Der Staat als Datenhändler
Der Bundestag hat letzten Freitag dem Gesetz zur Fortentwicklung des Meldewesens (MeldFortG) zugestimmt. Das Gesetz sieht u.a. vor, dass Einwohnermeldeämter Daten auch zu Werbezwecken weitergeben dürfen, es sei denn, der Betroffene Bürger hat dem zuvor ausdrücklich widersprochen. Wenn diese Daten lediglich zur Bestätigung oder Überprüfung bereits vorhandener Daten übermittelt werden, verhindert aber selbst ein solcher Widerspruch die Datenweitergabe zu Werbezwecken nicht (§ 44 Abs. 4 MeldFortG).
Was bislang bereits in einigen Landesmeldegesetzten vorgesehen war, wird nunmehr also bundeseinheitlich zugunsten der Werbewirtschaft und zu Lasten der Bürger geregelt. Hintergrund ist der, dass das Meldewesen durch die Föderalismusreform der ausschließlichen Gesetzgebungskompetenz des Bundes zugeschlagen wurde und der Bund von dieser Kompetenz nunmehr auch Gebrauch gemacht hat.
Die Gemeinden erheben für diese Auskünfte übrigens Gebühren und erzielen dadurch Einnahmen. Der Staat betätigt sich hier also tatsächlich als Datenhändler. Deutschland erweist sich damit einmal mehr als das Schilda des Datenschutzes.
Gibts da nen Link mit nem Formular wo ich dem widersprechen kann?
:-) wie gut das ich privat nirgends gemeldet bin, wo keine Daten sind, können keine weitergegeben werden :-)
Comment by Troll — 3.07, 2012 @ 17:53
Unglaublich, das schreit ja förmlich nach Klage
Comment by bob — 3.07, 2012 @ 18:03
@Troll
AFAIK hat jedes Bundesland dafür eigene Formulare, es muss sich also jeder das passende besorgen. Hier wären Beispiele für Hessen: http://www.datenschutz.hessen.de/er001.htm
Comment by RC — 3.07, 2012 @ 18:08
Es ist doch wirklich unglaublich, dass man einerseits unter Androhung von Ordnungsgeld dazu gezwungen wird, seine Adresse zu melden und andererseits nicht verhindern kann, dass die gemeldete Adresse zu Werbezwecken verkauft wird.
Comment by Lutz — 3.07, 2012 @ 18:09
Kann man gegen dieses Gesetz klagen?
Ich sehe mich hier in meinem Recht auf informationelle Selbstbestimmung stark eingeschränkt, allzumal laut der stellvertretenden innenpolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion Gabriele Fograscher mit den vorliegenden Änderungen die bisher geplanten Regelungen zum Widerspruch gegen die Verwendung für Werbung und Adresshandel völlig ausgehebelt werden, da der Widerspruch nämlich nicht gelten soll, wenn „die Daten ausschließlich zur Bestätigung oder Berichtigung bereits vorhandener Daten verwendet werden“.
Das mache sogar die Widerspruchsregelung weitgehend wirkungslos, so Fograscher.
Warum unsere Regierung sozusagen „unter dem Radar“ den Rückschritt ins Datenschutzmittelalter antritt ist mir schon verständlichen, da nach ihrem Verständnis Datenschutz bedeutet, die Daten vor denen zu schützen, von denen sie erhoben wurden, außerdem kann etwas, das Geld bringt ja nicht völlig schlecht sein, aber das wir als Bürger uns das gefallen lassen müssen, sehe ich nicht ein.
Comment by Wolfhardt — 3.07, 2012 @ 18:14
Das Melderecht ist eine Katastrophe und Schwarzgeld hat es jetzt wieder schlimmer gemacht.
Zypries hat vor zehn Jahren das Melderechtsrahmengesetz modernisiert. Die Vermieterbescheinigung wurde abgeschafft, die Abmeldung wurde abgeschafft. Die anmeldende Kommune musste der abmeldenden Bescheid sagen. Was die auch gerne gemacht wegen wegen der Finanzzuweisungen auf Basis Bewohnerzahlen.
Zypries hat sich aber von der Föderalismuskommission (Roland Koch) belatschern lassen, kein zentrales Melderegister machen zu lassen. So müssen heute Bürger, die Leute suchen, die sie vor 20 Jahren aus den Augen verloren haben, sich von Meldebehörde zu Meldebehörde hangeln, wo denn z.B,. Erben sein könnten. Wo in Österreich eine Stelle reicht soll man nach den deutschnationale aus der CDU lernen, dass die Kommunen untereinander im Wettbewerb stehen und sich durch von Ort zu Ort im harten Wettbewerb differenzieren, um Bürger anzulocken. Der eine akzeptiert Kreditkarten, der andere braucht eine qualifizierte Signatur, die es entgegen der Versprechen weder für die Gesundheitskarte noch für den neuen Personalausweis gibt.
Dass es kein zentrales Melderegister wie in Österreich gibt, hängt tatsächlich mit den Gebühren für die Meldeämter zusammen. Manchmal haben auch noch die Rechenzentren um ihr Geschäft gebangt neben den Einwohnermeldeämtern. Ergebnis von dieser organisierten Misswirtschaft: Wenn bei der Allianz bei ein paar Millionen Versicherten wenige Bruchteile von Promillen der Versicherten bei Umzug sich zumelden vergisst, dann darf die Allianz bei zurückkommenden Briefen sich in 6.000 Käffern informieren, wie denn der aktuelle Tagesritus ist in dieser föderalen Wettbewerbslandschaft.
Zynische Verhöhnung des Bürgers ist dann, dass das Bundesfinanzministerium ein zentrales Melderegister in untergeordneter Behörde unterhält für steuerlich Zwecke, das aber nicht für Melderecht genutzt werden darf, aber tagesaktuell von allen Meldeämtern gefüttert werden. Doppelstrukturen zum finanziellen Schaden von Bürgern und Wirtschaft.
Anstatt diesen Mist aufzuräumen, scheisen FDP und CDU/CSU offen auf das Bundesdatenschutzgesetz udn verschleudern gegen den Willen des Bürgers dessen personenbezogene Daten an spezielle Klientel mit dicken Schmiergeldbriefumschlägen. Wo dann Schäuble nicht mal mehr weiß, wo die Knete abgeblieben ist. So wie bei den Hotels, wo trotz höchster Staatsverschuldung den Freunden aus den Hotels jedes Jahr eine Milliarde geschenkt wird (die man alleinerziehenden Hartz4-Müttern abnimmt), ohne dass die Bürger was für ihr Geld bekommen noch die Hotelgäste. Das wird einfach zum Zocken verschenkt, damit die Freunde sich Staatsanleihen kaufen können wie Soros.
Das ist keine bürgerzentrierte Politik. Das ist ekelhafte Schmierenpolitik.
Comment by Wolfgang Ksoll — 3.07, 2012 @ 20:35
Das heißt also, obwohl ich beim Meldeamt der Weitergabe meiner Daten widersprochen habe, kann eine Firma, die irgendwann mal irgendwie an meine Daten gekommen ist, nun solange ich lebe und wahrscheinlich noch darüber hinaus immer eine Aktualisierung meiner Daten anfordern?!
Dann können die Meldeämter ja den Firmen kostenpflichtige Datenabos mit automatischer Update-Funktion anbieten.
Großartig
Comment by Geert — 3.07, 2012 @ 21:42
Herr Stadler!
Wo und wie kann man klagen?
Klagen Sie? Unterstützen Sie eine Klage?
Kann die Netzgemeinde da nicht was auf die Beine stellen? Mit Crowdfunding und allem drum und dran?
Das wäre der nächste Paukenschlag gegen die Datenmafia!
Comment by soso — 3.07, 2012 @ 21:53
Steht uns nicht ein Anteil am Verkauf unserer Daten zu? Sagen wir 50:50!
Comment by Geert — 3.07, 2012 @ 22:19
@Geert:
Um solche Forderungen aufstellen zu können, müsstest du ein souveränes Subjekt sein.
Wir sind jedoch Untertanen.
Untertanen sind keine Bürger, haben keine Rechte. Untertanen müssen gehorchen.
Außerdem:
Sei doch froh, dass Vater Staat deine Daten verkauft und damit Geld verdient.
Dann musst du weniger Steuern zahlen! ;-)
Comment by timbuktu — 3.07, 2012 @ 22:26
Dies ist meiner Meinung nach keine Lobbyarbeit mehr sonder organisierte Kriminalität.
Ein weiterer Schritt dahin, das Melkvolk vor Staat und Wirtschaft auf den Knien zu halten.
So viel zum freiheitlichen Rechtsstaat.
Bin ja mal gespannt, was dieses Gesetz gekostet hat und wo dieses Geld hingespendet (oder zugewendet) wurde.
Jeder hat seinen Preis!
Comment by @didi — 4.07, 2012 @ 09:38
Je öfter ich davon lese, desto mehr schwindet mein Unrechtsbewusstsein meine letzte Ummeldung „vergessen“ zu haben.
Comment by Kommentator — 4.07, 2012 @ 11:34
BRD = DDR mit anderer Verpackung
Comment by Ethan — 4.07, 2012 @ 14:56
Und auf der RISER-Konferenz haben mir Vertreter der Werbebranche hoch und heilig versichert, dass eine Nutzung der Melderegister durch Werbefirmen nicht stattfände, weil die Gebühren der Gemeinden viel zu hoch seien.
Comment by Ein Mensch — 5.07, 2012 @ 00:07
Können Gemeinden eigentlich per Kommunalrecht die Weitergabe von Daten auch ausschließen? Ich lese da im wesentlichen eine „darf“-Regelung heraus, aber keine „muss“-Regelung. Kommunalpolitisch wäre das in vielen Gemeinden sicherlich durchsetzbar.
Comment by Andi — 5.07, 2012 @ 17:29
Der Bundesrat muss dem neuen Meldegesetz noch zustimmen.
Die Mehrheitsverhältnisse lassen hoffen.
Gut wäre es, jetzt öffentlich Druck zu machen, damit der Bundesrat dem neues Meldegesetz nicht zustimmt.
Möglichst viele Leute sollten auch bei den Datenschutz- und Bürgerrechtsorganisationen anfragen, damit die sich mit Kampagnen des Themas annehmen.
Comment by Henriette — 5.07, 2012 @ 17:48
Was kannst DU nun konkret tun?
1.) Verbreite die Nachricht so oft und weit es geht. Nimm z.B. diesen Link hier:
http://www.heise.de/newsticker/meldung/Scharfe-Kritik-am-neuen-Melderecht-1633043.html
2.) Stelle ein Auskunftsersuchen bei deinem Meldeamt. Berufe dich dabei auf den passenden Paragrafen aus dem Meldegesetz deines Bundeslandes (z.B. § 9 Meldegesetz NRW). So erfährst du, welche Daten von dir beim Meldeamt gespeichert sind.
Nebenbei beschäftigst du die Bürokratie und zeigst, dass dir Datenschutz wichtig ist.
3.) Kontaktiere Organisationen wie CCC, Digitale Gesellschaft, FoeBuD oder andere, damit die professionelle Kampagnen und Verfassungsklagen starten.
Comment by Act now! — 5.07, 2012 @ 18:17
Ich hab in meinem Blog mal bezüglich § 44 MeldFortG eine Synopse gebastelt: http://www.niemandhatdieabsicht.de/2012/07/05/gesetzessynopse-zum-gesetz-zur-fortentwicklung-des-meldewesens/
Darf gerne übernommen werden. Man sieht schnell, wie hier eine an sich schöne Regelung kaputtgemacht wurde.
Comment by Ben — 5.07, 2012 @ 23:56
Neues Meldegesetz der Bundesregierung:
Keine Widerspruchsmöglichkeit gegen Datenweitergabe an Datenmafia.
Bundesrat kann Meldegesetz noch verhindern.
Hilf mit, den Bundesrat zu überzeugen.
https://netzpolitik.org/2012/bundestag-schrankt-datensouveranitat-weiter-ein-bundesrat-muss-neues-meldegesetz-verhindern/
Comment by Sebastian — 6.07, 2012 @ 13:18
Herr Stadler!
Wo und wie kann ich klagen?
Klagen Sie? Unterstützen Sie eine Klage?
Vielleicht wäre das eine gute Idee:
Herr Stadler klagt und sammelt vorher per Crowdfunding Geld für die Klagekosten ein! Das wär doch was!
Comment by Konrad — 6.07, 2012 @ 14:13
Bei der Tagesschau gibt es eine (nicht-repräsentative) Umfrage:
http://www.tagesschau.de/inland/meldewesen104.html
99 % der Teilnehmer lehnen das neue Melderecht ab.
Comment by Umfragen — 7.07, 2012 @ 15:16
Mittlerweile ist das Thema ganz oben angelangt.
Tagesschau, Heute, Heute-Journal. Überall prominent Berichte zum Meldegesetz.
Da hat die Nacht-und-Nebel-Aktion im Schatten der Fußball-EM wohl doch nicht die gewünschte Geräuschlosigkeit bezweckt.
Spät aber immerhin hat ein breite Öffentlichkeit Wind von der Sache bekommen.
Zu verdanken ist das auch den vielen wachsamen „Internetbürgern“.
Der Protest gegen das neue Meldegesetz wurde im Internet geboren.
Comment by Jannik — 7.07, 2012 @ 23:05
Umfasst mein Auskunftsrecht auch die Information, an welche Firmen meine Daten verkauft wurden? Weil dann verlange ich alle zwei Monate Auskunft darüber, schreibe die Firmen an, die meine Adresse gekauft haben und verbiete ihnen die Nutzung meiner Adresse. Wenn das jeder so macht, haben die Meldeämter ganz schnell keinen Spass mehr am Adresshandel.
Darüber hinaus würde ich mich selbstverständlich an einer Crowdfunding-Klage beteiligen.
Comment by Momo — 8.07, 2012 @ 06:49
@Momo:
Kurzinformation zu datenschutzrechtlichen Auskunftsrechten:
Suche im Web nach den entsprechenden Gesetzen und lies die unten angegebenen Paragrafen durch.
1) öffentlicher Bereich des Bundes (Bundesbehörden):
Auskunftsrecht nach §19 Bundesdatenschutzgesetz (BDSG)
2) privater Bereich (Unternehmen):
Auskunftsrecht nach §34 BDSG
3) öffentlicher Bereich deines Landes (Landesbehörden):
Auskunftsrecht z.B. nach § 18 Datenschutzgesetz NRW (DSG NRW)
4) Meldewesen (je nach Bundesland)
Auskunftsrecht z.B. nach §9 Meldegesetz NRW (MG NRW)
Comment by reclaim your data — 8.07, 2012 @ 14:03
@Momo:
Alle zwei Monate ist vielleicht etwas zu häufig.
Es ist allerdings so, dass je nach Bundesland (bisher war das Melderecht Ländersache und jedes Bundesland hat sein eigenen Gesetz) keine genauen Aufbewahrungsfristen für die Übermittlungsprotokolle bestehen.
D.h., manchmal wird nur 6 Monate lang gespeichert, an welche Stellen/Unternehmen deine Daten durch das Meldeamt weitergegeben wurden.
Wie lange in deinem Bundesland dein Meldeamt diese Protokolle aufbewahrt, erfährst du wahrscheinlich mit der Antwort auf deine erste Auskunftsanfrage.
Danach kannst du im entsprechenden Rythmus Auskunft beantragen (z.B. alle 6 Monate).
Bedenke, dass die Meldeämter meist personell unterbesetzt sind und Monate vergehen können, bis du deine endgültige Auskunft erhalten hast.
Oft musst du einen zweiten Brief zur Erinnerung schicken, die Landesdatenschutz-Aufsichtsbehörde einschalten und dann sind Monate schnell vergangen.
Aber: Sei zäh!
Comment by reclaim your data — 8.07, 2012 @ 14:10
Ergänzung:
5) Sozialbereich (Krankenkassen, Krankenhäuser, Arbeitsämter,etc.):
Auskunftsrecht nach §83 Sozialgesetzbuch 10 (SGB X)
Comment by reclaim your data — 8.07, 2012 @ 14:29
Achtung, aufgepasst!
Heise meldet, dass Bundesrat Meldegesetz nicht aufhalten kann.
http://www.heise.de/newsticker/meldung/Widerstand-gegen-neues-Meldegesetz-wird-heftiger-1634695.html
„Die Länderkammer kann aber nur den Vermittlungsausschuss mit dem Bundestag anrufen, da das Gesetz nicht auf ihre Zustimmung angewiesen ist. Mit ihm wird eine Vorgabe der Föderalismusreform von 2006 umgesetzt, wonach das Melderecht von den Ländern auf den Bund übergeht. Theoretisch könnte die Regierungskoalition die Initiative mit der Kanzlermehrheit trotz Einspruch des Bundesrats unverändert durchboxen, wenn die Schlichtungsgespräche zu keiner Einigung führen.“
Comment by Achtung — 9.07, 2012 @ 14:29
Campact und der Datenschutzverein FoeBuD haben eine Unterschriftenaktion gegen das neue Meldegesetz gestartet:
https://www.campact.de/melderecht/home
Comment by Kampagne — 9.07, 2012 @ 14:39
Handstreich im Bundestag: Wie zwei Abgeordnete das Meldegesetz durchs Parlament drückten
Uhl und Piltz
http://blog.abgeordnetenwatch.de/2012/07/09/kurz-vor-der-halbzeitpause-wie-das-meldegesetz-im-schnelldurchlauf-den-bundestag-passierte/
Comment by zaster — 9.07, 2012 @ 15:11
Jens Ferner über den Meldedaten-Hype
http://www.ferner-alsdorf.de/2012/07/fakten-datenweitergabe-im-rahmen-des-bundesmeldegesetzes/
Comment by Hype — 9.07, 2012 @ 18:16
Das ist eine Falschmeldung. Heise verwechselt die Gesetzgebungskompetenz (hier: Übergang von Rahmengesetzgebung in ausschließliche Gesetzgebung) mit den Zuständigkeitsregeln innerhalb des Bundes (Zustimmungsgesetze und Einspruchsgesetze).
Daß es sich hier um ein Zustimmungsgesetz handelt, sagt der Gesetzentwurf selbst: http://dip.bundestag.de/btd/17/077/1707746.pdf
Comment by OG — 10.07, 2012 @ 10:49