Internet-Law

Onlinerecht und Bürgerrechte 2.0

14.11.14

Das Rechts- und Verfassungsverständnis des BND ist nicht von dieser Welt

Darüber, dass der BND ein eigenartiges Rechts- und Verfassungsverständnis hat, habe ich vor einiger Zeit hier schon gebloggt. Gestern hat ein hochrangiger Beamter des BND im NSA-Untersuchungsausschuss die Auffassung vertreten, dass Menschen, die der BND im Ausland überwacht, sog. Funktionsträger seien und damit keine Grundrechtsträger. Kai Biermann hat hierfür bei ZEIT-Online mit „Die Anarchos vom BND“ die richtige Überschrift gewählt.

Bei derartigem juristischem Unfug muss jeder, der sich auch nur ansatzweise mit Staastrecht und Grundrechtsdogmatik befasst hat, tief durchatmen. Art. 10 GG ist ein sog. Jedermannsrecht. Geschützt ist also jede Person, nicht nur der deutsche Staatbürger. Der persönliche Schutzbereich erstreckt sich natürlich auch und gerade auf solche Menschen, denen staatliche Behörden eine rechtswidrige Handlung vorwerfen. Denn gerade ihrem Schutz dienen die Grundrechte ja. Grundrechte sind Abwehrrechte des Bürgers gegenüber dem Staat. Der sachliche und persönliche Schutzbereich eines Grundrechts wird nicht von Behörden definiert und steht auch nicht zu ihrer Disposition.

Hätte das Rechts- und Verfassungsverständnis des BND, das definitiv nicht von dieser Welt ist, nicht so ernsthafte und weitreichende Folgen, müsste man es schlicht als albern bezeichnen. Die fehlende rechtsstaatliche Gesinnung, die die Behörde Bundesnachrichtendienst offenbar wie einen roten Faden durchzieht, stellt für diesen Staat und diese Gesellschaft aber leider ein ernsthaftes Problem dar.

posted by Stadler at 17:45  

23 Comments

  1. Dieser Rechtsstaat wird, nachweislich, von einer Reihe von Leuten bevölkert, die zuerst Normen setzen, um sie dann gleich wieder zu brechen. Bestes Beispiel etwa der Euro-Stabilitätspakt. So entsteht ein rechtliches Vakuum, welches sich immer weiter ausdehnt, mit dem Ziel einer Vermögensverschiebung beträchtlichen Ausmaßes. Nicht zufällig führen die im luftleeren rechtlichen Raum durchgeführten Aktionen der Auslandsspionage immer wieder zu Geldtransfers, und insbesondere Transfers geistigen Eigentums. Das Vakuum hat jetzt auch den Sektor des sog. Bankgeheimnisses erreicht, welches neuerdings nicht mehr en vogue ist.

    Was auch immer wieder etwas zu kurz kommt: etwa die Zielkoordinaten für die Luftangriffe auf Baghdad 2003
    stammten u.a. vom BND. Und die vorangegangene Desinformation, um die Attacken überhaupt durchführen zu können.

    Vor diesem Hintergrund kann man auch die strategische Fernmeldeüberwachung von Inländern ( mit der Option jederzeitiger Weitergabe von Daten an die Strafverfolgungsorgane oder auch das Militär ) überdenken.

    Comment by Arne Rathjen, RA — 14.11, 2014 @ 19:04

  2. Lieber Herr Stadler,

    ich möchte Ihnen an dieser Stelle meinen aufrichtigen Dank aussprechen. Sie gehören zu den Anwälten und Bürgern unseres Landes, die noch wissen, was es in der derzeitigen Lage zu sagen und zu tun gilt.

    Dass es noch solche Stimmen wie die Ihre in unserem Land gibt, lässt mich noch etwas für unsere Zukunft hoffen. Denn abseits dieser Lichtblicke bricht unsere Gesellschafts- und Rechtsordnung (Demokratie, Freiheit, Sozial- und Rechtsstaat) täglich zusehends zusammen.

    Bleiben Sie mutig, Herr Stadler!

    Comment by Leserin — 14.11, 2014 @ 20:01

  3. „Die fehlende rechtsstaatliche Gesinnung, die die Behörde Bundesnachrichtendienst offenbar wie einen roten Faden durchzieht, stellt für diesen Staat und diese Gesellschaft aber leider ein ernsthaftes Problem dar.“

    @ Thomas Stadler:

    Mit dieser Aussage stehen Sie nun (spätestens) auf irgendeiner Liste. Sie können hoffentlich damit leben. Der Staat mag keine Leute, die den Staat als kriminell und verfassungsfeindlich titulieren.

    Comment by Marcus — 14.11, 2014 @ 20:14

  4. Dann soll der Staat mich da bitte auch drauf schreiben…

    Comment by le D — 14.11, 2014 @ 21:00

  5. @ le D

    Arbeiten Sie nicht selbst beim Staat?

    Comment by Fragezeichen — 14.11, 2014 @ 21:42

  6. Wir leben halt mal wieder in einem doppelstaatlichen Herrschaftssystem.

    Der Normenstaats-Teil ist gekennzeichnet durch die Existenz tradierter und neuer Rechtsvorschriften, die auf Berechenbarkeit angelegt und in dieser Funktion der Aufrechterhaltung der privatkapitalistischen Wirtschaftsordnung dienlich sind. In dieser Sphäre haben Gesetze, Gerichtsentscheidungen und Verwaltungsakte nach wie vor Gültigkeit; das Privateigentum ist geschützt und das Vertragsrecht weiterhin wesentlich.

    Im Unterschied dazu orientiert sich der Maßnahmenstaat-Anteil, zu dem der BND gehört, nicht an Rechten, sondern ausschließlich an Überlegungen der situativ-politischen Zweckmäßigkeit. Entscheidungen werden „nach Lage der Sache“ getroffen. In diesem Sektor „fehlen die Normen und herrschen die Maßnahmen“.

    Hatten wir alles schon mal.

    (Dieser Text ist natürlich [raubmord]kopiert und nur leicht modifiziert, wer sich für die Sache interessiert wird das Original leicht finden. Lizenz CC-by-sa-3.0, goo.gl/qooDSr)

    Comment by Grauhut — 14.11, 2014 @ 22:55

  7. Nicht nur dem BND fehlt eine rechtsstaatliche Gesinnung. Die gleiche Haltung kennzeichnet deren Auftraggeber, fast alle Innenminister und große Teile der aktiven Politiker. Wer den sogn. Diensten die Lizenz zum systematischen, permanenten Rechtsbruch ausstellt, deren Arbeit und Arbeitsweise als richtig und nützlich bezeichnet, sie fördert und finanziert ist meilenweit von demokratischen Prinzipien entfernt. In Folge der Tatsache, dass die systematische und umfassende Misachtung von Recht und Gesetz nicht auf die sogn. Dienste beschränkt ist, kann man schwerlich behaupten, dass wir in einer Demokratie bzw. einem Rechtsstaat leben.

    Comment by M. Boettcher — 15.11, 2014 @ 00:04

  8. Oje!

    „Bei derartigem juristischem Unfug muss jeder, der sich auch nur ansatzweise mit Staastrecht und Grundrechtsdogmatik befasst hat, tief durchatmen.“

    Funktionsträger sind Personen die in ihrer Funktion für ein ausländische juristische Person arbeiten.
    Ausländische juristische Personen genießen keinen Grundrechtsschutz. Dazu müssen sie nicht mal strafbar handeln oder ähnliches.

    http://dejure.org/gesetze/GG/19.html
    Im logischen Umkehrschluss zu:
    Artikel 19 Abs. 3 GG

    Der BND differenziert zwischen Privatperson (Grundrechtsträger ob Inländer/ Ausländer; mutmaßlich strafbare Handlung oder nicht) und juristischer Person. Ist die juristische Person im Inland tätig, ist sie Grundrechtsträger, ist die juristische Person im Ausland tätig, ist sie kein Grundrechtsträger. Der Mensch der für eine juristischen Person im Ausland handelt,
    damit in dessen Funktion handelt, verliert in dieser Funktion den Grundrechtsschutz.

    Der Vorwurf einer rechtswidrigen Handlung zum Verlust von Grundrechten, wie der Text suggeriert, spielt dabei überhaupt keine Rolle.

    Comment by gnnnng — 15.11, 2014 @ 03:20

  9. @8: Hä, bin zwar kein Jurist, aber was ist das für ein Unfug: eine natürliche Person verliert ihre Grundrechte als natürliche Person, wenn sie gleichzeitig juristische Person ist???

    Comment by W — 15.11, 2014 @ 04:44

  10. @9
    exakt. Allerdings nur wenn die juristische Person eine ausländische ist.
    Wer für eine ausländische juristische Person arbeitet, und privates nicht vom geschäftlichen sauber trennt, läuft Gefahr vom BND im Privaten abgehört zu werden. Dazu muss die ausländische juristische Person nicht mal strafbar relevant handeln, sondern lediglich im Interesse der Exekutiven stehen.
    Industriespionage, im Staatsauftrag, gegen ausländische Wirtschaftsunternehmen, ist nach dem Grundgesetz und den Grundrechten nicht illegal.

    Comment by zuzu — 15.11, 2014 @ 05:46

  11. @10: Dann ist es also legal, ausländische Regierungschefs zu ermorden, denn als juristische Personen haben sie ja kein Grundrecht auf Leben.

    Comment by W — 15.11, 2014 @ 06:07

  12. @11
    Nein. Da das Leben an sich privat ist.

    Ausserdem wäre das zudem ein Völkerrechtliches Problem.

    Ansonsten: ist es im Aussland und lebt nicht, ist es kein Grundrechtsträger.
    Vielleicht steht es völkerrechtlich unter Schutz, oder eben nicht.

    Comment by zuzu — 15.11, 2014 @ 06:45

  13. @gnnng: Der Beamte hatte das im Untersuchungsausschuss ja dahingehend erklärt, dass derjenige, der in einer bestimmten kriminellen Funktion tätig ist, damit den Schutz der Grundrechte verliert. Einen so verstandenen Funktionsträger gibt es sicherlich nicht.

    Comment by Stadler — 15.11, 2014 @ 08:42

  14. @13
    „[…]dass derjenige, der in einer bestimmten kriminellen Funktion tätig ist, damit den Schutz der Grundrechte verliert.“

    Das ist Herr Biermanns und Ihre Interpretation.Nach dem Protokoll bei Netzpolitik.org, wurde das nie behauptet. Es ging lediglich um die Differenzierung von natürlicher und juristischer Person.

    https://netzpolitik.org/2014/live-blog-aus-dem-geheimdienst-untersuchungsausschuss-herr-b-und-frau-l-vom-bundesnachrichtendienst/

    Renner: Wenn ich überwacht werde, dann als Funktionsträger oder Person? Was ist ein Funktionsträger?

    B.: Fragen sie Juristen. Von uns müssen wir nach G-10 zwischen persönlichen und juristischen Personen sowie Funktionsträgern trennen. Personen sind Grundrechtsträger, Funktionsträger nicht.

    Regierung: Das hat die G-10-Kommission aufgearbeitet.

    Renner: Was ist ein Funktionsträger?

    B.: Fiktives Beispiel. Eine Firma, die nicht als Grundrechtsträger eingestuft ist. Sitz in Amerika, Dependance in Deutschland. Wenn der Geschäftsführer als Geschäftsführer handelt, ist er nicht geschützt. Wenn er seine Frau anruft und sagt er kommt eine halbe Stunde später, ist er geschützt. Das ist für uns technisch schwierig nachzuvollziehen. Das machen Juristen.

    Comment by gnnng — 15.11, 2014 @ 09:19

  15. Sind BND-Mitarbeiter dann nicht auch Funktionsträger, die damit ihre Grundrechte verwirkt haben?

    Comment by DENTON — 15.11, 2014 @ 10:50

  16. @Denton: das ist in der Tat die eigentliche verfassungsrechtliche Diskussion unter dem Stichwort „Funktionsträger“. Kann jemand gleichzeitig Grundrechtsberechtigter und -verpflichteter sein.

    Comment by Stadler — 15.11, 2014 @ 12:29

  17. @gnng: Die Diskussion um den Funktionsträger wird eigentlich im Zusammenhang mit staatlichen Funktionsträgern geführt. Der Geschäftsführer einer ausländischen jur. Person, kann für sich als natürliche Person natürlich den Schutz von Art. 10 GG reklamieren.

    Comment by Stadler — 15.11, 2014 @ 12:33

  18. Ich finde es viel schlimmer, dass große Teile der Bevölkerung sich immer wieder vor den Karren spannen lassen und diese Art der Totalüberwachung auch noch gutheißen, wenn man ihnen die „richtigen“ Beispiele liefert: Z.B. dass man damit unzählige Anschläge verhindert hat (obwohl es dafür noch nie einen Beweis gegeben hat) oder man damit auch Kindermörder und -schänder fangen könne usw.
    Eigentlich müsste man diesen Menschen mal wünschen, dass auch bei uns mal (wieder) ein Unrechtsregime an die Macht kommt und die ganzen gesammelten Daten dann systematisch analysiert um mögliche Regimegegner zu identifizieren und direkt zu verhaften. Vielleicht würden sie dann kapieren welche potenziellen Ausmaße diese Überwachung hat…

    Comment by Chris — 15.11, 2014 @ 15:28

  19. @gnnng: Nein, aus dem NP-Protokoll geht eben nicht hervor, der BND differenziere mit ‚Funktionsträger‘ zwischen natürlichen und juristischen Personen. Behauptet wird vielmehr, ‚Funktionsträger‘ seien diejenigen natürlichen Personen, die eine bestimmte Funktion innerhalb der Organisation einer ausländischen juristischen Person wahrnähmen. Sollte diese natürliche Person deren Lebenspartner anrufen, um die baldige Heimkehr anzukündigen, sei sie wieder geschützt. ‚Funktionsträgerschaft‘ und damit Grundrechtsträgerschaft bzw. -beeinträchtigung knüpft der BND an Kommunikationsinhalte. Das ist in der Tat bahnbrechender Unsinn, denn das Fernmeldegeheimnis „schützt die unkörperliche Übermittlung von Informationen an individuelle Empfänger mit Hilfe des Telekommunikationsverkehrs“ (BVerfGE 115, 166, 182). Auf die Inhalte kommt es folglich nicht an, geschützt ist die Privatheit des Kommunikationsvorganges als solchem. Ein anderes Verständnis wäre auch hochgradig widersprüchlich, da der Staat sonst zur Vermeidung eines Grundrechtseingriffs erst in dieses eingreifen müsste.
    Ergo: die ‚Funktionsträgerschaft‘ ist ein Hirngespinst, vielleicht sogar ein plumper Taschenspielertrick.

    Comment by dapperdan — 15.11, 2014 @ 15:38

  20. Sie haben Recht, und man muss dabei bedenken, dass die Menschenrechtsverletzungen des BND Hilfsdienste für die USA sind – dh BNDler im Ausland Hand in Hand mit CIAlern agieren….. von daher wird einfach das amerikanische (Un-) Rechtsverständnis übernommen…

    Comment by Alexandra Bader — 15.11, 2014 @ 22:08

  21. Was ist das außerdem für ein Unsinn mit ausländischen jur. Personen hier?
    Juristische Personen sind Träger von (einigen, nicht allen) Grundrechten. Natürlich genießt BMW den Schutz des Art. 14 GG.
    Ausländer haben alle Jedermann-Grundrechte, etwa Art. 10 GG und als Auffangrecht Art. 2 I GG.
    Kombiniert haben natürlich auch ausländische jur. Personen Grundrechte, die sie dem deutschen Staat entgegenhalten können…

    Comment by Tyrion — 16.11, 2014 @ 13:02

  22. Wahrscheinlich beruht seine Aussage noch auf dem Gedanken, dass Personen im besonderen Verhältnis zum Staat (Schüler, Soldaten, Beamte) keine Grundrechte haben wegen Kollusion. Und er begreift die ausländisch abgehörten als in einem solchen Verhältnis stehend. „Leider leider“ ist diese Ansicht schon sehr lange überholt…

    Comment by Michael — 17.11, 2014 @ 14:54

  23. „Wir leben halt mal wieder in einem doppelstaatlichen Herrschaftssystem.“

    Das sollte man berücksichtigen, wenn man nicht enden will wie Don Quixote. Was in diesen Zeiten der anonymen Lobbykratur immer schwerer wird:herauszufinden, wo denn überhaupt die Regierung angesiedelt ist.

    1. Die Gesetzgebung hat sich zu vielleicht 80% nach Brüssel / Straßburg verlagert.
    2. Die Bundesregierung verwaltet den größten Sozialetat und Schuldenberg aller Zeiten, um die Defizite dieser Gesetzgebung wieder auszugleichen. Die Position Sozialausgaben ist etwa 7 x so groß wie der Bundeswehretat, wobei aus Kostengründen die Beschaffung von Ersatzteilen vorläufig gestrichen wurde.
    3. Quer durch die Republik operieren vielleicht 100 alliierte Dienste ohne Kontrolle, und etwa der BND
    betreibt strategische Überwachung, um dann die Daten aus ausländische Dienste weiterzureichen ( s.o.).

    Und: die Szene ist angereichert mit Leuten, die mit absichtlichen, systematischen und dauerhaften Rechtsbrüchen Karriere gemacht haben. Datenschutz ? Neuland.

    So kommt es dann zu der Entstehung einer zivilen Welt, die immer mehr schrumpft, einer virtuellen
    Datenwelt, einer Bürokratiewelt ( über der ein Nebel aus Grundrechten schwebt ) und einer realen Welt, die immer weniger sichtbar ist. Alle diesen Welten driften auseinander. Daher das Phänomen, dass etwa ein Behördenmitarbeiter in der zivilen Welt nicht wirklich zurecht kommt, man sich als Normalbürger nicht ansatzweise vorstellen kann, was in gewissen Behörden läuft und der Datenmüll, der gesammelt wird, für überhaupt niemanden mehr begreiflich gemacht werden kann.

    Comment by Arne Rathjen, RA — 17.11, 2014 @ 18:44

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