Internet-Law

Onlinerecht und Bürgerrechte 2.0

16.7.13

Vom Nutzen der Geheimdienste für unsere Sicherheit

Etwas zögerlich scheint im Zuge der Enthüllungen Edward Snowdens nunmehr eine Diskussion in Gang zu kommen, die auch den generellen Nutzen von Geheimdiensten thematisiert.

Bislang haben die Befürworter von Geheimdiensten stets das Mantra der Sicherheit und Terrorbekämpfung vor sich hergetragen. Hinterfragt worden ist dieser Ansatz kaum. Vielmehr wurde zumeist über die Balance von Sicherheit und Freiheit geredet, während die Kritiker die Bedeutung der Bürgerrechte betont haben.

Der bürgerrechtliche bzw. freiheitsrechtliche Ansatz muss in einer Gesellschaft, die sich als freiheitlich-demokratisch begreift – aber langsam auch erkennen muss, dass sie das nur noch bedingt ist – zwangsläufig im Mittelpunkt stehen. Denn es existiert eine rote Linie die den Rechtsstaat vom Unrechtsstaat trennt. Und weil diese Linie mittlerweile überschritten ist, ist es für den Rechtsstaat unabdingbar, die Schraube ein ganzes Stück weit zurückzudrehen. Aber all das sollte uns nicht davon abhalten, den Nutzen von Geheimdiensten auch jenseits der Bürgerrechte kritisch zu hinterfragen. Der deutsche Innenminister sprach im Zusammenhang mit den Aktivitäten der NSA gerade vom edlen Zweck Menschenleben zu retten. Abgesehen davon, dass man mit solchen Argumenten auch jedwede Folter rechtfertigen kann, lohnt sich insoweit ein Abgleich mit den bekannten Fakten.

Wir wissen beispielsweise, dass falsche bzw. verfälschte Geheimdienstinformationen den Irakkrieg mitausgelöst haben. Wir wissen außerdem, dass westliche Geheimdienste immer wieder Menschen entführt, gefoltert und umgebracht haben. Wir kennen in Deutschland den Fall von Khaled al-Masri, der von der CIA entführt und verschleppt wurde. Das Amtsgericht München hatte diesbezüglich sogar Haftbefehle gegen Mitarbeiter der CIA erlassen. In Italien hat ein Gericht im Jahre 2010 23 amerikanische CIA-Agenten (in Abwesenheit) zu zum Teil langjährigen Haftstrafen wegen der Entführung von Terrorverdächtigen verurteilt. Darüber hinaus sind eine Vielzahl ähnlicher Fälle bekannt, die zweifellos aber nur die Spitze des Eisbergs bilden.

Wer tatsächlich glaubt, solche Geheimdienstaktivitäten würden diese Welt sicherer machen, hat ein ähnlich schwieriges Verhältnis zur Realität wie der deutsche Innenminister Hans-Peter Friedrich. Von westlichen Geheimdiensten wurden gerade in den letzten Jahren sicherlich mehr Menschenleben zerstört als gerettet.

Wenn man demgegenüber versucht zu ergründen, was die Dienste in puncto Terrorbekämpfung tatsächlich auf der Habenseite verbuchen können, wird es plötzlich erstaunlich dünn. Friedrich sprach im Zusammenhang mit der NSA zunächst von fünf verhinderten Anschlägen in Deutschland. Das wurde insoweit abgeschwächt, als anschließend nur noch von fünf Vorfällen die Rede war. Später war seitens des Ministeriums dann noch von zwei verhinderten Anschlägen die Rede. Details erfährt die Öffentlichkeit natürlich keine, bis auf den bekannten Verweis auf die sog. Sauerlandgruppe. Wer sich dann wirklich einmal näher mit dem Thema Sauerlandgruppe befasst, wird auf erhebliche Zweifel und Ungereimtheiten stoßen und darauf, dass hier vermutlich etwas hochstilisiert wurde, um der Öffentlichkeit endlich einmal eine konkrete Terrorgefahr suggerieren zu können.

Warum haben wir also überhaupt noch Geheimdienste? Die Antwort ist mehrschichtig, wobei es stets auf den Erhalt und Ausbau von Machtpositionen hinausläuft. Die Geheimdienste wurden in der Zeit des kalten Krieges hochgerüstet und hatten die Aufgabe verfeindete und ergänzend auch befreundete Staaten auszuspionieren. Hierdurch entstanden mächtige und kaum kontrollierte Apparate, die man nach dem Ende des kalten Krieges nicht einfach wieder abschaffen konnte. Die Dienste waren immer in der Lage, sich selbst gegenüber der Politik als wichtig darzustellen. Und weil alles geheimhaltungsbedürftig ist, haben sie natürlich den Vorteil, dass sie sich keiner effektiven und kritischen Überprüfung stellen müssen. Darüber hinaus gibt es vor allen Dingen in den USA, aber nicht nur dort, immer noch genügend Politiker, die es für essentiell halten, soviele Informationen wie irgend möglich über alle erdenkbaren Vorgänge auf dieser Welt zu sammeln. Das entspricht dem Weltmachtanspruch der USA und vermittelt ein Gefühl eines Wissensvorsprungs und damit von Macht und Kontrolle.

Dass die Geheimdienste auch heute noch vor allem Politik- und Wirtschaftsspionage betreiben, ist ein Umstand über den wenig gesprochen wird, obwohl es für diese Annahme ausreichend tatsächliche Anhaltspunkte gibt. Die Regierungen dieser Welt stellen das natürlich in Abrede, denn man kann der eigenen Bevölkerung diesen nicht ganz so edlen Zweck kaum als sicherheitsrelevant schmackhaft machen. Als Rechtfertigungsgrund verbleibt dann immer nur der im Ergebnis allerdings äußerst faktenarme Verweis auf die Terrorbekämpfung.

Wer sich vor diesem Hintergrund von der Politik weiterhin verängstigen lässt, verhält sich in hohem Maße irrational. Nachdem es in Deutschland in den letzen 10 – 15 Jahren keinen wirklichen Terroranschlag gab, ist die Gefahr Opfer eines solchen Anschlags zu werden gleich null. Die Wahrscheinlichkeit von einem amerikanischen Geheimdienst verschleppt zu werden, ist signifikant höher.

Die Geheimdienste haben ein rechtsstaatliches Paralleluniversum begründet, das sich mit den Schlagworten „Staat im Staate“ oder „Deep State“ umschreiben lässt. Also genau das, was in einem freiheitlich-demokratischen Staat nie passieren darf, ist geschehen. Es haben sich mächtige Organisationen etabliert, die unzureichend demokratisch kontrolliert werden und die ein erstaunliches Eigenleben führen können. Es gelingt ihnen immer wieder, den politischen Mainstream von ihrer Wichtigkeit zu überzeugen, wobei die Intransparenz ihre stärkste Waffe darstellt. Unter dem Deckmantel des Staatsschutzes hat sich eine letzte geheim, unkontrolliert und antidemokratisch agierende Instanz etablieren können. Es ist daher eine demokratische Aufgabe und Herausforderung den Diensten den Kampf anzusagen und auf ihre schrittweise Abschaffung hinzuwirken.

Die Geheimdienste haben diese Welt gerade seit 9/11 unsicherer gemacht. Es deutet nichts darauf hin, dass sie die Sicherheit fördern. Politiker wie Merkel oder Friedrich sind letztlich aber zu schwach, um das rational Notwendige zu tun und die Interessen ihrer Bürger zu vertreten. Ob bei uns derzeit ausreichend mutige und standhafte Politiker zur Wahl stehen, ist eine andere Frage, aber das allein kann der aktuellen Regierung nicht als Rechtfertigung dienen.

posted by Stadler at 15:15  

9.7.13

Geheimdienste und Bürgerrechte

Vor zwei Wochen habe ich die Hinterlist einer lichtscheuen Politik kommentiert. Daran anknüpfend möchte ich jetzt die Frage aufwerfen, wie sich die Tätigkeit von Geheimdiensten mit den Bürgerrechten verträgt. (Auslands)-Geheimdienste sind ein Relikt aus dem 20. Jahrhundert, aus der Zeit des kalten Krieges, in der es als politische Notwendigkeit gesehen wurde, dass sich verfeindete Staaten – und nicht nur die – gegenseitig bespitzeln.

Der Tätigkeit von Geheimdiensten liegt eine im Grunde widersprüchliche Logik zu Grunde. Sie werden weltweit – immer von einer national geprägten Sichtweise aus – als legitim betrachtet, obwohl ihr Auftrag letztlich darin besteht, die Politiker, Unternehmen und mittlerweile auch Bürger fremder Staaten zu überwachen und damit auch das Recht dieser Staaten zu brechen.

Dieses an sich bereits merkwürdige Konstrukt erweist sich im Zeitalter eines weltumspannenden Datennetzes endgültig als Anachronismus. Mit der Vorstellung von global geltenden Bürger- und Menschenrechten war es ohnehin nie wirklich vereinbar. Denn die Verletzung des Rechts fremder Staaten durch Geheimdienste beinhaltet immer auch die Verletzung der Grundrechte der Bürger dieses Staates. Der amerikanische Politberater Andrew B. Denison hat dies in der Talkshow von Anne Will auf den Punkt gebracht, indem er sagte, es sei die Aufgabe der NSA das Recht fremder Staaten zu brechen, allerdings nicht, ohne dies praktisch im selben Atemzug als legitim zu bezeichnen. Wenn wir ein weltweites System von Geheimdiensten akzeptieren, dann akzeptieren wir auch immer auch die weltweite Verletzung von Grund- und Bürgerrechten.

Die aktuelle öffentliche Diskussion erfasst die Tragweite und Bedeutung dieses Aspekts noch nichts ansatzweise. Wir müssen die Rolle der Geheimdienste vor dem Hintergrund der Funktionsfähigkeit desjenigen Staatswesens diskutieren, zu dem sich alle westlichen Staaten formal bekennen. Verträgt sich das Grundkonzept von Geheimdiensten mit der Vorstellung von einer freiheitlich-demokratischen Grundordnung? Die nationalstaatliche Betrachtungsweise ist dafür zu eng. Andernfalls würden wir akzeptieren, dass das Recht eines beliebigen Nationalstaats im Ergebnis immer Vorrang vor global geltenden und wirkenden Menschen- und Bürgerrechten hätte.

Wir müssen letztlich erkennen, dass unser Demokratisierungsprozess noch nicht abgeschlossen, sondern vielmehr ins Stocken geraten ist. Auf dem Weg zu einer vollständigen freiheitlich-demokratischen Grundordnung müssen Fremdkörper wie Geheimdienste beseitigt werden. Sie sind Ausdruck eines archaisch-kriegerisch geprägten Denkens, das es zu überwinden gilt. Man kann durch nationales Recht den Bruch des Rechts eines anderen Staates nicht legitimieren. Das ist vielmehr nur die Fortsetzung von Krieg mit anderen Mitteln.

Geheimdienste bewirken die Entstehung großer rechtsfreier Räume, die weltweit niemand mehr kontrollieren kann. Denn die Geheimdienste – zumindest von formal befreundeten Staaten – tauschen ihre Erkenntnisse wiederum wechselseitig aus, und umgehen damit selbst die Bindungen ihres nationalen Rechts. Was sie selbst nicht ermitteln dürfen, erledigt ein ausländischer Geheimdienst, der dann wiederum Daten und Informationen liefert. Geheimdienste schaffen dadurch ein weltweit vernetztes und unkotrolliert agierendes System, das der zielgerichteten Aushebelung von Bürgerrechten dient. Es kommt hinzu, dass das Internet die Rahmenbedingungen entscheidend verändert hat. Denn mit der Überwachung durch Geheimdienste ist es so ähnlich wie mit dem Urheberrecht. Was in den 80er Jahren noch auf einen kleineren Personenkreis beschränkt war, betrifft plötzlich (nahezu) alle Menschen.

Dass Geheimdienste unverzichtbar sind, um internationalen Terrorismus zu bekämpfen, ist eine oft gehörte, aber selten belegte Behauptung. Wenn man sich das in Deutschland populärste Beispiel der sog. Sauerlandgruppe ansieht, dann ergeben sich bei näherer Betrachtung ganz erhebliche Zweifel. Was allerdings nicht zu bezweifeln ist, dennoch gerne unter den Teppich gekehrt wird, ist der Umstand, dass bei den Geheimdiensten keineswegs die Terrorbekämpfung, sondern vielmehr die Polit- und Wirtschaftsspionage im Vordergrund steht.

Zum Abschluss noch ein paar Worte zu Edward Snowden, weil sich bei der Betrachtung seiner Handlungen dasselbe Paradoxon zeigt, das dem Konzept weltweit agierender Geheimdienste zugrund liegt. Snowden wird, wiederum von einer rein nationalen Sichtweise aus, als Verräter betrachtet, wobei selbst dies unter Juristen umstritten ist. Gleichzeitig hat er aber den Bruch von Bürger- und Menschenrechten offenkundig gemacht, zu denen sich formal alle Staaten der westlichen Welt bekennen. Aus Sicht des Rechts, zumindest wenn man es global betrachtet und nicht national, ist Snowden kein Verräter, sondern ein Aufklärer. Der Rechtsbruch der ihm vorgeworfen wird besteht darin, auf einen global wirkenden Rechtsbruch hingewiesen zu haben. Weil er sich damit aber mit der US-Administration angelegt hat, wird er gejagt und kein europäischer bzw. westlicher Staat ist bereit, ihm Asyl zu gewähren, obwohl die politische Verfolgung auf der Hand liegt. Man will in Deutschland und anderswo offenbar niemandem Schutz gewähren, der von den USA politisch verfolgt wird. Der gelegentlich erhobene Vorwurf, bereits der Umstand, dass Snowden zunächst nach Hongkong und dann nach Moskau geflüchtet sei, zeige seine wirkliche Motivation, ist vor diesem Hintergrund erbärmlich und heuchlerisch.

Wir müssen letztlich nicht nur über Programme wie Prism reden, sondern über den Zustand unserer Demokratie. Nicht mehr und nicht weniger. Die Qualität eines freiheitlich-demokratischen Staates zeigt sich nämlich gerade auch am Umgang mit Aufklärern wie Snowden oder Manning, die zu Unrecht als Verräter denunziert, verfolgt und ihrer Freiheit beraubt werden.

posted by Stadler at 12:36  

25.6.13

Von der Hinterlist einer lichtscheuen Politik

Die weitreichende TK- und Internetüberwachung der Amerikaner (Prism) und der Briten (Tempora) führt zu durchaus bemerkenswerten Diskussionsbeiträgen. Manche fordern eine Stärkung des Datenschutzes und der Verschlüsselung, während andere dazu raten, nicht so geschwätzig zu sein und vielleicht auch mal wieder unter vier Augen oder im Wald miteinander zu reden. Alles ganz interessante Vorschläge, die aber am Kern des Problems vorbeigehen.

Das Vier-Augen-Gespräch ist kein Surrogat für die Onlinekommunikation und als Bürger möchte ich mich weder von meinem eigenen noch von einem anderen Staat dazu zwingen lassen, laufend zur digitalen Selbstverteidigung greifen zu müssen und meine gesamte Kommunikation verschlüsseln.

Ein Staat, der seine eigenen Bürger oder die Bürger fremder Staaten systematisch überwacht, kann sich nicht zugleich als freiheitlicher Rechtsstaat begreifen. Viele Menschen haben mit dieser Überwachung offenbar aber kein Problem, weil sie glauben, das würde sie nicht betreffen, sondern nur Terroristen oder Terrorverdächtige. Warum diese Annahme naiv und falsch ist, lässt sich im Grunde mit einem Wort erklären: Guantanamo. Dort werden seit Jahren Menschen festgehalten, die zu einem erheblichen Teil unschuldig sind und die nie ein ordentliches Gerichtsverfahren bekommen haben und auch nie eines bekommen werden. Es kann also im Grunde jeder in den Fokus von Geheimdiensten und Sicherheitsbehörden geraten, wenn man zur falschen Zeit am falschen Ort ist, oder wenn die digitale Rasterfahndung aus ein paar ungünstigen Einzelindizien einen unberechtigten Tatvorwurf entstehen lässt. Dieses Phänomen kennt man sogar aus Strafverfahren, die vergleichsweise strikten rechtsstaatlichen Vorgaben folgen. Spätestens dann, wenn es keine nachvollziehbaren Regeln mehr gibt und die Betroffenen überhaupt nicht mehr wissen, welche Einzelinformationen gesammelt wurden und wie diese verknüpft worden sind, wird der Einzelne zum Objekt eines undurchsichtigen Machtapparats. Genau vor dieser Entwicklung sollen uns die Grundrechte schützen, aber sie tun es nicht mehr. Es geht längst nicht mehr nur um einzelne Grundrechte wie die informationelle Selbstbestimmung oder das Fernmeldegeheimnis. Es geht um die Würde des Menschen, um das Recht selbstbestimmtes Subjekt sein zu dürfen, das sich von nichts und niemand zum bloßen Objekt einer undurchsichtigen Überwachungsmaschinerie machen lassen muss.

Diese Diskussion gipfelt letztlich in der Frage, für welches Menschenbild unsere Gesellschaft künftig stehen wird. Für das des Subjekts, das frei und selbstbestimmt handeln kann oder für das des Objekts, das unter dem Vorwand der Sicherheit bloßer Spielball eines Staates ist. Derzeit gaukelt man uns weiterhin das Ideal von der freien Entfaltung der Persönlichkeit in einem freiheitlich-demokratischen Staat vor, während im Hintergrund die Geheimdienste verschiedenster Staaten unsere Kommunikation nahezu lückenlos überwachen bzw. eine solche Überwachung zumindest anstreben. Beide Aspekte sind miteinander unvereinbar.

Ich persönlich gehe gerne in den Wald, aber zum Laufen oder um die Ruhe zu genießen aber nicht um zu kommunizieren. Verschlüsselung ist sinnvoll und notwendig. Aber hätte ich etwa in der alten analogen Welt alle meine Briefe mit einem geheimen Code so verschlüsselt, dass nur mein Gegenüber die Nachricht verstehen bzw. entschlüsseln kann? Nein. Und deshalb ist das auch nicht die digitale Welt in der ich leben will.

Wenn Konstantin von Notz schreibt, dass Überwachungs- und Schnüffelprogramme wie Prism unsere Freiheit und Demokratie bedrohen, trifft er den Nagel auf den Kopf. Die Datenschutzreform der EU ist vermutlich dennoch nicht der richtige oder zumindest nicht der primäre Rahmen um diese Frage zu klären. Wir reden hier jeweils von nationalen Programmen, die allerdings global wirken. Es sind die Bürger die weltweit Druck ausüben müssen. Ohne öffentlichen Druck und mehr Transparenz, die Whistleblower wie Edward Snowden erzeugen, wird sich nichts ändern. Denn die Politik wird nicht freiwillig umsteuern.

Dass die Hinterlist einer lichtscheuen Politik nur durch Publizität vereitelt werden kann, hat Kant bereits 1795 formuliert. Wenn Obama jetzt meint, mit einer Ergreifung Snowdens würde das Recht zum Zug kommen, dann entspricht das ziemlich genau der Hinterlist des lichtscheuen Politikers die Kant angeprangert hat. Obama verstößt gegen die von Kant formulierte transzendentale Formel des öffentlichen Rechts:

Alle auf das Recht anderer Menschen bezogene Handlungen, deren Maxime sich nicht mit der Publizität verträgt, sind unrecht.

Die Schrift Kants aus der ich zitiere, heißt übrigens „Zum ewigen Frieden“, der sich laut Kant nur dann einstellen wird, wenn im öffentlichen Bereich eine größtmögliche, ja sogar radikale Publizität herrscht.

Man muss also erkennen, dass Edward Snowden und Bradley Manning in der Tradition der Aufklärung stehen – was Julian Nida-Rümelin am Beispiel von Wikileaks überzeugend erläutert hat – während mächtige Strömungen in der internationalen Politik ihr entgegen arbeiten. Das Recht steht in diesem Fall ganz eindeutig auf der Seite Snowdens sowie all jener, die für Transparenz oder wie Kant es formulierte Publizität eintreten. Sie brauchen unsere Unterstützung und Solidarität im Kampf gegen lichtscheue Politik, damit das Recht hier letztendlich wirklich zum Zug kommen kann.

posted by Stadler at 10:57  

18.6.13

Das Ziel lautet Totalüberwachung

Bereits vor knapp zwei Wochen habe ich darauf hingewiesen, dass Prism kein originär amerikanisches Phänomen ist und wir uns auch mit dem beschäftigen sollten, was die deutschen Geheimdienste so treiben. Und kurze Zeit später konnte man auch schon lesen, dass der BND die Internetüberwachung massiv ausbauen will. Das wird flankiert von Aussagen des Bundesinnenministers Hans-Peter Friedrich, der sich bei den USA für Prism bedankte und betonte, man müsse Kontrollverluste über die Kommunikation von Kriminellen durch neue rechtliche und technologische Mittel ausgleichen.

Damit wird hinreichend deutlich, dass der BND und die deutsche Innenpolitik das Internet und die Telekommunikation gerne in denselbem Umfang überwachen würden wie die USA und, dass dies derzeit nur an den begrenzten technologischen und personellen Mitteln des BND scheitert.

Und in der Tat besteht in Deutschland der rechtliche Rahmen hierfür längst. Fündig wird man beispielsweise im Gesetz zur Beschränkung des Post- und Fernmeldehegeimnisses (G10) und im BND-Gesetz. Über den sog. elektronischen Staubsauger hatte ich bereits im letzten Jahr berichtet. In einem äußerst lesenswerten Blogbeitrag erläutert der Kollege Härting die „strategische Fernmeldekontrolle“ durch den BND juristisch und bezweifelt, ob das aktuell bekannte Ausmaß der TK- und Internetüberwachung durch den BND noch verfassungskonform ist. Die Befugnisse des BND zur „strategischen Fernmeldekontrolle“ wurden 2001 durch eine rot-grüne Bundestagsmehrheit erheblich ausgeweitet und auch die gerade unter schwarz-gelb verabschiedeten Regelungen zur Bestandsdatenauskunft führen speziell zugunsten der Dienste zu einer spürbaren Ausweitung der Möglichkeiten der TK-Überwachung.

In diesem Zusammenhang muss man sich auch darüber im Klaren sein, dass das Bundesverfassungsgericht seit längerer Zeit keine Pflöcke mehr einrammt, sondern nur noch kleinere Stöcke, die von den Innenpolitikern dieses Landes immer wieder herausgerissen und anschließend um ein Stück versetzt werden. Auch das wackere Verfassungsgericht betreibt letztlich nur noch Rückzugsgefechte, die den Abbau der Bürgerrechte nur verlangsamen aber nicht aufhalten können.

Wenn man die öffentlichen Erklärungen beispielsweise von Barack Obama oder Hans-Peter Friedrich betrachtet, dann ist klar, dass das Ziel die Vollüberwachung aller Bürger ist. In ihrem sehr guten und klaren Kommentar „PRISM auch für Deutschland“ erläutert die Kollegin Ann-Karina Wrede, dass die neuen rechtlichen und technologischen Mittel die ein Friedrich fordert – obwohl das Pendel ohnehin bereits deutlich in Richtung Überwachungsstaat ausschlägt – letztlich auf die Vorstellung einer Komplettüberwachung sämtlicher Bürger hinausläuft.

Was können wir dagegen tun? Von der (deutschen) Politik ist nicht viel zu erwarten, nachdem schwarz-gelb und zuvor rot-grün immer weiter am Rad der TK-Überwachung gedreht haben. Es bleibt also nur die Möglichkeit öffentlichen Druck aufzubauen und wir müssen, wie Ann-Karina Wrede zu recht schreibt, gegen Überwachung und Programme wie Prism raus auf die Straße.

posted by Stadler at 12:27  

7.6.13

Prism ist kein originär amerikanisches Phänomen

Die Meldung, dass US-Behörden im Rahmen des Programms Prism das Internet in großem Stil überwachen und angeblich direkt auf Server von Google, Facebook, Apple oder Microsoft zugreifen können, hat weltweit für mediale Aufmerksamkeit gesorgt.

Wer weiß, was bereits deutsche Geheimdienste nach dem Gesetzes zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses (G 10) dürfen und was sie tatsächlich praktizieren, dem muss klar sein, dass Geheimdienste weltweit die Telefon- und Internetkommunikation massiv und großflächig überwachen und aufzeichnen. In den USA möglicherweise umfassender und intensiver als in Europa.

Dass dies einer breiten Öffentlichkeit nicht bekannt ist, obwohl wesentliche Rahmenbedingungen nicht wirklich geheim sind, liegt auch an einer unzureichenden Berichterstattung.

Wer nun meint oder behauptet, die EU könne US-Programmen wie Prism etwa durch die geplante Datenschutzgrundverordnung Einhalt gebieten, hat nicht verstanden, auf welcher Grundlage und nach welcher Logik Geheimdienste agieren.

Die Legitimation jedweder Geheimdiensttätigkeit ergibt sich immer aus dem jeweiligen nationalen Recht. Weil es gerade auch darum geht, fremde Staaten und deren Bürger auszuspionieren, ist es zwangsläufig notwendig, sich über die rechtlichen Beschränkungen fremden Staaten hinwegzusetzen. Für die Tätigkeit von US-Diensten ist es also völlig irrelevant, was die EU oder ein europäischer Staat gesetzlich regelt. Das gilt freilich umgekehrt ebenso.

Gegen diese Form der Geheimdienstlogik hilft nur Transparenz, Information und Berichterstattung. Nötig ist vor allen Dingen aber auch ein sicherheitspolitischer Bewusstseinswandel und zwar sowohl in den Köpfen der Bürger als auch in denen der Politiker. Diese Welt wird letztendlich nur dann irgendwann wirklich demokratisch und freiheitlich werden, wenn wir es weltweit schaffen, Phänomene wie (nationale) Geheimdienste zu überwinden. Die Pönalisierung von Whistleblowern wie Bradley Manning ist hier übrigens nur die Kehrseite derselben Medaille. Solange Nationalstaaten Geheimdienste unterhalten, die mit weitreichenden Befugnissen ausgestattet werden, im Verborgenen agieren dürfen und keiner effektiven Kontrolle unterliegen, solange wird man auch diejenigen hart bestrafen, die sich dieser Logik widersetzen, indem sie solche Informationen und Vorgänge öffentlich machen, die dieser merkwürdigen Geheimhaltungslogik unterliegen.

Es wird sich also nur dann etwas ändern, wenn Öffentlichkeit erzeugt wird und es gelingt, die finsteren Hinterzimmer auszuleuchten. Die Medien könnten damit anfangen, die Menschen einfach erst einmal über das Ausmaß der Überwachung zu informieren, das prinzipiell bereits bekannt ist. Ich lese leider wenig über den „elektronischen Staubsauger“ und das, was der BND auf Grundlage des G10 tatsächlich so treibt und frage mich warum. Ist es für Journalisten gefährlich in diesem Umfeld zu recherchieren und Dinge öffentlich zu machen?

Update vom 10.06.2013:
In einem Blogbeitrag für CR-Online stellt der Kollege Härting – lediglich in Bezug auf die kürzlich verabschiedete Bestandsdatenauskunft – die Frage, welche Beschränkungen für den Bundesnachrichtendienst (BND) gelten. Und der Blick ins Gesetz macht deutlich, dass es im Grunde keine nennenswerten Hürden gibt. Denn der BND kann nach der Neuregelung von Providern Daten anfordern, sobald er der Ansicht ist, dass Bestandsdaten zu Erkenntnissen über das Ausland führen können, die ”von außen- und sicherheitspolitischer Bedeutung” sind. Da das niemand effektiv überprüfen kann, hat der BND hier relativ freie Hand.

Das passt ganz gut zur aktuellen Diskussion um das US-Programm prism, in der man auch mal der Frage nachgehen sollte, was der BND und die Verfassungsschutzbehörden in puncto TK- und Internetüberwachung eigentlich dürfen und was sie tatsächlich praktizieren. Der BND darf nach geltemdem Recht (G10, BND-G) schon bedenklich viel und es steht zu befürchten, dass die Praxis noch darüber hinausgeht, nachdem es an einer effektiven Kontrolle der Geheimdiensttätigkeit fehlt.

Interessant ist in diesem Zusammenhang auch, dass sich der BND nach § 1 Abs. 2 S. 2 BND-G nur dann an einschränkende Vorgaben des deutschen Rechts halten muss, wenn die Informationen im Inland erhoben werden. Für die Daten- und Informationsbeschaffung im Ausland sieht das deutsche Recht keine gesetzlichen Beschränkungen vor. Und exakt nach derselben Logik arbeiten alle Geheimdienste weltweit.

Man sollte in diesem Zusammenhang außerdem auch berücksichtigen, dass die internationale Zusammenarbeit der Geheimdienste offenbar besser funktioniert als beispielsweise der Informationsaustausch unter den deutschen Verfassungsschutzbehörden. Die Informationen die die USA im Zuge ihrer weitreichenden Überwachungsmaßnahmen erlangen, landen bei Bedarf dann nämlich auch in Pullach.

Vielleicht bietet der aktuelle Fall ja die Gelegenheit dazu, öffentlich und vor einem großen Publikum die Praktiken der Geheimdienste weltweit zu hinterfragen.

posted by Stadler at 23:04  

24.4.13

Ausgestaltung der Antiterrordatei teilweise verfassungswidrig

Das vielleicht Interessanteste an der heutigen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (Urteil vom 24.04.2013, Az.: 1 BvR 1215/07) zur Antiterrordatei, ist die Grußadresse in Richtung des EuGH. Eine Vorlage an den EuGH ist nach Ansicht der Verfassungsrichter nicht geboten, denn die europäischen Grundrechte sind im Falle der Antiterrordatei von vornherein nicht anwendbar und der Europäische Gerichtshof ist insoweit auch nicht gesetzlicher Richter im Sinne des Grundgesetzes. Sollte eine aktuelle Entscheidung des EuGH (Urteil vom 26.02.2013, Az.: C-617/10) eine andere Lesart nahelegen, so geht das BVerfG im Sinne eines kooperativen Miteinanders davon aus, dass der EuGH nur einen Sonderfall entschieden hat, aber damit keine grundsätzliche Aussage verbunden ist.

Klingt nach einer Kampfansage in Richtung Luxemburg dahingehend, dass man sich in Karlsruhe die Butter nicht vom Brot nehmen lassen und es nicht akzeptieren wird, sollte der EuGH versuchen, auch die Grundrechtsauslegung weitgehend an sich zu ziehen.

Was die Antiterrordatei angeht, hat das BVerfG deutlich gemacht, dass diese zwar in ihrer Grundstruktur verfassungskonform ist, aber nicht in der konkreten Ausgestaltung.

Der Informationsaustausch zwischen Geheimdiensten und normalen Sicherheits- und Strafverfolgungsbehörden ist nur in Ausnahmefällen möglich. Der erfasste Personenkreis ist in Teilen zu unbestimmt und zu weitreichend definiert. Wegen der fehlenden Transparenz der Antiterrordatei müssen zudem die Aufsichtsinstanzen, derzeit die Datenschutzbeauftragten, mit wirksamen Befugnissen ausgestattet sein. Dazu müssen Zugriffe und Änderungen im Datenbestand vollständig protokolliert und den Datenschutzbeauftragten in praktikabel auswertbarer Weise zur Verfügung gestellt werden.

Außerdem ist auch die vollständige und uneingeschränkte Einbeziehung der durch Eingriffe in Art. 10 Abs. 1 (Telekommunikationsgeheimnis) und in Art. 13 Abs. 1 GG (Unverletzlichkeit der Wohnung) erhobenen Daten in die Antiterrordatei nicht mit der Verfassung vereinbar. Solche Daten können allenfalls verdeckt eingestellt werden, so dass sie nicht bei allgemeinen Abfragen zugänglich sind, sondern nur dann, wenn fachrechtliche Eingriffsvorschriften vorliegen, die ihrerseits verfassungsrechtlich gebotene qualifizierte Eingriffsschwellen und einen hinreichend gewichtigen Rechtsgüterschutz sicherstellen.

Insgesamt also eine weitere Ja-Aber-Entscheidung aus Karlsruhe, die im Detail eine ganze Reihe von Einzelregelungen als verfassungswidrig qualifiziert.

 

posted by Stadler at 17:31  

16.9.12

Bei den Diensten ist die Systemfrage zu stellen

Ende letzten Jahres habe ich die Frage „Muss der Verfassungsschutz abgeschafft werden?“ gestellt und dies mit der Forderung verbunden, das System Verfassungsschutz vorbehaltlos auf den Prüfstand zu stellen. Seither werden, speziell im Zusammenhang mit der Aufarbeitung des sog. NSU, immer wieder neue, für die Behörden unangenehme Tatsachen öffentlich bekannt, die von der Presse abwechselnd aber nur als Behördenversagen oder Ermittlungspannen beschrieben werden. Die Frage, ob wir es eventuell bereits mit einem „Staat im Staate“ zu tun haben, wurde in den etablierten Medien praktisch nicht aufgeworfen.

Unter dem Titel „In den Tiefen des Staates“ stellt Michael Kraske im Cicero jetzt endlich die Systemfrage und spricht von einem „Deep State“, wenngleich ich es nicht für sinnvoll halte, Polizei, Staatsanwaltschaften und Gerichte in einen Topf mit den Diensten zu werfen.

Das Handeln der Dienste, speziell der Verfassungsschutzbehörden ist darauf ausgerichtet, sich der parlamentarischen Kontrolle gezielt und konsequent zu entziehen. Das ist mittlerweile überdeutlich. Der insbesondere von Union und SPD präferierte Versuch, das bestehende System beizubehalten und nur die politische Kontrolle etwas zu verbessern, dürfte ähnlich erfolgsversprechend sein, wie der Versuch einen Hund dazu zu bewegen, sich einen Wurstvorrat anzulegen.

Es ist überfällig zu erkennen, dass dasjenige, was wir im Zusammenhang mit dem NSU über Verfassungsschutzbehörden und Dienste erfahren haben, nur die Spitze des Eisbergs darstellt. Bereits die öffentlich bekannten Umstände legen aber den Blick frei auf ein System, das sich nicht an rechtsstaatliche Vorgaben gebunden fühlt und seit jeher glaubt, nach eigenen Regeln agieren zu können. Unsere Politik hat den Staat im Staate längst zugelassen. Diese sich aufdrängende Schlussfolgerung wird aber weiterhin unter Verweis auf bedauerliche Ermittlungspannen negiert, zumal damit auch das Eingeständnis eines politischen Versagens verbunden wäre. Was ich an dieser Stelle schmerzlich vermisse, ist eine kritische und analytische Berichterstattung, die die Zusammenhänge herstellt und deutlich macht. Vor diesem Hintergrund ragt der Artikel von Michael Kraske heraus. Hoffentlich folgen andere Journalisten seinem Beispiel.

posted by Stadler at 14:15  

6.7.12

Verfassungsschutz und Rechtsbruch

In der aktuellen Diskussion werden – endlich so möchte man sagen – auch die Stimmen lauter, die eine grundlegende Reform der Verfasungsschutzbehörden fordern. In der Debatte wird dabei allerdings zu oft der Eindruck erweckt, Organisations- und Abstimmungsmängel würden den Kern des Problems darstellen. Zentral ist aber vielmehr der Umstand, dass die Verfasungsschutzbehörden faktisch in einem rechtsfreien Raum agieren, weil die parlamentarische Kontrolle gar nicht und die gerichtliche Kontrolle nur mangelhaft funktioniert.

Wer den Verfassungsschutz also wirklich sinnvoll reformieren will, der müsste die Reichweite der Kompetenzen auf den Prüfstand stellen und ein System einer effektiven Kontrolle schaffen. Das wäre allerdings mit dem Wesen eines Geheimdienstes schwerlich vereinbar. Hans Leyendecker schreibt in der SZ

Der Verfassungsschutz wird irgendwie bleiben (unbeliebt), und das Geheimnis, das die Vertreter dieses Gewerbes so lieben, bleibt auch. Ein vollständig transparenter Geheimdienst wäre ein Widerspruch in sich

und liefert damit eigentlich schon die Erklärung dafür, warum Inlandsgeheimdienste in einem freiheitlichen, demokratischen Rechtsstaat im Grunde ein Paradoxon darstellen.

Geheimdienste unterliegen keiner ausreichenden gerichtlichen und parlamentarischen Kontrolle, was die Geschichte der deutschen Verfassungsschutzbehörden überdeutlich zeigt. Das ist einerseits also gewollt und quasi systemimmanent, andererseits aber in einem freiheitlichen Rechtsstaat nicht zu tolerieren.

Vor diesem Hintergrund überrascht mich auch die Naivität, die die aktuelle politische und mediale Debatte prägt. Dass Inlandsgeheimdienste sich über das Recht hinwegsetzen, entspricht dem Wesen der Geheimdienste und stellt eine zwangsläufige Folge des Konzepts der Verfassungsschutzbehörden dar. Wenn wir also eine stringente rechtsstaatliche Kontrolle der Verfassungsschutzbehörden wollen, dann bedeutet dies zwangsläufig das Ende dieser Dienste in ihrer jetzigen Form. Hält man demgegenüber Inlandsgeheimdienste für erforderlich, dann muss man auch den Rechtsbruch in Kauf nehmen. Gerade das kann ein demokratischer Rechtsstaat aber an sich nicht tun. Die aktuelle Diskussion vermeidet diese zentrale Fragestellung bislang leider.

 

posted by Stadler at 23:11  

29.2.12

Der elektronische Staubsauger

Vor einigen Tagen wurde bekannt, dass die Geheimdienste im Jahr 2011 ca. 37 Millionen E-Mails überprüft haben, weil darin Begriffe wie „Bombe“ auftauchten. Diese Zahlen besagen allerdings auch, dass noch wesentlich mehr gescannt wurde und „nur“ in 37 Millionen Mails diejenigen Suchbegriffe enthalten waren, nach denen der Bundesnachrichtendienst gesucht hatte und von denen er glaubt, dass sie beispielsweise zur Früherkennung der Gefahr terroristischer Anschläge taugen. Die gescannten Mails, die keine der vorgegebenen Suchbegriffe enthielten, tauchen in der Statistik von vornherein nicht auf.

Die Rechtsgrundlage für das Vorgehen des Bundesnachrichtendiensts, das in der Presse gerne elektronischer Staubsauger genannt wird, findet sich in  § 5 des Gesetzes zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses (G 10).

Der BND darf für diese „strategischen Maßnahmen“, durch die das Fernmeldegeheimnis eingeschränkt wird, nur solche Suchbegriffe verwenden, die geeignet sind zur Aufklärung von Sachverhalten über den in der Anordnung genannten Gefahrenbereich beizutragen. Das sind aber gerade so allgemeine Begriffe wie Bombe, Al Quaida oder Anschlag.

Wie sich dem Bericht des Parlamentarischen Kontrollgremiums vom 10.02.2012 entnehmen lässt, hat das Innenministerium im Jahr 2010 derartige Maßnahmen für drei große Bereiche (internationaler Terrorismus, internationale Verbreitung von Kriegswaffen sowie unerlaubter Außenwirtschaftsverkehr mit Waren, Datenverarbeitungsprogrammen und Technologien und gewerbs- oder bandenmäßig organisiertes Einschleusen von Ausländern) genehmigt.

Im Jahr 2010 hat die Bundesregierung allein im Bereich „Internationaler Terrorismus“ 2752 (!) allgemeine Suchbegriffe zugelassen. Anhand dieser Suchbegriffe hat der BND den Telekommunikationsverkehr gescannt und nur für den Terrorismusbereich 10 213 329 Vorgänge näher untersucht, davon 10 208 525 E-Mails.

Grundsätzlich müssen diese Maßnahmen nach dem Gesetz zwar auf  internationale Telekommunikationsbeziehungen beschränkt werden. Wie man diese Einschränkung aber speziell beim E-Mail-Verkehr umsetzen und einhalten will, ist unklar. Die Ansicht des Abgeordneten Ströbele, dass Deutsche kaum betroffen sein dürften, kann man deshalb getrost als naiv bezeichnen. Es muss vielmehr davon ausgegangen werden, dass der BND zunächst unterschiedslos (nahezu) den gesamten E-Mail-Verkehr scannt.

Diese flächendeckende Form der Telekommunikationsüberwachung, die zutreffend als elektronischer Staubsauger bezeichnet wird – weil zunächst alles angesaugt wird – wurde 1999 vom Bundesverfassungsgericht in einer äußerst fragwürdigen Entscheidung abgesegnet. Damals war allerdings das Ausmaß der Überwachung nicht vorhersehbar. Das Gericht ging vielmehr davon aus, dass die täglich erfassten Telekommunikationsvorgänge aus technischen Gründen auf 15 000 beschränkt bleiben würden. Tatsächlich sind es mittlerweile über 100 000 jeden Tag.

Sowohl die parlamentarische, als auch die gerichtliche Kontrolle hat sich in diesem Bereich also als gänzlich wirkungslos erwiesen. Das Grundrecht aus Art. 10 GG ist zumindest mit Blick auf die Geheimdienste nur noch eine leere Hülle. Die Dienste können praktisch nach Belieben agieren, zumal die Bundesregierung die ohnehin sehr weit gefassten Anordnungen nach § 5 G 10 äußerst großzügig erlässt.

 

 

posted by Stadler at 20:17  

20.12.11

Muss der Verfassungsschutz abgeschafft werden?

Die aktuelle Diskussion über die Morde der sog. Zwickauer Zelle haben den Blick wieder einmal auf die Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder gelenkt. Obwohl der Verfassungsschutz ersichtlich versagt hat, wird auf politischer Ebene über eine Abschaffung der Verfassungsschutzbehörden noch nicht einmal ernsthaft diskutiert. Die weitestgehende Forderung dürfte die von Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger nach Zusammenlegung der Landesbehörden sein.

Wir müssen uns aber nicht nur die Frage stellen, ob die Verfassungsschutzbehörden effizienter arbeiten könnten, sondern vor allen Dingen, ob sie aus rechtsstaatlicher Sicht noch tragbar sind. Muss eine moderne Demokratie vielleicht gar auf derartige Inlandsgeheimdienste verzichten, weil sie eine Bedrohung für den Rechtsstaat darstellen?

Vor der Beantwortung dieser Frage, möchte ich einen kurzen Blick auf die Struktur der Verfassungsschutzbehörden werfen und ihren gesetzlichen Auftrag umreißen.

In Deutschland gibt es neben dem Bundesamt für Verfassungsschutz 16 Landesämter. Die Verfassungsschutzbehörden sind sog. Nachrichtendienste oder plastisch ausgedrückt Inlandsgeheimdienste. Aufgabe der Verfassungsschutzbehörden ist es, Informationen über solche Bestrebungen zu sammeln, die gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung gerichtet sind sowie die Spionagebekämpfung. Einigen Landesbehörden hat man zudem die Aufgabe übertragen, die organisierte Kriminalität zu beobachten.

Nachdem die Verfassungsschutzbehörden diejenigen sind, die unsere Verfassung vor den Feinden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung schützen sollen, möchte man eigentlich annehmen, dass die Tätigkeit dieser Behörden in höchstem Maße rechtsstaatlichen Anforderungen genügen muss und eine penible Kontrolle ihrer Tätigkeit stattfindet. Beides ist in der Praxis allerdings nicht der Fall.

Eine rechtswissenschaftliche Studie der Uni Freiburg belegt, dass sämtliche zwischen 2005 und 2008 veröffentlichten Verfassungsschutzberichte von Bund und Ländern, mit Ausnahme der von Berlin und Brandenburg, rechtswidrig waren. Besonders schwer wiegt hierbei, dass die große Mehrzahl der Verfassungsschutzbehörden auch ganz gezielt die vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Anforderungen missachtet hat.

Obwohl dies bekannt ist, sind hieraus politisch keinerlei Konsequenzen gezogen werden. Die Verfassungsschutzbehörden können ihre als rechtswidrig erkannte Tätigkeit ungehindert fortsetzen und tun dies auch. Ein anschauliches und aktuelles Beispiel liefert das bayerische Landesamt für Verfassungsschutz, das sich – freilich mit Rückendeckung der Staatsregierung – auch von gerichtlichen Entscheidungen wenig beindruckt zeigt.

Man muss also zunächst konstatieren, dass das Kontrollsystem, das primär parlamentarischer Natur ist, nicht ansatzweise funktioniert. Wenn aber die parlamentarische Kontrolle keine und die gerichtliche Kontrolle nur sehr eingeschränkte Wirkung zeigt, dann besteht die Gefahr der Entstehung eines Staats im Staat oder neudeutsch eines Deep States. Und diese Gefahr besteht nicht nur, sie hat sich bereits realisiert.

Einen anschaulichen Beleg dafür liefert der Fall des Rechtsanwalts und Bürgerrechtlers Rolf Gössner, der 38 Jahre lang vom Bundesamt für Verfassungsschutz überwacht worden ist. Nachdem Gössner Klage eingereicht hatte, um die rechtswidrige Dauerüberwachung seiner Person gerichtlich feststellen zu lassen, hat das Amt sehr schnell mitgeteilt, dass es die Überwachung eingestellt hat. Das Verwaltungsgericht Köln hat der Klage Gössners Anfang des Jahres stattgegeben und die Rechtswidrigkeit der Überwachung seiner Person festgestellt.  Wie das Bundesamt in diesem Fall gearbeitet hat, konnte der betroffene Bürgerrechtler Gössner über eine Akteneinsicht zumindest in Teilen rekonstruieren. Interessanter ist daran, dass 85 % der über 2.000 Seiten umfassenden Akte nur geschwärzt übermittelt worden sind. Begründet wurde dies pauschal mit drohenden Nachteilen für das Wohl des Bundes oder eines Landes und der Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit des Verfassungsschutzes. Vielleicht fürchtet man aber auch nur tiefe Einblicke in ein System, das sich als systematischer Verfassungsbruch erweisen könnte und damit exakt als das Gegenteil dessen, was die Behörden vorgeben zu tun und nach dem Gesetz tun müssen.

Der Fall Gössner zeigt, dass die Verfassungsschutzbehörden dazu neigen, kritische Demokraten zu überwachen, obwohl sich über Jahrzehnte hinweg keine ausreichenden tatsächlichen Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Aktivitäten ergeben. Es steht zu befürchten, dass dies kein Einzelfall ist, sondern, dass wir wegen der systemimmanenten Geheminiskrämerei bislang nur die Spitze eines riesigen Eisbergs sehen können.

Das Problem liegt in dem System Verfassungsschutz begründet und wird sich auch durch Reformen nicht lösen, sondern bestenfalls abmildern lassen. Wenn man Behörden gestattet im Verborgenen zu agieren und keine ausreichende Kontrolle im Einzelfall ausgeübt wird, dann ist der Machtmissbrauch vorprogrammiert. Die systematische Überwachung kritischer Demokraten wie Gössner oder des Münchener Vereins a.i.d.a. gefährdet den Rechtsstaat. Dass Gössner den Verfassungsschutz mit der Stasi vergleicht, mag auf den ersten Blick übertrieben erscheinen und ist es vermutlich in quantitativer Hinsicht auch. Im Einzelfall ist der Vergleich aber berechtigt und meines Erachtens sogar instruktiv, weil er deutlich macht, dass sich die Methoden und Mechanismen nicht mehr so stark unterscheiden, sobald man als Betroffener das Pech hat, in den Fokus des Verfassungsschutzes gerückt zu sein. Die Verfassungsschutzbehörden sind eine Art Stasi light mit demokratischem Anstrich.

Man muss sich deshalb ganz generell die Frage stellen, ob sich ein demokratischer Rechtsstaat weiterhin derartige Organistationen leisten kann und darf.

Zumal das Frühwarnsystem, als das sich die Verfassungsschutzbehörden gerne selbst sehen, erkennbar nicht funktioniert. Der aktuelle Fall der Zwicker Terrorzelle lehrt uns, dass sämtliche Verfassungsschutzbehörden über 10 Jahre hinweg vollständig versagt haben und keinerlei Erkenntnisse über Hintergründe und Zusammenhänge zusammengetragen haben, obwohl die Taten bereits seit Jahren von Nazi-Rock-Bands besungen werden. Was in weiten Teilen der rechten Szene bekannt war, ist den Verfassungsschutzbehörden trotz hunderter V-Leute komplett entgangen. Es mehren sich mittlerweile sogar die Hinweise darauf, dass die Verfassungsschutzbehörden die Arbeit der Polizei behindert haben.

Das gesamte System Verfassungsschutz gehört vorbehaltlos auf den Prüfstand und ich neige dazu, den Verfassungsschutz insgesamt für verzichtbar zu halten, zumal aus rechtsstaatlicher Sicht.

 

 

posted by Stadler at 17:07  
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