Internet-Law

Onlinerecht und Bürgerrechte 2.0

3.2.12

Gutachten des BMWi schlägt Three-Strikes-Modell nach britischem Vorbild vor

Das Bundeswirtschaftsministerium hat eine vergleichende Studie über Modelle zur Versendung von Warnhinweisen durch Internet-Zugangsanbieter an Nutzer bei Urheberrechtsverletzungen – je nach Ausgestaltung als Two-Strikes-, Three-Strikes- oder nach französischem Vorbild (Hadopi) ausgestaltetes Modell bezeichnet – veröffentlicht.

Das von Prof.  Rolf Schwartmann vorgelegte Gutachten stellt zunächst eine rechtsvergleichende Untersuchung an und befasst sich anschließend auch mit der Frage, ob ein solches Modell in Deutschland möglich wäre (S. 303 ff. des Gutachtens) und insbesondere mit dem deutschen Verfassungsrecht in Einklang stünde.

Das lobbyfreundliche Gutachten Schwartmanns schlägt für Deutschland ein Modell vor, das an das britische Konzept angelehnt ist. Die Zugangsprovider sollen verpflichtet werden, Warnhinweise an solche Anschlussinhaber zu versenden, deren IP-Adresse im Zusammenhang mit einer ihnen gemeldeten Rechtsverletzung ermittelt wurde. Die Provider sollen ergänzend eine gegenüber Dritten anonymisierte Verstoßliste führen und diese Liste ab einer bestimmten Anzahl von Verstößen, dem Rechteinhaber bekannt geben. Dieser kann dann vom Provider, wie derzeit bereits üblich, im Wege eines gerichtlichen Auskunftsverlangens die Bekanntgabe von Namen und Anschrift des betroffenen Nutzers verlangen und anschließend im Wege einer Abmahnung und ggf. gerichtlich gegen den Nutzer vorgehen.

Dieses Modell könnte allerdings in Widerspruch zu einer aktuellen Entscheidung des EuGH stehen, die von Schwartmann kürzlich in durchaus beachtenswerter Art und Weise kommentiert wurde.

Das Gutachten hat jedenfalls erkannt, dass diejenigen Modelle, an deren Ende eine Sperrung des Internetzugangs steht, schwerlich mit den deutschen Grundrechten in Einklang zu bringen sind.

Der Vorschlag Schwartmanns führt allerdings zu einer Verfestigung und Ausweitung des derzeitigen Konzepts der Filesharing-Abmahnungen, das sich unter dem Motto „Turn Piracy Into Profit“ zu einem weitgehend fragwürdigen Geschäftsmodell entwickelt hat. Für Internetzugangsprovider dürfte die Führung einer Verstoßliste – in der ja sämtliche einem Provider gemeldeten Verstöße erfasst werden müssen – außerdem einen beträchtlichen Aufwand mit sich bringen.

Noch bedenklicher ist allerdings der Umstand, dass die längerfristige Speicherung im Rahmen einer Verstoßliste faktisch eine Kombination aus einer Vorratsdatenspeicherung und einem Quick-Freeze darstellt. Der Provider speichert quasi auf Zuruf die Daten vermeintlicher Einzelverstöße – ohne jede Prüfung wohlgemerkt – und führt diese in einer Verstoßliste zusammen, die ein Rechteinhaber später abrufen kann. Diese Liste wird für Rechteinhaber damit praktisch auf Vorrat gespeichert. Die Frage wäre dabei allerdings dann auch, ob diese Verstoßliste sämtliche gemeldeten Rechtsverstöße verschiedener Rechteinhaber umfasst oder ob nach Rechteinhabern getrennte Verstoßlisten geführt werden müssten. Dieses System dürfte es dem Betroffenen, in noch stärkerem Maße als dies schon aktuell beim Filesharing der Fall ist,  erschweren bzw. unmöglich machen, sich gegen eine Inanspruchnahme als Verletzer zur Wehr zu setzen. Bereits das aktuelle System der Beauskunftung und anschließenden Inanspruchnahme ermöglicht dem Betroffenen in Fällen des Filesharing in der Praxis keinen ausreichenden, effektiven Rechtsschutz mehr. Diese Schieflage würde durch den Vorschlag Schwartmanns noch verstärkt werden.

posted by Stadler at 17:07  

2.2.12

Unseriöses Filesharing-Inkasso

Vor einiger Zeit hatte ich darüber berichtet, dass die Rechtsanwälte Urmann und Collegen für ihre Mandanten Forderungen aus Filesharing-Abmahnungen versteigert haben. Ob dies in Zusammenhang mit einer Welle von Inkassoschreiben steht, die derzeit von der Firma Debcon GmbH verschickt werden, ist unklar.

Jedenfalls haben einige unserer Mandanten, die zwar eine Unterlassungserklärung abgegeben, aber keine Zahlung geleistet haben, nunmehr direkt Post von dem Inkassobüro Debcon erhalten, in der zur Zahlung eines Betrags von EUR 1.286,80 aufgefordert wird.

In einigen Fällen hat das Inkassobüro allerdings den Überblick verloren und ist nicht in der Lage, den Gläubiger und damit den Auftraggeber des Inkassobüros korrekt zu benennen. Denn die Forderungen werden teilweise für die Silwa Filmvertrieb AG geltend gemacht, obwohl die Abmahnung von einem anderen Rechteinhaber stammt. Ein Hinweis auf eine evtl. Forderungsabtretung, die der Grund für einen Gläubigerwechsel sein könnte, enthalten die gleichlautenden Formularschreiben des Inkassobüros nicht.

Außerdem droht Debcon ganz unverblümt mit der Weiterleitung von Daten des Mandanten an die Schufa, obwohl sich aus der Vorkorrespondenz eindeutig ergibt, dass die Forderungen bestritten sind. Eine solche Drohung ist nicht nur zivilrechtlich unzulässig, sondern stellt eine Nötigung im Sinne des StGB dar. Der ergänzende Hinweis von Debcon, dass man nur die Daten von fälligen und unbestrittenen Forderungen an die Schufa weiterleiten würde, ändert m.E. an dieser rechtlichen Schlussfolgerung nichts. Denn das Inkassobüro weiß aus der Vorkorrespondenz ja bereits, dass die Forderungen bestritten sind, setzt aber gleichwohl ganz gezielt auf den Einschüchterungseffekt den der Hinweis auf die Schufa mit sich bringt.

Andere Kollegen haben über diese Inkassopraxis ebenfalls bereits berichtet.

posted by Stadler at 09:48  

20.1.12

Megaupload: Kimble nicht mehr auf der Flucht

Die Schließung des Sharehosters „Megaupload“ duch US-Behörden und die Verhaftung der Verantwortlichen, unter ihnen Kim Schmitz („Kimble“), hat im Netz hohe Wellen geschlagen und zu kontroversen Reaktionen geführt.

Kim Schmitz wurde allerdings nicht vom FBI verhaftet, wie in Blogs und Zeitungen zu lesen ist, sondern von der neuseeländischen Polizei und zwar auf Grundlage eines internationalen Haftbefehls (US-Haftbefehl mit Auslieferungsersuchen gegenüber den neuseeländischen Behörden). Bis dahin handelt es sich um einen Vorgang der nicht ungewöhnlich ist und international täglich praktiziert wird.

Die äußerst umfangreiche Anklageschrift zu einem US-District-Court gewährt Einblick in den konkreten Tatvorwurf. Ergänzend gibt es auch eine Pressemitteilung des Department Of Justice, weshalb relativ genau nachvollzogen werden kann, wie die US-Behörden argumentieren.

Die amerikanischen Ermittler wissen genau, dass man die Verantwortlichen von Megaupload nicht deshalb belangen kann, weil sie sich wie ein gewöhnlicher Hoster verhalten haben. Die US-Behörden werfen Schmitz und Co. deshalb vor, dass das Geschäftsmodell von Megaupload gezielt auf den Upload von urheberrechtlich geschütztem Material ausgerichtet ist. Das versuchen die Ermittler an verschiedenen Einzelumständen festzumachen. Megaupload sei laut Anklageschrift gezielt so ausgestaltet, dass die Benutzung für einen Durchschnittsuser als Speichermedium ungeeignet sei. Denn, Daten, die nicht downgeloadet werden, werden vom System nach kurzer Zeit automatisch gelöscht. Hieraus schließt man wohl nicht ganz zu Unrecht, dass Megaupload für normale, längerfristige Speicherzwecke ungeeignet sei. Die Anklageschrift wirft den Betreibern von Megaupload auch vor, Nutzer, die den Betreibern bekannt sein sollen, dafür bezahlt zu haben, urhebererrechtlich geschütztes Material einzustellen und anschließend von externen Seiten darauf zu verlinken. Das ist in etwa der Vorwurf, der in Deutschland auch den Betreibern von kino.to gemacht wurde. Außerdem habe Megaupload – so der Vorwurf der US-Ermittler – auf die Aufforderung urheberrechtswidrigen Content zu entfernen, in einer Vielzahl von Fällen nicht reagiert und die Inhalte am Netz belassen.

Wenn diese Vorwürfe zutreffen – was ich nicht abschließend beurteilen kann – eignet sich das Vorgehen der US-Behörden kaum als Aufreger. Vergleiche mit Betreibern von Lagerhallen, wie sie in einer Pressemitteilung der Piratenpartei angestellten werden, gehen jedenfalls deutlich an der Sache vorbei.

 

posted by Stadler at 20:09  

18.1.12

Copyrights sind was für Loser

Die immer leicht auf Krawall gebürstete Band Deichkind, deren Sound zwischen Elektro und Hip Hop pendelt, haben den Filesharern eine Hymne geschrieben. In ihrem neuen Track „Illegale Fans“ provoziert die Band die Musikindustrie mit solchen Textzeilen:

Ihr sagt wir sind verboten, weil wir zocken, stehlen, greifen
IP-Adressen sind gefälscht, wir gehen über Leichen
Ihr sagt wir sind kriminell, doch wir sind nur die User
Im Knast saugen wir weiter, Copyrights sind was für Loser
Tupac, Kurt und Marley, der Shit ist für uns alle da
Wir sind zu viel, wir sind zu nah, wir sind zu schnell: ihr könnt uns mal

Auf mich wirkt das allerdings eher wie ein clever kalkuliertes Marketingkonzept. Man weiß offenbar was man seinem Publikum schuldig ist. Denn Deichkind veröffentlichen keineswegs auf einem Indie-Label. Das Label Vertigo Berlin, auf dem das aktuelle Album von Deichkind erscheint, gehört zu Universal, einem der großen Majors. Und Universal mahnt in Deutschland eifrig ab. Auch die Musik von Deichkind ist in der Vergangenheit übrigens schon Gegenstand von Filesharing-Abmahnungen gewesen.

Mal sehen, ob Universal auch „Illegale Fans“ abmahnen lässt. Passen würde es irgendwie.

posted by Stadler at 22:09  

30.12.11

AG Frankfurt: Kein fliegender Gerichtsstand bei Urheberrechtsverletzungen

Das Amtsgericht Frankfurt hat (erneut) dem sog. fliegenden Gerichtsstand bei Urheberrechtsverletzungen eine Absage erteilt und entschieden, dass für Klagen auf Grund einer im Internet begangenen Verletzung des Urheberrechts und des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts das angerufene Gericht nur dann örtlich zuständig ist, wenn die Rechtsverletzung einen sachlichen Bezug zum Bezirk des angerufenen Gerichts aufweist. Die Annahme eines „fliegenden Gerichtsstands“ nach der freien Wahl des Klägers lehnt das Gericht ausdrücklich ab. (Urteil vom 01.12.2011, Az.: 30 C 1849/11 – 25).

Nachdem der Kläger keinen Verweisungsantrag gestellt hat, hat das Amtsgericht die Klage als unzulässig abgewiesen. Der Kläger wird vermutlich Berufung gegen das Urteil einlegen.

Die Ansicht des Amtsgerichts Frankfurt stellt derzeit allerdings noch eine Mindermeinung in der Rechtsprechung dar. Die überwiegende Mehrzahl der Amts- und Landgerichte wendet die Grundsätze des fliegenden Gerichtsstandes bei Urheberrechtsverletzungen und auch Persönlichkeitsrechtsverletzungen weiterhin an, wie ich unlängst beim Amtsgericht München – bei dem derzeit sehr viele Filesharing-Prozesse anhängig sind – erfahren musste.

posted by Stadler at 14:38  

29.12.11

Filesharing: Landgericht Köln umgeht das OLG

Das OLG Köln hatte unlängst aufhorchen lassen, weil es in einer Filesharing-Angelegenheit einen Beschluss des Landgerichts Köln, durch den einer Beklagten Prozesskostenhilfe verweigert worden war, aufgehoben hatte.

Das Landgericht Köln hat die Beklagte in dem eigentlichen Verfahren nunmehr dennoch verurteilt (Urteil vom 30.11.2011, Az.: 28 O 482/10). Auch wenn man ohne Kenntnis der konkreten Akte mit Schlussfolgerungen immer vorsicht sein muss, klingt mir die Urteilsbegründung doch arg nach dem Versuch, den Beschluss des Oberlandesgerichts zu umgehen. Denn das Landgericht stützt sich primär darauf, dass die Beklagte nur eine von zwei Verletzungshandlungen bzw. Zeitpunkten (ausdrücklich) bestritten hat. Die allgemeine Erklärung, dass ein Schriftsatz nur Wiederholungen enthalte und der Klagevortrag bereits bestritten worden sei, beinhaltet m.E. ein generelles Bestreiten. Zumindest wird hieraus, entgegen der Ansicht des LG Köln, die Absicht, die Rechtsverletzung insgesamt bestreiten zu wollen, hinreichend deutlich im Sinne von § 138 Abs. 3 ZPO.

Die Beklagte wird vermutlich Berufung einlegen, weshalb man auf die (neuerliche) Entscheidung des OLG Köln gespannt sein darf.

posted by Stadler at 16:08  

19.12.11

Filesharing: Haftung des Anschlussinhabers

Warum man als Betroffener einer Filesharing-Abmahnung praktisch keine Chance hat, sich gegen eine Klage auf Erstattung der mit der Abmahnung verbundenen Anwaltskosten zur Wehr zu setzen, zeigt ein neues Urteil des Amtsgerichts München (Urteil vom 23.11.2011, Az.: 142 C 2564/11).

Selbst der unter Beweis gestellte Umstand, dass eine alleinstehende Rentnerin im maßgeblichen Zeitpunkt gar keinen Computer besaß, genügte dem Gericht nämlich nicht. Denn nach der Rechtsprechung des BGH bestünde, so das AG München, eine tatsächliche Vermutung dafür, dass der Anschlussinhaber auch verantwortlich sei und diese Vermutung müsse durch den konkreten Vortrag eines abweichenden Geschehensablaufs entkräftet werden.

Nachdem die Darlegung negativer Tatsachen immer schwierig ist, zumal dann, wenn der Betroffene gar keine Ahnung davon hat, weshalb sein Anschluss benutzt worden sein soll, ist eine solche Darlegung in vielen Fällen ein Ding der Unmöglichkeit.

Nun ist dem Amtsgericht München zugute zu halten, dass die m.E. falsche Entscheidung des BGH „Sommer unseres Lebens“ die Argumentation des Gerichts in gewissem Umfang begünstigt.

Dem Amtsgericht München unterläuft dennoch ein entscheidender Rechtsfehler. Der BGH geht davon aus, dass eine Vermutung dahingehend besteht, dass der Anschlussinhaber grundsätzlich auch der Rechtsverletzer ist. Diese Vermutung hat der BGH bereits dadurch als widerlegt angesehen, dass der Beklagte in dem von ihm entschiedenen Fall in Urlaub war. Im Falle des AG München, ist diese Vermutung dadurch widerlegt, dass die Beklagte keinen Computer hatte. Andernfalls hätte das AG München nämlich auch Schadensersatz zusprechen müssen. Die weitergehende Frage, ob der Anschlussinhaber als Störer anzusehen ist und deshalb auf Erstattung der Anwaltskosten haftet, hängt von der Verletzung zumutbarer Prüfplichten ab, wie der BGH ausführlich erläutert. Mit der Frage der Verletzung von Prüfpflichten befasst sich das AG München aber erst gar nicht.

Was das Amtsgericht München verkennt, ist der Umstand, dass sich die Vermutung, die der BGH postuliert, nur auf eine Haftung als Täter/Rechtsverletzer bezieht, dass damit aber keineswegs gleichzeitig die Haftung als mittelbarer Störer indiziert ist.

Das Amtsgericht München gehört leider zu denjenigen Gerichten, die in einem kaum mehr nachvollziehbaren Maße rechtsinhaberfreundlich argumentieren.

 

posted by Stadler at 11:02  

24.11.11

Allgemeine gerichtliche Sperrungs- und Filteranordnungen gegenüber Zugangsprovidern sind unzulässig

Der Europäische Gerichtshof hat heute entschieden (Az.: C-70/10), dass eine richterliche Anordnung an einen Anbieter von Internetzugangsdiensten zur Einrichtung eines Systems der Filterung der von ihm durchgeleiteten elektronischen Kommunikationen, das unterschiedslos auf alle seine Kunden anwendbar ist, gegen Unionsrecht verstößt.

Eine belgische Verwertungsgesellschaft, die die Rechte an Werken der Musik wahrnimmt, hatte gegen einen Internetzugangsanbieter eine richterliche Anordnung erwirkt, die den Provider verpflichtete, es seinen Kunden unmöglich zu machen, Dateien, die ein Werk der Musik aus dem Repertoire der Verwertungsgesellschaft enthalten, in irgendeiner Form mit Hilfe eines „Peer-to-Peer“-Programms zu senden oder zu empfangen.

Diese richterliche Anordnung verstößt nach Ansicht des EuGH gegen das Gemeinschaftsrecht.

Hierzu stellt der Gerichtshof fest, dass die fragliche Anordnung den Provider dazu verpflichten würde, eine aktive Überwachung sämtlicher Daten seiner Kunden vorzunehmen, um jeder künftigen Verletzung von Rechten des geistigen Eigentums vorzubeugen. Diese allgemeine Überwachungspflicht verstößt nach dem Urteil des EuGH sowohl gegen die E-Commerce-Richtlinie als auch gegen die anwendbaren (europäischen) Grundrechte.

Neben der unternehmerischen Freiheit des Internet-Service-Providers sieht der EuGH vor allen Dingen auch die Grundrechte der Internetnutzer auf Informationsfreiheit und Schutz ihrer personenbezogenen Daten als verletzt an.

Im Urteil des Gerichtshofs heißt es hierzu wörtlich:

Darüber hinaus würden sich die Wirkungen dieser Anordnung nicht auf den betroffenen Provider beschränken, weil das Filtersystem auch Grundrechte der Kunden dieses Providers beeinträchtigen kann, nämlich ihre durch die Art. 8 und 11 der Charta geschützten Rechte auf den Schutz personenbezogener Daten und auf freien Empfang oder freie Sendung von Informationen.Zum einen steht nämlich fest, dass die Anordnung, das streitige Filtersystem einzurichten, eine systematische Prüfung aller Inhalte sowie die Sammlung und Identifizierung der IP-Adressen der Nutzer bedeuten würde, die die Sendung unzulässiger Inhalte in diesem Netz veranlasst haben, wobei es sich bei diesen Adressen um personenbezogene Daten handelt, da sie die genaue Identifizierung der Nutzer ermöglichen.

Zum anderen könnte diese Anordnung die Informationsfreiheit beeinträchtigen, weil dieses System möglicherweise nicht hinreichend zwischen einem unzulässigen Inhalt und einem zulässigen Inhalt unterscheiden kann, so dass sein Einsatz zur Sperrung von Kommunikationen mit zulässigem Inhalt führen könnte. Denn es ist unbestritten, dass die Antwort auf die Frage der Zulässigkeit einer Übertragung auch von der Anwendung gesetzlicher Ausnahmen vom Urheberrecht abhängt, die von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat variieren. Ferner können bestimmte Werke in bestimmten Mitgliedstaaten gemeinfrei sein oder von den fraglichen Urhebern kostenlos ins Internet eingestellt worden sein.

Somit ist festzustellen, dass das fragliche nationale Gericht, erließe es die Anordnung, mit der der Provider zur Einrichtung des streitigen Filtersystems verpflichtet würde, nicht das Erfordernis beachten würde, ein angemessenes Gleichgewicht zwischen einerseits dem Recht am geistigen Eigentum und andererseits der unternehmerischen Freiheit, dem Recht auf den Schutz personenbezogener Daten und dem Recht auf freien Empfang oder freie Sendung der Informationen zu gewährleisten.

Die Entscheidung ist übrigens auch für Datenschutzrechtler interessant, weil der EuGH en passant feststellt, dass IP-Adressen personenbezogene Daten sind.

Update:
Dass die Entscheidung des EuGH ein Grundsatzurteil gegen Internetsperren sei, wie z.B. der Europaabgeordnete Jan Philipp Albrecht schreibt, halte ich für eine etwas voreilige Schlussfolgerung. Der EuGH hat nur über die Vorlagefrage entschieden, ob ein Gericht auf Grundlage allgemeiner Unterlassungsansprüche eine generelle Sperrungs- bzw. Filteranordnung gegen Zugangsprovider aussprechen darf. Wie eine gesetzliche Regelung in einem Mitgliedsstaat – z.B. das deutsche Zugangserschwerungsgesetz –  zu beurteilen wäre, ist damit nicht gesagt.

Die Argumentation des EuGH, insbesondere der Verweis auf verschiedene Grundrechtsverletzungen, deutet allerdings darauf hin, dass auch ein entsprechendes Gesetz problematisch wäre, wobei es sicherlich Rechtsgüter gibt, denen man eine höhere Wertigkeit beimessen muss als dem Urheberrecht oder den gewerblichen Schutzrechten. Netzsperren zur Unterbindung von Urheberrechtsverletzungen werden allerdings nach dieser Entscheidung des Gerichtshofs nur noch schwer zu begründen sein.

Die Argumentation des EuGH – insbesondere auch was die Informationsfreiheit und die Gefahr der Beeinträchtigung anderer legaler Angebote angeht – entspricht insoweit auch dem, was hierzulande gegen das Zugangserschwerungsgesetz vorgebracht wurde.

posted by Stadler at 13:49  

17.11.11

1400 Filesharing-Klagen beim AG München

Das Amtsgericht München hat in einer eher flapsigen Pressemitteilung vom 16.11.2011 mitgeteilt, dass beim Gericht aktuell ca. 1400 Klagen in Filesharing-Fällen anhängig sind und nimmt das zum Anlass vor der Teilnahme an Tauschbörsen zu warnen.

Ein ganz erheblicher Teil dieser Klagen stammt von der Kanzlei Waldorf Frommer, die in diesem Jahr eine förmliche Klagewelle gestartet hat.

Nach meiner Erfahrung hält das Amtsgericht München diese Klagen aktuell grundsätzlich weiterhin für begründet und rät den Beklagten regelmäßig zum Abschluss eines Vergleichs, der inhaltlich, abhängig vom Sachverhalt zumeist auf die Bezahlung von 1/2 – 3/4 der Klagesumme hinausläuft. Dies wird vom Gericht regelmäßig verbunden mit dem Hinweis, dass man über die Frage der Richtigkeit der Ermittlung des Anschlussinhabers ein Gutachten eines IT-Sachverständigen einholen müsste, was mit Kosten von mehreren tausend EURO verbunden wäre. Vor diesem Hintergrund akzeptieren die meisten Beklagten dann den Vergleichsvorschlag des Gerichts zähneknirschend. Vielleicht findet sich ja mal ein Betroffener mit einer entsprechenden Kriegskasse, der die Sache entscheiden lässt. Das wäre durchaus spannend.

Update vom 18.11.2011:
Der Hinweis des Amtsgerichts München auf Ermittlungen der Staatsanwaltschaft hängt damit zusammen, dass die Kanzlei Waldorf Frommer – u.a. für die Verlage Bastei Lübbe und Random House wegen der Rechte an Hörbüchern – derzeit Sachverhalte die aus den Jahren 2007 und 2008 stammen, vor Gericht bringt. Damals wurden Anschlussinhaber noch ausschließlich übedie Staatsanwaltschaften ermittelt.

Ende des Jahres 2010 hat speziell die Kanzlei Waldorf Frommer wegen der drohenden Verjährung für ihre Mandanten eine größere Anzahl an Mahnbescheiden beantragt, die dann im Laufe des Jahres 2011 ins streitige Verfahren übergeleitet wurden. Das erklärt die hohe Anzahl der Neueingänge beim Amtsgericht München.

posted by Stadler at 15:48  

3.11.11

Leutheusser-Schnarrenberger will Abmahnmissbrauch bekämpfen

Nach einem Bericht der Süddeutschen Zeitung will Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger gegen den Missbrauch von Abmahnungen vorgehen.

Das Blatt zitiert die Ministerin folgendermaßen:

„Die Abmahnkosten werden niedriger, weil wir im Gebührenrecht die entscheidenden Stellschrauben ändern“

Welche Stellschrauben tatsächlich verändert werden sollen, besagt der Bericht allerdings nicht. Man darf deshalb auf die konkrete Umsetzung gespannt sein. Denn bereits an der Frage unter welchen Umständen eine Abmahnung rechtsmissbräuchlich oder legitim ist, werden sich die Geister scheiden.

Der Zeitungsbericht deutet außerdem an, dass Leutheusser-Schnarrenberger den sog. fliegenden Gerichtsstand einschränken will.

Zusätzlich sollen missbräuchlich Abgemahnte einen eigenen Anspruch auf Kostenersatz erhalten. Auch diese Ankündigung wirft Fragen auf. Denn ein derartiger Anspruch wird von der Rechtsprechung ja bei der unberechtigten Schutzrechtsverwarnung generell und bei wettbewerbsrechtlichen Abmahnungen im Einzelfall bereits jetzt zugebilligt.

Für die Betroffenen wird sich vermutlich nicht viel ändern, weil sie rechtsmissbräuchliche Abmahnungen weiterhin gerichtlich feststellen lassen müssen. Denn der Abmahner wird in den seltensten Fällen außergerichtlich und freiwillig Kosten erstatten.

Auch gegen den Abmahnmissbrauch im Urheberrecht, also wohl speziell im Bereich des sog. Filesharings, will die Ministerin nach dem Bericht der SZ vorgehen.

Man darf also wirklich gespannt auf die konkreten Vorschläge zur Umsetzung dieser Ankündigungen sein.

posted by Stadler at 11:18  
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