Internet-Law

Onlinerecht und Bürgerrechte 2.0

18.10.12

Ist die Twitter-Sperrung Zensur?

Twitter hat auf Aufforderung der Polizei in Hannover eine Sperrung des Accounts der rechtsradikalen Gruppierung „Besseres Hannover“ veranlasst, wobei die Besonderheit darin besteht, dass es sich streng genommen nicht um eine Sperrung handelt. Die Tweets bleiben abrufbar und werden nur für Benutzer mit der Ländereinstellung Deutschland ausgeblendet.

Die Vereinigung war zuvor vom Landesinnenministerium verboten worden. Dabei handelt es sich um einen sog. Verwaltungsakt, der solange rechtswirksam bleibt, solange er nicht von einem Gericht aufgehoben oder außer Vollzug gesetzt worden ist. Die Verbotsverfügung beinhaltete auch die Schließung sämtlicher Accounts in sozialen Netzwerken. Für die zuständige Polizeibehörde bedeutet dies, dass sie rechtlich verpflichtet war, diesen Verwaltungsakt zu vollziehen.

Dieses Vorwissen sollte man haben, bevor man Zensur ruft. Das Verbot erfolgte auf gesetzlicher Grundlage und ist vollständig gerichtlich überprüfbar.

Natürlich kommen an dieser Stelle die Besonderheiten des weltweiten Netzes hinzu, die die technische Sinnhaftigkeit einer Maßnahme, die grundsätzlich auf das Bundesgebiet beschränkt ist, in Frage stellt. Die Maßnahme von Twitter ist gerade keine Sperrung und leicht zu umgehen.

Mit der Diskussion um Sperrungsverfügungen hat der Fall dennoch nicht viel gemein. Twitter ist kein Zugangsprovider und es sind hier auch keine Chilling Effects wie bei den Netzsperren zu befürchten.

Man kann also sicherlich über den Sinn der Maßnahme diskutieren, aber um Zensur handelt es sich nicht.

Lesenswert zum Thema ist der Beitrag von Jens Ferner.

posted by Stadler at 18:44  

1.10.12

Rot-grüne Informationsfreiheit in NRW

Die Informationsfreiheitsgesetze sind eine notwendige und sinnvolle Sache, um dem Bürger und den Medien Zugang zu behördlichen Informationen und Unterlagen zu ermöglichen.

Das nordrhein-westfälische Informationsfreiheitsgesetz definiert den Gesetzeszweck folgendermaßen:

Zweck dieses Gesetzes ist es, den freien Zugang zu den bei den öffentlichen Stellen vorhandenen Informationen zu gewährleisten und die grundlegenden Voraussetzungen festzulegen, unter denen derartige Informationen zugänglich gemacht werden sollen.

Dieser Informationszugang lässt sich allerdings sehr einfach wieder erschweren, wie ein aktueller Bericht der Ruhrbarone zeigt. Der Hebel dafür sind die Gebühren, die für den Informationszugang erhoben werden können. Das grün geführte NRW-Umweltministerium hatte einem Volontär der WAZ-Mediengruppe, für zwei Akteneinsichten beim Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz Nordrhein-Westfalen (LANUV) zwei Rechnungen über je 1000 Euro geschickt. Das sind die Höchstgebühren (!) nach der Verwaltungsgebührenordnung zum Informationsfreiheitsgesetz in Nordrhein-Westfalen.

Die zweimalige Erhebung der Höchstgebühren legt in der Tat die Vermtung nahe, dass es auch darum geht, abschreckende Effekte zu erzeugen, um Bürger und Journalisten von derartigen Auskunftsersuchen abzuhalten.

Weil die Gebührenschraube aber nicht das Vehikel dafür sein darf, den Sinn und Zweck der Informationsfreiheitsgesetze zu unterlaufen, sollte der Gesetzgeber dringend darüber nachdenken, diese Gebühren gänzlich zu streichen. Denn nur dadurch wird wirkliche Informationsfreiheit gewährleistet.

posted by Stadler at 15:57  

23.9.12

Beschlüsse des Juristentages sind in der Tendenz bürgerrechts- und internetfeindlich

Der letzte Woche zu Ende gegangene 69. Deutsche Juristentag hat eine ganze Reihe fragwürdiger und diskussionsbedürftiger Beschlüsse gefasst, die auf eine stärkere Regulierung und Überwachung des Internets abzielen. Diese Beschlüsse werden von den Fachabteilungen des DJT gefasst, die mir angesichts dessen, was inhaltlich abgestimmt wurde, doch deutlich von einer konservativen und nicht gerade liberalen Grundhaltung dominiert zu sein scheinen.

Die für das Internet relevanten Beschlüsse des DJT finden sich in dem Beschlusspapier u.a. auf S. 9 – 11 (Strafrecht) und S. 23 ff. (IT- und Kommunikationsrecht).

Der DJT spricht sich für eine Vorratsdatenspeicherung, Onlinedurchsuchung (in engen Grenzen) und Quellen-TKÜ aus. Ein Recht auf anonyme Internetnutzung lehnt der DJT ab. Gefordert wird ferner, dass bei der Verarbeitung personenbezogener Daten von Minderjährigen eine Einwilligung des einsichtsfähigen Minderjährigen und seines gesetzlichen Vertreters notwendig sein soll. Das würde natürlich u.a. eine Nutzung sozialer Netze durch Minderjährige erheblich erschweren und ist relativ weit von der Lebenswirklichkeit entfernt.

Eine Auswahl derjenigen Beschlüsse, die mir für das Internet wesentlich erscheinen, habe ich nachfolgend zusammengestellt. Ob der Beschlussvorschlag angenommen oder abgelehnt wurde, ergibt sich aus dem Klammerzusatz am Ende.

Überwachungstechnologien:
Der Gebrauch der existierenden Technologie für eine flächendeckende Überwachung, Filterung und Kontrolle jeglicher elektronischer Kommunikation ist allenfalls mit äußerster Zurückhaltung anzuwenden. Sind Überwachungs- und Filterbefugnisse erst einmal gewährt, so entziehen sie sich einer effektiven Kontrolle durch Justiz und Parlament. (abgelehnt)

Quellen-Telekommunikationsüberwachung:
aa) Ein heimliches Eindringen in ein informationstechnisches System zum Zwecke einer repressiven Quellen-Telekommunikationsüberwachung sollte als Ausgleich für die technisch meist unmögliche Telekommunikationsüberwachung entsprechend den Voraussetzungen der §§ 100a, 100b StPO möglich sein. (angenommen)

bb) Die hierfür eingesetzte Software muss vorab unabhängig zertifiziert werden, z.B. durch den Datenschutzbeauftragten, um sicherzustellen, dass die technischen und rechtlichen Anforderungen eingehalten und die beim Einsatz dieser Software unvermeidlichen Gefahren beherrschbar sind. (angenommen)

cc) Es sollte eine gesetzliche Pflicht geschaffen werden, in jedem Einzelfall nachträglich den Datenschutzbeauftragten zu informieren. (abgelehnt)

Online-Durchsuchung:
aa) Ein heimliches Eindringen in ein informationstechnisches System zum Zwecke einer repressiven Online-Durchsuchung ist angesichts der Möglichkeit einer Verschlüsselung der gespeicherten Daten ein wichtiges Ermittlungsinstrument und sollte daher, wenn auch unter hohen, verfassungsrechtlich vorgegebenen Eingriffsschwellen (vgl. BVerfGE 120, 274) erlaubt werden. (angenommen)

bb) Die hierfür eingesetzte Software muss vorab unabhängig zertifiziert werden, z.B. durch den Datenschutzbeauftragten, um sicherzustellen, dass die technischen und rechtlichen Anforderungen eingehalten und die beim Einsatz dieser Software unvermeidlichen Gefahren beherrschbar sind. (angenommen)

cc) Es sollte eine gesetzliche Pflicht geschaffen werden, in jedem Einzelfall nachträglich den Datenschutzbeauftragten zu informieren. (abgelehnt)

Vorratsdatenspeicherung:
Telekommunikationsanbieter sollten generell und soweit verfassungsrechtlich zulässig nach Maßgabe der RL 2006/24/EG (EU-Vorratsdatenspeicherungsrichtlinie) verpflichtet werden, bestimmte Verkehrsdaten zu sammeln und für mindestens sechs Monate zu speichern. (angenommen)

Anonymität:
a) Im Interesse einer effektiven Durchsetzung des Rechts auf freie Meinungsäußerung im Internet besteht ein schützenswertes Recht der Internetnutzer auf Anonymität. Ansprüche Dritter wegen Rechtsverletzungen durch Internetnutzer sollen weitestmöglich hinter dem Recht auf Anonymität zurückstehen, Identifizierungspflichten von Internetdiensten sind entsprechend zu beschränken (abgelehnt)

b) Ein „Recht auf anonyme Internet-Nutzung“ ist nicht anzuerkennen. Bei aktiver Nutzung des Internets mit eigenen Beiträgen darf der Nutzer nicht anonym bleiben, sondern muss im Rahmen einer Verwendung von Pseudonymen zumindest identifizierbar sein. Nur dann lassen sich Rechtsverstöße wirksam verfolgen. Internet-Dienste sollen den Klarnamen und die Internetverbindung ihrer Nutzer registrieren. (angenommen)

Datenschutz, Persönlichkeitsrecht, Störerhaftung:
Für die wirksame (datenschutzrechtliche, Anm. des Verf.) Einwilligung Minderjähriger ist sowohl die Zustimmung der gesetzlichen Vertreter als auch die Einwilligung des einsichtsfähigen Minderjährigen erforderlich. (angenommen)

Bei behaupteten Persönlichkeitsrechtsverletzungen ist dem Betroffenen – in Anlehnung an §§ 101 UrhG, 19 MarkenG, 140b PatG – ein Auskunftsanspruch zur Benennung des Rechtsverletzers zu gewähren; Ausnahmen sind nur in verfassungsrechtlich gebotenen Fällen zuzulassen. (angenommen)

Der Störerhaftung soll ein Dienstebetreiber nur dann unterliegen, wenn er zumutbare Verhaltens-, namentlich Prüfpflichten verletzt, die nach Art des Internetdienstes unterschiedlich weitreichend sein können. Die vom BGH in der „Blogger“-Entscheidung (Urt. v. 25.10.2011 – VI ZR 93/10) aufgegriffenen Grundsätze – keine Verantwortlichkeit des Providers, wenn er nach Meldung der Rechtsverletzung durch den Rechtsinhaber die Veröffentlichung löscht – sind fortzuentwickeln. Für Äußerungen auf Kommunikationsplattformen sollte ein „Notice-and-take-down“-Verfahren eingeführt werden, in dem auf Meldung eines potentiell Verletzten zunächst der Äußernde zur Stellungnahme aufgefordert wird. Nimmt er nicht in gesetzter Frist Stellung, wird seine Äußerung entfernt; andernfalls findet die rechtliche Auseinandersetzung zwischen Äußerndem und Verletztem statt. (angenommen) (…) Bei anonymen Meinungsäußerungen erfolgt eine umgehende Entfernung der Äußerung (angenommen)

Das geltende Regelungskonzept des Datenschutzes, ein Verbot der Verwendung personenbezogener Angaben mit Erlaubnisvorbehalt, ist grundsätzlich beizubehalten, aber mit deutlich erweiterten Erlaubnistatbeständen für die Internetkommunikation. Datenschutzrechtliche Anforderungen sollten bei überwiegenden Kommunikationsinteressen zurücktreten. (angenommen)

Sowohl die europäische „Datenschutz-Grundverordnung“ als auch die entsprechende nationale Regelung sollten die Verantwortlichkeit von Suchmaschinenbetreibern und deren Umgang mit personenbezogenen Daten regeln. (angenommen)

posted by Stadler at 14:15  

5.9.12

Notice And Take Down auch für Europa?

Die EU-Kommission hat gerade ein öffentliches Konsultationsverfahren zur Etablierung eines Notice-And-Take-Down-Verfahrens – sie nennt es notice & action – durchgeführt. Hintergrund sind Überlegungen, in Art. 14 der E-Commerce-Richtlinie eine Regelung über ein formalisertes Notice-And-Take-Prozedere, offenbar nach dem Vorbild des amerikanischen DMCA, aufzunehmen.

Der Digital Millennium Copyright Act (DMCA)  sieht ein sog. Notice-And-Take-Down-Verfahren vor, das einen Hoster vollständig aus der Haftung für eine Urheberrechtsverletzung entlässt, sofern er auf einen entsprechenden Hinweis hin den beanstandeten Content umgehend vom Netz nimmt. Wozu das führt, zeigt ein aktueller Berichts von Heise-Online.

Wenn man Hoster und Portalbetreiber gesetzlich ermuntert, möglichst zügig zu löschen, sobald auch nur eine Löschaufforderung eines (vermeintlich) Verletzten vorliegt, dann muss das zwangsläufig dazu führen, dass in großem Maße gerade auch solche Inhalte gelöscht werden, die in Wirklichkeit keinerlei Rechte verletzen.

Denn der Hoster oder Portalbetreiber hat in vielen Fällen überhaupt keine Möglichkeit zu überprüfen, ob tatsächlich eine Rechtsverletzung vorliegt. Und es ist auch die Frage, ob das überhaupt seine Aufgabe sein kann.

Mit diesem Problem bin ich in meiner anwaltlichen Beratungspraxis fast jede Woche konfrontiert und zwar manchmal aus dem Blickwinkel eines Portalbetreibers und ein andermal mal aus Sicht desjenigen, der sich in seinen Rechten verletzt fühlt. Zumeist geht es hier gar nicht um Fragen des Urheberrechts, sondern um äußerungsrechtliche Auseinandersetzungen.

Der BGH hat für solche Fälle faktisch bereits eine Art Notice-And-Take-Down-Verfahren postuliert und damit möglicherweise eine Rechtsfortbildung betrieben, die ihm nicht zusteht.

Nach meiner (rechtspolitischen) Einschätzung, sollte ein Hoster oder Portalbetreiber überhaupt nur dann Content seiner Nutzer/Kunden löschen, wenn ihn ein Gericht oder eine Behörde förmlich dazu verpflichtet hat, oder wenn eine für jedermann offensichtliche Straftat vorliegt. Dass die Klärung von oftmals schwierigen Sach- oder Rechtsfragen durch ein Gericht erfolgt und nicht einem Provider oder Portalbetreiber überlassen werden kann, ist nicht zuletzt auch ein Gebot der Rechtsstaatlichkeit. Mit einem Notice-And-Take-Down-Verfahren werden ohne Beachtung des Rechtswegs nämlich rechtliche Fakten geschaffen, die in nicht wenigen Fällen auf eine nicht hinnehmbare Informationsunterdrückung hinauslaufen.

Das deutsche und europäische Recht sind von dieser Betrachtungsweise allerdings noch weit entfernt und es hat auch nicht den Anschein, als würde die Kommission in diese Richtung marschieren wollen.

posted by Stadler at 21:53  

20.6.12

Leistungsschutzrecht: Was ist von den „Fakten und Argumenten“ des BDZV zu halten?

Der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger (BDZV) versucht anhand eines Fragen-Antwort-Katalogs das geplante Leistungsschutzrecht für Presserzeugnisse zu rechtfertigen und Bedenken zu zerstreuen. Die fünf Fragen die der BDZV aufwirft, möchte hier ebenfalls stellen und beantworten.

 

Schränkt ein Leistungsschutzrecht für Verlage die Informationsfreiheit ein?

Ja. Die Begründung des vorliegenden Referentenentwurfs bezieht sich ausdrücklich auf die BGH-Entscheidung “Metall-auf-Metall” die zum Leistungsschutzrecht des Tonträgerherstellers ergangen ist. Das Leistungsschutzrecht des Tonträgerherstellers umfasst selbst “kleinste Tonfetzen”, wie der BGH in der Metall-auf-Metall-Entscheidung wörtlich ausführt. Übertragen auf ein Leistungsschutzrecht für Verlagsprodukte würde dies bedeuten, dass auch kleinste Textbestandteile, sogar einzelne Wörter, vom Schutz umfasst wären. Jedenfalls aber ganze Sätze und Überschriften von Artikeln wären danach geschützt. Die Deutsche Vereinigung für gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht (GRUR) sieht darin zu Recht die Gefahr einer Monopolisierung der Sprache.

Auch die Möglichkeit Links zu setzen, wird, entgegen der Behauptung der Verleger, beeinträchtigt. Es mag zwar richtig sein, dass der Hyperlink als solcher vom Leistungsschutzrecht nicht erfasst wird. Wenn man als Linktext aber die Überschrift des Presseartikels oder eine prägnante Textpassage wählt, dann wäre das bereits ein solcher kleiner Fetzen des Presserzeugnisses und mithin ein Verstoß gegen das Leistungsschutzrecht des Verlags.

 

Besteht überhaupt eine Gesetzeslücke?

Nein. Dass die Verlage kein eigenständiges Schutzrecht besitzen, liegt daran, dass das Urheberrecht grundsätzlich nur den Urheber schützt. Wirtschaftliche Leistungen werden in fast allen Bereichen des Wirtschaftslebens nicht durch ein spezielles Sonderrecht geschützt. Das Fehlen eines Schutzrechts ist also der Normalfall. Die Verlage sind ohnehin in der komfortablen Situation, dass sie sich von ihren Autoren urheberrechtliche Nutzungsrechte in fast beliebigem Umfang einräumen lassen können und davon auch umfassend Gebrauch machen.

Es ist sachgerecht, dass die Verlage die Rechte an Inhalten, die nicht von ihnen selbst stammen, von denjenigen (Urhebern) ableiten müssen, die diese Inhalte geschaffen haben. Die Verlage haben deshalb bislang aus gutem Grund kein eigenes, sondern nur ein abgeleitetes Recht an den Texten ihrer Autoren.

Wenn man den urheberrechtlichen Schutz von Texten über den Umweg des Leistungsschutzrechts dahingehend ausdehnen will, dass selbst kleinste Textschnipsel zugunsten der Verleger geschützt sind, würde sich zudem ein nicht hinnehmbarer Wertungswiderspruch ergeben. Die Verlage geben vor, ihre organisatorische und wirtschaftlich-finanzielle Leistung schützen lassen zu wollen. In Wirklich werden durch das geplante Leistungsschutzrecht aber wiederum nur Texte geschützt und zwar in einer Art und Weise die weit über den urheberrechtlichen Schutz hinausgeht, den der Journalist als Autor des Schriftwerks genießt. Warum aber sollte ein Text in größerem Umfang zugunsten eines Verlegers geschützt sein als zugunsten des Urhebers, der ihn verfasst hat?

Im Ergebnis bewirkt das Leistungsschutzrecht, dass der Verlag eine stärkere Position erhält, als der Urheber selbst, was keinesfalls sachgerecht ist.

 

Ist die Einführung eines Leistungsschutzrechts für Verlage erforderlich?

Um diese Frage beantworten zu können, muss man sich die Zielrichtung dieses Leistungsschutzrechts vor Augen führen. Das Leistungsschutzrecht zielt ausschließlich auf das Recht der öffentlichen Zugänglichmachung ab und damit allein auf Onlinesachverhalte. Die Verlage stellen ihre Print-Titel derzeit in mehr oder minder großem Umfang freiwillig und kostenlos ins Netz. Niemand zwingt sie dazu. Es ist also gar nicht so sehr die Urheberrechtsverletzung, die den Verlagen zu schaffen macht. Denn der massenhafte kostenlose Abruf von Artikeln, die die Verlage selbst ins Netz gestellt haben, stellt keine Urheberrechtsverletzung dar. Was die Verlage letztlich beklagen, ist der Umstand, dass sie es bislang nicht geschafft haben, funktionierende Paid-Content-Modelle für das Netz zu etablieren. Man versucht hier also ein Problem, das seine Ursache außerhalb des urheberrechtlichen Bereichs hat, durch eine Verschärfung des Urheberrechts zu lösen. Und darin liegt vermutlich der Kardinalfehler des Gesetzesvorhabens.

Der BDZV bedient sich an dieser Stelle ergänzend einer beachtlichen Argumentation. Das Leistungsschutzrecht sei nämlich u.a. deshalb erforderlich, weil der Journalist dem Verleger, jedenfalls im Bereich der Tageszeitungen, regelmäßig nur einfache Nutzungsrechte an dem Text einräumen würde. Wenn jemand nur ein einfaches Nutzungsrecht erwirbt, dann bedeutet dies aber auch, dass eine (beliebige) Nutzung durch Dritte möglich bleibt und der Verlag in diesem Fall auch eine Nutzung durch Dritte nicht unterbinden kann. Wenn man nun ein Leistungsschutzrecht schafft, das wie ein ausschließliches Nutzungsrecht wirkt und ein Verbietungsrecht gegenüber jedermann enthält, dann unterläuft man die gesetzliche Wertung des § 31 Abs. 1 UrhG und schränkt die wirtschaftliche Bewegungsfreiheit der Autoren ein. Wenn nämlich ein Verlag ein Leistungsschutzrecht besitzt, stellt sich die Frage, wie sich dieses Leistungsschutzrecht zu einem weiteren einfachen Nutzungsrecht verhält, das der Journalist eingeräumt hat. Und genau an dieser Stelle zeigt sich auch der Unterschied zum Leistungsschutzrecht des Tonträgerherstellers sehr deutlich. Der Komponist eines Musikstücks kann mehrfach das nicht ausschließliche Recht einräumen, sein Lied aufzunehmen und zu verbreiten. Im Rahmen der Musikproduktionen entstehen unterschiedliche Versionen desselben Musikstücks, die wiederum in Form der jeweiligen Aufnahme gesondert durch ein Leistungsschutzrecht erfasst werden können. Dasselbe funktioniert bei einem Text allerdings nicht. Wenn der Autor eines Artikels zwei verschiedenen Verlagen an demselben Text einfache Nutzungsrechte einräumt, dann erweist es sich als Problem, wenn anschließend beide Verlage zusätzlich qua Gesetz ein Leistungsschutzrecht erwerben sollen, das ausschließlich wirkt. Es gibt in diesem Fall nämlich anders als beim Tonträgerrrecht keine zwei unterschiedlichen Tonaufnahmen, sondern nur einen einzigen, identischen Text. Die Differenzierung, die also beim Tonträgerhersteller zumindest nachvollziehbar ist, kommt bei bloßen Texten überhaupt nicht in Betracht.

 

Ist das Leistungsschutzrecht für Verlage aus ökonomischer Sicht gerechtfertigt?

Das hängt davon ab, worauf man abstellt. Aus Sicht der Verlage mag das Leistungsschutzrecht ökonomisch sinnvoll erscheinen, gesamtwirtschaftlich betrachtet, dürfte die Antwort allerdings anders ausfallen. Hier stellt sich aber auch ganz grundlegend die Frage, inwieweit die Schaffung neuer Monopolrechte – und nichts anderes ist ein Leistungsschutzrecht – volkswirtschaftlich sinnvoll ist. Was wird die Politik außerdem wohl machen, wenn immer mehr Branchen derartige Monopolrechte für sich reklamieren, mit Verweis darauf, dass ihre wirtschaftliche Leistung ebenso schützenswert ist wie die von Verlagen?

Letztlich funktioniert das bisherige Geschäftsmodell der Verlage nicht mehr so wie noch vor 10 oder 15 Jahren, weshalb vom Gesetzgeber erwartet wird, dass qua Gesetz ein neues Geschäftsmodell geschaffen wird.  Diese Form des Protektionismus ist gänzlich illiberal. Die Politik muss sich von der Vorstellung lösen, dass man die Wünsche jeder wirtschaftlichen Gruppe, die über eine ausreichend starke Lobby verfügt, auch zu erfüllen hat.  Der Bürger wird den Parteien diese Form der Klientelpolitik immer weniger durchgehen lassen, weil er sie immer stärker durchschaut.

 

Verhindert das Leistungsschutzrecht für Verlage neue Geschäftsmodelle? 

Möglicherweise nicht, aber es nimmt den Verlagen u.U. den Druck, aus eigener Kraft ein funktionierendes Geschäftsmodell etablieren zu müssen. Es könnte allerdings auch sein, dass der Schuss komplett nach hinten losgeht und sich das Leistungsschutzrecht – sofern es überhaupt kommt – auch für die Verlage als wirtschaftlich nachteilig erweist.

posted by Stadler at 12:07  

16.6.12

USA: Haftung von Providern und Informationsmittlern befürchtet

Die Electronic Frontier Foundation (EFF) berichtet über eine Klage des Internet Archives gegen ein neues Gesetz des Staates Washington, durch das die sexuelle Ausbeutung Minderjähriger bekämpft werden soll. Das Internet Archive stört sich vor allen Dingen an folgender Formulierung des Gesetzes:

A person commits the offense of advertising commercial sexual abuse of a minor if he or she knowingly publishes, disseminates, or displays, or causes directly or indirectly, to be published, disseminated, or displayed, any advertisement for a commercial sex act, which is to take place in the state of Washington and that includes the depiction of a minor.

Die Unschärfe der Gesetzesformulierung lässt eine weitreichende Haftung von jedermann möglich erscheinen, der direkt oder indirekt die Veröffentlichung oder die Anzeige von Content verursacht, der sexuellen Kontakt mit Minderjährigen bewirbt. Das Internet Archive befürchtet deshalb, dass gerade Informationsmittler wie Internet-Service-Provider, Internet-Cafes oder Bibliotheken von dem Gesetz betroffen sein werden. Das Internet Archive stützt seine Klage auf amerikanisches Bundesrecht, insbesondere auf die Meinungs- und Informationsfreiheit.

Der Versuch, Informationsmittler und technische Dienstleister für fremde Inhalte verantwortlich zu machen, ist also keineswegs ein deutsches oder europäisches Phänomen.

posted by Stadler at 15:22  

27.5.12

Die Informationszugangsfreiheit ist auch als Grundrecht notwendig und sinnvoll

Vor einigen Tagen habe ich über einen Gesetzvorschlag der Grünen zur Einführung eines neuen Grundrechts auf Informationszugangsfreiheit berichtet. Die Kritik fast aller im Parlament vertretenen Parteien ließ nicht lange auf sich warten. Union, SPD und FDP lehnen das Vorhaben ab.

Wer allerdings wie der CDU-Abgeordnete Sensburg von Informationsfreiheit spricht und davon, dass die Verfassung durch ein solches Grundrecht zu einem „Verwaltungsverfahrensgesetz“ degradiert würde, hat zumindest in rechtsdogmatischer Hinsicht keine stichhaltigen Einwände formuliert.

Denn die Informationsfreiheit garantiert Art. 5 Abs. 1 GG bereits. Sie umfasst das Recht sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Dieses Grundrecht soll nach der Vorstellung der Grünen nunmehr um ein Recht erweitert werden, sich auch aus behördlichen Quellen, die zunächst gerade nicht allgemein zugänglich sind, unterrichten zu dürfen.

Das ist eine in rechtsdogmatischer Hinsicht naheliegende und konsequente Erweiterung des Grundrechtsschutzes. Mit Verwaltungsverfahrensrecht hat das wenig zu tun, denn die verfahrensmäßige Ausgestaltung des Grundrechts würde (weiterhin) einem Bundesgesetz vorbehalten bleiben. In dogmatischer Hinsicht handelt es sich bei dem Vorschlag der Grünen um eine plausible und nachvollziehbare Konstruktion, weshalb auch der von der SPD stammende Einwand, der Gesetzesvorschlag sei nicht gut gemacht, eher dem Bereich der politischen Stimmungsmache zuzuordnen ist. Der einzige konstruktive Einwand der erhoben werden könnte, ist die Stellung dieses neuen Grundrechts nach Art. 5 Abs. 2 als neuer Art. 5 Abs. 2a GG. Es würde m.E. näher liegen, die Informationszugangsfreiheit als Erweiterung der Informationsfreiheit anzusehen und demzufolge in Art. 5 Abs. 1 GG anzusiedeln. Damit würden für die Informationszugangsfreiheit auch dieselben Schranken gelten wie für die Meinungs- und die Informationsfreiheit.

Wenn man sich die Bedenken von Union und SPD betrachtet, hat man nach wie vor den Eindruck, es ginge darum, den Staat vor dem Bürger schützen. Die Wirkungsweise der Grundrechte als Schutzrechte des Bürgers gegenüber dem Staat ist allerdings exakt gegenläufig.

Für eine moderne Verwaltung sollte Transparenz eine Selbstverständlichkeit darstellen. Stattdessen pflegt man in Deutschland weiterhin ein Verwaltungsverständnis, das den Bürger als Bittsteller und nicht als Grundrechtsträger begreift und möchte sich am liebsten auch weiterhin nicht in die Karten schauen lassen. Aber die Exekutive bedarf der Kontrolle und zwar nicht nur durch die Gerichte, sondern auch unmittelbar durch das Volk.

Wer gegen ein Grundrecht auf Informationszugang ins Feld führt, dass der Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen ebenfalls Verfassungsrang genieße und Vorrang vor einem Auskunftsinteresse eines Bürgers haben könne, offenbart ein merkwürdiges Verfassungsverständnis. Diejenigen Unternehmen, die öffentliche Aufträge erhalten, müssen auch mit einer Kontrolle durch die Öffentlichkeit rechnen. Man sollte ihnen erst gar nicht die Möglichkeit einräumen, sich hinter dem Schutz von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen zu verschanzen, sondern vielmehr bereits die Auftragsvergabe davon abhängig machen, dass vordefinierte Transparenzanforderungen erfüllt werden.

Der auf den Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen zielende Einwand ist aber ganz prinzipiell untauglich, denn selbst schrankenlos gewährte Grundrechte unterliegen einerseits verfassungsimmanenten Einschränkungen und andererseits wird in der konkreten Ausgestaltung durch das Merkmal des überwiegenden Allgemeininteresses ohnehin eine Interessenabwägung gefordert. Auch ein Grundrecht auf Informationszugang hätte damit keinen absoluten Vorrang vor anderen Rechtspositionen. Wer mit der Grundrechtsdogmatik vertraut ist, weiß dies aber ohnehin.

Der Grundansatz der Grünen, die Informationszugangsfreiheit gleichwertig neben die Grundrechte der Meinungsfreiheit, der Pressefreiheit und der Informationsfreiheit zu stellen, ist richtig und ausdrücklich zu begrüßen. Die hiergegen von Union, SPD und FDP erhobenen Einwände sind nicht überzeugend und offenbaren einmal mehr ein fragwürdiges Grundrechtsverständnis. Es ist die Angst vor der Freiheit und den Grundrechten, die die Politik von Union und SPD prägt. Das wird an diesem Beispiel wieder einmal deutlich.

posted by Stadler at 12:57  

12.5.12

Radikale Positionen in der Urheberrechtsdebatte?

Nachdem mein gestriger Blogbeitrag zur Urheberrechtsdebatte mehr als 170 Kommentare nach sich gezogen hatte, gibt es hierzu von mir noch einen Nachschlag, zumal die rege und z.T. heftige Diskussion noch einiger ergänzender Bemerkungen bedarf.

Auch ich habe mir die Frage gestellt, welches Ziel die mittlerweile angeblich 1500 z.T. sehr prominenten Autoren und Künstler mit ihrem Aufruf „Wir sind die Urheber“ tatsächlich verfolgen. Die Erhaltung des status quo kann es eigentlich nicht sein, denn mit dem sind sie ja gerade unzufrieden. Also muss es wohl darum gehen, auf den Gesetzgeber Druck auszuüben, um neue Mechanismen der Rechtsdurchsetzung zu etablieren, von denen man sich einen besseren Schutz der Werke im Internet erhofft. Und das würde dann zwangsläufig auf Instrumente wie Netzsperren oder Two- bzw. Three-Strikes hinauslaufen. Und spätestens dann stellt sich natürlich die Frage nach der Meinungs- und Informationsfreiheit. Insoweit hatte die FAZ dem Kollegen Vetter noch eine radikale Position unterstellt, weil er die Debatte „jetzt bereits mit der Meinungsfreiheit verbindet“. Die Frage muss allerdings erlaubt sein, welche Schlussfolgerung bzgl. der Intention der Urheber man sonst ziehen soll, wenn nicht diese.

An der Stelle muss man einen Schritt zurückgehen, um die Aufregung verstehen zu können, von der die Debatte geprägt ist. Entgegen eines weit verbreiteten Missverständnisses geht es weiten Teilen der Netzgemeinde nicht um die Verteidigung des urheberrechtswidrigen Filesharings, sondern darum, die Einführung von Maßnahmen wie Netzsperren oder eines Three-Strikes-Out-Modells zu verhindern, weil damit eine generelle Beeinträchtigung der Netzkommunikation einher gehen würde. Derartige Maßnahmen sind gerade von der Musikindustrie in den letzten Jahren bei jeder Gelegenheit gefordert worden, weshalb die Befürchtung eine reale Grundlage hat. Und vor diesem Hintergrund stellt sich natürlich die Frage nach der Meinungs- und Informationsfreiheit.

Ergänzend hier noch ein paar Anmerkungen zu den Thesen des Kollegen Nebgen, der sich gleich in zwei Blogbeiträgen an meinem gestrigen Text abarbeitet:

Zum Begriff des geistigen Eigentums hatte ich nur, ebenfalls unter Verweis auf einen älteren Beitrag, angemerkt, dass mich die Analogie zum Sacheigentum nicht überzeugt und ich darin, also in der Gleichsetzung mit dem Sacheigentum, eine juristische Fiktion sehe. Das hat wenig mit einem Taschenspielertrick zu tun, sondern mehr mit einem rechtsdogmatischen Ansatz, der die Vergleichbarkeit von Sacheigentum und geistigem Eigentum in Frage stellt. Weil der Kollege Nebgen selbst anmerkt, dass ein Flachbildschirm und ein Musikstück vielleicht nicht ganz dasselbe sind, kann man diese Analogie m.E. zu Recht in Frage stellen, muss sie aber in juristischer Hinsicht jedenfalls als eine sog. Fiktion betrachten.

Wie oben bereits erläutert, geht es mir auch überhaupt nicht um die Forderung, dass Werke der Musik oder des Films im Netz kostenlos sein müssten. Nur hat es keinen Sinn, die Augen vor der Realität zu verschließen. Die Urheberrechte können im Netz nicht mehr besser als jetzt geschützt werden, es sei denn man setzt Instrumentarien wie Netzsperren oder ein Three-Strikes-Modell ein. Speziell hiergegen richtet sich der Unmut im Netz, weil derartige Maßnahmen die Informationsfreiheit beeinträchtigen würden.

Vor diesem Hintergrund muss man darüber diskutieren, welche urheberrechtlichen Regelungen geeignet sind, dauerhaft auf breite Akzeptanz zu stoßen. Denn ein Rechtsregime, das niemand mehr versteht und niemand mehr akzeptiert – und genau dieser Trend zeichnet sich ab – wird sich nicht halten können. Der Aufruf „Wir sind die Urheber“ ist daher auch von einer erheblichen Realitätsferne geprägt.

posted by Stadler at 00:08  

8.5.12

Prüfpflichten von Bewertungsportalen

Das Landgericht Nürnberg-Fürth hat den Betreiber eines Bewertungsportals dazu verurteilt (Urteil vom 08.05.2012, Az. 11 O 2608/12), eine negative Bewertung eines Zahnarztes zu unterlassen.

Laut der Pressemitteilung des Landgerichts sei der Internetprovider (Portalbetreiber) auf die konkrete Beanstandung des betroffenen Zahnarztes hin verpflichtet, den Sachverhalt sorgfältiger zu prüfen. Insbesondere müsse er sich von seinem Kunden einen Nachweis dafür vorlegen lassen, dass die zahnärtztliche Behandlung tatsächlich stattgefunden hat.

Meines Erachtens überdehnt das Landgericht damit die Grundsätze der Haftung des lediglich mittelbaren Störers deutlich. Der BGH hat mehrfach entschieden, dass eine Pflicht zum Einschreiten nur dann besteht, wenn der Rechtsverstoß auf der Grundlage der Behauptungen des Betroffenen unschwer – das heißt ohne eingehende rechtliche und tatsächliche Überprüfung – bejaht werden kann. Der BGH ist zwar der Ansicht, dass der Portalbetreiber die Beschwerde an den Autor der Bewertung weiterleiten und sich ggf. um eine Stellungnahme bemühen muss. Das hat der Portalbetreiber im vorliegenden Fall allerdings auch getan.

Wenn der Autor daraufhin bei seiner Aussage bleibt, ist es für den Portalbetreiber schwierig, eine weitere Sachverhaltsaufklärung zu betreiben. Wenn man an dieser Stelle vom Portalbetreiber verlangt, er müsse sich von dem Äußernden einen Nachweis vorlegen lassen, so würde dies eine erhebliche Erschwerung der Tätigkeit von Meinungs- und Bewertungsplattformen mit sich bringen. Denn einen solchen Nachweis wird der Autor des Beitrags regelmäßig nicht beibringen und vielfach auch nicht beibringen können, mit der Folge, dass ein Großteil derartiger Beiträge zur Vermeidung einer Haftung zu löschen wären.

Dieses Ergebnis würde allerdings der Bedeutung von Meinungs- und Bewertungsportalen für die Meinungsfreiheit und gerade auch für die Informationsfreiheit nicht gerecht. Der BGH hat insoweit bereits Anforderungen gestellt, die man im Lichte der Meinungsfreiheit als grenzwertig erachten muss. Diese Anforderungen weitet die instanzgerichtliche Rechtsprechung nunmehr – wie so häufig – aber noch weiter aus. Angesichts der zentralen Bedeutung dieser Frage wäre auch eine Entscheidung des BVerfG durchaus wünschenswert, zumal bereits die vom BGH postulierten Anforderungen vor dem Hintergrund der Meinungs- und Informationsfreiheit als kritisch betrachtet werden müssen.

posted by Stadler at 15:06  

16.2.12

EuGH: Keine allgemeine Filterpflicht sozialer Netzwerke

Mit Urteil vom 16.02.2012 (Az.: C?360/10) hat der EuGH entschieden, dass den Betreiber eines sozialen Netzwerkes keine allgemeine Filterpflicht trifft, um die urheberrechtswidrige Nutzung musikalischer und audiovisueller Werke zu verhindern.

Der EuGH führt zunächst aus, dass er den Betreiber eines sozialen Netzwerkes als Hosting-Provider betrachtet, soweit er für die Nutzer seines Dienstes Inhalte speichert. Sodann bezieht sich der EuGH auf Art. 15 Abs. 1 der E-Commerce-Richtlinie und betont, dass es danach nationalen Stellen untersagt ist, Maßnahmen zu erlassen, die einen Hosting-Anbieter verpflichten würden, von ihm gespeicherte Informationen generell zu überwachen.

Die Anordnung ein Filtersystem einzurichten, würde nach Einschätzung des Gerichtshofs eine präventive Überwachung  und eine aktive Beobachtung der von den Nutzern beim Hosting-Anbieter gespeicherten Dateien erfordern. Eine solche Anordnung würde den Hosting-Anbieter zu einer allgemeinen Überwachung verpflichten, die nach Art. 15 Abs. 1 der E-Commerce-Richtlinie gerade verboten ist.

Sehr instruktiv sind folgende Ausführungen des EuGH zur Abwägung der Interessen der Rechteinhaber und der Hosting-Anbieter, sowie insbesondere zu den Grundrechten der Nutzer auf Informationsfreiheit und den Schutz ihrer personenbezogenen Daten:

Unter diesen Umständen ist festzustellen, dass die Anordnung, das streitige Filtersystem einzurichten, als Missachtung des Erfordernisses der Gewährleistung eines angemessenen Gleichgewichts zwischen dem Schutz des Rechts am geistigen Eigentum, das Inhaber von Urheberrechten genießen, und dem Schutz der unternehmerischen Freiheit, der Wirtschaftsteilnehmern wie den Hosting-Anbietern zukommt, einzustufen ist (vgl. entsprechend Urteil Scarlet Extended, Randnr. 49).

Darüber hinaus würden sich die Wirkungen dieser Anordnung nicht auf den Hosting-Anbieter beschränken, weil das streitige Filtersystem auch Grundrechte der Nutzer der Dienste dieses Anbieters beeinträchtigen kann, und zwar ihre durch die Art. 8 und 11 der Charta geschützten Rechte auf den Schutz personenbezogener Daten und auf freien Empfang oder freie Sendung von Informationen.

Die Anordnung, das streitige Filtersystem einzurichten, würde nämlich zum einen die Ermittlung, systematische Prüfung und Verarbeitung der Informationen in Bezug auf die auf dem sozialen Netzwerk von dessen Nutzern geschaffenen Profile bedeuten, wobei es sich bei den Informationen in Bezug auf diese Profile um geschützte personenbezogene Daten handelt, da sie grundsätzlich die Identifizierung der genannten Nutzer ermöglichen (vgl. entsprechend Urteil Scarlet Extended, Randnr. 51).

Zum anderen könnte die fragliche Anordnung die Informationsfreiheit beeinträchtigen, weil die Gefahr bestünde, dass das System nicht hinreichend zwischen einem unzulässigen und einem zulässigen Inhalt unterscheiden kann, so dass sein Einsatz zur Sperrung von Kommunikationen mit zulässigem Inhalt führen könnte. Denn es ist unbestritten, dass die Antwort auf die Frage der Zulässigkeit einer Übertragung auch von der Anwendung gesetzlicher Ausnahmen vom Urheberrecht abhängt, die von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat variieren. Ferner können bestimmte Werke in bestimmten Mitgliedstaaten gemeinfrei sein, oder sie können von den fraglichen Urhebern kostenlos ins Internet gestellt worden sein (vgl. entsprechend Urteil Scarlet Extended, Randnr. 52).

Eine Entscheidung, die zusammen mit dem vorangegangenen Urteil „Scarlet Extended, das sich mit der Frage von Filterpflichten von Zugangsprovidern beschäftigte, als wegweisend betrachtet werden muss. Die Rechtsprechung des EuGH nimmt ersichtlich auch mit Blick auf die Grundrechte mehr und mehr Konturen an.

Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs stellt m.E. auch die Entscheidungen des BGH „Internet Versteigerung I„,  „Internet Versteigerung II“ und „Internet-Versteigerung III“ in Frage. Der BGH hatte dort ausgeführt, dass der Betreiber einer Handelsplattform (eBay) verpflichtet ist, Vorsorge zu treffen, dass es nicht zu weiteren Markenverletzungen kommt, sobald er einmal auf einen solchen Rechtsverstoß hingewiesen wurde. Insoweit hat der BGH auch ausdrücklich vom Einsatz einer Filtersoftware und von einem vorgeschalteten Filterverfahren gesprochen und eine entsprechende Vorabkontrolle zumindest in gewissem Umfang für zumutbar erachtet.

posted by Stadler at 12:09  
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