Internet-Law

Onlinerecht und Bürgerrechte 2.0

21.9.12

Konzertierte Aktion von Datenschutzbehörden gegen Facebook angekündigt

Laut einer Pressemitteilung des Unabhängigen Landeszentrum für Datenschutz Schleswig-Holstein (ULD) haben sich die deutschen Datenschutzaufsichtsbehörden im „Düsseldorfer Kreis“ darauf verständigt, dass die Behörden in den Ländern Bremen, Hamburg, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein stärker gegen Datenschutzverstöße von Facebook vorgehen. Beanstandet wird u.a. die Gesichtserkennung, die Facebook inzwischen standardmäßig durchführt.

Das ULD kündigt „direkte rechtliche Maßnahmen gegenüber der US-Zentrale“ von Facebook an.

Aktuell melden verschiedene Medien, dass Facebook die Gesichtserkennung in Europa stoppen wolle. Ob sich die deutschen Datenschützer damit schon zufrieden geben, wird sich zeigen.

posted by Stadler at 18:08  

20.9.12

BGH legt urheberrechtlichen Streit um elektronische Leseplätze in Bibliotheken an EuGH vor

Der Bundesgerichtshof hat dem EuGH mit Beschluss vom 20. September 2012 (Az.: I ZR 69/11) eine der vielen Brennpunktfragen des Urheberrechts zur Entscheidung vorgelegt. Es geht hierbei um die Frage, in welchem Umfang die elektronische Anzeige von urheberrechtlich geschützten Werken an Nutzerterminals (Leseplätzen) in öffentlichen Bibliotheken zulässig ist bzw. die Rechte des Urhebers oder des Verlags beeinträchtigt werden.

Der EuGH wird jetzt zu klären haben, ob Art. 5 Abs. 3 Buchst. n der Infosoc-Richtlinie die Mitgliedstaaten dazu berechtigt, Bibliotheken das Recht zu gewähren, Druckwerke des Bibliotheksbestands zu digitalisieren, wenn dies erforderlich ist, um die Werke auf den Terminals zugänglich zu machen.

Schließlich hat der BGH dem EuGH auch die Frage vorgelegt, ob es den Bibliotheksnutzern nach der Richtlinie ermöglicht werden darf, auf den Terminals zugänglich gemachte Werke ganz oder teilweise auszudrucken oder auf USB-Sticks abzuspeichern und diese Vervielfältigungen aus den Räumen der Einrichtung mitzunehmen.

posted by Stadler at 17:58  

20.9.12

Post AG muss Postwurfsendungen der NPD an Haushalte verteilen

Der BGH hat heute entschieden (Urteil vom 20. September 2012, Az.: ­ I ZR 116/11), dass die Deutsche Post AG verpflichtet ist, die Publikation „Klartext“ der sächsischen NPD-Fraktion als Postwurfsendungen an Haushalte zu verteilen.

Die Post hatte dies mit der Begründung verweigert, bei Hauswurfsendungen bestehe kein Beförderungszwang, da es sich nicht um namentlich adressierte Post handeln würde.

Anders als die Vorinstanzen ist der BGH demgegenüber von einem sog. Kontrahierungszwang ausgegangen, d.h. einer Verpflichtung der Post auch mit der NPD einen entsprechenden Beförderungsvertrag abzuschließen.

Der BGH merkt allerdings ergänzend an, dass eine Beförderung dann verweigert werden kann, wenn der Inhalt der Publikation gegen strafrechtliche Bestimmungen verstößt (§ 1 Abs. 3 Nr. 3 PUDLV) oder rassendiskriminierendes Gedankengut enthält (§ 1 Abs. 3 Nr. 4 PUDLV). Dazu hatte die Deutsche Post aber nichts vorgetragen.

In der Pressemitteilung des Bundesgerichtshofs wird zur Begründung ausgeführt:

Der Bundesgerichtshof hat das Urteil des Berufungsgerichts aufgehoben und die Beklagte zum Abschluss eines Rahmenvertrags über die Beförderung der Druckschrift verurteilt. Die Beklagte ist zur Beförderung nach § 2 Postdienstleistungsverordnung (PDLV)* verpflichtet. Um die flächendeckende Grundversorgung mit Postdienstleistungen sicherzustellen, sieht die gesetzliche Regelung vor, dass die Lizenzträger, zu denen die Deutsche Post zählt, verpflichtet sind, bestimmte Postdienstleistungen, sogenannte Universaldienstleistungen, zu erbringen. Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass die hier nachgefragte Leistung eine solche Universaldienstleistung im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 3 Postuniversaldienstleistungsverordnung (PUDLV)** darstellt. Bei der Publikation handelt es sich um eine periodisch erscheinende Druckschrift, die zu dem Zweck herausgegeben wird, die Öffentlichkeit über Tagesereignisse, Zeit­ oder Fachfragen durch presseübliche Berichterstattung zu unterrichten. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts darf der Umstand, dass die Publikation der Werbung für die Politik und Arbeit der Klägerin dient, auf die Entscheidung keinen Einfluss haben. Die Einordnung als Universaldienst verfolgt mit dem dadurch bestimmten Beförderungszwang das Ziel, zur Förderung der in Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG gewährleisteten Pressefreiheit Erzeugnisse der Presse dem Empfänger so günstig wie möglich zuzuführen. Die Pressefreiheit begründet für den Staat jedoch eine inhaltliche Neutralitätspflicht, die jede Differenzierung nach Meinungsinhalten verbietet. Den Einwand der Deutschen Post, dass es sich bei der in Rede stehenden Publikation nicht um eine periodisch erscheinende Druckschrift handelt, hat der BGH nicht gelten lassen. Ausreichend hierfür ist, dass die Druckschrift nach ihrer Aufmachung – anders als ein Flugblatt – auf das für eine Zeitung oder Zeitschrift übliche periodische Erscheinen angelegt ist und keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass sie trotz dieser Aufmachung nur gelegentlich publiziert werden soll. Das ist hier der Fall. Dass es in der Vergangenheit aufgrund der Weigerung der Deutschen Post bei der Verteilung zu Schwierigkeiten gekommen ist, kann der klagenden Fraktion nicht entgegengehalten werden.

Auch der Umstand, dass die fraglichen Druckschriften nicht adressiert sind, steht der Einordnung als Universaldienstleistung im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 3 PUDLV, § 4 Nr. 1 Buchst. c PostG*** nicht entgegen. Soweit der Empfängerkreis hinreichend bestimmt ist, unterliegt die Beförderung von nicht adressierten Sendungen keinen für die Beklagte unzumutbaren Schwierigkeiten und trägt dem Bedürfnis Rechnung, auch die Beförderung von Massendrucksachen zu ermöglichen, die sich an eine Vielzahl von Empfängern richten. Ausgeschlossen wäre die Beförderung allerdings dann, wenn besondere Ausschlussgründe vorliegen, etwa weil der Inhalt der Publikation gegen strafrechtliche Bestimmungen verstößt (§ 1 Abs. 3 Nr. 3 PUDLV) oder rassendiskriminierendes Gedankengut enthält (§ 1 Abs. 3 Nr. 4 PUDLV). Dazu hatte die Deutsche Post jedoch nichts vorgetragen.

posted by Stadler at 15:15  

19.9.12

Neufassung des EVB-IT-Systemvertrags veröffentlicht

Die öffentliche Hand bezieht bei der Beschaffung von IT-Leistungen grundsätzlich besondere, vorformulierte Klauselwerke in die abzuschließenden Verträge ein, die sog. Ergänzenden Vertragsbedingungen für die Beschaffung von IT-Leistungen (EVB-IT). Diese sind nach Vertragstypen untergliedert. Die Anwendung der EVB-IT ist für Bundesbehörden und auch die meisten Landesbehörden nach Haushaltsrecht verbindlich.

Heute wurden die überarbeiteteten Regelungen des EVB-IT-Systemvertrages, der die Beschaffung komplexer IT-Systeme regelt, veröffentlicht. Die Regelungen wurden zwischen der Bundesregierung und dem Branchenverband BITKOM ausgehandelt. Über die Neureglung des EVB-IT-Systemvertrages bestand jahrelang Streit, insbesondere im Hinblick auf Festlegung von Haftungsbeschränkungen.

In Ziff. 15.1. derEVB-IT Sytem AGB ist die Haftung für leicht fahrlässige Pflichtverletzungen jetzt grundsätzlich auf den Auftragswert beschränkt. Ergänzend ist geregelt, dass bei einem Auftragswert von weniger als EUR 25.000,- die Obergrenze EUR 50.000,- beträgt. Bei einem Auftragswert zwischen EUR 25.000,- und 100.000,- ist die Haftung auf 100.000,- begrenzt.

Damit ist die öffentliche Hand der Industrie insgesamt deutlich entgegengekommen.

Die jeweils aktuellen Fassungen der verschiedenen EVB-IT findet man hier.

posted by Stadler at 17:58  

18.9.12

Meldegesetz: Gesetzgeber kann sich nicht aus dem Würgegriff der Lobbyisten befreien

Die öffentliche Entrüstung war groß, als der Bundestag, oder besser, das was von ihm während des EM-Halbfinales übrig war, eine  Neufassung des Meldegesetzes beschlossen hat, die die Möglichkeit der Datenweitergabe zu Zwecken der Werbung und des Adresshandels vorsah, wenn der Bürger nicht ausdrücklich widersprochen hat.

Mittlerweile liegt eine Ausschussempfehlung des Bundesrates zur Anrufung des Vermittlungsausschusses vor, der eine Änderung des maßgeblichen § 44 MeldeG in folgenden zentralen Punkten vorsieht:

Absatz 3 Nummer 2 ist wie folgt zu fassen:

„2. die Auskunft verlangende Person oder Stelle erklärt, die Daten nicht zu verwenden für Zwecke

a) der Werbung oder

b) des Adresshandels,

es sei denn, sie versichert, dass die betroffene Person ihr gegenüber in die Übermittlung für jeweils diesen Zweck eingewilligt hat. Auf Verlangen sind der Meldebehörde entsprechende Nachweise vorzulegen.“

cc) Absatz 4 ist wie folgt zu fassen:

„(4) Es ist verboten, Daten aus einer Melderegisterauskunft

1. für gewerbliche Zwecke zu verwenden, ohne dass ein solcher Zweck nach Absatz 1 Satz 2 bei der Anfrage angegeben wurde,

2. für Zwecke der Werbung oder des Adresshandels zu verwenden, es sei denn die betroffene Person hat im Zeitpunkt der Anfrage in die Übermittlung für jeweils diesen Zweck nach Absatz 3 Nummer 2 eingewilligt.“

Das bedeutet, das anfragende Unternehmen muss (nur) versichern, dass der Betroffene ihm gegenüber in die Datenübermittlung für Werbezecke eingewilligt hat. Wie soll man sich das bitte praktisch vorstellen? Ein Unternehmen der Werbebranche hat also angeblich eine wirksame Einwilligung des Betroffenen dahingehend eingeholt, dass Meldeämter seine Meldedaten an das Unternehmen weitergeben dürfen. Derartige Einwilligungen erteilt kein Mensch in datenschutzrechtlich wirksamer Art und Weise. Wenn eine solche Einwilligung demgegenüber irgendwo in AGB oder einem sonstigen Klauselwerk versteckt sind, genügen sie nicht den Anforderungen des § 4 a Abs. 1 BDSG und ist unwirksam.

Was der Vermittlungsausschuss da beschließen soll, ist nichts anderes als eine gesetzgeberische Einladung zum Missbrauch, der klar die Handschrift der Lobbyisten trägt. Andernfalls hätte man die Regelung nunmehr auch einfach so treffen können, dass den Meldebehörden eine Datenübermittlung zu Zwecken der Werbung und des Adresshandels generell untersagt ist. Dann kann es zwar immer noch zu Missbrauch kommen, aber der ist dann zumindest einfach nachzuvollziehen. Genau das ist aber offenbar nicht erwünscht.

posted by Stadler at 21:33  

17.9.12

Das BKA, die Cyberkriminalität und die Propaganda

Überall beglückt man uns heute mit der Überschrift

„BKA: Bedrohung durch Internetkriminalität nimmt zu“

Auch Heise und das Deutschlandradio lassen sich zur Übernahme dieser irreführenden Überschrift, die wohl von der dpa stammt, hinreißen. Wirft man einen Blick auf die Zahlen, die der ohnehin fragwürdigen Polizeilichen Kriminalstatisitik entnommen wurden, dann stellt man zunächst einen Rückgang der Delikte um einige hundert Fälle fest. Von Zunahme keine Spur. Wie kommt das BKA also zu dieser eher fragwürdigen These? Angeblich sei der – natürlich geschätzte – Schaden im Vergleich zum Vorjahr um 16 Prozent gestiegen. Gibt es für eine solche Schätzung zumindest in tatsächlicher Hinsicht ausreichend Anhaltspunkte? Das Papier des BKA erläutert hierzu:

Die Tatsache, dass zu lediglich zwei Deliktsbereichen eine statistische Schadenserfassung erfolgt, lässt zwar keine belastbaren Aussagen zum tatsächlichen monetären Schaden im Bereich Cybercrime zu, reicht aber nach hiesiger Einschätzung aus, um mittel- und langfristig zumindest Entwicklungstendenzen darzustellen.

Das spricht finde ich für sich und muss nicht weiter kommentiert werden.

Wir haben in diesem Bereich in Wirklichkeit vielmehr ein massives Problem mit einer Berichterstattung, die vom BKA eingefärbte Aussagen unkritisch übernimmt.

Um es ganz deutlich zu sagen: Im Bereich des Cybercrime ist weder ein Anstieg der Deliktszahlen noch der Schäden festzustellen. Jedenfalls aus dem vom BKA vorgelegten „Cybercrime Bundeslagebericht 2011“ ergibt sich beides bei näherer Betrachtung nämlich nicht. Das BKA macht alle Jahre wieder Stimmung und die Qualitätsmedien machen wie gewohnt mit.

posted by Stadler at 22:04  

17.9.12

Die Diskussion um ein Verbot des sog. „Mohammed-Films“

Die politische Diskussion über ein Verbot des sog. „Mohammed-Films“ treibt seltsame Blüten. Während die Union die Aufführung des Films in Deutschland – wobei unklar ist, ob es überhaupt eine Langversion gibt – verbieten möchte, sehen SPD und Grüne dafür keine rechtliche Handhabe.

Bemerkenswert hierzu ist beispielsweise die Aussage des CDU-Innenpolitikers Bosbach gegenüber dem Bayerischen Rundfunk:

Wir haben es hier nicht mit einer Rechtslücke zu tun, denn sowohl die Meinungsfreiheit als auch die Kunstfreiheit gelten nicht schrankenlos.

Dass diese Aussage nicht so ganz richtig ist, zeigt bereits ein einfacher Blick ins Grundgesetz. Die Meinungsfreiheit unterliegt den Schranken des Art. 5 Abs. 2 GG, während die in Art. 5 Abs. 3 GG verankerte Kunstfreiheit ein vorbehaltloses Grundrecht darstellt. Einschränkungen ergeben sich hier nur aus der Verfassung selbst.

Ob also ein Verbot einer Filmvorführung in Betracht kommt, ist höchst zweifelhaft, denn dies würde im konkreten Fall sowohl einen Eingriff in das Grundrecht der Meinungsfreiheit wie auch das der Kunstfreiheit darstellen. Und die Hürden für die Rechtfertigung eines derartigen Eingriffs sind hoch. Marc Liesching vertritt im Beck-Blog die Ansicht, dass ein polizeirechtliches Einschreiten aufgrund allgemeiner polizeirechtlicher Gefahrenabwehr-Bestimmungen im konkreten Einzelfall bei angekündigten öffentlichen Filmvorführungen nicht ganz ausgeschlossen ist. Die Frage ist aber dann, welche Anhaltspunkte für eine Gefahrenlage im konkreten Einzelfall gegeben sind.

Im Beck-Blog diskutiert Henning Ernst Müller einen Verstoß gegen § 166 StGB, dessen Bejahung ich nach Ansicht des Films bei der gebotenen verfassungskonformen Auslegung für nur schwer vertretbar halte. Der Film skizziert den Islam als eine gewalttätige und blutrünstige Religion und die Hauptfigur, die wohl den Propheten darstellen soll, zusätzlich als lüstern. Der Trailer enthält außerdem auch Elemente schlechten Klamauks. Insgesamt wirkt der Film auf mich, gemessen an der öffentlichen Empörung, eher harmlos und billig. Dass man mit einem derart plumpen Machwerk so provozieren kann, ist nur dadurch zu erklären, dass die Aufregung geschürt und gesteuert ist. Und gerade diesen Umstand kann man bei der rechtlichen Bewertung nicht außer Acht lassen.

posted by Stadler at 21:28  

16.9.12

Bei den Diensten ist die Systemfrage zu stellen

Ende letzten Jahres habe ich die Frage „Muss der Verfassungsschutz abgeschafft werden?“ gestellt und dies mit der Forderung verbunden, das System Verfassungsschutz vorbehaltlos auf den Prüfstand zu stellen. Seither werden, speziell im Zusammenhang mit der Aufarbeitung des sog. NSU, immer wieder neue, für die Behörden unangenehme Tatsachen öffentlich bekannt, die von der Presse abwechselnd aber nur als Behördenversagen oder Ermittlungspannen beschrieben werden. Die Frage, ob wir es eventuell bereits mit einem „Staat im Staate“ zu tun haben, wurde in den etablierten Medien praktisch nicht aufgeworfen.

Unter dem Titel „In den Tiefen des Staates“ stellt Michael Kraske im Cicero jetzt endlich die Systemfrage und spricht von einem „Deep State“, wenngleich ich es nicht für sinnvoll halte, Polizei, Staatsanwaltschaften und Gerichte in einen Topf mit den Diensten zu werfen.

Das Handeln der Dienste, speziell der Verfassungsschutzbehörden ist darauf ausgerichtet, sich der parlamentarischen Kontrolle gezielt und konsequent zu entziehen. Das ist mittlerweile überdeutlich. Der insbesondere von Union und SPD präferierte Versuch, das bestehende System beizubehalten und nur die politische Kontrolle etwas zu verbessern, dürfte ähnlich erfolgsversprechend sein, wie der Versuch einen Hund dazu zu bewegen, sich einen Wurstvorrat anzulegen.

Es ist überfällig zu erkennen, dass dasjenige, was wir im Zusammenhang mit dem NSU über Verfassungsschutzbehörden und Dienste erfahren haben, nur die Spitze des Eisbergs darstellt. Bereits die öffentlich bekannten Umstände legen aber den Blick frei auf ein System, das sich nicht an rechtsstaatliche Vorgaben gebunden fühlt und seit jeher glaubt, nach eigenen Regeln agieren zu können. Unsere Politik hat den Staat im Staate längst zugelassen. Diese sich aufdrängende Schlussfolgerung wird aber weiterhin unter Verweis auf bedauerliche Ermittlungspannen negiert, zumal damit auch das Eingeständnis eines politischen Versagens verbunden wäre. Was ich an dieser Stelle schmerzlich vermisse, ist eine kritische und analytische Berichterstattung, die die Zusammenhänge herstellt und deutlich macht. Vor diesem Hintergrund ragt der Artikel von Michael Kraske heraus. Hoffentlich folgen andere Journalisten seinem Beispiel.

posted by Stadler at 14:15  

15.9.12

Der Gesetzgeber muss beim Tatbestand der Vergewaltigung dringend nachbessern

Seit Tagen wird über ein Strafurteil des Landgerichts Essen diskutiert, das einen 31-jährigen Mann vom Vorwurf der Vergewaltigung einer 15-Jährigen freigesprochen hat, weil das Mädchen nur wörtlich artikuliert hatte, dass es keinen Sex mit dem Angeklagten wolle, sich aber weder gewehrt noch um Hilfe gerufen habe.

Weil ich weder die Entwicklung des Sexualstrafrecht besonders intensiv verfolge, noch unbedingt auf Basis bloßer Presseberichte Urteile bewerten möchte, habe ich den Beitrag von Udo Vetter, die wütende Reaktion in feministischen Blogs und die sonstige Berichterstattung zwar verfolgt, aber bislang nicht kommentiert. Je mehr man allerdings liest – empfehlenswert ist insbesondere ein Blogbeitrag von ed2murrow – umso mehr kommt man zu dem Ergebnis, dass es nach der aktuellen Rechtsprechung des BGH in der Tat für § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB erforderlich ist, dass sich das Opfer objektiv in einer Lage befindet, in der es über keine effektiven Schutz- oder Verteidigungsmöglichkeiten mehr verfügt und deshalb nötigender Gewalt des Täters ausgeliefert ist. Das heißt, das Opfer muss sich letztlich den Gewalthandlungen des Täters widersetzen oder versuchen sich dem Zugriff durch Flucht zu entziehen bzw. fremde Hilfe zu erlangen, um strafrechtlichen Schutz zu erhalten. Wer sich nicht wehrt, ist dieser Logik folgend ansonsten u.U. nicht Opfer einer Sexualstraftat.

Ob diese Rechtsprechung de lege lata korrekt ist, möchte ich hier nicht erörtern, obwohl mir dies durchaus zweifelhaft erscheint. Denn jedenfalls de lege ferenda ist sie es nicht. Und die gesamte Diskussion ist fatalerweise erneut an dem Punkt angekommen, an dem sie bereits vor 15 bis 20 Jahren war. Denn es sind genau solche Fälle wie der des Landgerichts Essen gewesen, die den Gesetzgeber bewogen haben, 1997 den Straftatbestand der Vergewaltigung und der sexuellen Nötigung zu erweitern. Neben der Gewalt und der Drohung mit einer Gefahr für Leib oder Leben wurde als drittes Tatmittel das Ausnutzen einer schutzlosen Lage eingeführt. Damit sollten gerade auch die Fälle erfasst werden, in denen sich eine Frau „starr vor Schreck“ nicht gegen den Täter zur Wehr setzt. Einzelheiten hierzu kann man in einer älteren Dissertation nachlesen. Das ausdrücklich erklärte Ziel des Gesetzgebers war es jedenfalls, die sexuelle Selbstbestimmung strafrechtlich ummfassend zu schützen.

Dieses Ziel ist, wie die Entscheidung des Landgerichts Essen und auch die aktuelle Rechtsprechung des BGH zeigt, nicht erreicht worden. Ob dies an einer unzureichenden Gesetzesformulierung oder an der kritikwürdigen Rechtsprechung des BGH liegt, ist im Ergebnis unerheblich.

Wer als Gesellschaft und Gesetzgeber den Anspruch hat, die sexuelle Selbstbestimmung umfassend und lückenlos zu schützen, der muss ein Sexualdelikt bereits dann bejahen, wenn das Opfer, ausdrücklich oder aufgrund äußerer Umstände eindeutig ersichtlich, zu erkennen gibt, dass es keine sexuellen Handlungen wünscht. Man kann von dem Opfer weder verlangen, Fluchtversuche zu unternehmen noch laut um Hilfe zu schreien. Das eingeschüchterte und verängstigte Opfer darf nicht schlechter gestellt werden als jemand, der sich aktiv wehrt. Das Strafrecht kann die Schwachen nicht weniger schützen als die Mutigen.

Der Gesetzgeber ist an dieser Stelle deshalb erneut und zwar umgehend gefordert, sein Versprechen eines umfassenden und lückenlosen strafrechtlichen Schutzes der sexuellen Selbstbestimmung endlich rechtssicher umzusetzen. Die Opfer sexueller Übergriffe haben ein Recht darauf.

posted by Stadler at 23:42  

14.9.12

Das Spannungsverhältnis von Urheberrecht und Bildung

Auf spektrum.de findet sich unter dem Titel „Rückfall in die analoge Steinzeit“ ein ausführlicher und lesenswerter Hintergrundbericht zum Stand der Diskussion über den digitalen Einsatz von urheberrechtlich geschützten Werken zu Unterichtszwecken. Mit diesem Thema hatte ich mich bereits ausführlich befasst. Obwohl das Urheberrecht an dieser Stelle die Entwicklung des Bildungs- und Wissenschaftsbereichs deutlich beeinträchtigt und dringender Reformbedarf besteht, ist die Politik derart mutlos, dass es wohl nur zu einer weiteren Verlängerung des verfehlten § 52a UrhG kommen wird.

Notwendig wäre es, sowohl digitale als auch herkömmliche Kopien urheberrechtlich geschützter Werke in deutlich größerem Umfang für Unterrichtszwecke zu privilegieren. Insoweit gab es in der Vergangenheit bereits vernünftige Vorschläge, an die sich anknüpfen ließe. Auf diesen notwendigen großen Wurf bei einer Reform von §§ 52a53 UrhG werden wir aber wohl weiterhin vergeblich warten. Für den Bildungs- und Wissenschaftsstandort Deutschland sind das keine guten Nachrichten.

posted by Stadler at 18:21  
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