Internet-Law

Onlinerecht und Bürgerrechte 2.0

18.3.14

JMStV Reloaded: Wieder nur unausgegorene Vorschläge

Eine Novellierung des Jugendmedienschutzstaatsvertrags (JMStV) ist Ende 2010 in letzter Minute gescheitert. Geplant war seinerzeit u.a. eine vermeintlich freiwillige Alterskennzeichnung von Websites, was auf heftige Kritik in der Netz-Community gestoßen war.

Zwischenzeitlich sickerten immer wieder mal merkwürdige Vorschläge durch und mittlerweile gibt es auch ein neues Diskussionspapier der zuständigen Rundfunkreferenten mit konkreten Gesetzesvorschlägen, über das Marc Liesching im Beck-Blog berichtet.

Auch die umstrittene Alterskennzeichnung von Telemedien/Websites taucht in modifizierter Form wieder auf. Geplant ist eine Neuregelung von § 5 Abs. 3 Nr. 3 JMStV wie folgt:

(…) die von ihm angebotenen Inhalte (mit der Ausnahme von Filmen und Spielen gem. § 12) für die Altersstufen »ab zwölf Jahren« oder »ab 18 Jahren« in einer für ein Jugendschutzprogramm auslesbaren Art und Weise“ zu kennzeichnen.

Warum der Ansatz der Alterskennzeichnung von Websites fragwürdig ist, habe ich vor längerer Zeit schon erläutert. Darüber hinaus funktioniert er auch technisch nicht.

Eine speziell aus Sicht von Bloggern und Betreibern sozialer Netzwerke gefährliche und fragwürdige Neuregelung wird von Marc Liesching heftig kritisiert. In dem Papier heißt es:

Nach der Terminologie des Jugendmedienschutzstaatsvertrages (JMStV) ist auch der private Betreiber eines Blogs mit UGC (User Generated Content) ein Anbieter von Telemedien, der dafür zu sorgen hat, dass insbesondere die Jugendschutzbestimmungen des JMStV eingehalten werden. Dabei ist unbeachtlich, ob die Inhalte durch ihn selbst oder durch Dritte auf seiner Plattform eingestellt wurden. Werden die Jugendschutzbestimmungen verletzt, drohen empfindliche Sanktionen, die sich nach dem Strafrecht oder dem Recht der Ordnungswidrigkeiten bestimmen. Privatpersonen ist oftmals nicht klar, dass sie auch für jugendschutzrelevante Inhalte Dritter verantwortlich sind. Die vorgeschlagenen Änderungen des JMStV sollen hier Abhilfe beim UGC schaffen.

Vor diesem Hintergrund soll in § 5 Abs. 3 Nr. 4 JMStV-E folgende Regelung aufgenommen werden:

bei Angeboten, die den Zugang zu Inhalten vermitteln, die gemäß §§ 7 ff. des Telemediengesetzes nicht vollständig in den Verantwortungsbereich des Anbieters fallen:

a) sein Gesamtangebot mit einer der Altersstufen „ab zwölf Jahren“ oder „ab 18 Jahren“ in einer für ein Jugendschutzprogramm auslesbaren Art und Weise kennzeichnet und

b) die Einbeziehung oder den Verbleib solcher Inhalte in seinem Gesamtangebot verhindert, sofern diese Inhalte geeignet sind, die Entwicklung von Kindern oder Jugendlichen, die das entsprechende Alter der gekennzeichneten Altersstufe noch nicht erreicht haben, zu beeinträchtigen.

Ein Angebot fällt dann nicht in den Verantwortungsbereich des Anbieters, wenn durch Dritte fremde Inhalte integriert oder bestehende Inhalte verändert werden können (UGC). Der Nachweis, dass ausreichende Schutzmaßnahmen ergriffen wurden, gilt als erbracht, wenn sich der Anbieter dem Verhaltenskodex einer anerkannten Einrichtung der Freiwilligen Selbstkontrolle unterwirft, der unter anderem ein Beschwerdemanagement beinhaltet.

Liesching kritisiert völlig zu recht, dass dieser Vorschlag gegen das System der Haftungsprivilegierung der §§ 7 ff. TMG und damit auch der E-Commerce-Richtlinie verstößt. Denn die Neuregelung tut so, als sei der Betreiber eines Portals oder Blogs für Inhalte, die von seinen Nutzern eingestellt werden, (voll) verantwortlich, was allerdings gerade nicht der Fall ist.

Vielmehr ist es so, dass einen Betreiber von Plattformen für User Generated Content erst dann Handlungspflichten treffen, sobald er von einem konkreten Rechtsverstoß Kenntnis erlangt. Die Einführung eines Systems der Altserkennzeichnung entspricht einem proaktiven Filtersystem, das gegen die Vorschrift des § 7 Abs. 2 TMG bzw. Art. 15 Abs. 1 ECRL verstößt. Der EuGH hat auch schon entschieden, dass sozialen Netzwerken eine allgemeine Filterpflicht nicht auferlegt werden können.

Liesching bringt die Kritik auf den Punkt wenn er sagt, dass dieser Überregulierungsexzess im weiteren rechtspolitischen Diskussionsprozess keiner seriösen juristischen Überprüfung standhalten dürfte.

Update:
Zu dem Papier soll es ab nächster Woche eine Onlinekonsultation geben und es soll dann auch offiziell im Netz veröffentlicht werden.

posted by Stadler at 10:04  

12.7.11

Die Diskussion um den JMStV geht wieder los

Die Novellierung des Jugendmedienschutz-Staatsvertrags (JMStV) ist bekanntlich Ende des letzten Jahres gescheitert, was u.a. auch mit dem Widerstand der Netzgemeinde zu tun hatte.

Die Freiwillige Selbstkontrolle Multimedia-Diensteanbieter (FSM) setzt sich in einem neuen Positionspapier erneut und unverändert für den gescheiterten Gesetzesentwurf und insbesondere die Alterskennzeichnung von Websites ein. Offenbar hat man dort nach wie vor nicht erkannt, dass dieser Vorschlag kaum mehrheitsfähig sein dürfte.

Die FSM setzt aber dann noch einen drauf und verlangt, dass die gesetzlich vorgesehene Anerkennung von Jugendschutzprogrammen entfallen muss, um dem System – gemeint ist das Zusammenspiel von Alterskennzeichnung und Filterprogrammen – endlich zum Durchbruch zu verhelfen. Wörtlich heißt es:

Die Anerkennung des Jugendschutzprogramms als Voraussetzung muss also entfallen, um dem System endlich zum Durchbruch zu verhelfen. Nur so ist mit einer breiten Streuung der Alterskennzeichnung zu rechnen, worauf dann Jugendschutzprogramme effektiv aufsetzen können.

Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen. Der Jugendmedienschutz – der ohnehin alles andere als effektiv ist – soll dadurch gestärkt werden, dass auch Filterprogramme die keinerlei Nachweis ihrer Tauglichkeit erbracht haben, ausreichend sind, um die jugendschutzrechtlichen Anforderungen zu erfüllen.

Das ganze Papier der FSM stellt leider ,und das auch noch eine Spur zu offensichtlich, Lobbyismus zugunsten der Hersteller von Filtersoftware dar.

Wenn ohnehin kein Wirksamkeitsnachweis mehr erbracht werden muss, dann wäre es besser, den JMStV komplett zu streichen und sich auf die Schutzmechanismen zu beschränken, die das Sicherheitsrecht und das Strafrecht bieten. Denn ein gesetzliches Förderprogramm für Software die nicht funktioniert, kann nicht Sinn und Zweck des Jugemdmedienschutzes sein.

Dass es bisher keine anerkannten Jugendschutzprogramme gibt, liegt wohl vor allem daran, dass es keine Software gab, die die qualitativen Anforderungen erfüllt hätte. Wie man hört, gibt es mittlerweile allerdings Anerkennungsanträge und das obwohl das System, das die FSM so vehement verteidigt, gescheitert ist.

Weshalb es für derartige Jugendschutzsoftware überhaupt einer gesetzlichen Regelung bedarf, ist auch einer der Punkte, die zu diskutieren ist.

posted by Stadler at 21:49  

7.3.11

Bedarf die Diskussion über Netzsperren und den JMStV einer Entideologisierung?

In einem Gastbeitrag für Telemedicus plädiert Murad Erdemir für eine Entideologisierung der Debatte um das Internet. Konkret bezieht er sich auf die Diskussion um das Zugangserschwerungsgesetz und den Jugendmedienschutz-Staatsvertrag. Erdemir ist Justiziar der Hessischen Landesanstalt für privaten Rundfunk und neue Medien, Mitglied der Juristenkommission der Spitzenorganisation der Filmwirtschaft (SPIO) und Beirat der Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (USK).

Wer sich sich mit den Themen Netzsperren und Novellierung des JMStV intensiv auseinandergesetzt hat, weiß, dass die (öffentlichen) Debatten in erheblichem Maße unsachlich geführt werden. Wenn man die von Erdemir beklagte Ideologisierung in dem Sinne versteht, dass damit eine Verschleierung der Fakten einhergeht, so muss dieser Vorwurf gerade beim Thema Netzsperren primär in Richtung der politischen Akteure erhoben werden. Für die Diskussion um den Jugendmedienschutz gilt im Grunde nichts anderes, denn die Befürworter des jetzigen Konzepts sind darauf angewiesen, die Schimäre von der Wirksamkeit ihrer Regulierungsansätze aufrecht zu erhalten.

Ich möchte zwei Aspekte aus dem Text Erdemirs herausgreifen um zu verdeutlichen, dass Erdemir Ansätze verfolgt, denen es zu widersprechen gilt. Zum Thema Netzsperren führt Erdemir – keineswegs frei von Ideologie – aus:

„Sollte es zukünftig technisch möglich sein, den Zugang zu kriminellen Inhalten ohne schädliche Nebenwirkungen punktgenau zu unterbinden, dann ist diese Möglichkeit auch zu ergreifen. Spekulationen hinsichtlich eines Missbrauchs unter Verweis zum Beispiel auf chinesische Verhältnisse gehören dagegen zum ideologischen Glutkern der Debatte um Internetsperren. Sie zeugen von unzuträglichem Misstrauen gegenüber unserem Staat und haben vor dem Hintergrund der schutzbedürftigen Rechtsgüter zurückzustehen. Ihnen nachzugeben wäre die Insolvenzeröffnung des Rechtsstaates.“

Was den Verweis auf chinesische Verhältnisse angeht, hat der wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestags – der wohl kaum im Verdacht steht, übermäßig ideologisch zu argumentieren – formuliert:

„Gerade am Beispiel China zeigt sich, dass Sperrungen durchaus wirksam durchgesetzt werden können, allerdings mit einem erheblichen Aufwand an Kosten, Zeit und Human Resources. Um Sperrungen effektiv handhaben zu können, müsste das Internet ganzheitlich umstrukturiert werden und insbesondere seine ursprüngliche Intention, nämliche die dezentrale Vernetzung von Computern, aufgegeben werden“

Damit ist der Kern des Problems exakt umrissen. Es gibt entweder die Möglichkeit, Maßnahmen zu ergreifen, die praktisch wirkungslos sind, denen aber trotzdem die erhebliche Gefahr der Beeinträchtigung anderer legaler Angebote innewohnt. Oder man verfolgt tatsächlich ein halbwegs effektives Sperr- und Filterkonzept, was allerdings eine Kontrolle und Umstrukturierung des Netzes nach chinesischem Vorbild voraussetzt. Wer vor diesem sachlichen Hintergrund behauptet, der Verweis auf chinesische Verhältnisse würde den ideologischen Glutkern der Debatte um Internetsperren darstellen, hat entweder die sachlich-technischen Zusammenhänge nicht verstanden oder agiert seinerseits ideologisch.

Die Vorstellung einer punktgenauen und effektiven Unterbindung von strafbaren Inhalten durch Access-Provider ist mit den dezentralen Strukturen, die das Wesensmerkmal des Internets darstellen, nicht in Einklang zu bringen und wird es auch künftig nicht sein. Nur wenn man bereit ist, sehr weitgehende technische Eingriffe zu akzeptieren, die allerdings nicht nur das Netz in seiner jetzigen Form, sondern auch den demokratischen Rechtsstaat in Frage stellen, kann man eine halbwegs effiziente Regulierung auf Access-Ebene erreichen.

Das grundlegende Missverständnis besteht in dem Glauben, man könne das Netz mit ähnlichen Mitteln regulieren und kontrollieren wie den Rundfunk. Diese Fehlvorstellung sitzt tief, weil die meisten (Medien-)Politiker einer Generation angehören, die mit Rundfunk und Presse aufgewachen ist. Weil Politiker außerdem immer den Eindruck erwecken wollen zu handeln, werden unsinnige Maßnahmen – auch gegen den Rat der überwiegenden Mehrheit der Experten – als wirksam dargestellt. Denn nichts ist offenbar schlimmer als den Eindruck der Untätigkeit zu erwecken.

Dieses Dilemma kennzeichnet in vielleicht noch stärkerem Maße die Diskussion um den Jugendmedienschutz. Das erkennt Erdemir letztlich zwar auch, gleichwohl wirft er der Netzcommunity folgendes vor:

„Mindestens ebenso unlauter war indes das munter verbreitete Schreckensszenario, ein jeder Blogger müsse auf der Grundlage der Novelle künftig eine Alterskennzeichnung auf seiner Webseite anbringen.“

Das mag man als unlauter, weil in jedem Fall übertrieben und zugespitzt, betrachten. Ebenso unlauter ist es aber, demgegenüber die angeblich uneingeschränkte Freiwilligkeit der geplanten Alterskennzeichnung zu betonen. Denn damit werden die komplexen Zusammenhänge, die zu einem faktischen Kennzeichnungszwang geführt hätten, ausgeblendet. Darüber hinaus sind renommierte Informatiker der Ansicht, dass der  JMStV auch aus technischer Sicht keine tragfähige Grundlage für den Jugendmedienschutz darstellt.

Auch wenn also, wie in allen kontroversen politischen Debatten, Übertreibungen oder ideologische Verengungen erkennbar sind, wird die Debatte um Netzsperren und den JMStV seitens der Netzcommunity nach meiner Beobachtung überwiegend auf sachlicher Ebene geführt. Der grundlegende Dissens hat seine Ursache vielmehr darin, dass die Befürworter des ZugErschwG und des JMStV beharrlich die Fakten ignorieren.

posted by Stadler at 14:47  

14.12.10

Kippt jetzt die CDU den JMStV? (Update)

Im Streit um die Frage ob der Nordrhein-Westfälische Landtag dem Jugendmedienschutz-Staatsvertrag zustimmen soll, ereignen sich merkwürdige Dinge. Die Junge Union hat zusammen mit den Jusos und den Jungen Liberalen in einer gemeinsamen Erklärung den Landtag aufgefordert die Novellierung abzulehnen, was erstaunlich genug ist.

Aber am Abend kam dann die Meldung, die das noch toppte. Die Lantagsfraktion der CDU habe sich, so berichtet der WDR, einstimmig dazu entschlossen, die Neufassung des JMStV abzulehnen. Und dies, während sich SPD und Grüne immer noch unschlüssig hin und her winden.

Das ist nun eine Wendung, mit der niemand gerechnet hat, zumal SPD und Grüne bekanntlich keine Mehrheit im Landtag von NRW haben.

Update vom 15.12.2010:
SPD und Grüne scheinen auf die jüngsten Ereignisse zu reagieren und wollen den JMStV im Landtag nunmehr angeblich ebenfalls ablehnen. Für den 15.12.2010, 11 Uhr haben die Landtagsfraktionen von SPD und Grünen eine gemeinsame Pressekonferenz anberaumt, auf der genau das (angeblich) bekannt gegeben werden soll.

posted by Stadler at 20:40  

12.12.10

JMStV: Alterskennzeichnung funktioniert offenbar auch technisch nicht

Die in der Neufassung des Jugendmedienschutzstaatsvertrags vorgesehene Alterskennzeichung für Internetinhalte scheint offenbar auch in technischer Hinsicht nicht zu funktionieren. Die Alterskennzeichnung lässt sich auf sehr einfache Art und Weise umgehen, wie Alvar Freude in seinem Blog erläutert.

Das Konzept des JMStV ist also nicht nur in juristischer, sondern auch in technischer Hinsicht unausgegoren. Das ist ein weiterer Beleg dafür, dass die identische Übernahme von Instrumentarien aus dem Jugendschutzgesetz im Netz schlicht nicht funktioniert.

Das deckt sich mit den Ausführungen des Informatikers Prof. Johannnes Federrath in der Ausschussanhörung im  Landtag von Nordrhein-Westfalen am 04.11.2010. Federrath machte dort deutlich, dass der JMStV aus technischer Sicht keine tragfähige Grundlage für den Jugendmedienschutz darstellt. Aber auf Sachverständige geben deutsche (Jugendschutz-)Politiker bekanntlich nicht viel.

posted by Stadler at 21:32  

10.12.10

Kippt der JMStV noch?

Das Berliner Abgeordenetenhaus hat gestern mit ihrer rot-roten Mehrheit dem umstrittenen Jugendmedienschutzstaatsvertrag zugestimmt und das, obwohl sich die Linken eigentlich gegen den  Staatsvertrag ausgesprochen hatten. Aber man wollte, wie es hieß, Klaus Wowereit nicht beschädigen, der dem Staatsvertrag auf der Ministerpräsidentenkonferenz bereits zugestimmt hatte. Nach demselben Strickmuster agieren Grüne, SPD, FDP und Linke in den meisten Landesparlamenten. Dort wo sie in der Opposition sind, lehnen sie den JMStV zumeist ab, in den Ländern, in denen sie in der Regierungsverantwortung sind, stimmen sie zu. Insoweit ist die Haltung der Union wenigstens noch konsequent.

Eine kleine Überraschung gab es in Schleswig-Holstein, denn dort wurde der JMStV im federführenden Innen- und Rechtsausschuss abgelehnt. Hintergrund war der, dass offenbar ein Abgeordeneter der CDU vor der Abstimmung den Raum verlassen hatte und deshalb keine Mehrheit mehr gegeben war. Dass dasselbe bei der Abstimmung im Plenum ebenfalls passiert, muss allerdings als unwahrscheinlich gelten.

Was wir hier erleben, ist ein parteipolitisches Kasperletheater, in dem sich Fraktionszwänge immer wieder gegen die Sachargumente durchsetzen.

Meine gesammelten Blobeiträge zum Thema JMStV finden Sie hier.

posted by Stadler at 12:00  

6.12.10

JMStV: Denn sie wissen nicht, was sie tun

Die Probleme, die die Neuregelung des Jugendmedienschutz-Staatsvertrages mit sich bringen, lassen sich mittlerweile selbst auf den eigenen Veranstaltungen der KJM nicht mehr verschweigen, wie ein Bericht von Heise über eine Informationsveranstaltung am 03.12.2010 belegt.

Bezeichnend finde ich, dass die Politik einerseits zwar mantraartig die Freiwilligkeit der Alterskennzeichnung betont, der Rundfunkreferent der Bayerischen Staatskanzlei aber andererseits die Empfehlungen, erst einmal abzuwarten und nicht zu kennzeichnen, als einen „Boykottaufruf“ betrachtet. Das zeigt sehr deutlich wohin die Reise geht. Es wird für viele Anbieter einen faktischen Zwang zur Alterskennzeichnung geben, was zu einer tatsächlichen, wenn vielleicht auch nicht normativen, Verschärfung der Anforderungen an Inhaltsanbieter im Internet führt.

Auch wenn manche diese Aussage für polemisch halten werden, aber der Gewinner dieser Neureglung ist die Soft-Porno-Industrie während nichtkommerzielle Content-Anbieter die Verlierer sind. Denn viele geschäftsmäßige Anbieter von entwicklungsbeeinträchtigenden Inhalten werden ihre Angebote nunmehr von professionellen Dienstleistern einfach „Ab 16“ labeln lassen und können damit die unbeliebte Nachtschiene verlassen und den ganzen Tag online bleiben.  So stellt sich die deutsche Politik also effektiven Jugendschutz im Internet vor.

So mancher Landtagsabgeordnete wird sich womöglich noch wundern, welchem Gesetzeswerk er da zugestimmt hat. Kann man eine Regelung, die dem Jugendschutz nichts nützt, kleine Internetanbieter benachteiligt und eine bestimmte Lobby-Gruppe begünstigt, wirklich als Fortschritt betrachten? Ob hier wirklich alle wissen, was sie tun, wage ich zu bezweifeln.

Update:
Wer wie einige Kommentatoren meint, mein Einwand, man könne mit einer Alterseinstufung „ab 16“ die „Sendezeitbeschränkung“ vermeiden, sei Unsinn, möge zur Kontrolle die geplante Vorschrift des § 24 Nr. 4 JMStV-E lesen. Dort heißt es:

Ordnungswidrig handelt, wer (…) entgegen § 5 Abs. 1 Angebote verbreitet oder zugänglich macht, die geeignet sind, die Entwicklung von Kindern oder Jugendlichen zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit zu beeinträchtigen, ohne dafür Sorge zu tragen, dass Kinder oder Jugendliche der betroffenen Altersstufen sie üblicherweise nicht wahrnehmen, es sei denn, dass der Anbieter die von ihm angebotenen Inhalte durch ein von einer anerkannten Einrichtung der Freiwilligen Selbstkontrolle zur Verfügung gestelltes Klassifizierungssystem gekennzeichnet, die Kennzeichnung dokumentiert und keine unzutreffenden Angaben gemacht hat.

Man kann also den Verstoß gegen § 5 Abs. 1 JMStV-E schon dadurch vermeiden, dass man eine zutreffende Alterskennzeichnung von einer anerkannten Einrichtung der Freiwilligen Selbstkontrolle vornehmen lässt. Das ist genau der Grund dafür, dass die Content-Industrie von der Neuregelung durchaus angetan ist.

posted by Stadler at 10:31  

2.12.10

Die Befürworter des JMStV werden nervös

Die Staatskanzlei Rheinland-Pfalz hat heute eine Pressemitteilung veröffentlicht, die zur Versachlichung der Diskussion um den Jugendmedienschutz-Staatsvertrag aufruft. Staatssekretär Martin Stadlmeier (SPD) – der so etwas wie der Vater der Novellierung des JMStV ist – beschwichtigt und u.a. mit der Aussage:

„Wer keine Inhalte anbietet, die für Kinder unter 16 Jahren entwicklungsbeeinträchtigend sind, muss keine Alterskennzeichnung vornehmen“

Diese Rechtsansicht, die derzeit auch Gegenstand kontroverser Diskussionen im Netz ist, halte ich angesichts des Wortlauts und der Systematik der Neuregelung von § 5 JMStV in dieser Form für unzutreffend. Obwohl man natürlich sagen muss, dass die handwerkliche Schwäche der Gesetzesformulierung sicherlich unterschiedliche Auslegungen zulässt.

Deshalb nochmals kurz zur gesetzlichen Konzeption. In § 5 Abs. 1 JMStV sind vier Altersstufen vorgesehen. Die (freiwillige) Alterskennzeichnung ist dann in § 5 Abs. 2 JMStV geregelt. Eine Einschränkung dahingehend, dass eine Alterskennzeichnung erst „ab 16“ geboten ist, enthält das Gesetz nicht. Eine solche Einschränkung wäre auch sinnwidrig, weil man sonst keine vier Altersstufen bräuchte. Gelegentlich habe ich jetzt auch gelesen, dass sich diese Einschränkung aus § 5 Abs. 7 JMStV ergeben würde, was ich ebensowenig nachvollziehen kann. Dort heißt es:

Ist eine entwicklungsbeeinträchtigende Wirkung im Sinne von Absatz 1 nur auf Kinder unter 12 Jahren zu befürchten, erfüllt der Anbieter von Telemedien seine Verpflichtung nach Absatz 1, wenn das Angebot getrennt von für diese Kinder bestimmten Angeboten verbreitet wird oder abrufbar ist

Zum einen hat diese als Trennungsgebot bezeichnete Vorschrift, die es auch bisher schon gab, nicht unmittelbar etwas mit der Frage der Alterskennzeichnung zu tun.  Zum anderen spricht die Vorschrift die Altersgrenze unter 12 Jahren an und nicht diejenige „ab 16“.  Die Vorschrift soll bewirken, dass man seine Pflichten für die Altersstufe unter 12 Jahren schon dadurch erfüllen kann, dass man solche Inhalte nicht mit spezifischen Kinderinhalten, die explizit auf Kinder ausgerichtet sind, vermischt.

Zumindest dann, wenn Inhalte „ab 12“ sind, muss der Anbieter aber entweder eine Alterskennzeichnung , eine Sendezeitbeschränkung oder eine andere effektive technische Maßnahme (AVS) veranlassen. Das ist die m.E. zwingende Folge dieser gesetzlichen Regelung.

Wer sich aber für eine Alterskennzeichnung als Maßnahme entscheidet, muss dann auch die gesamte Palette der Altersstufen berücksichtigen und kann sich nicht darauf beschränken, „ab 16“ zu labeln.

Wenn der Gesetzgeber es anders hätte regeln wollen, wie Staatssekretär Stadelmeier jetzt behauptet, dann wäre der Staatsvertrag auch anders zu formulieren gewesen.

posted by Stadler at 18:07  

24.11.10

Offener Brief zum JMStV

In einem offenen Brief an die Landtagsfraktion der SPD in Nordrhein-Westfalen haben über fünfzig Unterzeichner aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, der „Netzgemeinschaft“ sowie Juristen, Journalisten und Netz-Künstler die Bitte artikuliert, der Novelle des Jugendmedienschutz-Staatsvertrages (JMStV) nicht zuzustimmen.

Da ich zu den Mitunterzeichnern gehöre, soll hier auch auf den Inhalt des offenen Briefs und auf die Pressemitteilung des AK Zensur hingewiesen werden. Meine verschiedenen Beiträge zum Thema lassen sich im Blog unter dem Tag JMStV nachlesen.

posted by Stadler at 17:37  

22.11.10

Wer profitiert vom neuen JMStV?

Nachdem ich vor zwei Tagen schon die Frage gestellt habe, wer an der Neureglung des Jugendmedienschutz-Staatsvertrags verdient, möchte ich ergänzend die vielleicht noch wichtigere Frage stellen, wer vom neuen JMStV profitiert.

Interessanter Weise ist von den Anbietern von jugendgefährdendem Content kaum Kritik an der Novellierung geäußert worden. Und das hat gute Gründe, wenn man sich die Konsequenzen der nunmehr vorgesehenen „freiwilligen“ Alterskennzeichnung vor Augen führt. Speziell Anbieter von Inhalten, die mit der Altersstufe „ab 16 Jahren“ zu versehen sind, hatten bislang im Internet nur die Möglichkeit, ihre Inhalte (legal) über die „Sendezeitenregelung“ (§ 5 Abs. 6 JMStV n.F.) nach 22 Uhr anzubieten.

Insoweit schafft die Neuregelung für Anbieter solcher Inhalte voraussichtlich eine spürbare Erleichterung. Sobald nämlich anerkannte Jugendschutzprogramme nach § 11 Abs. 3 JMStV auf dem Markt sind, können Anbieter von Telemedien nach dem Willen des Gesetzgebers ihre jugendschutzrechtliche Verpflichtung aus § 5 Abs. 1 JMStV mit einer ordnungsgemäßen Alterskennzeichnung ihrer Angebote erfüllen. Und damit wird ihnen gestattet, vom Nacht- ins Tagesprogramm wechseln. Das dürfte u.a. für Erotik-Anbieter unterhalb der Schwelle der Pornografie interessant sein.

Während die Neureglung für Anbieter von jugendgefährdendem Content also von Vorteil ist, kann sich die „freiwillige“ Alterskennzeichnung für die breite Masse der Inhaltsanbieter in der Tendenz nur nachteilig auswirken. Sollten sich (anerkannte) Jugendschprogramme tatsächlich etablieren, wird man nämlich auch dann, wenn man unverdächtigen Content ins Netz stellt, sein Angebot im Zweifel mit einer Alterskennzeichnung versehen, um nicht Gefahr zu laufen, im Jugendschutzfilter hängen zu bleiben.

Die gesetzliche Regelung ist auf diese Folge ausgerichtet und beinhaltet damit letztlich eine Lockerung des Jugendschutzes zu Lasten der breiten Masse der Content-Anbieter. Sollte es praktisch anders kommen – was denkbar ist – dann nur deshalb, weil sich das im Jugendmedienschutz seit jeher bestehende Vollzugsdefizit fortsetzt.

posted by Stadler at 22:00  
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