BVerfG: Falsche Einordnung einer Äußerung als Tatsachenbehauptung
Zu der Frage, wie Tatsachenbehauptungen und Werturteile voneinander abzugrenzen sind, existieren eine Vielzahl von Entscheidungen. Das Bundesverfassungsgericht hat sich im Beschluss vom 29.06.2016 (Az.: 1 BvR 2732/15) einmal mehr mit dieser Frage beschäftigt und entschieden, dass bereits die falsche Einordnung einer Äußerung als Tatsachenbehauptung durch das Gericht den grundrechtlichen Schutz verkürzt und die gerichtliche Entscheidung allein aus diesem Grund fehlerhaft ist. Wenn eine Trennung von wertenden und tatsächlichen Aspekten einer Äußerung nicht sinnentstellend möglich ist, muss die Äußerung im Interesse eines wirksamen Grundrechtsschutzes insgesamt als wertende Meinungsäußerung angesehen werden. Im konkreten Fall betrachtet das BVerfG die Bezeichnung einer Person als „Spanner“ als Wertung, die dem Beweis nicht zugänglich ist.
Das Gericht führt hierzu aus:
Bei der Frage, ob eine Äußerung ihrem Schwerpunkt nach als Meinungsäußerung oder als Tatsachenbehauptung anzusehen ist, kommt es entscheidend auf den Gesamtzusammenhang dieser Äußerung an. Die isolierte Betrachtung eines umstrittenen Äußerungsteils wird den Anforderungen an eine zuverlässige Sinnermittlung regelmäßig nicht gerecht (vgl. BVerfGE 93, 266 <295>). Auch ist im Einzelfall eine Trennung der tatsächlichen und der wertenden Bestandteile einer Äußerung nur zulässig, wenn dadurch ihr Sinn nicht verfälscht wird. Wo dies nicht möglich ist, muss die Äußerung im Interesse eines wirksamen Grundrechtsschutzes insgesamt als Meinungsäußerung angesehen werden, weil andernfalls eine wesentliche Verkürzung des Grundrechtsschutzes drohte (vgl. BVerfGE 61, 1 <9>; 90, 241 <248>). Denn anders als bei Meinungen im engeren Sinne, bei denen insbesondere im öffentlichen Meinungskampf im Rahmen der regelmäßig vorzunehmenden Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit einerseits und dem Rechtsgut, in deren Interesse sie durch ein allgemeines Gesetz wie den §§ 185 ff. StGB eingeschränkt werden kann, eine Vermutung zugunsten der freien Rede gilt, gilt dies für Tatsachenbehauptungen nicht in gleicher Weise (vgl. BVerfGE 54, 208 <219>; 61, 1 <8 f.>, 90, 241 <248>). Bedeutung und Tragweite der Meinungsfreiheit sind deshalb auch dann verkannt, wenn eine Äußerung unzutreffend als Tatsachenbehauptung, Formalbeleidigung oder Schmähkritik eingestuft wird mit der Folge, dass sie dann nicht im selben Maß am Schutz des Grundrechts teilnimmt wie Äußerungen, die als Werturteil ohne beleidigenden oder schmähenden Charakter anzusehen sind (vgl. BVerfGE 85, 1 <14>; 93, 266 <294>).
(…)
Bereits die falsche Einordnung der Äußerung als Tatsache führt zur Aufhebung der angegriffenen Entscheidungen, da nicht auszuschließen ist, dass das Amtsgericht, wenn es zutreffend vom Vorliegen einer von Art. 5 Abs. 1 GG geschützten Meinung ausgeht, zu einer anderen Entscheidung in der Sache kommen wird.
Auch wenn ich die hohe Gewichtung des Grundrechts „Meinungs- und Äußerungsfreiheit“ begrüße, habe ich dies Verständnisproblem:
Ein Spanner ist einer, der Pärchen heimlich beim Ficken beobachtet. Die Aussage ist dem Beweis absolut zugänglich.
Möglicherweise ist im sachlichen Zusammenhang des Urteils diese Sach-Interpretation nicht möglich. Aber zum sachlichen Zusammenhang habe ich hier nichts herausgelesen.
Comment by Wolf-Dieter Busch — 3.08, 2016 @ 16:22
@Wolf-Dieter Busch: einfach einmal im Text auf den Link „Beschluss vom 29.9.2016“ (direkt zum Urteil) oder das Aktenzeichen (2-Sprung) klicken, dann gibt es den Sachzusammenhang. Punkt 1 unter „Gründe“.
Comment by M. Boettcher — 3.08, 2016 @ 17:46
@M. Boettcher – danke für den Hinweis. Sachzusammenhang: ein Polizeibeamter ist sicherheitstechnisch überfürsorglich gegenüber dem Beschwerdeführer, der ihn als „Spanner“ bezeichnet. Dieser Sachverhalt passt in zwo bis drei Sätze.
Comment by Wolf-Dieter Busch — 3.08, 2016 @ 20:04
Wie sieht es denn dann mit der halböffentlichen Äußerung eines Schülers gegenüber einem Lehrer aus: „Sie sind der schlechteste Lehrer des Landes.“
Man berücksichtige dabei, dass es keine bekannte objektive oder wissenschaftlich anerkannte Methode zur Leistungsmessung von Lehrern gibt.
Comment by Heinz Handtuch — 4.08, 2016 @ 18:34
Wen darf man jetzt wann und wo in welchem Zusammenhang Spanner nennen?
Comment by Zwangsbürger dieses vermeintlichen Rechtsstaates — 5.08, 2016 @ 15:53