Fall Mollath: Alles nur heiße Luft?
Auf SPON ist unlängst ein Artikel von Beate Lakotta erschienen, der versucht zu erklären, warum der Justitzskandal um Gustl Mollath doch keiner ist.
Die Autorin lässt dabei allerdings wesentliche Aspekte unberücksichtigt, verfälscht andere Punkte und stützt ihre Schlussfolgerung letztlich darauf, dass sich einige Spekulationen nicht bewahrheitet hätten, was sie dann natürlich ausführlich darstellt. Wer sich mit den derzeit bekannten Fakten und Hintergründen des gesamten Falls befasst hat, merkt allerdings sehr schnell, dass sich der Artikel von Beate Lakotta nicht um eine ausgewogenen Darstellung aller relevanten Umstände bemüht.
Aus diesem Grunde sollen hier die Verzerrungen und Unrichtigkeiten des Textes anhand einiger zentraler Aussagen einmal aufgearbeitet und dargestellt werden.
Lakotta schreibt in ihrem Artikel beispielsweise:
Da argumentieren Mollaths Unterstützer beispielsweise, anders als drei gut beleumundete forensische Psychiater übereinstimmend feststellten, sei Mollath gar nicht gefährlich. Denn das Attest, das seine Frau vorgelegt habe, sei nicht nur ein Jahr nach dem angeblichen Übergriff Mollaths gegen Petra Mollath ausgestellt worden; es sei möglicherweise eine Fälschung.
Woher Lakotta die Erkenntnis nimmt, die Unterstützer Mollaths würden seine Ungefährlichkeit aus eventuellen Ungereimtheiten im Zusammenhang mit dem Attest herleiten, bleibt unklar. Es dürfte sich um eine Unterstellung handeln, die lediglich dem Zweck dient, eine bestimmte Argumentation aufzuziehen. Aber auch daran scheitert die Autorin. Sie vermengt nämlich in unzulässiger Weise die Frage des Tatvorwurfs einer Körperverletzung, für die Mollath vermutlich keine unbedingte Freiheitsstrafe erhalten hätte, mit der Frage der Gefährlichkeit, die Voraussetzung einer Unterbringung nach § 63 StGB ist. Das eine betrifft die Vergangenheit und das andere die Zukunft. Der Umstand, dass Mollath eventuell eine Körperverletzung begangen hat, ist zwar eine Grundvoraussetzung der Unterbringung, weil es ansonsten ja bereits an einer Straftat fehlt. Andererseits ist dieser Umstand allein bei weitem nicht ausreichend, andernfalls müsste man jeden Straftäter unterbringen. Die Argumentation Lakottas ist an dieser Stelle also inkonsistent.
Was die Feststellungen der drei von Lakotta als gut beleumundet bezeichneten Psychiater angeht, vergisst die Autorin auf zwei durchaus relevante Aspekte hinzuweisen. Alle diese Gutachten und Feststellungen wurden nach Aktenlage erstellt, es lag ihnen also weder eine körperliche Untersuchung noch ein ausführliches Explorationsgespräch zu Grunde. Demgegenüber hat ein ebenfalls renommierter Neurologe, Psychiater und Psychotherapeut, nämlich der leitende Arzt der Allgemeinpsychiatrie in Mainkofen, Mollath tatsächlich untersucht und nicht nach Aktenlage attestiert. Und zwar nicht im Auftrag Mollaths, sondern in gerichtlichem Auftrag im Rahmen eines Betreuungsverfahrens. Das Gutachten hat deshalb Gewicht, weil es sich nicht um ein Parteigutachten handelt. Dieses Gutachten hat Mollath 2007 als „psychopathologisch unauffällig und geschäftsfähig“ eingestuft. Das Gutachten kommt zu dem Ergebnis, dass bei Mollath mit Sicherheit keine schizophrentypischen Wahnideen vorliegen und es keine Hinweise auf psychotische Erkrankung gibt.
Man könnte an dieser Stelle auch die abweichende und vermutlich zwingende Ansicht vertreten, dass dasjenige Gutachten, dem eine tatsächliche ärztliche Untersuchung zugrunde lag, die höchste Aussagekraft besitzen muss. Damit bliebe allerdings von der einhelligen gutachterlichen Beurteilung, auf die sich Beate Lakotta stützt, nicht viel übrig.
Die weitere Behauptung Lakottas
Denn anders als vielfach behauptet, begründen alle drei psychiatrischen Gutachter, die Mollath für krank und weiterhin gefährlich halten, die Diagnose seiner Wahnkrankheit nicht mit seinen Schwarzgeldbehauptungen.
ist schlicht falsch. Um dies festzustellen, genügt bereits die Lektüre des Strafurteils.
Der gerichtlich bestellte Sachverständige attestierte Mollath – nach Aktenlage – ein paranoides Gedankensystem. Als ein wesentliches Indiz hierfür wertete der Sachverständige den Umstand, dass Mollath, wie es im Urteil wörtlich heißt “unkorrigierbar der Überzeugung sei, dass eine ganze Reihe von Personen aus dem Geschäftsfeld seiner früheren Frau, diese selbst und nunmehr auch beliebige weitere Personen die sich gegen ihn stellten (…) in dieses komplexe System der Schwarzgeldverschiebung verwickelt wären.”
Auch die letzte Begutachtung zur Fortdauer der Unterbringung aus dem Jahr 2011 stützt sich nochmals ausdrücklich, wenn auch nicht ausschließlich, auf den Aspekt der Schwarzgeldgeschäfte. In der Stellungnahme der Bezirksklinik Bayreuth heißt es, Mollath sei unverändert der Überzeugung, er solle aus dem Weg geräumt werden, weil er „Schwarzgeldverschiebungen“ habe aufdecken wollen. Das OLG Bamberg ordnet daraufhin die Fortdauer der Unterbringung an.
An dieser Stelle arbeitet Lakotta also ganz eindeutig mit unrichtigen Behauptungen.
Beate Lakotta schreibt in ihrem Artikel dann weiter:
Bislang gibt es keinen Beweis dafür, dass Petra Mollath als Angestellte der HypoVereinsbank in Schwarzgeldgeschäfte und Beihilfe zur Steuerhinterziehung verstrickt war, wie ihr Mann behauptet.
Wenn man den Ausgangspunkt betrachtet, erscheint auch diese Aussage Lakottas deutlich gegen den Strich gebürstet. Dass dieser Verdacht nicht aufgeklärt wurde und vermutlich auch nicht mehr werden wird, obwohl es durchaus einen hinreichenden Anfangsverdacht gegeben hat, ist ein schweres Versäumnis der Justiz und der Finanzbehörden, aber nicht der Fehler Gustl Mollaths. Dennoch versucht die Autorin auch diesen, eigentlich an die Justiz- und Finanzbehörden zu adressierenden Vorwurf gegen Mollath zu richten.
Anschließend heißt es bei Lakotta:
Die Bank geht von legalen Transfers legaler Gelder aus.
Auch das ist falsch. Auf S. 7 des Revisionsberichts der HVB ist explizit von Schwarzgeld die Rede. Zuwendungen der Kunden in der Größenordnung von 25.000 DM an beteiligte HVB-Mitarbeiter sind überhaupt nur dann plausibel erklärbar, wenn die Bankmitarbeiter eine Gegenleistung für die Unterstützung bei illegalen Geldgeschäften erhalten haben. Die reguläre Tätigkeit eines Bankmitarbeiters würde kein wirtschaftlich denkender Kunde mit derartigen Geldgeschenken honorieren.
Der Artikel von Beate Lakotta krankt schließlich auch daran, dass sie maßgebliche neue Tatsachen überhaupt nicht erwähnt. Ein früherer Bekannter des Ehepaars Mollaths, der angibt erst 2010 von der Unterbringung Mollaths erfahren zu haben, hat 2011 eine eidesstattliche Versicherung abgegeben, in der er mehrere Telefongespräche mit Herrn und Frau Mollath schildert. In einem dieser Telefonate soll Frau Mollath u.a. ankündigt haben, ihren Mann fertig machen zu wollen und auf seinen Geisteszustand prüfen zu lassen, wenn er ihre Schwarzgeldgeschäfte anzeigt. In diesem Kontext wäre dann auch dem Umstand Bedeutung beizumessen, dass die Exfrau Mollaths ihre Strafanzeige erst erstattet hat, kurz nachdem ihr die HVB – auf Basis der Informationen Mollaths – die fristlose Kündigung erklärt hatte. Denn daraus ergibt sich zumindest ein naheliegendes und handfestes Motiv für eine Falschbeschuldigung.
Wenn dieser Bekannte seine Angaben in einem Wiederaufnahmeverfahren bestätigt und man gleichzeitig berücksichtigt, dass das Aussageverhalten der Ehefrau aufgrund der mittlerweile bekannt gewordenen Umstände anders und deutlich kritischer zu bewerten ist, könnte das Ergebnis eines Wiederaufnahmeverfahrens auch sein, dass Mollath nicht nur wegen der Voraussetzungen des § 20 StGB freizusprechen ist, sondern weil seine Schuld nicht mit der notwendigen Gewissheit festgestellt werden kann. Man sollte an dieser Stelle auch immer berücksichtigen, dass im Strafrecht der Grundsatz in dubio pro reo gilt. Zweifel müssen deshalb, was die strafrechtliche Bewertung angeht, zugunsten von Mollath gehen und nicht zu seinen Lasten.
Die Ausführungen Lakottas zu dem Tatvorwurf des Reifenstechens erscheinen mir symptomatisch für den ganzen Beitrag:
Mollath kennt sich aus mit Reifen. Er zersticht sie auf eine Weise, dass die Luft nicht sofort entweicht, sondern erst beim Fahren. Einigen Fahrern passiert dies auf der Autobahn, bei hohem Tempo, reine Glückssache, dass niemand zu Schaden kam
Dass die diesbezügliche Verurteilung nicht auf eindeutigen Beweismitteln, sondern nur auf zwei eher vagen Indizien beruht, schreibt Lakotta natürlich nicht. Das erinnert in der Tat an die Argumentation der bayerischen Justizministerin und des Bayerischen Richtervereins, die das Urteil deshalb für richtig halten, weil es rechtskräftig ist und vom BGH (auf Rechtsfehler) überprüft wurde. Wer nachvollziehen will, wie die Atmosphäre in der Hauptverhandlung tatsächlich war, dem sei das Interview das Oliver Garcia mit dem Schöffen Westenrieder – einem Mitglied des Gerichts! – geführt hat, empfohlen.
Die Unterbringung Mollaths war und ist nur dann gerechtfertigt, wenn er die Straftaten tatsächlich begangen hat, wenn er im Tatzeitpunkt an einer krankhaften seelischen Störung oder einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung gelitten hat und zudem für die Allgemeinheit auch weiterhin eine Gefahr darstellt. An allen drei Voraussetzungen bestehen bei vernünftiger Würdigung der jetzigen Faktenlage Zweifel.
Das bedeutet deshalb nicht, dass das Gegenteil richtig sein muss.
Die ZEIT vertritt in ihrer aktuellen Ausgabe in einem Artikel von Blasberg/Kohlenberg/Rückert ebenfalls die These, dass der Justizskandal möglicherweise keiner ist. Auch wenn der Beitrag in der ZEIT deutlich ausgewogener ist als der Spiegelartikel von Lakotta, ist auch dort ein eher selektiver Umgang mit den Fakten erkennbar. In der ZEIT wird ebenfalls fälschlich behauptet, dass sämtliche mit Mollath befassten Sachverständigen eine Geisteskrankheit attestiert haben.
Schwer erträglich und vor allen Dingen auch schwer unsachlich ist allerdings die dort gezogene Parallele zu einem Sexualstraftäter, den man nach 30 Jahren rausgelassen hatte und der nach drei Monaten erneut eine Frau vergewaltigt hat. Selbst wenn Mollath seine Frau im Rahmen einer ehelichen Auseinandersetzung geschlagen und gewürgt haben sollte, spricht das kaum für eine Gemeingefährlichkeit. Der Vergleich mit einem Wiederholungstäter im Bereich des Sexualstrafrechts ist ganz erkennbar Stimmungsmache.
Der Artikel „Ein Kranker wird Held“ in der ZEIT endet mit der Aussage, Mollath habe einem Strafverteidiger, den ihm die Freien Wähler geschickt haben und der nicht einmal Geld verlangt hätte, abgelehnt. Hieraus ziehen die Autorinnen sodann den Schluss, Mollath würde eventuell gar keine Wiederaufnahme wollen, weil ihm die Rolle des Märtyrers der bayerischen Strafjustiz gefalle.
Wenn ich derartige Dinge lese, dann wünsche ich mir, dass man diese Autorinnen einfach mal fünf Jahre lang in der Psychiatrie unterbringt. Vielleicht sind sie dann auch so verzweifelt wie Mollath und schreiben sogar an den Papst.
Bei vernünftiger Betrachtungsweise hätte man schlussfolgern müssen, dass die Nichtmandatierung eines bestimmten Strafverteidigers für gar nichts spricht. Mollath hat schließlich einen bekannten Rechtsanwalt mit einer Verfassungsbeschwerde betraut, gerade weil er aus der Psychiatrie entlassen werden will.
Das was der Spiegel und leider auch die ZEIT hier anbieten, ist kein Qualitäts- sondern emotionaler Tendenzjournalismus.
Mit den beiden Beiträgen in ZEIT und Spiegel setzen sich auch Oliver Garcia und Henning Ernst Müller kritisch auseinander.