattung der SZ und nicht nur dort wird es als besonders bedenklich bezeichnet, dass auch Daten von Bundesbürgern an die NSA weitergeleitet worden sind.

Aber schon diese juristische Bewertung ist zweifelhaft.

Der BND darf nach dem § 5 G10-Gesetz nur internationale Telekommunikation überwachen. Das bedeutet, dass sich mindestens ein Kommunikationsteilnehmer im Ausland aufhalten muss. Reine Inlandskommunikation darf der BND nach dem Gesetz erst gar nicht erfassen. Es kommt also überhaupt nicht darauf an, ob ein Kommunikationsteilnehmer deutscher Staatsbürger ist.

Darüber hinaus gilt es zu berücksichtigen, dass Art. 10 GG kein Deutschengrundrecht darstellt, sondern grundsätzlich auch ausländische Telekommunikationsteilnehmer schützt.

Vor diesem rechtlichen Hintergrund ist bereits die Überwachung eines inländischen Internetknotenpunkts durch den BND von vornherein unzulässig, weil davon ausgegangen werden muss, dass an solchen Knotenpunkten überwiegend oder in jedenfalls beträchtlichem Umfang keine internationale, sondern rein inländische Kommunikation durchgeleitet wird. Wenn bereits die Überwachung inländischer Knotenpunkte durch den BND rechtswidrig ist, hätten folglich auch die Genehmigung dieser Maßnahme durch das Bundeskanzleramt und die Billigung durch das parlamentarische Kontrollgremium nie ergehen dürfen. Dass der BND inländische Internetknotenpunkte überwacht, ist allerdings keine neue Erkenntnis und konnte bereits aus dem Antwortverhalten der Bundesregierung auf parlamentarische Anfragen geschlossen werden.

Unabhängig davon stellt sich in rechtlicher Hinsicht zusätzlich die Frage, ob und in welchem Umfang Daten, die der BND aus der sog. strategischen Fernmeldekontrolle erlangt hat, an ausländische Dienste wie die NSA übermittelt werden dürfen.

Die Übermittlung von TK-Daten durch den BND an ausländische Stellen, ist im G10-Gesetz ausdrücklich geregelt. Dort heißt es in § 7a:

Der Bundesnachrichtendienst darf durch Beschränkungen nach § 5 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2, 3 und 7 erhobene personenbezogene Daten an die mit nachrichtendienstlichen Aufgaben betrauten ausländischen öffentlichen Stellen übermitteln, soweit

1. die Übermittlung zur Wahrung außen- oder sicherheitspolitischer Belange der Bundesrepublik Deutschland oder erheblicher Sicherheitsinteressen des ausländischen Staates erforderlich ist,
2. überwiegende schutzwürdige Interessen des Betroffenen nicht entgegenstehen, insbesondere in dem ausländischen Staat ein angemessenes Datenschutzniveau gewährleistet ist sowie davon auszugehen ist, dass die Verwendung der Daten durch den Empfänger in Einklang mit grundlegenden rechtsstaatlichen Prinzipien erfolgt, und
3. das Prinzip der Gegenseitigkeit gewahrt ist.
Die Übermittlung bedarf der Zustimmung des Bundeskanzleramtes.

Eine Datenübermittlung ist also gesetzlich nur in engen Grenzen vorgesehen. Die Einhaltung der gesetzlichen Voraussetzungen ist nur dann möglich, wenn zuvor eine Einzelfallprüfung durchgeführt worden ist. Eine Übermittlung von Rohdaten in großem Stil ist daher gesetzlich ausgeschlossen und mithin rechtswidrig. In der Anhörung im NSA-Untersuchungsausschuss hat der Verfassungsrechtler Matthias Bäcker sogar die Auffassung vertreten, dass der BND überhaupt keine Rohdaten an ausländische Dienste übermitteln darf. Die im Bericht der SZ geschilderte Übermittlung von Rohdaten an die NSA ist also schon vom G10-Gesetz nicht gedeckt.

Das bedeutet nichts anderes, als dass sowohl die Erhebung von TK-Rohdaten an inländischen Knotenpunkten durch den BND, als auch erst recht die Übermittlung an die NSA bereits nach dem einfachen Recht klar rechtswidrig ist. Dass das G10-Gesetz von führenden Verfassungsrechtlern als teilweise verfassungswidrig angesehen wird, kommt da nur noch erschwerend hinzu.

Die Berichterstattung der SZ belegt also, dass beim BND ein organisierter und systematischer Rechtsbruch stattfindet und dies mit Genehmigung der Bundesregierung und teilweiser Billigung des Parlaments. Der BND bewegt sich faktisch im rechtsfreien Raum und schreckt auch vor einem offensichtlichen Rechts- und Verfassungsbruch nicht zurück. Dieser Umstand muss dann allerdings in die Schlussfolgerung münden, dass wir es hier mit einer veritablen Verfassungskrise zu tun haben und das Grundrecht aus Art. 10 GG das Papier nicht mehr wert ist, auf dem das Grundgesetz einmal gedruckt worden ist. Heribert Prantl kommentiert das völlig zutreffend als den „Totalverlust eines Grundrechts“.

Man darf vielleicht bereits die Frage stellen, ob dieser eklatante und offensichtliche Rechtsbruch angesichts des Umstands, dass eine massenhafte Übermittlung von Rohdaten an US-Dienste stattgefunden hat, gegen Mitarbeiter des BND und Mitglieder der damaligen Bundesregierung nicht bereits den Anfangsverdacht einer geheimdienstlichen Agententätigkeit zum Nachteil der Bundesrepublik und zugunsten der USA begründet. Es steht dennoch kaum zu erwarten, dass der Generalbundesanwalt hierzu Ermittlungen aufnehmen wird. Man wird vermutlich höchstens nach der undichten Stelle suchen, die die Dokumente an die SZ weitergegeben hat. Bei dem Eid, den ein Frank-Walter Steinmeier als Minister in unterschiedlichen Bundesregierungen auf die deutsche Verfassung geschworen hat, scheint es sich jedenfalls um einen Meineid zu handeln.

Update:
§ 7 a G10-Gesetz ist erst im Jahre 2009 in Kraft getreten – was ich beim Verfassen des Blogbeitrags übersehen hatte – konnte also für den Zeitraum 2004 – 2008 noch gar keine Anwendung finden. Es gab folglich im maßgeblichen Zeitraum noch nicht einmal eine formelle rechtliche Grundlage für die Übermittlung von Rohdaten an die NSA.

posted by Stadler at 22:25  

15.9.14

Warum das G10-Gesetz und die TK-Überwachung durch den BND nicht verfassungskonform sind

Der Verfassungsrechtler Matthias Bäcker hat vor einigen Monaten im NSA-Untersuchungsausschuss des Bundestages die Auffassung vertreten, dass die Auslandsaufklärung des BND rechtswidrig ist und, dass darüber hinaus verschiedene Vorschriften des G10-Gesetzes, u.a. die Vorschrift über die sog. strategische Fernmeldekontrolle (§ 5) wohl nicht verfassungskonform sind.

Dies erläutert Bäcker in einem Aufsatz in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift Kommunikation & Recht (K&R 2014, 556) nochmals.

Bäcker weist darauf hin, dass der BND nach § 5 G10-Gesetz weiterhin nur internationale Telekommunikation überwachen darf. Dies setzte voraus, dass sich mindestens ein Kommunikationsteilnehmer im Ausland aufhält. Allerdings werden auch bei rein innerdeutscher Kommunikation die Inhalte mittlerweile vielfach über das Ausland geroutet. Viele Anbieter netzbasierter Telekommunikationsdienste sitzen außerdem im Ausland und/oder erbringen ihre Leistung mit informationstechnischen Systemen, die im Ausland stehen. Deshalb lasse sich, so Becker zutreffend, bei einer Überwachung eines Übertragungswegs überhaupt nicht zuverlässig feststellen, ob es sich um internationale Kommunikation im Sinne des Gesetzes handelt oder nicht. Man könne deshalb das Merkmal der internationalen Kommunikation allenfalls grob mit Faustregeln erfassen, die das Gesetz aber nicht vorgibt.

Es besteht deshalb nicht nur die konkrete Gefahr, sondern es erscheint nahezu unvermeidbar, dass der BND Inlandskommunikation, die er nach dem Gesetz nicht erfassen darf, in großem Umfang mitüberwacht.

Bäcker macht ferner deutlich, dass die im G10-Gesetz genannte Obergrenze von 20% für eine TK-Überwachung sich nach aktueller Auslegung auf die gesamte Übertragungskapazität und nicht auf das übertragene Volumen bezieht. Das würde allerdings dazu führen, dass deutlich mehr als 20 % der Telekommunikation überwacht werden kann, Bäcker spricht insoweit davon, dass die Obergrenze vielfach wirkungslos bleiben dürfte. Solange (nur) eine durchschnittliche Auslastung auf allen Übertragungswegen von 20% gegeben ist, würde diese Lesart der Regelung faktisch eine Totalüberwachung ermöglichen.

Bäcker ist zudem der Ansicht, dass die Regelung des § 5 Abs. 2 S. 3 G10-Gesetz verfassungswidrig ist. Danach dürfen keine Suchbegriffe verwendet werden, die Identifizierungsmerkmale enthalten, die zu einer gezielten Erfassung bestimmter Telekommunikationsanschlüsse führen. Diese Regelung soll aber für Anschlüsse im Ausland nur dann gelten, wenn der dortige Anschlussinhaber oder regelmäßige Nutzer deutscher Staatsangehöriger ist. Bäcker verweist insoweit darauf, dass Art. 10 GG kein Deutschengrundrecht ist, weshalb es auf die Staatsangehörigkeit ebensowenig ankomme, wie auf den Aufenthaltsort. Die gesetzliche Differenzierung beruht nach der Ansicht Bäckers damit auf keinem sachlichen Grund und verletzt Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 10 GG.

Bäcker weist schließlich auch noch darauf hin, dass sich das gesetzliche Verbot bestimmter Suchbegriffe auf Telekommunikationsanschlüsse bezieht. Insoweit ist Bäcker der Ansicht, dass E-Mail-Postfächer nicht als Anschlüsse in diesem Sinne zu betrachten sind, mit der Folge, dass E-Mail-Postfächer vom BND zielgerichtet ausgewertet werden könnten. Genau das hält Bäcker aber verfassungsrechtlich für nicht tragbar.

Es ist also höchste Zeit, dass das BVerfG sowohl das G10-Gesetz als auch die aktuelle Praxis der sog. strategischen Fernmeldekontrolle erneut zur Prüfung vorgelegt bekommt. Möglicherweise bietet ja das Verfahren des Kollegen Niko Härting hierzu bald Gelegenheit.

posted by Stadler at 10:00  

5.9.14

Bundesamt für Verfassungsschutz muss sämtliche Daten zu Gysi löschen

Nach einem Bericht der Leipziger Volkszeitung, auf den sich verschiedene andere Medien berufen, muss das Bundesamt für Verfassungsschutz sämtliche Daten zu Gregor Gysi löschen und alle diesbezüglichen Akten vernichten. Dies habe das Verwaltungsgericht Köln in einem Anerkenntnisurteil entschieden.

Wenn es sich tatsächlich um ein Anerkenntnisurteil handelt, heißt dies, dass die Bundesrepublik Deutschland als Beklagte des Verfahrens, den Klageanspruch von Gregor Gysi anerkannt hat. Das bedeutet dann aber auch, dass sich der Staat gegen die Klage überhaupt nicht verteidigt hat, weil es offenbar nicht ansatzweise ausreichende Erkenntnisse gab, die eine Beobachtung des Politikers der Linken gerechtfertigt hätten.

Das passt ins Bild einer Behörde, die primär damit beschäftigt ist, in rechtswidriger Art und Weise kritische Demokraten zu überwachen.

posted by Stadler at 21:12  

19.8.14

Überwacht der BND gar nicht anlasslos?

In einem denkwürdigen Artikel für ZEIT-Online verteidigt Lenz Jacobsen die Spionage des BND mit Zielrichtung Türkei. Der Text enthält allerdings erhebliche sachliche Fehler, die mich gerade bei solchen Medien immer wieder ärgern.

Noch nicht sonderlich gravierend ist die unzutreffende Aussage, der BND würde laut einem Urteil des BVerwG 196 Staaten ausspionieren. In dem Urteil ist nämlich nur von 150 Staaten und zusätzlich 46 Regionen die Rede.

Bedenklicher ist allerdings die im Text aufgestellte Behauptung, es gäbe keine Anhaltspunkte für eine anlasslose Überwachung durch den BND. Man muss gar nicht auf die Snowden-Files zurückgreifen um festzustellen, dass diese Aussage falsch ist. Es hätte vielmehr genügt, das vom Autor zitierte Urteil des BVerwG zu lesen, in dem die anlasslose strategische Fernmeldekontrolle des BND dargestellt wird, oder auch nur einen beliebigen Bericht des parlamentarischen Kontrollgremiums der letzten Jahre. Denn die Existenz des sog. elektronische Staubsaugers ist schließlich seit Jahrzehnten bekannt. Dass der BND die Telekommunikation – und gerade die mit dem Ausland – anlasslos überwacht und nach allgemeinen Suchbegriffen scannt, ist eine seit langem allgemein bekannte Tatsache.

Update vom 20.08.2014:
Der Beitrag von ZEIT-Online wurde nach meinem Beitrag dahingehend ergänzt, es würde keine Anhaltspunkte dafür geben, dass der BND den türkischen Internet- und Telefonverkehr anlasslos überwacht. In der ursprünglichen Fassung hatte es, wie von mir berichtet, geheißen, es gäbe keine Anhaltspunkte für eine anlasslose TK-Überwachung durch den BND. Diese nachträgliche erhebliche Änderung ist in dem Beitrag nicht kenntlich gemacht worden. Sauberer und seriöser Journalismus geht wohl anders.

posted by Stadler at 16:13  

8.8.14

BVerfG: Versammlungsfreiheit auf einem Friedhof

Die Stadt Dresden hatte eine Gedenkveranstaltung auf dem Gelände des Dresdner Heidefriedhofs, einem kommunalen Friedhof abgehalten. Die Veranstaltung diente der Erinnerung an die Opfer des Zweiten Weltkrieges sowie der Opfer des Alliierten Bombenangriffs auf Dresden am 13. Februar 1945. Gegendemonstranten hatten sich hierzu ebenfalls eingefunden und ein Transparent mit dem Schriftzug: „Es gibt nichts zu trauern – nur zu verhindern. Nie wieder Volksgemeinschaft – destroy the spirit of Dresden. Den Deutschen Gedenkzirkus beenden. Antifaschistische Aktion“ ausgerollt.

Hiergegen hat die Stadt eine Geldbuße von 150 EUR wegen Verstoßes gegen die Frieddhofssatzung verhängt, die vom Amtsgericht Dresden bestätigt wurde.

Zu Unrecht, wie das Bundesverfassungsgericht nunmehr entschieden hat. Denn auch auf einem städtischen Friedhof gilt die Versammlungsfreiheit, sofern dort im konkreten Zeitpunkt ein kommunikativer Verkehr eröffnet war, was die Stadt Dresden durch ihre Gedenkveranstaltung getan hat. In dem Beschluss vom 20.06.2014 (Az.: 1 BvR 980/13) heißt es dazu:

Die Zusammenkunft auf dem Heidefriedhof und das Entrollen des Transparents fallen unter den Schutz der Versammlungsfreiheit aus Art. 8 Abs. 1 GG.

a) Eine Versammlung ist eine örtliche Zusammenkunft mehrerer Personen zur gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung und umfasst auch provokative Äußerungen (vgl. BVerfGE 69, 315 <342 f.>; 104, 92 <104>; BVerfGK 11, 102 <108>). Der Schutz ist nicht auf Veranstaltungen beschränkt, auf denen argumentiert und gestritten wird, sondern umfasst vielfältige Formen gemeinsamen Verhaltens bis hin zu nicht verbalen Ausdrucksformen (vgl. BVerfGE 73, 206 <248>; 87, 399 <406>; 104, 92 <103 f.>). Bei einer Versammlung geht es darum, dass die Teilnehmer nach außen – schon durch die bloße Anwesenheit, die Art des Auftretens und des Umgangs miteinander oder die Wahl des Ortes – im eigentlichen Sinne des Wortes Stellung nehmen und ihren Standpunkt bezeugen (vgl. BVerfGE 69, 315 <345>).

Die Versammlungsfreiheit verschafft damit allerdings kein Zutrittsrecht zu beliebigen Orten (vgl. BVerfGE 128, 226 <251>). Insbesondere gewährt sie keinen Zutritt zu Orten, die der Öffentlichkeit nicht allgemein zugänglich sind oder zu denen schon den äußeren Umständen nach nur zu bestimmten Zwecken Zugang gewährt wird (vgl. BVerfGE 128, 226 <251>). Die Versammlungsfreiheit verbürgt die Durchführungen von Versammlungen jedoch dort, wo ein kommunikativer Verkehr eröffnet ist; ausschlaggebend ist die tatsächliche Bereitstellung des Ortes und ob nach diesen Umständen ein allgemeines öffentliches Forum eröffnet ist (vgl. BVerfGE 128, 226 <251 ff.>).

Der Schutz des Art. 8 GG besteht unabhängig davon, ob eine Versammlung anmeldepflichtig und dementsprechend angemeldet ist (vgl. BVerfGE 69, 315 <351>; BVerfGK 4, 154 <158>; 11, 102 <108>). Er endet mit der rechtmäßigen Auflösung der Versammlung (vgl. BVerfGE 73, 206 <250>).

Nach diesen Kriterien handelte es sich bei der Zusammenkunft, an welcher der Beschwerdeführer teilgenommen hat, um eine Versammlung im Sinne des Art. 8 Abs. 1 GG. Die Zusammenkunft hatte den Zweck, gegen das Gedenken Stellung zu nehmen und mit einem Transparent gemeinsam Position gegen die Gedenkveranstaltung zu beziehen; hierbei handelte es sich um einen Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung.

posted by Stadler at 14:25  

6.8.14

Was die Bundesregierung zur TK-Überwachung nicht sagt

Netzpolitik.org berichtet über eine kleine Anfrage der Fraktion der Linken zur TK-Überwachung durch Bundesbehörden und weist u.a. darauf hin, dass die Anzahl der sog. stillen SMS beim Verfassungsschutz, beim BKA und der Bundespolizei zugenommen hat. Welche Maßnahmen der TK-Überwachung deutsche Behörden im Einzelnen praktizieren, habe ich in einem älteren Beitrag ausführlicher dargestellt.

Interessanter als das was die Bundesregierung dazu erklärt, erscheint mir wie im letzten Jahr das zu sein, was sie nicht erklärt. Zahlreiche Fragen werden aus Gründen der Geheimhaltung nämlich nicht beantwortet. Dazu gehört u.a. die im Zuge der Aktivitäten des BND nach dem G10-Gesetz brisante Frage, ob und inwieweit Bundesbehörden am De-Cix oder anderen deutschen Internetknoten eine Überwachung durchführen (Frage 4). Hierzu verweist die Bundesregierung auf ihre letztjährige Antwort. In dieser stellt sie zunächst klar, dass sie nie die Aussage getroffen hätte, dass Bundesbehörden keine Metadaten an großen deutschen Internetknoten ausleiten, um anschließend (Frage 13) zu erklären, dass die konkrete Antwort auf die Frage nach der diesbezüglichen behördliche Praxis der Geheimhaltung unterliegt. Eine weiterhin interessante Verweistechnik mit einem durchaus interpretationsfähigen Aussagegehalt.

posted by Stadler at 21:35  

6.8.14

„Zivile Bullen raus aus der Versammlung“

Für eine Demonstration des DGB in München hatte das Kreisverwaltungsreferat die Auflage erlassen, dass Lautsprecher und Megaphone nur für Ansprachen und Darbietungen, die im Zusammenhang mit dem Versammlungsthema stehen, sowie für Ordnungsdurchsagen verwendet werden dürfen.  Während des Versammlungszuges benutzte die Beschwerdeführerin an zwei Orten einen Lautsprecher, welcher auf einem Handwagen mitgeführt wurde, für folgende Durchsagen: „Bullen raus aus der Versammlung!“ und „Zivile Bullen raus aus der Versammlung – und zwar sofort!“. Das Amtsgericht München hat die Beschwereführerin deshalb wegen Verstoß gegen das Versammlungsgestz zur Zahlung einer Geldbuße von 250 EUR verurteilt. Diese Entscheidung hat das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 26.06.2014 (Az.: 1 BvR 2135/09) aufgehoben. In der Begründung heißt es dazu u.a.:

Der Schutzbereich der Versammlungsfreiheit ist eröffnet. Die Beschwerdeführerin war unstreitig Teilnehmerin einer auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Kundgebung und damit einer Versammlung im Sinne des Art. 8 Abs. 1 GG (vgl. BVerfGE 104, 92 <104>). Vom Schutzbereich der Versammlungsfreiheit grundsätzlich umfasst war damit auch die Verwendung von Lautsprechern oder Megaphonen als Hilfsmittel (vgl. BVerfGK 11, 102 <108>). Die als bußgeldbewehrt erachteten Lautsprecherdurchsagen standen auch inhaltlich in hinreichendem Zusammenhang mit der durch Art. 8 Abs. 1 GG geschützten Durchführung der Versammlung. Mögen sie auch keinen spezifischen Bezug zum Versammlungsthema aufgewiesen haben und nicht auf die Einhaltung der Ordnung gerichtet gewesen sein, so gaben sie jedenfalls das versammlungsbezogene Anliegen kund, dass sich in dem auf den Willensbildungsprozess gerichteten Aufzug selbst nur solche Personen befinden sollen, die am Willensbildungsprozess auch teilnehmen, nicht aber auch am Meinungsbildungsprozess unbeteiligte Polizisten, die als solche nicht erkennbar sind. In ihrer idealtypischen Ausformung sind Demonstrationen die körperliche Sichtbarmachung von gemeinsamen Überzeugungen (vgl. BVerfGE 69, 315 <345>). Wer an einer solchen Versammlung teilnimmt, ist grundsätzlich auch dazu berechtigt, während der Versammlung dafür einzutreten, dass nur die das Anliegen der Versammlung unterstützenden Personen an ihr teilnehmen und Polizisten sich außerhalb des Aufzugs bewegen. Insoweit ist die entsprechende Lautsprecheraussage nicht – wie das Amtsgericht annimmt – dem Schutzbereich der Versammlungsfreiheit entzogen.

(…)

Indem die amtsgerichtliche Entscheidung die Verurteilung der Beschwerdeführerin zu einer Geldbuße in der Sache allein darauf stützte, dass sie die Lautsprecheranlage zu einem anderen Zweck als zu einer im engen Sinne themenbezogenen Durchsage oder Ordnungsmaßnahme nutzte, verkennt sie den Schutzgehalt des Art. 8 Abs. 1 GG, der – wie dargelegt – jedenfalls grundsätzlich auch Äußerungen zu anderen versammlungsbezogenen Fragen erlaubt. Insoweit konnte sich das Gericht auch nicht uneingeschränkt auf die entsprechende Auflage berufen. Vielmehr durfte es die Auflage nur dann als verfassungsgemäß ansehen, wenn es sie einer Auslegung für zugänglich hielt, nach der andere als strikt themenbezogene Äußerungen mit Versammlungsbezug von ihr nicht ausgeschlossen sind. An einer solchen Berücksichtigung des Schutzgehaltes der Versammlungsfreiheit fehlt es indes. Vielmehr belegt die angegriffene Entscheidung die in Frage stehenden versammlungsbezogenen Äußerungen unabhängig von jeder Störung mit einer Geldbuße. Für eine Störung durch den Gebrauch der Lautsprecheranlage im konkreten Fall ist weder etwas dargetan noch ist sie sonst ersichtlich. Die Lautsprecherdurchsagen der Beschwerdeführerin waren erkennbar nicht geeignet, mehr als allenfalls unerhebliche Unruhe innerhalb der Versammlung zu stiften. Der bloße Aufruf „Zivile Bullen raus aus der Versammlung – und zwar sofort!“ mag bei lebensnaher Betrachtung kurzfristige Irritationen von Versammlungsteilnehmern hervorrufen, war aber ersichtlich nicht zur Störung des ordnungsgemäßen Verlaufs der Versammlung geeignet. Insbesondere wurden Zivilpolizisten nicht konkret und in denunzierender Weise benannt und so etwa in die Gefahr gewalttätiger Übergriffe aus der Versammlung gebracht. Auch eine mögliche Beeinträchtigung der Gesundheit von Dritten durch übermäßigen Lärm erscheint durch die bloß kurzzeitige zweimalige Benutzung des Lautsprechers ausgeschlossen. Insgesamt ist damit nicht erkennbar, dass Gefährdungen vorlagen, die die Verurteilung der Beschwerdeführerin zu einem Bußgeld rechtfertigten.

posted by Stadler at 10:37  
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