Internet-Law

Onlinerecht und Bürgerrechte 2.0

6.7.12

Verfassungsschutz und Rechtsbruch

In der aktuellen Diskussion werden – endlich so möchte man sagen – auch die Stimmen lauter, die eine grundlegende Reform der Verfasungsschutzbehörden fordern. In der Debatte wird dabei allerdings zu oft der Eindruck erweckt, Organisations- und Abstimmungsmängel würden den Kern des Problems darstellen. Zentral ist aber vielmehr der Umstand, dass die Verfasungsschutzbehörden faktisch in einem rechtsfreien Raum agieren, weil die parlamentarische Kontrolle gar nicht und die gerichtliche Kontrolle nur mangelhaft funktioniert.

Wer den Verfassungsschutz also wirklich sinnvoll reformieren will, der müsste die Reichweite der Kompetenzen auf den Prüfstand stellen und ein System einer effektiven Kontrolle schaffen. Das wäre allerdings mit dem Wesen eines Geheimdienstes schwerlich vereinbar. Hans Leyendecker schreibt in der SZ

Der Verfassungsschutz wird irgendwie bleiben (unbeliebt), und das Geheimnis, das die Vertreter dieses Gewerbes so lieben, bleibt auch. Ein vollständig transparenter Geheimdienst wäre ein Widerspruch in sich

und liefert damit eigentlich schon die Erklärung dafür, warum Inlandsgeheimdienste in einem freiheitlichen, demokratischen Rechtsstaat im Grunde ein Paradoxon darstellen.

Geheimdienste unterliegen keiner ausreichenden gerichtlichen und parlamentarischen Kontrolle, was die Geschichte der deutschen Verfassungsschutzbehörden überdeutlich zeigt. Das ist einerseits also gewollt und quasi systemimmanent, andererseits aber in einem freiheitlichen Rechtsstaat nicht zu tolerieren.

Vor diesem Hintergrund überrascht mich auch die Naivität, die die aktuelle politische und mediale Debatte prägt. Dass Inlandsgeheimdienste sich über das Recht hinwegsetzen, entspricht dem Wesen der Geheimdienste und stellt eine zwangsläufige Folge des Konzepts der Verfassungsschutzbehörden dar. Wenn wir also eine stringente rechtsstaatliche Kontrolle der Verfassungsschutzbehörden wollen, dann bedeutet dies zwangsläufig das Ende dieser Dienste in ihrer jetzigen Form. Hält man demgegenüber Inlandsgeheimdienste für erforderlich, dann muss man auch den Rechtsbruch in Kauf nehmen. Gerade das kann ein demokratischer Rechtsstaat aber an sich nicht tun. Die aktuelle Diskussion vermeidet diese zentrale Fragestellung bislang leider.

 

posted by Stadler at 23:11  

14 Comments

  1. Ein Mindestmaß an Logik und Stringenz wäre ja schon nett.

    Haben die Geheimdienste jetzt zuviele Kompetenzen (dann muss man die „auf den Prüfstand stellen“) oder halten sie die Grenzen ihrer Kompetenzen nicht ein (sie „setzen sich über das Recht hinweg“)?

    Kann man aus der Tatsache, dass die Intransparenz bei einem Geheimdienst in der Tat „systemimmanent“ oder „dem Wesen gemäß“ ist, ohne ein einziges Wort der Begründung ableiten, der Rechtsbruch sei dies auch? (Wer kontrolliert Sie eigentlich? Keiner? Dann ist bei Ihnen der Rechtsbruch auch „immanent“?)

    Comment by Gast — 7.07, 2012 @ 01:33

  2. Schöner Artikel, der genau auf das Hauptproblem zielt.Insofern trifft Herr Stadtler exakt den Kern des Problems und das möchte ich kurz mit einer eigenen kleinen Anekdote ergänzen. Vor sehr vielen Jahren hatte ich die Möglichkeit im privaten Rahmen mal mit einem pensionierten MAD Mitarbeiter genau über dieses Thema zu sprechen. Der lachte sich über die in den öffentlichen Debatten herrschende Naivität kaputt.Und sagte mir dann wörtlich, dass Geheimdienst halt von geheim käme und dass die Öffentlichkeit die Tätigkeit von Geheimdiensten nichts angehe.Untersuchungsausschüsse und parlamentarische Kontrollgremien würden soviel an Informationen bekommen wie die Geheimdienste es für nötig halten.Anders sei das nicht zu bewerkstelligen. Auf meine Frage, ob das nicht gegen demokratische Rechte verstöße, sagte er ja, sei aber nicht anders händelbar. Im übrigen sei das eine eigene Welt mit eigenen Gesetzen. Dass der Verfassungsschutz eine lange „braune“ Tradition hat, ist spätestens seit Klaus Barbie, dem Schlächter von Lyon, und dessen Betreuung durch Verfassungsch.und dem BND bekannt.Daher überrascht mich die Unterstützung für die NSU nicht bei gleichzeitiger phobischer Hysterie gegen Links

    Comment by FreeMind — 7.07, 2012 @ 08:52

  3. Ach Herr Stadler!

    Sie begehen in Ihrer Grundannahme bereits einen schwerwiegenden Fehler.

    Die Bundesrepublik Deutschland ist kein freiheitlich, demokratischer Rechtsstaat.

    Formal mag zwar einiges darauf hindeuten, jedoch zeigt der realexistierende Republikalltag ein anderen Bild.

    Ein Verfassungs“schutz“, der einen engagierten, kritischen Anwalt und Publizisten (Dr. Rolf Gössner) 38 Jahre ohne Grund überwacht, und gleichzeitig eine Neonazi-Terrorzelle 12 Jahre gewähren lässt, ist selbst zum Staatsfeind mutiert.

    Comment by Canaster — 7.07, 2012 @ 10:05

  4. Der VerFaschoschutz gehört abgeschafft. Komplett.

    Comment by Nachtlicht — 7.07, 2012 @ 10:20

  5. Dass Inlandsgeheimdienste sich über das Recht hinwegsetzen, entspricht dem Wesen der Geheimdienste und ist systemimmanent.

    Und dass Juristen dem nicht widersprechen, ebenso.

    § 1 BVerfSchG

    (1) Der Verfassungsschutz dient dem Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, […]

    § 4 BVerfSchG

    (2) Zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne dieses Gesetzes zählen:
    a) das Recht des Volkes, die Staatsgewalt in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung auszuüben und die Volksvertretung in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl zu wählen,
    b) die Bindung der Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung und die Bindung der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung an Gesetz und Recht,
    c) das Recht auf Bildung und Ausübung einer parlamentarischen Opposition,
    d) die Ablösbarkeit der Regierung und ihre Verantwortlichkeit gegenüber der Volksvertretung,
    e) die Unabhängigkeit der Gerichte,
    f) der Ausschluß jeder Gewalt- und Willkürherrschaft und
    g) die im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte.

    Comment by Hans Berger — 7.07, 2012 @ 11:01

  6. „Aussnahmesituationen erfordern auch Ausnahmemaßnahme“ sagte der damalige Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutzes, um das Bombenattentat des Staates auf die JVA Celle zu rechtfertigen.
    http://www.youtube.com/watch?v=udLhUsP9FyY
    Der Staat legte Bomben, um sie der RAF in die Schuhe zu schieben. In Berlin besorgte der Berliner Verfassungsschutz Molotow-Cocktails für das Axel Springer Haus und Bomben für die jüdische Moschee.
    Holger-Rüdiger Pfahls war aber nicht nur im Verfassungsschutz ein schwerer Krimineller, sondern auch in anderen Ämtern. Mittlerweile sitzt dieser Kriminelle im Gefängnis.

    Nach den NSU-Morden müssen wir und den dringenden Verdacht haben, dass die Ämter für Verfassungsschutz nicht nur „außergewöhnliche Maßnahmen“ betreiben, sondern kriminelle Vereinigungen sind, die strafrechtlich verfolgt und ausgeräuchert werden müssen. Diese Banden müssen dringend zu Law and Order gezwungen werden: Jegliche Vertrauen ist vollständig verspielt. Sie sind lebensgefährlich für die Bevölkerung mit ihren jahrzehntelangen kriminellen Verbrechen.

    Wer sie jetzt noch schützt, sollte wegen Beihilfe strafverfolgt werden.

    Comment by Wolfgang Ksoll — 7.07, 2012 @ 13:57

  7. Welche Tätigkeiten des Geheimdienstes müssen geheim durchgeführt werden? Kann mir das jemand an Beispielen erklären.

    Comment by Rolf Schälike — 7.07, 2012 @ 18:08

  8. @ Rolf Schälike:

    Na die Unterwanderung der NPD mit verdeckten V-Männern zum Beispiel, damit ein Verbotsverfahren gegen diese Partei vor dem BVerfG keinen Erfolg haben kann.

    Comment by hannes — 7.07, 2012 @ 20:33

  9. Der Verfassungsschutz ist gescheitert.

    Er wird nicht nur seinen Aufgaben nicht gerecht, zum wiederholten Male zeigt sich, dass er kontraproduktiv wirkt.

    Konsequenterweise ist der Verfassungsschutz als Organisation, die die Verfassungsziele weder teilt noch verfolgt, sofort aufzulösen.

    Comment by Volker Birk — 8.07, 2012 @ 11:34

  10. Der Fehler liegt bereits in der Annahme, die Verfassung müsse geschützt werden und dass zu dieser Aufgabe eine Behörde geeignet sei, deren „Befugnisse“ jenseits dessen liegen, was ein Rechtsstaat erlauben kann. Wir, die Bürger dieses Staates, haben ein Interesse daran, dass dieser Staat demokratisch ist, persönliche und gesellschaftliche Weiterentwicklung ermöglicht und gemeinsamen Schutz gegen Angriffe von außen organsieren lässt. Verfassung, Gesetze usw. regeln das Miteinander, die Rechte des Einzelnen wie die der Gemeinschaft und die Lösung von Konflikten untereinander. Wenn dies als Ganzes schützenswert ist, dann ist das eine Gemeinschaftsaufgabe aller Bürger und nicht eine, die man einer Behörde überlassen kann. Die Existenz der sogn. Dienste ist m. E. ein starkes Indiz dafür, dass dieser Staat keine Demokratie ist, vermutlich nie war. Verfassungsschutz und andere Institutionen sind einzig ein Herrschaftsinstrument derjenigen, die diesen Staat als Oligarchie etabliert haben.

    Comment by M. Boettcher — 8.07, 2012 @ 13:10

  11. Vor paar Tagen gab es auf 3-sat ein interessentes Interview mit so einem Professor für öffentliches Recht (oder so ähnlich) von so einer Fachhochschule in Berlin. Der vertrat erstaunlicherweise genau dieselbe Ansicht im Bezug auf den Verfassungsschutz, wie ich als Nichtjurist: Eigentlich sollte oder müßte der Verfassunggschutz nicht die Bürger, einschließlich Rechte und Linke überwachen, sondern die öffentlichen Behörden, einschließlich Regierung. Verletzungen der Verfassung, bzw. der Grundrechte der Bürger kommen doch fast nur von denen vor. Also wo vom BVerfG Verletzungen des Grundgesetzes festgestellt werden. Alles andere ist meiner Meinung nach Aufgabe der Polizei, bzw. BKA. Deren Aufgabe ist es auch Straftaten zu verhindern. Gilt natürlich auch für eigene.
    Natürlich müßte der Dienst dann einigermaßen unabhängig von der Regierung sein. Aber um es doch noch irgendwie positiv zu sehen: http://www.stuttmann-karikaturen.de/karikaturarchiv_4544.html

    Comment by LV — 8.07, 2012 @ 16:05

  12. Erinnert sich noch jemand an den V-Mann des Verfassungsschutzes Peter Urbach?
    https://de.wikipedia.org/wiki/Peter_Urbach
    Von diesem sauberen Herrn bekam die RAF Schusswaffen und Bomben aus dem Fundus des VS aufgedrängt. Als der Boden zu heiß wurde, flog man Urbach in die USA aus wo er noch ein feines Leben führen konnte, nachdem er im Auftrag von oben kräftig mitgeholfen hatte, die Leben anderer zu zerstören.
    http://www.legacy.com/obituaries/santamariatimes/obituary.aspx?n=peter-urbach&pid=150835925
    Wer ihn letzlich bezahlte, der VS oder die CIA, ist fast schon egal.
    So sieht das aus wenn Inlandsgeheimdienste die Politik bestimmen.
    Was schützt der Verfassungsschutz? LOL

    Comment by Rottweiler — 10.07, 2012 @ 13:13

  13. Bei diesem Verfassungsschutz wird es nicht ausreichen, die Putzkolonne durchzuschicken. Es wird sich früher oder später die Frage stellen, ob die sauberste Lösung so aussieht: Zerschlagung, geordneter Neuaufbau bei klarer Beschränkung aufs eigentliche Kerngeschäft. Die Anschlussverwendung vieler etwas einseitig qualifizierter Beamter wäre sicher ein Problem. Aber selbst eine Auffanggesellschaft fürs Däumchendrehen wäre kein zu hoher Preis. Was sich die Telekom leisten kann, sollte für die Demokratie nicht zu teuer sein.

    http://www.lawblog.de/index.php/archives/2012/07/02/mehr-oder-weniger-verpeilt/

    Comment by TR0LL — 16.07, 2012 @ 11:36

  14. Ein sehr wichtiger Artikel und: Selten so kompetente Kommentare gelesen – Danke!

    Ja, der VerfassungsSchutz, wenn er weiter existieren will, sollte dem VerfassungsGericht unterstellt werden und vorwiegend dafür genutzt werden, die Bevölkerung, die BürgerRechte vor der StaatsMacht zu verteidigen! Eigentlich wäre dafür auch die BundesAnwaltschaft gedacht, aber diese Pfeifen scheinen nur eine UnterAbteilung des VS zu sein.

    Da das GewaltMonopol beim Staate liegt, was völlig okay ist, ist der Bürger dem Staat letztlich hilflos ausgeliefert.
    Deswegen sollte der VS es aufdecken, wenn StaatsAnwälte zugunsten von Lobbyisten oder Kriminellen agieren, wenn Behörden korrupt werden, wenn Richter FehlUrteile liefern, wenn Politiker verfasssungswidrige Gesetze beschließen, wenn ReligionsGemeinschaften in öffentliche Institutionen drängen, wenn Medien ihren öffentliohen InformationsAuftrag nicht nachkommen und und und.
    Das heißt: Der VerfassungsSchutz sollte schon im Verborgenen arbeiten, aber seine Ergebnisse stets veröffentlichen.
    Heute berufen sich SchwerKriminelle stets auf Regulierungen betreffs DatenSchutz, PersönlichkeitsRecht etc. Ich scheiße darauf! Wenn Jemand ausversehen zu Unrecht auf die AnklageBank kommt, dann soll er reichlich rehabilitiert werden. Das ist mir lieber, als diese ganzen Verbrecher zu schützen, an die sich Niemand herantraut.

    Und wenn der VerfassungsSchutz ’n Arsch in der Hose hätte, dann würde er solche Leute wie Ralp Boes schützen, ebenso wie jeden Einzelnen, der sich mit dem verfassungswidrigen System anlegt!

    Es ist doch so, dass Diejenigen, welche sich ernsthaft für BürgerRechte einsetzen, 1. immer in der Minderheit oder Individualisten sind und dass sie 2. regelmäßig von der Bürokratur und anderen Schikanen zermahlen werden.

    Ich habe mich sehr dafür eingesetzt, dass dieser DDR_Staat zum Einsturz gebracht wurde (und habe aber bis heute dadurch Nachteile).
    Und ich setze mich auch in diesem System ein, dass der Gedanke des GrundGesetzes lebendig bleibt (und weiterentwickelt wird) – aber ich kann bald nicht mehr.
    Irgendwelche StasiTypen sitzen in den EnergieKartellen und ich als Hartz_IV_Empfänger muß Angst haben, noch nicht einmal meinen Strom bezahlen zu können.

    Wenn der VerfassungsSchutz seinen Job machen würde, dann existierte dieses krimminele Konsortium zwischen Energie- und InfraStrukturMafia bzw. Staat nicht. Unser Staat ist an jedem kriminellen Geschäft über die MwSt. beteiligt… je mehr die Krimnellen uns auspressen, deso mehr ‚verdient‘ der Staat mit – zu Lasten der Freiheit des Bürgers!
    Das war nur ein kleines Beispiel, in welchem es allerdings um Summen geht, die bei weitem den VerteidigungsHaushalt übertrumpfen.
    Sorry für die Abschweifungen!

    Comment by Michael Haufe — 4.11, 2012 @ 12:47

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