Internet-Law

Onlinerecht und Bürgerrechte 2.0

2.5.12

Das Urheberrecht und der Unterricht

In der heutigen Ausgabe der taz ist unter dem Titel „Schulbuch sucht legale Nachfolger“ ein lesenwerter Artikel von Felix Schaumburg und Jöran Muuß-Merholz – den es auch in einer längeren Version gibt – erschienen, der anschaulich schildert, warum das geltende Urheberrecht pädagogisch gebotene Unterrichtskonzepte erschwert und behindert.

Aus Werken, die für den Unterrichtsgebrauch an Schulen bestimmt sind, darf nämlich generell nicht für Unterrichtszwecke kopiert werden, auch wenn es sich nur um einzelne Seiten handelt (§ 53 Abs. 3 S. 2 UrhG). Dieses Komplettverbot der Anfertigung von Kopien aus Schulbüchern ist erst im Jahre 2008, auf Druck der Schulbuchverlage, in das Gesetz aufgenommen worden. Auch aus anderen Werken dürfen zu Zwecken des Unterrichts nur kleine Teile kopiert werden und auch nur dann, wenn die Vervielfältigung zur Veranschaulichung im Unterricht geboten ist. Dieses Merkmal wird beispielsweise vom OLG Stuttgart auch noch restriktiv dahingehend ausgelegt, dass eine Vervielfältigung zur Vertiefung und Ergänzung keine Veranschaulichung des Unterrichts mehr darstellt.

Auch die Online-Zurverfügungstellung von Kopien zu Zwecken des Unterrichts im Rahmen geschlossener Benutzergruppen, ist nur sehr eingeschränkt möglich.

Der Lehrer oder Dozent, der Materialien an seine Schüler oder Studenten weitergeben möchte, steht also in einem permanenten Konflikt mit dem geltenden Urheberrecht, den der Gesetzgeber aus Rücksicht auf die wirtschaftlichen Belange von Schulbuchverlagen bewusst in Kauf nimmt. Man weiß in den Kultusministerien nur zu genau, dass zu Zwecken des Unterrichts eigentlich laufend gegen das Urheberrecht verstoßen wird und aus pädagogischer und bildungspolitischer Sicht auch werden muss, weil man andernfalls einen zeitgemäßen Unterricht kaum gestalten könnte.

Die aktuelle Gesetzeslage ist nicht mehr praktikabel, sie treibt Lehrer und Dozenten förmlich in die Urheberrechtsverletzung. Die Politik müsste vor diesem Hintergrund eigentlich freie Lern- und Lehrmaterialien fördern, zumal das auch die Haushalte entlasten würde. Interessanterweise ist in Deutschland das Interesse an der zukunftsweisenden OER (Open Educational Resources)-Bewegung, anders als in anderen Staaten, aber eher gering. Dabei wäre es Aufgabe staatlicher Bildungspolitik, derartige Initiativen und Projekte aktiv zu unterstützten.

In anderen Ländern ist man da in verschiedenerlei Hinsicht schon weiter. Im Polen gibt es beispielsweise ein Programm “Digitale Schule” das u.a. vorsieht, Schulbücher für die Jahrgangsstufen vier bis sechs unter der Creative Commons-Lizenz zu veröffentlichen. Initiatoren dieses Projekts waren übrigens Bildungseinrichtungen und Netzaktivisten. Hierzulande hat es demgegenüber den Anschein als sei die Urheberrechtsdebatte auf das Thema Filesharing begrenzt.

Die Politik sollte also einerseits freie Lern- und Lehrmaterialien fördern und andererseits bei einer Reform von §§ 52a, 53 UrhG endlich einmal zum großen Wurf ausholen. Die bisherige, restriktive Regelung muss deutlich erweitert werden und zwar dahingehend, dass auch die Vervielfältigung und Zugänglichmachung größerer Teile eines Werkes zu Unterrichtszwecken privilegiert wird.  Lehrer sollten sich im übrigen mit anderen Dingen beschäftigen als laufend mit der Frage, ob ihre Unterrichtskonzepte mit dem geltenden Urheberrecht in Einklang stehen.

 

posted by Stadler at 18:03  

17 Comments

  1. >> „Die aktuelle Gesetzeslage ist nicht mehr praktikabel, sie treibt Lehrer und Dozenten förmlich in die Urheberrechtsverletzung.“

    Und die Schüler auch.
    Der Schulalltag sieht z.B. so aus, dass die Schüler angewiesen werden, sich die Materialien für ein Referat mittels Google zu suchen, zu kopieren und auszudrucken und zu verwenden.
    Wie soll man da seinem Kind erklären, dass man lieber nichts aus dem Internet kopiert, wenn „…aber der Lehrer hat gesagt, wir sollen das machen!“ wir gegen Lehrerkompetenz ansprechen?

    Und genau genommen, zu meiner Schulzeit wurde vom Lehrer kopiert was der Kopierer leisten konnte (oder die Matrize) um den Unterricht gestalten und jedem ein Blatt aushändigen zu können. Ohne Vervielfältigen irgendwelcher Werke wäre der Unterricht sehr dürftig ausgefallen. Nur heute lässt sich das besser kontrollieren als damals…

    Diese Urheberrechtssituation treibt uns in eine sehr düstere Zukunft. Alles Wissen baut auf anderem Wissen auf, jeder der Werke gestaltet, hat zuvor kopiert und benützt etwas, was andere entworfen haben. Hätte man auf das Feuer und das Rad bereits Copyright gehabt, gäbe es keine menschliche Zivilisation, sondern nur Wilde und ein paar Aufpasser.

    Comment by Frank — 2.05, 2012 @ 18:24

  2. Vielleicht entwerfen unsere „Aktivisten“ erst mal brauchbare Open-Access-Lernmaterialien, bevor sie zum Halali aufs Urheberrecht blasen.

    Comment by syl — 2.05, 2012 @ 18:35

  3. @syl:
    Sollen die „Aktivisten“, wie du sie nennst, also erst einmal für Lau unglaubliche Energie in das Erstellen von brauchbaren Unterrichtsmaterialien stecken, bevor sie Ihre Forderung nach einem unterrichtsfreundlicheren Urheberrecht stellen dürfen?
    Mit Verlaub, aber das geht ja wohl reichlich an der Realität vorbei.
    Von staatlicher Seite müsste hier schon viel mehr Unterstützung gezeigt werden.

    Comment by danny — 2.05, 2012 @ 19:17

  4. Darf man eigentlich Sendungen des öffentlich-rechtlichen Fernsehens im Unterricht verwenden? Doch auch nicht, oder? Das könnte man im gleichen Aufwasch auch noch miterledigen.

    Comment by Dieter — 2.05, 2012 @ 22:26

  5. Ich denke nach wie vor, dass ohne Rechtsänderung Schulbücher als amtliche Werke nach §5 UrhG herausgegeben werden sollten. Die Urheber sind in ihrer Mehrzahl sowieso öffentlich bedienstete Lehrer, die zudem auch öffentlich-rechtlich ausgebildet wurden. Zudem müssen Schulbücher amtlich genehmigt werden.

    Mit den Verlagen ist keine andere Lösung in Sicht, die wollen maximal die Bildung unserer Kinder behindern. Die Versuche, Lehrer und Schüler mit Trojanern zu bespitzeln, zeigt klar die Gestapo- und Stasi-Gesinnung der Verlage. Diese hassen unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung und sind offenbar nicht auf den rechten Weg zu bringen. Schon alleine deshalb sind sie aus Wesentlichem des öffentlichen Unterrichtes fernzuhalten.

    Wegen sinkender Schülerzahlen ist der Umsatz der Schulbuchverlage auf 317 Mio € in 2011 gesunken.
    http://www.boersenblatt.net/502789/

    Damit ist sowohl im Vergleich zu den sonstigen Ausgaben für das Bildungswesen als auch zu den sonstigen Medienumsätzen (z.B. macht Bertelsmann 15 Mrd € Umsatz, Springer knapp 3 Mrd. € Umsatz) der Schulbuchumsatz Peanuts. Von der Bedeutung her ist es daher auf gar keinen Fall gerechtfertigt, dass üfr die Schulbuchverlage Blockwarte wie beiden Nazis die Schüler und Lehrer beschnüffeln sollten (nota bene: die Piraten werden schon für Vergleiche mit den Nazis gerügt, die Kultusministerkonferenz dagegen wollte gleich Nazi-Methoden für die Verlage einführen).

    Also: Schulbücher als (urheberrechtsfreie) amtliche Werke nach §5 UrhG rubeln, Verlage für Lektorat, Druck und Vertrieb nach VOL auswählen. Fertig. Ohne Rechtsänderung. Gebt Nazis keine Chance! Nicht die freiheitlich-demokratische Grundordnung durch den Verleger-Schnüffelstaat ersetzen!

    Comment by Jan Dark — 2.05, 2012 @ 22:38

  6. @4 Auch bei den öffentlich-rechtlichen Anstalten, die ihre Finanzierung nun von nutzungsabhängigen Gebühren auf eine nutzungsunabhängige, steuerartige Haushaltsabgabe umstellen, ist anzunehmen, dass sei amtliche Werke im Sinne von §5UrhG verbreiten. Eine Zuordnung eines Urheberrechtes ist mit Steuern nicht mehr dogmatisch darstellbar.

    Comment by Jan Dark — 2.05, 2012 @ 22:41

  7. Ja, ja, die bösen Raubkopierer mal wieder. Und was lernen wir daraus? Mit Hilfe einer medial aufbereiteten Hetzkampagne wurde wieder mal ein Gesetz verabschiedet, das in der Praxis nur Ärger bedeutet, einigen wenigen aber das Geldsäckel füllt.

    Ich schwöre, dass ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden… (ha ha ha)

    Comment by Wanderer — 3.05, 2012 @ 07:57

  8. Confiteor: Was alles habe ich früher kopiert …
    Aber auch aus anderen Gründen stand meinerzeit ein Lehrer immer schon „mit einem Bein“ im Gefängnis – deshalb hätten wir eigentlich schon damals eine „Gefahren-Zulage“ benötigt …

    Comment by Hermann Klemens Greve — 3.05, 2012 @ 08:43

  9. Was sollen Menschen die ihr Leben lang mit Fernseher und Werbung zum Zwecke der Konsums konditioniert wurden mit Schulbüchern?

    Das halte ich für gefährlich….

    Comment by Autodidakt — 3.05, 2012 @ 09:21

  10. viele Autoren von Schulbüchern sind beurlaubte Lehrer. Warum geht das Verwertungsrecht an einen Verlag und nicht an das Land, in dem der Lehrer angestellt bzw. verbeamtet ist?

    Comment by ths — 3.05, 2012 @ 10:18

  11. @syl:
    Uun was ist daran so lächerlich? Was würde das Urheberrecht bsp. in der Softwarentwicklung bedeuten? Abgaben auf den Quicksort? Seltsam, dass genau für Software entgegenlautende Urteile vorliegen. Warum?

    Wo steht geschrieben, dass jemand der einmal irgendwas geträllert oder geschrieben hat immer und ewig davon leben kann?
    Wenn es im Zeitaöter des Internets es schlichtweg nicht mehr möglich ist – ohne massive Eingriffe in die Bürgerrechte – Inhalte zu reglementieren, dann ist das halt nicht mehr möglich.
    JA, ev. gibt es Leute die dann aus Spass Musik machen und veröffentlichen, genau wie es Leute gibt, die aus Spass Software entwickeln und umsonst zur Verfügung stellen und die DU auch benutzt. Vielleicht gibt es Leute, die Schulbücher entwerfen wollen, Kinderlieder komponieren usw.

    Wir können uns für unsere Leistung, dass Kindergärten das Urheberrecht beachten müssen, an Schulen eine Kopie rechtlich bedenklich ist wirklich auf die Schultern klopfen

    Comment by Christian — 3.05, 2012 @ 12:41

  12. Danke für den Artikel. Die Gesetzesänderung von 2008 dürfte wohl den meisten Menschen entgangen sein, wenngleich kaum deutlicher zu machen ist, dass hier wirtschaftliche gegen staatliche Interessen klar bevorzugt wurden.

    An diesem Beispiel wird aus meiner Sicht deutlich, dass es beim Thema Urheberrecht nun mal keine Lösung in den Extrema (Urheberrecht abschaffen vs. Urheberrecht restriktiv durchsetzen/verschärfen) gibt. Für den Unterricht ist es unmittelbar klar, dass ein Privileg hier erforderlich ist, hinter den das Urheberrecht zurücktreten muss. Wirtschaftliche Nachteile der Schulbuchverlage könnten vom Staat anders ausgeglichen werden.
    Für den Download von Musik kann ich dagegen keine Privilegisierungsgründe erkennen.

    Die gleiche Medaille hat halt mindestens 2 Seiten.

    Comment by Oliver — 3.05, 2012 @ 13:01

  13. Netzpolitik meldet einen Teilsieg gegen die Bildungsfeinde aus dem Verlagswesen, die mit dem Urheberrecht unser Bildungswesen zerstören möchten und einen Polizeistaat mit Blockwarten errichten wollten:

    http://netzpolitik.org/2012/der-schultrojaner-wird-beerdigt/

    Fazit: politisches Engagement gegen die Zerstörer unseres Gemeinwesens lohnt sich.

    Comment by Jan Dark — 6.05, 2012 @ 20:10

  14. „Sollen die “Aktivisten”, wie du sie nennst, also erst einmal für Lau unglaubliche Energie in das Erstellen von brauchbaren Unterrichtsmaterialien stecken, bevor sie Ihre Forderung nach einem unterrichtsfreundlicheren Urheberrecht stellen dürfen?“

    @danny

    Irgendwo muss ja die Energie aufgebracht werden/worden sein.
    Sollen denn die Urheber von bereits vorhandenen Werken für lau arbeiten/gearbeitet haben?
    Ist es wirklich so, dass Leute denken, es werde in das Schreiben von Büchern, das Komponieren und Einspielen von Musik und das Drehen von Filmen keine unglaubliche Energie gesteckt?

    Andererseits ist es natürlich wichtig, dass in Bildungseinrichtungen ein einfacher Zugang zu diesen Werken besteht. Da muss eine Möglichkeit gefunden werden, beides unter einen Hut zu bekommen.

    Comment by Urheber — 11.05, 2012 @ 01:23

  15. @Urheber
    „Irgendwo muss ja die Energie aufgebracht werden/worden sein.
    Sollen denn die Urheber von bereits vorhandenen Werken für lau arbeiten/gearbeitet haben?“

    Ja die armen Urheber die momentan rechtlich ja so extrem benachteiligt sind mit momentan vermarkteten Werken. Wofür setzen diese „Urheber“ eigentlich Ihre Energie ein? Wenn sie schon 70 Jahre von einem einmaligen Arbeitsaufwand profitieren dann muss da doch unglaubliches potential vorhanden sein?

    Dieses wird aber offensichtlich nur dafür genutzt das eigene Säckel so effizient und schnell wie möglich zu füllen, vornehmlich auf Kosten der Allgemeinheit.

    Vor allem als kreativ schaffender müssten Sie wohl erkennen das monetärer Profit nicht das ultimative Motiv für eine allgemeine positive Weiterentwicklung sein kann.

    Comment by Densor — 11.05, 2012 @ 10:21

  16. @Densor:

    Ich weiß ehrlich gesagt nicht was für eine Vorstellung du davon hast wie reich ein Jünstler angeblich von der Veröffentlichung eines Werkes werden soll?

    Die Mehrheit der Kreativschaffenden gehören zu den „kleinen Künstlern“, die von ihrer Kunst nicht leben können.

    Warum soll denn jeder Mensch der Zeit und Aufwand in ein Studium/ Ausbildung investiert hat um seinen Beruf zu erlernen dafür anständig bezahlt werden nur ein Kunstschaffender nicht?

    Abgesehen davon find eich es auch richtig das man Teile eines Werkes für den Unterricht kopieren sollen dürfte. Allerdings nicht das ganze Werk. Es gibt auch kleine Verlage die Lehrmaterial herausbringen und die würden sehr darunter leiden wenn sie für die von ihnen herausgebrahcten Bücher nichts mehr bekommen würden. Genau genommen müssten die dicht machen.

    Comment by Tomate — 11.05, 2012 @ 18:53

  17. Ich hoffe, meine Frage kommt nicht zu spät. Ich bin mir über Folgendes nicht im Klaren: An vielen Universitäten legen die Dozenten sogenannte „Reader“ an, in denen Kopien von maßgeblichen Texten gesammelt sind, die für das Seminar relevant sind. Der Hintergrund ist einfach: Man kann nicht von den Studenten jedes Semester verlangen, für jedes Seminar 10 Bücher anzuschaffen, aus denen dann jeweils nur 15 Seiten gelesen werden. Finanziell wäre das für viele Studenten schwer zu bewältigen und bei weitem nicht für jedes Thema gibt es brauchbare Anthologien.

    Ich vermute also, daß diese Praxis, die unglaublich weit verbreitet ist, de facto eigentlich illegal ist?

    Comment by Anonymer Dozent — 12.05, 2012 @ 01:00

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