Das Land Berlin hat der Piratenpartei bzgl. einer angemeldeten Versammlung, die vor der türkischen Botschaft in Berlin stattfinden sollte, im Rahmen einer Auflage untersagt, das Gedicht „Schmähkritik“ von Jan Böhmermann öffentlich zu zeigen oder zu rezitieren. Das Verbot umfasste auch Textausschnitte, ausdrücklich ausgenommen war nur die Nennung des Gedichttitels. Untersagt wurde die Versammlung außerdem vor der türkischen Botschaft und stattdessen genehmigt in der Tiergartenstraße gegenüber der Stauffenbergstraße, also vor der österreichischen Botschaft.
Die Untersagung der Versammlung vor der türkischen Botschaft hat das Verwaltungsgericht Berlin aufgehoben, während das Verbot, das Gedicht „Schmäkritik“ ganz oder in Ausschnitten zu rezitieren, bestätigt wurde (VG Berlin, Beschluss vom 06.05.2016, Az.: VG 1 L 291.16).
Das Gericht stützt sich maßgeblich darauf, dass der Landesvorsitzende der Piraten Bruno Kramm bereits auf einer Versammlung Ende April Ausschnitte aus „Schmähkritik“ vorgetragen hat und insoweit Wiederholungsgefahr bestünde. Das Gericht geht ferner davon aus, dass das Gedicht Böhmermanns den Straftatbestand der Beleidigung erfüllt, weil es aus einer Aneinanderreihung abwertender Verunglimpfungen des türkischen Staatspräsidenten Erdogan bestehe. Das Gericht meint außerdem, es sei nicht möglich, Passagen mit eigenständigem Sinn- und Aussagegehalt zu identifizieren, die keine beleidigenden Inhalte aufweisen. Soweit eine Auseinandersetzung mit dem Gedicht in Betracht kommt, die von der Meinungsfreiheit gedeckt ist, hätten die Antragsteller gegenüber der Versammlungsbehörde nach Ansicht des Gerichts darlegen müssen, in welcher Weise in der Versammlung eine Bezugnahme auf das Gedicht erfolgen soll.
Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts Berlin halte ich zumindest eine Textpassage – auch außerhalb der von Böhmermann gewählten satirischen Einbettung – für zulässig. Wer über Erdogan (nur) sagt, er würde „Minderheiten unterdrücken“ und „Kurden treten, Christen hauen“ kritisiert damit seine Politik und Amtsführung. Die Diffamierung der Person steht nicht im Vordergrund, vielmehr geht es um eine Auseinandersetzung in der Sache, die vom Grundrecht auf Meinungsfreiheit gedeckt ist.
Genau wegen dieses öffentlichen Zitats durch Bruno Kramm wurde allerdings die frühere Versammlung durch die Polizei unterbrochen und Kramm mündlich untersagt, das Gedicht in Gänze oder in Auszügen zu zitieren. Kramm hatte seinen Satz mit den Worten begonnen „Wenn Böhmermann sagt, dass Erdogan am liebsten Minderheiten unterdrückt, Kurden tritt und Christen haut, …“ bevor er von der Polizei unterbrochen wurde. (Das Video findet sich hier).
Als die Versammlung fortgesetzt wurde, kritisierte Kramm es als „schmierig“, „rassistisch“ und „sexistisch“, Türken zu unterstellen, dass sie am liebsten mit Ziegen ficken würden. Kramm referierte anschließend über die Metapher sexueller Potenz als solche für politische Potenz und deren rhetorische Entlarvung durch Satire. Anschließend führte Kramm aus: „Wenn Böhmermann also sagt, sein Kopf so leer wie seine Eier, ein Star auf jeder Gangbang-Feier, dann ist das literarisch nicht großartig, aber entspricht genau dem Niveau dieser Form der Erniedrigung.“
Daraufhin brach die Polizei die Veranstaltung durch Einsatz unmittelbaren Zwangs ab.
Das Verwaltungsgericht hätte an dieser Stelle in Betracht ziehen müssen, dass diese vorangegangene polizeiliche Maßnahme, auf die das Gericht in seinem Beschluss die Wiederholungsgefahr stützt, bereits vollständig oder zumindest teilweise rechtswidrig war und deshalb keine tragfähige Grundlage für das nunmehr ausgesprochene Verbot darstellen konnte.
Da sich das vom Verwaltungsgericht gebilligte Verbot ausnahmeslos auch auf die isolierte Wiedergabe der Textpassage erstreckt, in der es um die Unterdrückung von Minderheiten geht, ist es rechtswidrig.
Darüber hinaus wäre aber eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Gedicht von Böhmermann bzw. des Sendebeitrags denkbar, die von Art. 5 Abs. 1 GG gedeckt ist. Das verkennt auch das VG Berlin nicht, meint aber insoweit, der Anmelder müsse dann bereits im Vorfeld mitteilen, in welcher Form und in welchem Kontext er gedenkt, das Gedicht zu zitieren. Das würde dann aber bedeuten, dass man der Behörde vorab ein Redemanuskript zur Prüfung vorlegt. Das erscheint in grundrechtlicher Hinsicht äußerst problematisch. Insoweit wäre vielmehr auch denkbar, die behördliche Auflage einfach enger zu fassen. Auch in diesem Punkt sind die Ausführungen des VG Berlin also nicht unproblematisch.
Markus Kompa, der die Piraten in diesem Verfahren anwaltlich vertritt, hat dazu ebenfalls gebloggt.
(Mir liegt sowohl die Entscheidung des VG Berlin, als auch die Antragsschrift der Piratenpartei vor)