Internet-Law

Onlinerecht und Bürgerrechte 2.0

22.6.15

Über vermeintliche Sozialdemokraten und wirkliche Freiheitsrechte

Dass der SPD-Parteikonvent für die (neuerliche) Einführung einer Vorratsdatenspeicherung votiert hat, ist keine wirkliche Überraschung. Zumal die Generalsekretärin im Vorfeld die Regierungsfähigkeit der Partei beschworen hat und zudem ein möglicher Rücktritt Gabriels in den Raum gestellt wurde, sollte sich die Partei gegen eine Vorratsdatenspeicherung aussprechen.

Jetzt kann man natürlich auch der Meinung sein, dass ein Rücktritt Gabriels das Beste ist, was der SPD passieren könnte und die Zustimmung zu einem verfassungs- und europarechtswidrigen Gesetz vermutlich nur im Merkel-Kosmos Ausdruck von Regierungsfähigkeit ist. Dennoch haben die Drohgebärden ihre Wirkung auf die Delegierten nicht verfehlt.

Mit denselben Techniken wird die Partei schließlich schon seit 100 Jahren immer wieder diszipliniert. Die SPD hat seit jeher empfindlich reagiert, wenn ihr vorgehalten wurde, sie würde nicht im Sinne der Staatsräson handeln. Damit konnte man sie immer packen. Das hat schon 1914 funktioniert, als man den SPD-Abgeordneten so die Zustimmung zu den Kriegsanleihen abgerungen hat. Ganz ähnlich funktionieren die Mechanismen auch heute noch. Praktisch alle freiheitsfeindlichen und grundrechtseinschränkenden Gesetzesvorhaben der letzten 20 Jahre wurden von der SPD wenn nicht gar initiiert, so doch zumindest mitgetragen, obwohl es häufig an der Basis rumorte. Verantwortungslose Gesetze werden und wurden unter Verweis auf die vermeintliche politische Verantwortung und Regierungsfähigkeit durchgedrückt.

Dass man Delegierte, die dieses Paradoxon nach wie vor nicht erkannt haben, nicht mit Sachargumenten überzeugen muss, war der Parteispitze von vornherein klar. Zumal dies voraussetzen würde, dass es überhaupt sachliche Argumente für eine Zustimmung zu einer Vorratsdatenspeicherung gibt, was nicht der Fall ist. Das wurde in diesem Blog bereits mehrfach erläutert und muss nicht erneut wiederholt werden.

Es war deshalb wieder einmal die Stunde der Populisten gekommen und den Wettlauf um den unsachlichsten Debattenbeitrag hat der baden-württembergische Innenminister Reinhold Gall (SPD) mit dem nachfolgenden Tweet klar für sich entschieden:

Ich verzichte gerne auf vermeintliche Freiheitsrechte wenn wir einen Kinderschänder überführen.

Was hierzu zu sagen ist, hat Sascha Lobo bereits niedergeschrieben.

Wir werden uns in Zukunft wohl verstärkt gegen vermeintliche (Sozial-)Demokraten wehren müssen, um unsere realen Freiheitsrechte zu verteidigen. Denn ohne freiheitlich-demokratische Gesinnung, die Leuten wie Gall ganz augenscheinlich fehlt, wird es irgendwann auch keinen freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat mehr geben.

posted by Stadler at 16:50  

22.6.15

Wird der Journalismus der Zukunft gemeinnützig sein?

Daniel Bouhs hat den Blogger Moritz Tschermak interviewt, dessen Unternehmergesellschaft (UG), die das Blog „Topf voller Gold“ betreibt, jetzt als gemeinnützig anerkannt worden ist. Tschermak erläutert in dem Interview, dass Journalismus nicht als gemeinnützig gilt, weshalb man für den Antrag beim Finanzamt die Bildungstätigkeit in den Vordergrund gestellt hat.

Dieses Beispiel wirft die Frage auf, ob Gemeinnützigkeit nicht ein Weg wäre, um die aktuelle Krise des Journalismus aufzulösen. Vielleicht sollte und könnte der Journalismus der Zukunft also gemeinnützig sein. Das würde seinem Auftrag, die Meinungsvielfalt zu sichern und die Öffentlichkeit zu informieren, entsprechen. Hierzu müsste allerdings zunächst der Gesetzgeber tätig werden, denn die journalistische Tätigkeit bzw. die Förderung des Journalismus gehören bislang nicht zu den gemeinnützigen Zwecken im Sinne von § 52 AO.

Journalismus wird in Deutschland traditionell von gewinnorientiert agierenden Verlagen betrieben. Den Journalismus als Tätigkeit zu betrachten, die dem Gemeinwohl dient und ihn auch mit entsprechenden gesetzlichen Rahmenbedingungen auszustatten, ist bisher noch nicht einmal andiskutiert worden. Aber warum nicht? Weil das nicht ins Bild einer Gesellschaft passt, in der die Marktwirtschaft regiert? Was spricht gegen Non-Profit-Organisationen als Träger moderner Medien? Bei vernünftiger Betrachtung vermutlich nicht viel.

Die großen Verlage, die trotz der seit Jahren herrschenden Zeitungskrise, faktisch nach wie vor über die Meinungshoheit verfügen, würden dies vermutlich als Angriff auf ihre Existenz betrachten und alle lobbyistischen Hebel in Bewegung setzen, um eine derartige Gesetzgebung zu verhindern. Und wer sich beispielsweise mit der Entstehung des Leistungsschutzrechts für Presseerzeugnisse befasst hat, wird schnell erkennen, über welch enormen Einfluss auf die Politik Springer, Burda und Co. nach wie vor verfügen.

Dennoch gehört die Diskussion auf die politische Tagesordnung.

 

posted by Stadler at 09:11  

16.6.15

Forenbetreiber haftet für Beleidigungen der Nutzer. Oder doch nicht?

Eine aktuelle Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) vom heutigen Tag sorgt gerade in den sozialen Medien für eine gewisse Aufregung, nachdem SPON/dpa mit der Schlagzeile „Forenbetreiber haftet für Beleidigungen der Nutzer“ aufwarten und die These aufgestellt haben, dass das Urteil vermutlich weitreichende Folgen für europäische Internetnutzer und Unternehmen haben wird (CASE OF DELFI AS v. ESTONIA, Az.: 64569/09).

Um es kurz zu machen: Davon ist nicht auszugehen. Die heutige Entscheidung der „Grand Chamber“ des EGMR bestätigt lediglich eine frühere Kammer-Entscheidung des Gerichtshofs vom 10.10.2013, über die ich bereits ausführlich gebloggt habe. Meine dortigen Überlegungen treffen auch auf die heutige Entscheidung der großen Kammer zu.

Nachdem die Entscheidung aus dem Herbst 2013 bislang keine nennenswerten Folgen nach sich gezogen hat, wird dies die heutige Entscheidung vermutlich auch nicht tun.

Das grundlegende Missverständnis besteht bereits in der Annahme, der EGMR habe entschieden, dass Forenbetreiber für Beleidigungen durch Nutzer haften würden. Nein, das hat er nicht. Vielmehr hat der Gerichtshof, unter ausdrücklicher Betonung der Umstände des Einzelfalls, entschieden, dass eine Verurteilung eines großen, kommerziellen Portalbetreibers zu einem Schadensersatz von lediglich EUR 320,- wegen Nutzerkommentaren, die schwerwiegende Rechtsverletzungen („Hate Speech“) beinhalten, noch keinen Verstoß gegen Art. 10 der Menschenrechtskonvention darstellt:

Based on the concrete assessment of the above aspects, taking into account the reasoning of the Supreme Court in the present case, in particular the extreme nature of the comments in question, the fact that the comments were posted in reaction to an article published by the applicant company on its professionally managed news portal run on a commercial basis, the insufficiency of the measures taken by the applicant company to remove without delay after publication comments amounting to hate speech and speech inciting violence and to ensure a realistic prospect of the authors of such comments being held liable, and the moderate sanction imposed on the applicant company, the Court finds that the domestic courts’ imposition of liability on the applicant company was based on relevant and sufficient grounds, having regard to the margin of appreciation afforded to the respondent State.

Der EGMR entscheidet also nicht über die Frage der Haftung, sondern nur darüber ob die Annahme einer Haftung durch ein nationales Gericht gegen die EMRK verstößt. Somit können nationale Gerichte künftig auch weiterhin eine solche Haftung auch verneinen.

Man kann das Urteil des EGMR gleichwohl für bedenklich halten, weil der EGMR eine Haftung u.U. auch dann toleriert, wenn der Portalbetreiber noch nicht einmal auf den Verstoß hingewiesen worden ist:

However, in cases such as the present one, where third-party user comments are in the form of hate speech and direct threats to the physical integrity of individuals, as understood in the Court’s case-law (see paragraph 136 above), the Court considers, as stated above (see paragraph 153), that the rights and interests of others and of society as a whole may entitle Contracting States to impose liability on Internet news portals, without contravening Article 10 of the Convention, if they fail to take measures to remove clearly unlawful comments without delay, even without notice from the alleged victim or from third parties.

(Nur) das ist grundsätzlich nach deutschem und EU-Recht anders, was das Ausgangsgericht in Estland aber verkannt hat. Andererseits sind EU-Richtlinien nicht Prüfungsmaßstab des EGMR. Das habe ich hier ausführlich erläutert.

Was die Entscheidung angeht, sollte man die Kirche also im Dorf lassen. Die Entscheidung deutscher Gerichte, die sich an der gefestigten Rechtsprechung des BGH und den Vorgaben von TMG und E-Commerce-Richtlinie orientieren, wird dieses Urteil des EGMR kaum beeinflussen.

posted by Stadler at 18:30  

15.6.15

Jugendmedienschutz: Immer noch unausgegoren und gefährlich

Nachdem eine Neufassung des Jugendmedienschutzstaatsvertrags (JMStV) vor einigen Jahren vollständig gescheitert ist, unternehmen die Länder nunmehr einen erneuten Anlauf für eine Neufassung.

Wieder im Programm ist das seit vielen Jahren kritisierte Vorhaben einer Alterskennzeichnung für Websites als Jugendschutzmaßnahme. Wer sein Angebot mit einer Alterskennzeichnung versieht, die von geeigneten Jugendschutzprogrammen nach § 11 Abs. 1 und 2 ausgelesen werden kann, soll damit seine Pflicht, jugendbeeinträchtigende Inhalte von Jugendlichen fernzuhalten, nach § 5 Abs. 3 Nr. 1 JMStV erfüllen können. Die Erkenntnis, dass das schon aus technischen Gründen keine sinnvolle Jugendschutzmaßnahme darstellt, hat sich also offenbar nach wie vor nicht durchgesetzt.

Beachtlich ist daneben auch die geplante Neuregelung in § 11 Abs. 4:

Wer gewerbsmäßig oder in großem Umfang Telemedien verbreitet oder zugänglich macht, soll auch die für Kinder oder Jugendliche unbedenklichen Angebote für ein geeignetes Jugendschutzprogramm nach § 11 Abs. 1 und 2 programmieren, soweit dies zumutbar und ohne unverhältnismäßige Kosten möglich ist.

Das betrifft grundsätzlich Zugangs- und Hostprovider. Die Vorschrift erscheint mir schon in sprachlicher Hinsicht völlig missglückt. Was mit der Formulierung, dass der Provider Angebote für ein Jugendschutzprogramm programmieren soll, gemeint ist, erschließt sich mir auch nach längerer Überlegung nicht. Die Vorschrift soll wohl in Richtung einer Filterverpflicht für Provider gehen, wobei unklar ist, ob sich die Soll-Vorschrift speziell bei großen Providern wie der Telekom, die sich diesen Aufwand leisten können, zu einer Rechtspflicht verdichtet. Damit wäre man inhaltlich dann allerdings wiederum beim Thema Netzsperren und Zugangserschwerung angekommen, Zensursula Reloaded sozusagen.

Interessant ist zudem die geplante Vorschrift des § 11 Abs. 6, die lautet:

Von Diensteanbietern, die gewerbsmäßig fremde Informationen für Nutzer speichern, kann der Nutzer verlangen, dass der Diensteanbieter ihm die Alterskennzeichnung nach § 5 Abs. 3 Nr. 1 technisch ermöglicht.

Die Vorschrift betrifft Hoster, Betreiber von sozialen Medien, Videoplattformen wie YouTube, aber auch Meinungsportale und Blogs, die Nutzerkommentare ermöglichen. Jeder, der es also zulässt, dass andere bei ihm posten, ist grundsätzlich gehalten diesen Nutzern eine Alterskennzeichnung zu ermöglichen. Das einschränkende Kriterium ergibt sich insoweit lediglich aus der Notwendigkeit der Gewerbsmäßigkeit.

Derjenige, der in dieser Vorschrift als Nutzer bezeichnet wird, dürfte übrigens der Anbieter im Sinne von § 5 Abs. 3 Nr. 1 JMStV sein. Insoweit erscheint die Regelung zumindest folgerichtig, auch wenn die Begriffe Nutzer und Anbieter nicht mehr einheitlich verwendet werden.

Zum selben Thema: Alvar Freude beim AK Zensur.

posted by Stadler at 17:29  

12.6.15

OLG München: Google haftet für rechtsverletzende Suchergebnisse auf Unterlassung

Das OLG München hat Google per einstweiliger Verfügung verpflichtet, bei Eingabe der Suchkombination Name und Betrugsverdacht einen bestimmten Suchtreffer mit einem Vorschautext, der die Begriffe „Betrugsverdacht“ und „Staatsanwaltschaft ermittelt“ enthält, nicht mehr anzuzeigen und insoweit auch nicht mehr auf die entsprechende Website per Link zu verweisen. (Beschluss vom 27.04.2015, Az.: 18 W 591/15).

Das OLG geht hierbei davon aus, dass Google für unwahre Tatsachenbehauptungen als Störer haftet und zwar sowohl wegen der Snippets, die bei Google direkt anzugezeigt werden, als auch für die über das Suchergebnis vorgenommene Verlinkung.

Nach Ansicht des Oberlandesgerichts hätte Google, nachdem es auf die Rechtsverletzung hingewiesen worden ist, tätig werden müssen und haftet aufgrund der Untätigkeit dann auch auf Unterlassung.

posted by Stadler at 12:30  

10.6.15

Die Angstgesellschaft

Wir leben in einer Angstgesellschaft. Obwohl die Menschen noch nie in der Geschichte derart sicher und in relativem Wohlstand leben konnten, wie in unserem Land und der gesamten sog. westlichen Welt, haben sie, wie selten zuvor, Angst vor allen möglichen Dingen. Vor Lebensmitteln, denen ungesunde Eigenschaften zugeschrieben werden, vor einer angeblich drohenden Islamisierung des Abendlandes, vor einer vollständigen Gleichstellung Homosexueller, irgendwie vor jedweder gesellschaftlicher Veränderung. Und natürlich auch vor Terroristen und Kriminellen im Allgemeinen.

Das klingt nicht nur paradox, sondern es ist es auch. Viele Menschen sind empfänglich für einfache Antworten, die eine vermeintliche Abschwächung der allerorts lauernden Gefahren versprechen. Wer zu denen gehört, die glutenfreie Getreideprodukte kaufen, obwohl es bei ihm keinerlei Anzeichen für Zöliakie gibt, der wird auch für die Heilsversprechen der Apologeten der inneren Sicherheit empfänglich sein.

Man kann beispielsweise gegen alle Fakten glauben, dass Geheimdienste diese Welt sicherer machen, ebenso wie man glauben kann, dass Überwachungsbefugnisse wie die Vorratsdatenspeicherung ein unverzichtbares Instrument der Verbrechensbekämpfung darstellen und damit dem Schutz des Bürgers und seiner Freiheit dienen. Aber man muss es eben glauben. Und das tun nicht nur viele Bürger sondern auch Teile der Medien, obwohl die Politik zu keiner Zeit eine tragfähige Begründung angeboten hat.

Wer sich mit den Fakten beschäftigt, der wird allerdings erkennen, dass die Geheimdienste in den letzten ca. 15 Jahren weltweit sehr viel Unheil angerichtet haben und dem kein nennenswerter Positiveffekt gegenübersteht. Mit der Vorratsdatenspeicherung verhält es sich ähnlich. Wer beispielsweise die Bundesregierung nach deren Notwendigkeit fragt, bekommt seltsam ausweichende Antworten. Das Dogma von der Notwendigkeit einer weitgehenden Überwachung u.a. des Telekommunikationsverkehrs ist von pseudo-religiöser Qualität und wird von Politikern folgerichtig auch wie ein Glaubenssatz gepredigt. Das passt auch sehr gut zu dem allgemeineren Dogma von der Alternativlosigkeit merkelscher Politik. Mir kommt an dieser Stelle immer ein Titel von Tocotronic in den Sinn: Pure Vernunft darf niemals siegen, wir brauchen dringend neue Lügen.

Und zwischen den politischen Lügen, die den Bürger in die Irre führen sollen und den Angstzuständen dieser Gesellschaft besteht ein untrennbarer Zusammenhang. Am Rande des Irrtums liegt der Zustand der Angst, schreibt Carolin Emcke unter Berufung auf Anne Carson in einem Beitrag zur Gleichstellungsdebatte. Denn Angst, so Emcke, verengt den Blick und untergräbt die Vernunft. Diese Schlussfolgerung passt auf fast alle illiberalen Phänomene die unsere heutigen, an sich liberalen Gesellschaften zum Vorschein bringen.

Mit dem Trend zur Angstgesellschaft geht auch ein zunehmendes Verständnis vieler Bürger für staatliche Überwachungsmaßnahmen einher. Es wird schon irgendwie sinnvoll und notwendig sein, ist das, was viele Bürger denken. Eine konkrete und fundierte Begründung braucht die Politik da nicht mehr zu liefern, zumal es nicht genügend Bürger gibt, die eine solche Begründung vehement genug einfordern. Worin besteht also die Lösung? Es gilt die Angst zu überwinden und den Ausgang aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit zu suchen. Und dieser Ausgang heißt, wie wie wir von Kant wissen, immer noch Aufklärung.

Derzeit ist die Aufklärung und damit die Mündigkeit auf dem Rückzug, während in gleichem Maße die Überwachungsgesellschaft auf dem Vormarsch ist. Wir sind bislang erst eine überwachte Gesellschaft, werden aber aktiv verhindern müssen, dass sich daraus ein Überwachungsstaat entwickelt. Sowohl in der Gesellschaft, wie auch in der Politik sind es aktuell nur Minderheiten, die diese Entwicklung, häufig auch mit Hilfe der Gerichte, bremsen.

posted by Stadler at 09:03  

5.6.15

LG München I: Adblocker sind nicht wettbewerbswidrig

Das Landgericht München I hat in einer ausführlich begründeten Entscheidung dargelegt, warum der Internetwerbeblocker AdBlock Plus nicht gegen das Wettbewerbsrecht verstößt (Urteil vom 27.05.2015, Az.: 37 O 11843/14). Die Entscheidung liegt mittlerweile auch im Volltext vor.

Das Landgericht verneint bereits das Vorliegen eines Wettbewerbsverhältnisses.  Die Entscheidung des Landgerichts München I mag man als sinnvolle Begrenzung des Anwendungsbereichs des UWG betrachten, mit der ständigen Rechtsprechung des BGH, die das Vorliegen eines Wettbewerbsverhältnisses mit immer neuen Begründungsansätzen recht großzügig bejaht, steht sie allerdings schwerlich in Einklang.

Der BGH hat bereits vor längerer Zeit ein Wettbewerbsverhältnis zwischen dem Anbieter eines Werbeblockers für Fernsehwerbung und den Fernsehsendern bejaht. In dieser Entscheidung wird zur Begründung des Wettbewerbsverhältnisses u.a. ausgeführt:

Die Beklagte wendet sich mit ihrem Angebot aber ebenso wie die Klägerin – wenn auch mit umgekehrter Zielrichtung – an Fernsehkonsumenten. Während die Klägerin möglichst viele Zuschauer zu erreichen versucht, die sich ihr Programm und insbesondere die darin enthaltene Werbung anschauen, wendet sich die Beklagte an Fernsehzuschauer, die während der Unterbrechung laufender Sendebeiträge durch Werbeinseln statt der Werbung lieber Sendebeiträge eines zu dieser Zeit werbefreien Senders sehen möchten. Eine geringere Anzahl von Werbezuschauern mindert aus der Sicht der Werbekunden die Attraktivität der von der Klägerin angebotenen Werbesendeplätze und kann daher deren Absatz behindern.

Warum dieser Ansatz nicht auch vorliegend maßgeblich sein sollte, entkräftet das LG München I nicht überzeugend. Sowohl der Betreiber einer Website die Werbung enthält als auch der Anbieter eines Werbeblockers wenden sich an (dieselben) Internetnutzer. Die umgekehrte Zielrichtung ist nach Ansicht des BGH gerade unerheblich.

Das Landgericht verneint zudem aber auch den Verstoß gegen § 4 Nr. 10 UWG, was ich ebenfalls für diskutabel halte. Meine abweichende Ansicht habe ich in einem früheren Beitrag bereits erläutert.

Es bleibt also abzuwarten, ob die Entscheidung beim OLG München Bestand haben wird.

Interessant an der Entscheidung ist auch der Hinweis des Landgerichts, dass es das Konzept von Adblock Plus unter kartellrechtlichen Gesichtspunkten für bedeutsam hält, nicht aber unter wettbewerbsrechtlichen.

 

posted by Stadler at 22:13  

22.5.15

BND endlich unter Druck

Dass die parlamentarische Kontrolle der Geheimdienste nicht (ansatzweise) funktioniert, habe ich mehrfach geäußert und warum das so ist, habe ich hier erklärt.

Das hat mir Kritik auch von Parlamentariern eingebracht, weil diese Haltung den Parlamentarismus nur noch weiter schwächen würde und man außerdem am NSA-Untersuchungsausschuss doch sehen könne, dass die Kontrolle funktioniert. Denn schließlich habe der Ausschuss in letzter Zeit einige Missstände zu Tage gefördert, die sonst verborgen geblieben wären.

Fürwahr, die Zeugenaussagen im Untersuchungsausschuss haben gerade in den letzten Tagen wieder gezeigt, wie erschreckend die Arbeit des BND in rechtsstaatlicher Hinsicht ist, sobald man nur einige Details der Geheimdienstarbeit erfährt. Allein die aktuelle Meldung, beim BND seien jetzt weitere Selektorenlisten der NSA gefunden worden – die findet man offenbar plötzlich und zufällig beim BND einfach so – offenbart das ganze Ausmaß des Irrsinns. Was es mit diesen vieldiskutierten Selektoren auf sich hat, haben Kai Biermann und Patrick Beuth bei ZEIT-Online erläutert.

Gerade weil es eines Untersuchungsausschusses bedurfte, um zumindest die Spitze des Eisbergs sichtbar zu machen, funktioniert die parlamentarische Kontrolle der Dienste nicht. Hinzu kommt, dass es diesen Untersuchungsausschuss ohne Snowden gar nicht geben würde. Ein Untersuchungsausschuss ist aber auch nicht Bestandteil der regulären parlamentarischen Geheimdienstkontrolle. Wie die Kontrolle der Dienste eigentlich und standardmäßig funktionieren sollte, wird auf der Website des Bundestages sehr schön und prägnant zusammengefasst:

Das Parlamentarische Kontrollgremium (PKGr) ist für die Kontrolle der Nachrichtendienste des Bundes zuständig und überwacht den Bundesnachrichtendienst (BND), den Militärischen Abschirmdienst (MAD) und das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV). Die Bundesregierung ist nach dem Kontrollgremiumgesetz dazu verpflichtet, das PKGr umfassend über die allgemeinen Tätigkeiten der Nachrichtendienste und über Vorgänge von besonderer Bedeutung zu unterrichten. Das PKGr kann von ihr außerdem Berichte über weitere Vorgänge verlangen.

Wenn wir an dieser Stelle den Reality-Check machen, müssen wir allerdings feststellen, dass die Bundesregierung das Parlament gerade nicht über wesentliche Vorgänge informiert und das PKGr auch nicht von seinen gesetzlichen Möglichkeiten Gebrauch macht, sich effektiv zu informieren und diese Informationen an- und einzufordern.

Es ist bestimmt nicht fair, wackere Abgeordnete wie Konstantin von Notz oder Hans-Christian Ströbele zu kritisieren – und auf sie zielt meine Kritik auch nicht ab – ohne deren Arbeit wir noch weniger über die eklatanten Missstände bei den Diensten wüssten. Und es ist auch der Hartnäckigkeit einiger Abgeordneter zu verdanken, dass der BND jetzt endlich unter Druck gerät.

Dennoch wird die Kontrolle der Dienste auch künftig nicht funktionieren, wenn man an den Strukturen nichts ändert. Möglicherweise bräuchten die Dienste sogar eine unmittelbare Inhouse-Kontrolle durch einen Abgesandten des Parlaments, der auch das Recht haben müsste, die gesamte Kommunikation zwischen dem Dienst und der vorgesetzten Dienst- und Fachaufsicht, also im konkreten Fall mit dem Kanzleramt, einzusehen. Die Exekutive bedarf immer einer effektiven und lückenlosen Kontrolle. Und dort wo diese Kontrolle wie im Fall des BND nicht gewährleistet ist, entwickeln sich Paralleluniversen, die es in einem Rechtsstaat nicht geben kann und darf. Es muss deshalb ein System einer engmaschigen und möglichst lückenlosen Kontrolle des BND geschaffen werden und zwar unmittelbar durch das Parlament.

posted by Stadler at 18:21  

20.5.15

Should I Stay Or Should I Go?

Zumindest die Juristen unter meinen Lesern kennen vermutlich (fast) alle Jurablogs, einen Aggregator für deutschsprachige juristische Blogs.

Während große deutsche Verlage bekanntlich glauben, Aggregatoren müssten dafür bezahlen, dass sie Verlagsinhalte referenzieren, geht der Betreiber von Jurablogs nunmehr den umgekehrten Weg, um sein Projekt zu finanzieren. Die Blogger/Autoren sollen dafür zahlen, dass sie weiterhin bei Jurablogs gelistet werden.

Derzeit bin ich noch etwas unschlüssig, ob ich das Bezahlmodell in Anspruch nehmen soll oder nicht. Der Traffic der über Jurablogs hierher kommt, ist überschaubar. Deshalb möchte ich Sie/Euch mal fragen, wer (regelmäßig) über Jurablogs auf mein Blog kommt?

posted by Stadler at 14:50  

19.5.15

Weichert begrüßt Gesetzesentwurf zur Vorratsdatenspeicherung

Während er gegenüber Facebook & Co. gerne den Datenschutztaliban gibt, zeigt sich Thilo Weichert, Datenschutzbeauftragter des Landes Schleswig-Holstein, gegenüber den Plänen zur Wiedereinführung einer staatlichen Vorratsdatenspeicherung äußerst milde. Sein Unabhängiges Landeszentrum für Datenschutz Schleswig-Holstein (ULD) begrüßt den Gesetzesentwurf des BMJ grundsätzlich, trotz Kritik in einigen Detailfragen.

Seine Haltung begründet Weichert mit dem folgendem, bemerkenswerten Argument:

Während heute TK-Provider teilweise Verkehrsdaten sofort oder – aus Gründen der IT-Sicherheit – nach einer kurzen Frist von 7 Tagen löschen, gibt es Anbieter, die Verkehrsdaten monatelang oder gar unbefristet aufbewahren, und Sicherheitsbehörden, die hierauf für ihre Zwecke zugreifen. Nur mit einer gesetzlichen Regelung kann Rechtssicherheit für alle Beteiligten – Behörden, Provider und Betroffene – erreicht und so der Weg zu einem effektiven Rechtsschutz eröffnet werden.

Das deutet für mich allerdings daraufhin, dass man beim ULD das Grundkonzept des aktuellen Gesetzesentwurfs noch nicht durchdrungen hat. Denn die nunmehr einzuführende Vorratsdatenspeicherung in §§ 113a ff. TKG (n.F.) ändert an der Möglichkeit der Provider, Verkehrsdaten zu eigenen Zwecken, insbesondere zu Abrechnungszwecken oder aus Gründen der IT-Sicherheit zu speichern, nicht das Geringste. Beide Regelungsmaterien sind im Gesetz strikt getrennt, das Gesetz ordnet im Ergebnis auch die Schaffung zweier vollständig getrennter Datenpools an.

Die uneinheitliche Speicherpraxis der Provider zu eigenen Zwecken wird durch die Neuregelung also nicht angetastet. Die gesetzlichen Regelungen, die dies derzeit ermöglichen, insbesondere §§ 96, 97, 100 TKG bleiben unverändert. Die Provider müssen vielmehr, neben der anlassbezogenen Speicherung von Daten für eigene Geschäftszwecke, jetzt anlasslos und zusätzlich für den Staat Verkehrsdaten auf Vorrat speichern. Aus datenschutzrechtlicher Sicht wird die Neuregelung den Providern also auferlegen, in erheblichem Maße zusätzlich personenbezogene Daten zu speichern und hierfür einen neuen, getrennten Datenpool zu schaffen.

Die anderslautenden Ausführungen des ULD in der Pressemitteilung vom 19.05.2015 sind sachlich unzutreffend.

posted by Stadler at 17:23  
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