Internet-Law

Onlinerecht und Bürgerrechte 2.0

6.12.11

SPD-Parteitag spricht sich für Vorratsdatenspeicherung aus

Auf dem SPD-Parteitag wurde heute ein Antrag zur Vorratsdatenspeicherung beschlossen. Man will allerdings gewisse Einschränkungen gegenüber der alten Rechtslage, die vom Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt worden ist, durchsetzen.

Die SPD hält eine Speicherdauer von drei Monaten für ausreichend und angemessen. Außerdem will man verhindern, dass ein Abruf der gespeichterten Daten auch für zivilrechtliche Zwecke z.B. bei Urheberrechtsverletzungen erfolgen kann. Verhindern will man schließlich auch, dass die erhobenen Daten zur Erstellung von Bewegungsprofilen abgefragt werden.

Diese Beschlussfassung zeigt einmal mehr, dass mit der SPD, jedenfalls aus bürgerrechtlicher Sicht, nicht zu rechnen ist.

Der Beschluss wirft allerdings auch die Frage auf, wie die Erstellung von Bewegungsprofilen tatsächlich verhindert werden soll. Das funktioniert nämlich nur dann, wenn man die Speicherung von oder den Zugriff auf Standortdaten generell unterbindet. Die aktuelle Fassung der Richtlinie über die Vorratsdatenspeicherung verlangt auch gar keine Speicherung von Standortdaten. Der deutsche Gesetzgeber war mit seinem Gesetz lediglich über die Vorgaben der Richtlinie hinausgegangen.

Was die geltende Fassung der Richtlinie aber ansonsten verlangt, ist eine Speicherdauer von (mindestens) 6 Monaten. Für eine gesetzliche Regelung, die eine Speicherpflicht von nur 3 Monaten vorsieht, wäre es daher nötig, vorher die Richtlinie entsprechend einzuschränken. Mit Blick auf die anstehende Evaluierung der Richtlinie wäre es sicherlich ein starkes Signal gewesen, wenn die SPD sich grundsätzlich gegen eine Vorratsdatenspeicherung ausgesprochen hätte. Was stattdessen auf dem Bundesparteitag beschlossen wurde, ist nicht mehr als ein fauler Kompromiss.

posted by Stadler at 15:28  

25.11.11

Zum Verhältnis Vorratsdatenspeicherung und Auskunftsanspruch gegen Provider

Beim EuGH ist derzeit ein Verfahren (C?461/10) anhängig, in dem es um die Frage geht, ob Daten die aufgrund der Richtlinie über die Vorratsdatenspeicherung bei einem Provider gespeichert worden sind, auch für einen zivilrechtlichen Auskunftsanspruch im Falle der Verletzung von Rechten des geistigen Eigentums herangezogen werden dürfen.

Hierzu liegt nun der Schlussvortrag des Generalanwalts vor, die Entscheidung des Gerichtshofs steht noch aus.

Danach darf ein nationales Gericht nicht ohne weiteres die Herausgabe von Daten anordnen, die nach der Richtlinie über die Vorratsdatenspeicherung gespeichert wurden. Allerdings geht der Generalanwalt davon aus, dass diese Daten dann verwendet werden dürfen, wenn der nationale Gesetzgeber zuvor detaillierte Vorschriften für diesen Fall erlassen hat.

Das bedeutet letztlich, dass es der nationale Gesetzgeber in der Hand hat, den Zugriff auf Daten aus der Vorratsdatenspeicherung auch für die Verfolgung von z.B. Urheberrechtsverletzungen zu erlauben.

Danke an Oliver Garcia für den Hinweis.

posted by Stadler at 17:36  

18.11.11

Podiumsdiskussion zur Vorratsdatenspeicherung

Ist die europaweite Überwachung der Telekommunikationsdaten wirklich notwendig und verhältnismäßig?” lautete die Fragestellung unter der der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung am 17.11.2011 zu einer Podiumsdiskussion nach Regensburg eingeladen hatte. Wer genügend Zeit hat, kann die angeregte dreistündige Diskussion, in die sich ein kritisches Publikum immer wieder einschaltete, auch noch als Stream nachverfolgen.

Als Diskutanten haben teilgenommen die beiden SPD-Europaabgeordneten Birgit Sippel und Ismail Ertug (beide SPD), Peter Schall (Stellv. Vorsitzender GdP Bayern), Josef Falbisoner (ehem. Landesvorsitzender ver.di Bayern und
Betroffener des Telekom Spitzelskandals), Stefan Köpsell (TU Dresden, IT Sicherheit), Ronald Kaiser (CSUnet) und ich. Moderiert wurde die Veranstaltung von Andreas Schmal vom DGB.

Während Ismael Ertug sich auf Joschka Fischers bekannten Ausspruch „I’m not convinced“ bezog, um seine skeptische Haltung zur Vorratsdatenspeicherung zum Ausdruck zu bringen, gab sich seine Kollegin Birgit Sippel in der Tendenz eher als Befürworterin einer Vorratsdatenspeicherung zu erkennen. Wobei auch Sippel eine deutliche Einschränkung auf Fälle schwerster Kriminalität für notwendig hielt und außerdem der Ansicht war, dass man auch über die Aufhebung der Richtlinie diskutieren müsse, sollte die Kommission im Rahmen der laufenden Evalierung keine stichhaltigen Belege dafür liefern können, dass die Speicherung von TK-Verkehrsdaten auf Vorrat tatsächlich zu nachweisbaren Ergebnissen bei der Verbrechensbekämpfung geführt hat.

Stefan Köppsell vom Lehrstuhl für Datenschutz und Datensicherheit der TU Dresden stellte den Sinn der Vorratsdatenspeicherung zum Zweck der Bekämpfung von Terrorismus und organisierter Kriminalität ganz generell in Frage und verwies darauf, dass es für Straftäter relativ einfach sei, im Netz anonym zu agieren, weshalb man mit diesem Instrumentarium nur die Massenkriminalität erfassen könne und dort auch nur die dümmsten Täter.

Josef Falbisoner schilderte sehr anschaulich, wie er als ehemaliger Aufsichtsrat der Telekom zum Opfer des Spitzelskandals bei der Telekom geworden ist, weil man ihm als Gewerkschaftler unterstellt hatte, Interna nach außen zu geben, weshalb er vom Unternehmen in unzulässiger Weise überwacht wurde. Falbisoner sprach sich, nicht zuletzt aufgrund seiner persönlichen Erfahrungen, deutlich gegen eine Vorratsdatenspeicherung aus.

Als durchaus überraschend habe ich die Haltung von Ronald Kaiser (stellv. Vorsitzender CSUnet) empfunden, der zwar nicht für eine völlige Aufgabe der Vorratsdatenspeicherung plädiert hat, aber zumindest für eine erhebliche Einschränkung. Kaiser machte deutlich, dass Standortdaten sowie E-Mail- und Telefonverbindungsdaten seiner Ansicht nach nicht auf Vorrat gespeichert werden sollten und hat hierzu auch ein Positionspapier von CSUnet angekündigt. Auch wenn diese Haltung derzeit sicherlich von einer Konsensfähigkeit weit entfernt ist, hat es den Anschein, als wäre auch in der Union etwas Bewegung in die Diskussion gekommen. Denn auch im Arbeitskreis Netzpolitik der CDU wird das Thema offenbar mittlerweile kontrovers diskutiert.

Als einziger konsequenter Verfechter einer Vorratsdatenspeicherung agierte der stellvertretende Vorsitzende der GdP Bayern Peter Schall. Er betrachtet die Vorratsdatenspeicherung als wichtiges und notwendiges Instrumentarium zur Aufklärung von Straftaten.

Ich habe in der Diskussion u.a. versucht darauf hinzuweisen, dass man nicht nur die Frage stellen sollte, ob es sich bei der Vorratsdatenspeicherung um ein effizientes Mittel der Strafverfolgung handelt, sondern man das Thema vor allen Dingen aus Sicht der Bürgerrechte betrachten und diskutieren muss. Für mich lautet die entscheidende Fragestellung nach wie vor, ob wir es als Bürger zulassen wollen, dass der Staat unsere TK-Verkehrsdaten ohne jeden Anlass für 6 Monate auf Halde speichern lässt. Diese Frage stellt sich für mich ganz unabhängig davon, ob eine solche Maßnahme bei entsprechender gesetzlicher Ausgestaltung gerade noch als verfassungskonform angesehen werden kann.

Die Veranstaltung hat unter dem Strich den Zweck erfüllt, an die anwesenden Vertreter der Politik zu appellieren, sich mit dem Thema kritisch und sorgfältig auseinanderzusetzen und dabei die überwiegend skeptische und ablehnende Haltung die die Bürger gegenüber der Vorratsdatenspeicherung einnehmen, stärker zu berücksichtigen.

Die Ortsgruppe Regensburg des AK Vorrat hat eine gelungene Veranstaltung organisiert, die einen kleinen Mosaikstein eines wichtigen Diskussionsprozesses darstellt.

 

 

posted by Stadler at 17:37  

4.11.11

Von wegen rechtsfreier Raum Internet

Der AK Vorratsdatenspeicherung weist auf die unlängst veröffentlichte ausführliche Fassung der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) 2010 hin.

Die PKS ist ohnehin nur in sehr beschränktem Maße aussagekräftig und stellt letztlich eher ein Instrument politischer Stimmungsmache dar als einen zuverlässigen Gradmesser der Kriminalitätsentwicklung. Gerade das wird leider in der Berichterstattung so gut wie nie thematisiert.

Aber selbst für innenpolitische Stimmungsmache taugt die PKS gerade nicht wirklich, jedenfalls dann nicht, wenn es um die Schimäre vom rechtsfreien Raum Internet geht. Die Behauptung des BKA und zahlreicher Innenpolitiker, man könne schwere Straftaten im Internet mit klassischen polizeilichen Ermittlungsmethoden nicht mehr aufklären, weshalb u.a. eine Vorratsdatenspeicherung zwingend nötig sei, ist auch durch die aktuelle PKS einmal mehr falsifiziert worden. Die Aufklärungsquote beträgt bei Internetdelikten nach der PKS immer noch beachtliche 72 %, gegenüber mageren 56 % durchschnittlicher allgemeiner Aufklärungsquote. Wer da von einem rechtsfreien Raum spricht, ist ein Demagoge.

Der AK Vorrat weist zudem zu Recht darauf hin, dass laut der PKS die Fälle der Verbreitung pornographischer Schriften, zu denen nach der Statistik auch kinderpornographische Schriften zählen, deutlich rückläufig sind und zwar ganz ohne Netzsperren und Vorratsdatenspeicherung.

Die Statistik belegt einmal mehr, dass mehr als 80% der Internetstraftaten Betrugsdelikte sind. Und das wäre dann in diesem Bereich auch der Hauptanwendungsfall einer Vorratsdatenspeicherung und keineswegs die in der öffentlichen Diskussion immer wieder ins Feld geführte Schwerstkriminalität.

 

posted by Stadler at 11:30  

29.9.11

Anhörung zur Vorratsdatenspeicherung: Ein wenig Licht und viel Schatten

Gastbeitrag von @vieuxrenard

Das „Stakeholder Hearing“ für die Justiz zur Novelle der Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung

Die Europäische Kommission erarbeitet derzeit eine mögliche Novelle der Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung. Zur Vorbereitung des entsprechenden Entwurfs, der voraussichtlich im Sommer 2012 erscheinen soll, veranstaltet die Generaldirektion Inneres der Kommission derzeit nach einer eher unbefriedigenden ersten schriftlichen Evaluation eine Serie sogenannter „Stakeholder Hearings“, also Anhörungen von Interessierten und Betroffenen. Eines dieser Treffen – die Runde mit Vertretern der Zivilgesellschaft – hat Michael Ebeling auf den Seiten des AK Vorrat dokumentiert.

Am 19. September 2011 fand nun in Brüssel die letzte Runde statt, zu der Vertreter aus der Justiz der Mitgliedstaaten eingeladen waren. Die Veranstaltung wurde von Cecilia Verkleij von der GD Inneres geleitet, der ihre Kollegen Christian D’Cunha und Julian Siegl zur Seite standen. Zur Vorbereitung hatte die Kommission ein dreiseitiges „discussion paper“ verteilt, aus dem deutlich wurde, dass die Frage des Ob einer (weiteren) europarechtlichen Vorgabe für eine Vorratsdatenspeicherung in den Mitgliedstaaten bisher nicht ernstlich zur Debatte steht. Das Interesse der Kommission ging vielmehr vor allem dahin zu erfahren, welche Rolle gespeicherte Vorratsdaten für die Strafverfolgung tatsächlich spielen und ob die Daten auch außerhalb von Strafverfahren genutzt werden. Außerdem sollten die Vorgaben der Richtlinie zur Zweckbestimmung der Vorratsdatenspeicherung diskutiert werden. Schließlich sollte es um die Evaluation der Regelungen des nationalen Rechts gehen, nach denen auf Vorratsdaten zugegriffen werden kann, sowie um die Frage, ob Gerichte bei der weiteren Evaluation der Vorratsdatenspeicherung einen sinnvollen Beitrag leisten können.

Die vierstündige, durchgehend auf Englisch geführte Diskussion, an der Vertreter aus rund zwanzig Mitgliedstaaten teilnahmen, folgte grob dem Aufbau des „discussion paper“. Zu Beginn trug der Vertreter der deutschen Justiz vor, dass in seinem Land die nationale Umsetzung der Vorratsdatenspeicherung  nur für einen begrenzten Zeitraum in Kraft war, sodass sich aus deutscher Sicht sehr gut die Kriminalstatistiken vor, während und nach der Vorratsdatenspeicherung vergleichen lassen. Zur großen Überraschung der übrigen Anwesenden verwies der deutsche Vertreter darauf, dass in den Jahren 2007 bis 2009 keinerlei Unterschied bei den Aufklärungszahlen auszumachen sei. Dies wiederum lasse einige Fragen nach der praktischen Bedeutung der Vorratsdaten gerade für die zur Begründung ins Feld geführte schwere Kriminalität und damit nach der Verhältnismäßigkeit der Vorratsdatenspeicherung insgesamt aufkommen.

Diese Sichtweise teilte allerdings im Zuge der weiteren Diskussion keiner der übrigen Justizvertreter. Vielmehr wurde einhellig darauf verwiesen, dass in einer großen Zahl von Strafverfahren auf Vorratsdaten zugeriffen worden und diese ausgesprochen nützlich oder gar unverzichtbar seien. Allerdings nannte keiner der übrigen Anwesenden konkrete Zahlen zum möglichen Effekt der Vorratsdatenspeicherung bei der Kriminalitätsbekämpfung; stattdessen wurde stets betont, dass die Daten in sehr breitem Umfang genutzt würden – beispielsweise gab die italienische Vertreterin an, dass in etwa 90% der Ermittlungsverfahren wegen „schwerer Straftaten“ Vorratsdaten eine Rolle gespielt hätten. Durchweg wurde die Hoffnung formuliert, dass die Zweckbestimmungen der Richtlinie keinesfalls enger gefasst und die Speicherfristen nicht verkürzt werden.

Die Kommissionsvertreter, die tendenziell eher Fragen stellten als Position bezogen, ließen gleichwohl durchblicken, dass sie durchaus Verständnis für die deutsche Position hatten, wonach für die Angemessenheit der Vorratsdatenspeicherung nicht die Frage der tatsächlichen Nutzung von Vorratsdaten, sondern eher deren Unverzichtbarkeit maßgeblich sein muss. Konkret formulierte etwa Christian d’Cunha, es könne nicht darauf ankommen, ob die Strafverfolgungsbehörden Vorratsdaten genutzt hätten (was ja kaum überraschen kann, wenn sie vorhanden sind), sondern allein darauf, ob vergleichbare kriminalistische Erfolge auch ohne Vorratsdatenspeicherung zu erzielen wären. Insofern scheint die Kommission die sonst nur aus deutscher Sicht vorgetragenen Fragezeichen beim konkreten Nutzen der Vorratsdatenspeicherung also jedenfalls zum Anlass zu nehmen, sich um eine bessere empirische Grundlage zu bemühen.

In einer weiteren Runde nahmen die Justizvertreter zu den nationalen Prozeduren beim Abruf von Vorratsdaten Stellung. Diese wurden durchweg als effektiv und aus Datenschutzsicht hinreichend bezeichnet, wobei allerdings deutlich wurde, dass sowohl die Zwecke, zu denen Vorratsdaten abgerufen werden dürfen, als auch die Abrufverfahren sehr unterschiedlich geregelt sind. Die meisten Staaten scheinen im Regelfall keinen Richtervorbehalt zu kennen, fast überall sind die Staatsanwaltschaften, gelegentlich auch die Polizeibehörden zum eigenständigen Abruf berechtigt. Auch die materiellen Voraussetzungen eines Abrufs scheinen tendenziell niedriger zu liegen als die Schwelle der „serious crimes“, die in der Richtlinie als Zweck der Speicherung genannt ist: In aller Regel genügt „any criminal investigation“, um auf Vorratsdaten zuzugreifen.

Gegen Ende der Veranstaltung wurde intensiv über die Frage diskutiert, wie der Austausch von Vorratsdaten über Ländergrenzen hinweg „effektiver“ gestaltet werden könnte. Insbesondere der Vertreter der belgischen Staatsanwaltschaften vertrat die Auffassung, dass hier das Anerkennungsprinzip gelten müsse: Jeder Mitgliedstaat solle seine Provider verpflichten, Vorratsdaten bereits dann herauszugeben, wenn eine Anfrage von einer Stelle eingehe, die nach dem Recht des anfragenden Staates zum Abruf berechtigt sei. Das verstehe sich in einer Europäischen Union wohl von selbst und bedeute zB, dass deutsche Provider „natürlich“ auf einfache Anforderung der belgischen Polizei oder Staatsanwaltschaft alle gewünschten Vorratsdaten übermitteln müssten, sofern die anfragende Stelle nach belgischem Recht zu einer solchen Anfrage berechtigt sei.

Dem trat wiederum der Vertreter der deutschen Justiz entgegen: Spätestens seit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Umsetzung der Vorratsdatenspeicherung stehe fest, dass nach deutschem Verfassungsrecht der Abruf von Vorratsdaten in aller Regel – mit der Ausnahme der Ermittlung von Anschlussinhabern bei bekannter IP-Adresse – einem Richtervorbehalt unterliegen müsse. Dies dürfe keinesfalls über eine Richtlinie zum Datenzugriff unter einfacheren Bedingungen unterlaufen werden, wolle man nicht den nächsten Konflikt zwischen dem Grundgesetz und einer Norm des europäischen Sekundärrechts (wie etwa 2004/2005 beim Konflikt um den Europäischen Haftbefehl) provozieren. Dieser Einwand wurde – soweit erkennbar – von den Kommissionsvertretern sehr interessiert verfolgt, sodass hier ein Unterlaufen des grundgesetzlich gebotenen Schutzniveaus vermutlich nicht vorgeschlagen werden wird, sofern die Novelle der Richtlinie überhaupt Regelungen zum grenzüberschreitenden Datenabruf treffen wird.

Insgesamt entstand beim „Stakeholder Hearing“ der Eindruck, dass sich die Kommission nach dem eher unbefriedigenden Evaluationsbericht zur Vorratsdatenspeicherung ernsthaft für die Sichtweise der Justiz aus den Mitgliedstaaten interessiert. Gerade die im europäischen Vergleich pointiert datenschutzfreundliche deutsche Sichtweise schien bei der Kommission jedenfalls auf deutlich mehr Verständnis zu treffen als bei den Justizvertretern der übrigen am 19. September repräsentierten Mitgliedstaaten. Andererseits ist nicht zu übersehen, dass die aus Deutschland vorgetragenen Bedenken im Konzert der europäischen Stimmen eher eine Einzelmeinung darstellen. Der großen Mehrheit der Justizvertreter scheint schon die bloße Möglichkeit eines Sicherheitsgewinns zur Begründung einer sehr weitgehenden Datenspeicherung auszureichen, ohne dass ein Bedürfnis nach einer echten Verhältnismäßigkeitsprüfung sichtbar würde.

posted by Stadler at 12:16  

16.9.11

Sozialdemokratische Juristen wollen Verzicht auf Vorratsdatenspeicherung

Die Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Juristinnen und Juristen (ASJ) beschäftigt sich in ihrem Antragsbuch für den Bundesausschuss der am 24. September stattfindet, u.a. mit den Themen Vorratsdatenspeicherung und nichtindividualisierter Verkehrsdatenerhebung.

Der Antrag zur Vorratsdatenspeicherung lautet:

Der Bundesausschuss möge beschließen:
Deutschland kann und soll auf die Vorratsdatenspeicherung verzichten! Die Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Juristinnen und Juristen bittet den Bundesparteitag der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands um ein klares Nein zu jeglicher anlassunabhängigen Speicherung von Telekommunikations-Verbindungsdaten. Es darf keine neue gesetzliche Verpflichtung der Anbieter von Telekommunikationsdiensten zur Registrierung der Verbindungsdaten ohne Anfangsverdacht oder konkreter Gefahr geben. Der bislang nur unzureichend nachgewiesene Nutzen, der mit auf Vorrat gespeicherten Telekommunikationsdaten verbunden sein könnte, rechtfertigt nicht die 20 damit verbundenen schweren Grundrechtseingriffe. Unstrittig ist zudem, dass die Vorratsdatenspeicherung von Kriminellen und Terroristen leicht umgangen werden könnte. Die SPD nimmt die erheblichen Ängste und Vorbehalte gegen eine so breite, weil alle Bürgerinnen und Bürger betreffende und eine so langfristige Speicherung von Kommunikationsdaten ernst und spricht sich nachdrücklich gegen jede Form der Vorratsdatenspeicherung aus. Das vom BMJ vorgeschlagene „Quick-Freeze Verfahren“ ist dagegen akzeptabel, weil es schon die Speicherung von Daten auf die Fälle beschränkt, in denen der konkrete Verdacht einer bestimmten, schwerwiegenden Straftat besteht.

Das ist deutlich erfreulicher als das, was man aus dem Kreis des SPD-Netzrats zuletzt zu diesem Thema gehört hat.

Außerdem wird in dem Papier, vor dem Hintergrund der massiven Abfrage von Funkzellendaten in Dresden, eine gesetzliche Begrenzung der nichtindividualisierten Verkehrsdatenerhebung gefordert. Auch das ist eine vernünftige und bürgerrechtsfreundliche Haltung.

Man darf gespannt sein, auf welche Linie sich die SPD auf ihrem Parteitag einpendelt, denn davon wird letztlich auch die künftige Akzeptanz der Partei in netzpolitischen Fragen abhängen. Gerade in diesem Bereich hat die SPD in den letzten Jahren,mit ihrer wankelmütigen Haltung zu verschiedenen Fragen einiges an Kredit verspielt.

Update:
Ich wurde gebeten zu erwähnen, dass es in der SPD auch aus Kreisverbänden Anträge zum Bundesparteitag gibt, sich gegen die Vorratsdatenspeicherung auszusprechen.

posted by Stadler at 21:03  

8.9.11

„Freiheit statt Angst“ am 10.09.2011 in Berlin

Wie in den letzten Jahren auch, ruft ein breites Bündnis zur Teilnahme an der Demonstration „Freiheit statt Angst – Stoppt den Überwachungswahn!“ am 10.09.2011 auf.

Gründe, für eine freie und offene Gesellschaft und eine überwachungsfreie Kommunikationsstruktur zu demonstrieren, gibt es nach wie vor genug. Der Bundestag hat gerade die Verlängerung der sog. Anti-Terror-Gesetze beschlossen, die Diksussion über die Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung ist in vollem Gange und speziell auf EU-Ebene ist eine Tendenz zu ausufernder Datenerfassung festzustellen und dazu, sensible Daten europäischer Bürger bereitwillig an die USA zu übermitteln. Stichwort: Fluggastdaten und Swift-Abkommen. Dieser Entwicklung gilt es entgegenzutreten.

Ich werde deshalb am Samstag in Berlin vor Ort sein und hoffe, man sieht sich.

posted by Stadler at 13:49  

7.9.11

Die tatsächliche Speicherpraxis der Telefon- und Internetanbieter

In der heutigen Tagespresse wird darüber berichtet, dass Telefonanbieter Daten ihrer Kunden deutlich länger speichern würden, als bisher bekannt. Dies ergäbe sich, so z.B. die Berliner Zeitung, aus einer vertraulichen Aufstellung der Generalstaatsanwaltschaft München. Diese Aufstellung, die mir ebenfalls vorliegt, nennt sich „Leitfaden zum Datenzugriff“ und stammt vom Juni 2011, ist also relativ aktuell. Dieser Leitfaden dient der Information von Staatsanwaltschaften. Dort enthalten ist neben einer ausführlichen Darstellung der Befugnisse im Bereich der TK-Überwachung u.a. auch eine ausführliche Übersicht über die Speicherpraxis von Telefonabietern und Providern, die ich hier in Auszügen wiedergeben möchte. An der einen oder anderen Stelle ist man doch erstaunt, wie lange tatsächlich gespeichert wird. Von den großen Anbietern speichert u.a. Vodafone bedenklich lange, kleinere bzw. regionale Anbieter wie Hanse-Net oder M-Net können dies allerdings noch toppen.

 

Übersicht rückwirkende Verkehrsdaten der Netzbetreiber

T-Mobile D1
1 – 30 Tage: Alle Verkehrsdaten liegen vollständig vor
31 – 180 Tage:
– T-Mobile-Rufnummern: 80 Tage abgehend
– Prepaidkunden: 180 Tage
– Serviceprovider: 180 Tage

Vodafone (D2) Mobilfunkbereich
1- 7 Tage: Alle Verkehrsdaten liegen vollständig vor (inkl. IMSI-IMEI-Geo-Daten)
30 Tage: Alle gebührenpflichtigen ankommenden und alle abgehenden Verkehrsdaten liegen vollständig vor (inkl. IMSI, IMEI, Geo-Daten)
31 – 80 Tage: IMEI-Kennungen können bis zu diesem Zeitpunkt vollständig beauskunftet werden
81 – 180 Tage: Alle noch gespeicherten Verkehrsdaten liegen ohne IMEI, IMSI, Geo-Daten vor, mit der Folge, dass die abgehenden Daten zu IMEI-Kennungen ab diesemZeitpunkt nicht mehr festgestellt werden können.

Vodafone Festnetzbereich (Integration von Arcor)
92 Tage: Alle Verkehrsdaten liegen vollständig vor

E-Plus
90 Tage: Alle Verkehrsdaten liegen vollständig vor

Telefonica O2
1 – 7 Tage: Alle Verkehrsdaten liegen vollständig vor
8 – 30 Tage: Es liegen nur noch abrechnungsrelevante Daten vor. Eingehende Anrufe liegen nur vor, sofern sie von einem Fremdnetz kamen; rkehrsdaten von Serviceprovidern liegen vor

Deutsche Telekom AG (DTAG)
0 Tage: Ankommende Verkehrsdaten werden nicht gespeichert
3 Tage: Abgehende Verkehrsdaten liegen vollständig vor (auch Flatrate)
4 – 80 Tage: Speicherung ist abhängig vom Kundenwunsch.

HanseNet
180 Tage: Alle Verkehrsdaten liegen vollständig vor

M-Net
180 Tage: Alle Verkehrsdaten liegen vollständig vor

BT Germany
180 Tage: netzübergreifend beide Richtungen, ankommende Verbindungen können unvollständig sein

 

Übersicht Funkzellendaten der Netzbetreiber

T-Mobile D1
30 Tage (kommend) 30 Tage (gehend), Telefonie und SMS vollständig

Vodafone (D2)
7 Tage (kommend) 80 Tage (gehend), Telefonie und SMS vollständig

E-Plus
90 Tage (kommend) 90 Tage (gehend), Telefonie und SMS vollständig

Telefonica O2
7 Tage (kommend) 30 – 182 Tage (gehend), Telefonie und SMS vollständig

 

Übersicht Speicherfristen IP-Adressen Diensteanbieter

Web.de
30 Tage

1 & 1
60 Tage

GMX
Daten werden beim nächsten Login überschrieben

 

Übersicht Speicherfristen IP-Adressen Netzbetreiber

Freenet
Keine Speicherung

1 & 1
60 Tage (Non-Access-Provider; als VoIP Anbieter)

Kabel Deutschland
Keine Speicherung, bei aktuellem Login IP-Adressen Feststellung möglich; aber hoher technischer Aufwand

Net Cologne
4 Tage

Versatel Deutschland
3 Tage

posted by Stadler at 17:30  

6.9.11

Der Streit um die Vorratsdatenspeicherung

In einem Beitrag für Heise-Online und in diesem Blog habe ich unlängst einen SPD-Musterantrag zur Vorratsdatenspeicherung kritisiert. Alvar Freude, einer der Autoren dieses Musterantrags hat nunmehr hierzu, ebenfalls bei Heise, eine Replik verfasst, in der er mir vorwirft, ein verzerrendes Bild zu zeichnen.

Wer Verzerrungen behauptet, sollte allerdings sauber argumentieren. Alvar Freude führt in seiner Replik u.a. aus:

Für Deutschland sehen die Anträge eine maximale Speicherfrist von ca. 80 Tagen für IP-Adressen vor, die Dauer für etwaige andere Daten soll auf maximal 7 Tage begrenzt werden.

Genau das ergibt sich aber aus dem von mir kritisierten Musterantrag nicht. Dort heißt es vielmehr zur Speicherdauer:

Bei Beibehaltung einer europaweiten Verpflichtung ist die Maximalspeicherfrist von verdachtslos gespeicherten Daten auf sechs Monate, statt bisher auf zwei Jahre, festzulegen. Für sensible Daten wie beispielsweise Telefon-Verbindungsdaten sollte eine maximal auf wenige Tage beschränkte Speicherverpflichtung und hohe Zugriffshürden gelten (…)

Die Beauskunftung von Anschlussinhabern anhand einer IP-Adresse kann als milderes und weniger eingriffsintensives Mittel zur Aufklärung von Straftaten genutzt werden. Dabei sollte ein Abruf jedoch nur innerhalb einer angemessenen Frist erfolgen können.

Dieser Musterantrag sieht also eine Regelspeicherdauer für Verkehrsdaten von 6 Monaten vor. Telefonverbindungsdaten sollen nur für wenige Tage gespeichert werden und für IP-Adressen soll eine angemessene Speicherfrist gelten, wobei offen bleibt, was angemessen sein soll. Im Zweifel wird man auch 6 Monate als angemessen betrachten können.

Die Replik von Alvar Freude zeigt außerdem, dass in der Diksussion zwei Aspekte vermengt werden, die strikt zu trennen sind. Freude führt aus:

Zwar lehne ich persönlich eine Speicherung von Telefon-Verbindungsdaten (wer wann mit wem telefonierte) und E-Mail-Kommunikations-Daten (wer wann wem eine E-Mail geschrieben hat) ab, sehe aber durchaus, dass die Provider diese Daten zumindest wenige Tage für eigene Zwecke (z.B. Abrechnung, Störungsbekämpfung) speichern. Hier besteht derzeit keinerlei Hürde für die Ermittlungsbehörden, auf diese Daten zuzugreifen: ein Anruf beim Provider reicht. Ich halte eine Regelung für sinnvoll, die diese Zugriffe einschränkt, für eine revisionssichere Protokollierung sorgt, die Zugriffe unter Richtervorbehalt stellt und Informationspflichten für die Betroffenen einführt.

Hier wird die Frage der (datenschutzrechtlichen) Zulässigkeit einer Speicherung durch die Provider für eigene betriebliche Zwecke mit einer Speicherverpflichtung durch Einführung einer Vorratsdatenspeicherung vermengt bzw. verwechselt. Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun.

Würde man im Wege einer Neuregelung der Vorratsdatenspeicherung z.B. eine nur noch kurzzeitige Speicherpflicht für bestimmte Verkehrsdaten einführen, so bedeutet dies nicht, dass der Provider nicht für eigene Zwecke länger speichern darf. Die Vorratsdatenspeicherung begründet eine staatliche Speicherpflicht, aber kein Verbot über diese Mindestspeicherfristen hinaus aus anderen Gründen länger zu speichern.

Vor diesem Hintergrund ist auch die immer wieder geäußerte Ansicht, man wolle ja nur zu einer Speicherdauer von 80 Tagen zurück, die es angeblich vor einigen Jahren schon gegeben haben soll, nichts weiter als eine politische Schimäre.

Diese Ansicht beruht auf der mittlerweile außer Kraft befindlichen Telekommunikationsdatenschutzverordnung, die bereits seit dem Jahr 2000 eine Höchstspeicherdauer von 6 Monaten und nicht mehr von 80 Tagen vorsah. Danach durften die Verbindungsdaten unter Kürzung der Zielnummer um die letzten drei Ziffern zu Beweiszwecken höchstens 6 Monate nach Versendung der Rechnung gespeichert werden. IP-Adressen hat dies aber ohnehin nicht betroffen.

Eine Regelung, wonach IP-Adressen generell 80 Tage lang gespeichert werden durften, hat es in Deutschland zu keiner Zeit gegeben. Die anderslautende Aussage Alvar Freudes gehört ins Reich der Mythen.

posted by Stadler at 14:50  

1.9.11

SPD-Netzpolitik oder die Roadmap zur Vorratsdatenspeicherung

Für einen Kommentar bei Heise habe ich mir den Musterantrag von SPD-Netzpolitikern zur Vorratsdatenspeicherung, der bereits heftig und kontrovers diskutiert wird, nochmals etwas genauer angeschaut.

Update:
Die Unklarheiten und Ungereimtheiten des Musterantrags hat Yacine Ghoggal gut herausgearbeitet. Auch die politische Analyse von Malte Spitz ist lesenswert.

posted by Stadler at 14:47  
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