Internet-Law

Onlinerecht und Bürgerrechte 2.0

18.6.12

Die Speicherpraxis der TK-Unternehmen

Der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung berichtet aktuell über eine Erhebung der Bundesnetzagentur zur Praxis der Speicherung von Verbindungs- und Staandortdaten durch TK-Unternehmen.

Danach werden z.B. Standortdaten von der Telekom für 30 Tage und von Vodafone sogar für 210 Tage gespeichert. Auch bei Verbindungsdaten ist – selbst bei Flatrates – eine Speicherdauer von 30 Tagen nicht ungewöhnlich, einige Anbieter speichern sogar noch deutlich länger.

Ähnliche Zahlen – die allerdings im Detail differieren – ergeben sich aus einem Leitfaden der Generalstaatsanwaltschaft München.

Wenn man sich dazu noch vor Augen führt, welch eine Fülle an Einzelbefugnissen im Bereich der Telekommuniaktion-Überwachung tatsächlich existiert, ergibt sich in der Gesamtschau ein durchaus beunruhigendes Bild.

posted by Stadler at 17:15  

18.6.12

Vorratsdatenspeicherung nun doch beim EuGH

Seit zwei Jahren kursierte immer wieder mal die Meldung, dass der irische HighCourt dem EuGH die Vorabprüfung der Frage, ob die Richtlinie über die Vorratsdatenspeicherung mit den europäischen Grundrechten vereinbar ist, vorgelegt hätte. Erst vor einigen Wochen hatte Telemedicus allerdings berichtet, dass eine derartiges Verfahren beim EuGH nicht anhängig ist.

Nunmehr ist am 11.06.2012 aber offenbar doch noch ein entsprechender Antrag des irischen HighCourts beim Europäischen Gerichtshof eingegangen (C-293/12), wie der Kollege Lehofer in seinem Blog berichtet. Die Vorlagefragen sind im Wortlaut aber noch nicht veröffentlicht. Der irische HighCourt hat für diese Vorlageentscheidung damit geschlagene 2 Jahre gebraucht, was ebenfalls Fragen aufwirft.

Mit dem Vertragsverletzungsverfahren, das die Kommission derzeit gegen Deutschland wegen Nichtumsetzung der Richtlinie über die Vorratsdatenspeicherung anstrengt, hat dieses Verfahren übrigens nichts zu tun. In dem Vertragsverletzungsverfahren kann und wird der EuGH die Frage der Vereinbarkeit der Richtlinie mit den Grundrechten nämlich nicht überprüfen.

posted by Stadler at 13:48  

27.4.12

Bevor wir ihre Daten schützen können, müssen wir sie erst einmal haben

Was den Schutz personenbezogener Daten angeht, haben sich EU-Kommission und EU-Parlament in letzter Zeit nicht mit Ruhm bekleckert. Im Rahmen von bilateralen Verträgen wie dem SWIFT-Abkommen und dem Fluggastdatenabkommen liefert man den USA die Bankdaten europäischer Bürger und die Daten von Fluggästen, die in die USA reisen, praktisch auf dem Silbertablett. Weil man das, was die USA können – nämlich personenbezogene Daten von Passagieren fünf Jahre lang zu speichern – selbst natürlich auch können muss, wollen die europäischen Innenminister jetzt auch bei innereuropäischen Flügen personenbezogene Daten von Passagieren für die Dauer von 5 Jahren (!) speichern. Die Bundesregierung hat sich in dieser Frage wieder einmal vornehm enthalten, denn man weiß in Berlin natürlich, dass das BVerfG bei der Vorratsdatenspeicherung – und nichts anderes ist die anlasslose Speicherung von Fluggastdaten – bereits eine Speicherdauer von 6 Monaten als gerade noch zulässig angesehen hat.

Der Eindruck, dass Europa mehrheitlich von Technokraten und Antidemokraten regiert und gelenkt wird, verdichtet sich zur Wahrheit.

Dass man auf Ebene der EU gerade parallel über ein besseres und effektiveres Datenschutzrecht diskutiert, kann vor diesem Hintergrund allenfalls noch als Groteske durchgehen. Wer von Unternehmen und Bürgern die Achtung der Privatsphäre und den effektiven Schutz personenbezogener Daten verlangt, der muss selbst mit gutem Beispiel vorangehen. Ein Staat bzw. eine Staatengemeinschaft die demgegenüber für sich reklamiert, personenbezogene Daten praktisch nach Belieben und ohne jeden Anlass auf Vorrat speichern und an Drittstaaten übermitteln zu dürfen, lässt die notwendige Vorbildfunktion vermissen und darf auf keine Akzeptanz im Bereich des Datenschutzes hoffen.

Den dazu passenden Treppenwitz liefert einmal mehr EU-Kommissarin Cecilia Malmström. Auf die Frage, ob man die Richtlinie über die Vorratsdatenspeicherung nicht dahingehend ändern könnte, dass den Mitgliedsstaaten eine Umsetzung freigestellt wird, hat Frau Malmström folgendes geantwortet:

Optionale Maßnahmen mit offenkundigen Konsequenzen für das Recht auf Datenschutz und Privatsphäre würden im Gegenteil dem Bürger gemeinsame Mindeststandards für diese Grundrechte in der EU vorenthalten.

Die zwingende Umsetzung einer Vorratsdatenspeicherung ist mit anderen Worten deshalb notwendig, um das Recht der EU-Bürger auf Datenschutz und Privatsphäre zu gewährleisten. Das erinnert mich an den alten Witz, dass man nur die Daten schützen kann, die man zuvor erhoben hat.

In der Zeit, als man noch ernsthaft versucht hat, Datenschutz zu betreiben, galt das Prinzip der Datenvermeidung als die oberste Maxime des Datenschutzrechts. Dieses Grundprinzip des Datenschutzrechts möchte die EU-Kommission offenbar in sein Gegenteil verkehren und die massenhafte und anlasslose Datenspeicherung zum neuen Leitbild erheben. Dann liebe EU-Kommission, sollte man konsequenterweise aber auch das Schattenboxen, das parallel um eine EU-Verordnung zum Datenschutz stattfindet, beenden und das Post-Privacy-Zeitalter ganz offiziell einläuten. Die EU-Kommission pfeift ganz ersichtlich auf den Datenschutz und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und sollte diese Haltung dann wenigstens auch konsequent und offen an den Tag legen.

Das EU-Parlament, das der Entwicklung bisher fast nichts entgegengesetzt hat, wird sich in Zukunft verstärkt die Frage stellen müssen, ob man sich weiterhin von bürgerrechtsfeindlichen Technokraten dominieren lassen will, oder gelegentlich vielleicht doch im Interesse der europäischen Bürger stimmen sollte, von denen man gewählt wurde.

Zum selben Thema siehe auch die Beiträge von Patrick Breyer beim AK Vorrat und Andre Meister bei netzpolitik.org.

posted by Stadler at 10:34  

19.4.12

EuGH: Auskunftsansprüche gegen Provider bei Urheberrechtsverletzungen mit EU-Recht vereinbar

Der EuGH hat heute (Urteil vom 19.04.2012, Az.: C?461/10) entschieden, dass Auskunftsansprüche gegen Internet-Service-Provider, die in Mitgliedstaaten auf Grundlage der sog. Enforcement-Richtlinie geschaffen wurden – in Deutschland betrifft dies § 101 Abs. 2, Abs. 9 UrhG – sowohl mit der Richtlinie über die Vorratsdatenspeicherung als auch mit der Datenschutzrichtlinie vereinbar sind. Mithilfe dieser Auskunftsansprüche werden in Fällen des Filesharing die von den Rechteinhabern ermittelten IP-Adressen dann von den Providern einem Kunden bzw. Anschlussinhaber zugeordnet.

In der Formulierung des EuGH

Die Richtlinie 2002/58/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Juli 2002 über die Verarbeitung personenbezogener Daten und den Schutz der Privatsphäre in der elektronischen Kommunikation (Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation) und die Richtlinie 2004/48 sind dahin auszulegen, dass sie nationalen Rechtsvorschriften wie den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nicht entgegenstehen, soweit es diese Rechtsvorschriften dem nationalen Gericht, bei dem eine klagebefugte Person beantragt hat, die Weitergabe personenbezogener Daten anzuordnen, ermöglichen, anhand der Umstände des Einzelfalls und unter gebührender Berücksichtigung der sich aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ergebenden Erfordernisse eine Abwägung der einander gegenüberstehenden Interessen vorzunehmen.

erkenne ich freilich die deutsche Rechtswirklichkeit bei richterlichen Auskunftsbeschlüssen nach § 101 Abs. 9 UrhG kaum wieder. Denn eine Prüfung des Einzelfalls, die den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebührend berücksichtigen würde, findet bei deutschen Gerichten schlicht nicht statt. Es ist vielmehr so, dass die nach § 101 Abs. 9 UrhG angerufenen Gerichte massenhaft, tetxbausteinartig und ohne jegliche Einzelfallprüfung diejnigen Auskunftsbeschlüsse erlassen, die den Provider erst ermächtigen, die Daten seines Kunden herauszugeben. Mir liegen diesbezüglich eine ganze Reihe von Akteneinsichten, insbesondere des Landgerichts Köln, vor, die dieses schematische und textbausteinartige Vorgehen des Gerichts belegen. Der eigentlich als zusätzliche Hürde gedachte Richtervorbehalt verkommt dadurch zur bloßen Makulatur.

Eine gute Erläuterung des Urteils liefert auch der Kollege Dosch.

posted by Stadler at 17:13  

12.3.12

Das Europaparlament könnte das Fluggastdatenabkommen noch stoppen

Die EU-Kommission hat sich mit den USA bereits Ende letzten Jahres auf ein Fluggastdatenabkommen geeinigt. Danach sollen die Airlines verpflichtet werden, 19 Einzelinformationen vorab über jeden europäischen Fluggast an die US-Behörden zu übermitteln. Diese Daten sollen in den USA bis zu 5 Jahren in einer aktiven Datenbank und anschließend weitere 10 (!) Jahre in einer „ruhenden Datenbank“ gespeichert werden. Die Daten sollen zwar nach 6 Monaten anonymisiert werden, wobei diese Anonymisierung wieder rückgängig gemacht werden kann, womit letztlich natürlich keine Anonymisierung vorliegt. Die EU-Innenminister haben dem Vorhaben ebenfalls zugestimmt, Deutschland hatte sich trotz rechtsstaatlicher Bedenken nur dazu entschlossen, sich zu enthalten.

Nur das Europaparlament kann das evident rechtswidrige Abkommen noch stoppen. MdEP Jan Philipp Albrecht hat seine Kollegen bereits dazu aufgefordert. Der Digitale Gesellschaft e.V. ruft zusammen mit der europäischen Kampagnenopnr.org dazu auf, eine Online-Aktion gegen das umstrittene Fluggastdatenabkommen zu unterstützen. Schreiben Sie Ihren Abgeordneten!

posted by Stadler at 21:42  

20.2.12

Wie das Netz gegen Gauck Stimmung macht

Als vor knapp zwei Jahren die Wahl des Bundespräsidenten anstand, gab es im Netz breite Zustimmung für Joachim Gauck, Kritik wurde nur selten und vereinzelt geäußert.

Als dann gestern die Koalition Gauck als ihren eigenen Kandidaten ins Rennen geschickt hat, drehte die Stimmung plötzlich, man hatte schlagartig das Gefühl, dass es eine Onlinemehrheit gegen Gauck gibt. Leute, die sich 2010 noch für Gauck ausgesprochen haben, waren auf einmal gegen ihn. Plötzlich war er sogar schlimmer als Wulff.

Es wurde behauptet, Gauck sei für die Vorratsdatenspeicherung, er hätte Sarrazin gelobt und fände die Occupy-Bewegung irgendwie lächerlich. Auch die taz und die Wirtschaftswoche sind sich nicht zu schade dafür, in dieses populistische Horn zu blasen.

Wenn man sich auf die Sachebene begibt und nach den Quellen diverser Behauptungen sucht, bemerkt man allerdings äußerst schnell, dass kaum eine der kursierenden Behauptungen wirklich haltbar ist. Christian Jakubetz hat das in einem Beitrag für Cicero schön aufgedröselt.

Mich hat naturgemäß besonders interessiert, ob sich Joachim Gauck tatsächlich für die Vorratsdatenspeicherung ausgesprochen hat, weshalb ich mir die Aufzeichnung der besagten Diskussionsrunde angeschaut habe. Gauck widerspricht dort zunächst Otto Schily und dessen These, dass die Sicherheit die Grundlage der Freiheit sei und erläutert anschließend, dass ihm in der ganzen Debatte in Deutschland bisher die „geduldige Benennung hinreichend überzeugender Gründe“ für eine Vorratsdatenspeicherung fehlt. Anschließend betont Gauck die Bedeutung der informationellen Selbstbestimmung und erklärt, dass die Datensammlung nicht in das Belieben des Staates gestellt werden kann.

Wer daraus eine Unterstützung der Vorratsdatenspeicherung ableiten will, hat entweder die Aufzeichnung nicht gesehen oder agiert böswillig.

Wer derartige Falschbehauptungen aufstellt oder verbreitet  ist in Wahrheit derjenige, der  mit Thilo Sarrazin und Franz-Josef Wagner gemeinsame Sache macht, denn genau wie diese Herren erzeugt er ganz gezielt ein Zerrbild der Wirklichkeit.

Was mich an der Netzdiskussion – und ich meine damit nicht nur die um Gauck – in zunehmendem Maße befremdet, ist der Umstand, dass eine Minderheit immer wieder Falschinformationen streut und eine größer werdende Herde das ungeprüft und unreflektiert übernimmt und weiterverbreitet. Mit kritischer Netzöffentlichkeit hat das nichts zu tun. „Gauck in der Filterbubble oder wie wir lernten den Kontext zu ignorierenbeschreibt Patrick Breitenbach das Phänomen sehr treffend. Dieser Entwicklung stehen derzeit zu wenige Blogger gegenüber, die wie Julia Seeliger auch mal die Größe haben, es öffentlich zu bedauern, sich an der Desinformation bezüglich Gauck beteiligt zu haben.

posted by Stadler at 21:48  

27.1.12

Untersuchung des MPI zum Nutzen der Vorratsdatenspeicherung

Der CCC hat ein Gutachten des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht geleakt, das zu dem Ergebnis gelangt, dass durch das Fehlen einer Vorratsdatenspeicherung keine Schutzlücken entstehen.

Die Studie geht der Frage nach, ob es zu praktischen Problemen im Bereich der Gefahrenabwehr und Strafverfolgung kommt, wenn Telekommunikationsverkehrsdaten nicht auf Vorrat gespeichert werden.

Dass das bereits im Juli 2011 fertiggestellte Gutachten, das im Auftrag des Bundesamts für Justiz (!) erstellt worden ist, bisher nicht den Weg in die Öffentlichkeit fand, ist wenig überraschend. Denn das Ergebnis ist nicht erfreulich für die Befürworter einer Vorratsdatenspeicherung.

Eine der Schlussfolgerungen der Untersuchungen lautet:

Der Diskussion zu Nutzen und Konsequenzen der Vorratsdatenspeicherung kann entnommen werden, dass geeignete Daten, die zu einer quantitativen Überprüfung der Auswirkungen der Vorratsdatenspeicherung auf die Aufklärungsquote führen könnten, bislang nicht erfasst werden, und im Übrigen auch nicht systematisch erfasst werden sollen.

Ausweislich der Untersuchung gibt es keine Erkenntnisse über einen Nutzen der Vorratsdatenspeicherung im Bereich der Terrorbekämpfung.

Zentral erscheinen mir außerdem folgende Erkenntnisse der Untersuchung zu sein:

Betrachtet man insbesondere das Jahr 2008, in dem Vorratsdaten grundsätzlich zur Verfügung standen, so kann für keinen der hier untersuchten Deliktsbereiche eine mit der Abfrage zusammenhängende Veränderung der Aufklärungsquote im Hinblick auf das Vorjahr oder den Folgejahren 2009/2010 beobachtet werden.

Im Vergleich der Aufklärungsquoten, die in Deutschland und in der Schweiz im Jahr 2009 erzielt worden sind, lassen sich keine Hinweise darauf ableiten, dass die in der Schweiz seit etwa 10 Jahren praktizierte Vorratsdatenspeicherung zu einer systematisch höheren Aufklärung geführt hätte.

Auch wenn die Studie darauf hinweist, dass eine zuverlässige Einschätzung durch das Fehlen systematischer empirischer Untersuchungen erschwert wird, muss jedenfalls nach dem derzeitigen Stand davon ausgegangen werden, dass es keine fundierten und allgemeingültigen Erkenntnisse gibt, die den Nutzen der Vorratsdatenspeicherung belegen.

Was mich außerdem erschüttert, ist der Umstand, dass die Bundesregierung diese Untersuchung offenbar ganz gezielt verheimlicht, während parallel Befürworter einer Vorratsdatenspeicherung, allen voran der Bundesinnenminister, ganz vehement weiter öffentlich behaupten, die Vorratsdatenspeicherung sei notwendig und ihre Ablehnung sei verantwortungslos. Wir erleben hier einmal mehr, wie der Bürger systematisch belogen und hinters Licht geführt wird.

Die Nichtveröffentlichung dieser Studie kann man getrost auch als politischen Skandal betrachten, der zeigt wie dringend notwendig Transparenz ist. Solange Transparenz durch Organisationen wie den CCC hergestellt werden muss, weil die Bundesregierung eine gezielte Politik der Desinformation betreibt, läuft ganz grundlegend etwas falsch in diesem Staat.

Vor zwei Monaten habe ich auf einer Podiumsdiskussion des AK Vorrat u.a. mit zwei Europaabgeordneten über Sinn und Notwendigkeit der Vorratsdatenspeicherung diskutiert.

Von den Abgeordneten wurde die Einschätzung vertreten, dass man über die Aufhebung der Richtlinie über die Vorratsdatenspeicherung reden müsse, sollte die Kommission im Rahmen der laufenden Evalierung keine stichhaltigen Belege dafür liefern können, dass die Speicherung von TK-Verkehrsdaten auf Vorrat tatsächlich zu nachweisbaren Ergebnissen bei der Verbrechensbekämpfung geführt hat.

Dieser Punkt ist nunmehr belegbar erreicht, weshalb die Studie des MPI auch eine wichtige Entscheidungsgrundlage für das Europaparlament darstellt.

Update: Kaum ist der Leak des CCC raus, äußert sich auch das BMJ zu der Studie. ;-) Die Position der Justizministerin, die sich wacker gegen die Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung stemmt, wird durch die Untersuchung ohnehin gestärkt.

posted by Stadler at 07:14  

5.1.12

Deutscher Anwaltverein spricht sich gegen Quick-Freeze aus

Das Bundesjustizminsterium hat Mitte des vergangenen Jahres einen Diskussionsentwurf zur Einführung eines Gesetzes zur Sicherung vorhandener Verkehrsdaten und Gewährleistung von Bestandsdatenauskünften im Internet (Quick-Freeze) veröffentlicht.

Das Quick-Freeze-Verfahren soll es – als Alternative zur Vorratsdatenspeicherung – ermöglichen, Telekommunikationsverkehrsdaten anlassbezogen für einen beschränkten Zeitraum zu speichern (einzufrieren), um diese ggf. in einem weiteren Schritt auf richterliche Anordnung hin „aufzutauen“ und für die Strafverfolgung zu verwenden.

Der Deutsche Anwaltverein (DAV) hat sich in einer ausführlichen Stellungnahme mit diesem Vorschlag befasst. In der Vorbemerkung seines Papiers bekräftigt der DAV erneut seine Ablehnung einer Vorratsdatenspeicherung und führt zur Begründung aus:

Wegen der Tiefe des Grundrechtseingriffs und des Fehlens von Belegen für einen statistisch signifikanten Einfluss der Maßnahme auf die Begehung und Verfolgung von Straftaten muss die Richtlinie2006/24/EG nach Auffassung des DAV zugunsten gezielter, anlassbezogener und verhältnismäßiger Verfahren im Lichte der national und international gewährten Grund- und Freiheitsrechte grundlegend überarbeitet werden.

Auch gegen das vom Justizminsterium favorisierte Quick-Freeze Verfahren meldet der DAV rechtsstaatliche Bedenken an.

Die Voraussetzungen seien konturlos und bieten weitreichende Interpretationsmöglichkeiten in der Hand des Anordnenden, so der DAV. Dass in § 100j StPO-E von einer Erforderlichkeit der Datensicherung für die „Erforschung des Sachverhalts“ und nicht von einer „Ermittlung des Sachverhalts“ gesprochen wird, zeige, dass das „Einfrieren“ auch weit im Vorfeld eines Anfangsverdachts stattfinden könne und die Polizei bzw. Staatsanwaltschaft hierüber zudem autark ohne Einschaltung des Richters entscheiden könne. Der DAV ist der Ansicht, dass eine derart niedrige Eingriffsschwelle zur Erforschung von Straftaten die mittels des Internet begangen wurden, auch nicht mit der Entscheidung des BVerfG zur Vorratsdatenspeicherung vereinbar sei.

Die zusätzlich in dem Vorschlag des BMJ enthaltene anlasslose Vorratsdatenspeicherung von Verkehrsdaten für sieben Tage lehnt der DAV, zumindest in der vorgeschlagenen Form, ebenfalls ab. Der DAV hatte sich bereits zuvor kritisch u.a. zur Vorratsdatenspeicherung geäußert und eine experimentelle Gesetzgebung beklagt.

Es ist sehr zu begrüßen, dass sich die größte Interessenvertretung der Anwaltschaft von der politischen Diskussion nicht hat beeindrucken und beeinflussen lassen und an ihrer strikt rechtsstaatlichen Betrachtungsweise festhält.

 

posted by Stadler at 18:15  

2.1.12

81 Vertragsverletzungsverfahren

Nachdem die von der EU-Kommission gesetzte Frist zur Umsetzung der Richtlinie über die Vorratsdatenspeicherung verstrichen ist, haben die Befürworter ein neues Argument für sich entdeckt. Der Bundesrepublik würden erhebliche Strafgelder drohen, wenn man sich nicht schleunigst auf ein neues Gesetz einigen würde, heißt es neuerdings immer wieder.

Dabei verschweigt man allerdings, dass die Kommission derzeit insgesamt 81 Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland führt und bislang noch nie ein Zwangsgeld gegen die Bundesrepublik verhängt worden ist.

Warum die Vorratsdatenspeicherung entbehrlich und zugleich rechtsstaatlich bedenklich ist, hat Heribert Prantl in der SZ unlängst nochmals journalistisch pointiert dargelegt. Die Ansicht Prantls, Deutschland könne sich einem Verfahren vor dem EuGH ruhigen Gewissens stellen, ist dennoch fragwürdig. Denn der Einwand, man habe eine Richtlinie nicht umgesetzt, weil sie gegen (europäische) Grundrechte verstößt, kann in diesem Verfahren nicht erhoben werden. Der EuGH hat auch bereits andere Staaten (Österreich, Schweden) wegen Nichtumsetzung der Richtlinie über die Vorratsdatenspeicherung verurteilt.

Aber auch nach einer Verurteilung durch den EuGH werden nicht ohne weiteres Sanktionen verhängt, wie andere Beispiele zeigen. Der EuGH hatte Deutschland beispielsweise im Jahre 2010 verurteilt, weil die Datenschutzrichtlinie nicht korrekt umgesetzt worden ist und die Datenschutzbehörden nicht völlig unabhängig sind. Obwohl die Vorgaben des EuGH nach Ansicht der Kommission noch immer nicht in allen Bundesländern umgesetzt sind, wurden keine Zwangsgelder verhängt.

Eine materielle Prüfung durch den EuGH dahingehend, ob die Richtlinie mit der europäischen Grundrechtscharta vereinbar ist, wäre in jedem Falle wünschenswert. Was aus der angeblichen Vorlage des irischen High Courts, über die einige Medien berichtet hatten, die aber tatsächlich wohl (bislang) nicht beim EuGH eingegangen ist, geworden ist, wäre insoweit auch von Interesse.

posted by Stadler at 11:54  

29.12.11

Vorratsdatenspeicherung: Bayerns Innenminister gibt erneut den Populisten

Der bayerische Innenminister, der als vehementer Verfechter einer Vorratsdatenspeicherung bekannt ist, hat in einem Interview mit dem Deutschlandfunk gestern folgendes gesagt:

Man muss den Normalbürgern auch sagen: Es geht um nichts anderes bei dieser Vorratsdatenspeicherung als Daten, die früher von der Bundespost oder der Telekom ganz selbstverständlich allein wegen der Rechnungslegung für ihre Kunden gespeichert wurden, und die inzwischen nicht mehr gespeichert wurden, weil es Flatrate gibt, und deshalb es nicht mehr von Belang ist, wie oft jemand telefoniert hat, dass genau diese Daten wieder so wie früher gespeichert werden.

Diese Aussage Herrmanns kann man auch bei wohlwollender Betrachtung nicht einmal mehr als Halbwahrheit bezeichnen.

Die Telekom hat Telefonverbindungsdaten (Festnetz) vor dem Internet- und Mobilfunkzeitalter 80 Tage lang zu Abrechnungszwecken gespeichert. Durch die Vorratsdatenspeicherung sollen u.a. Telefonverbindungsdaten (Festnetz und Mobilfunk), Standortdaten im Mobilfunkbereich und IP-Adressen verbindlich für die Dauer von sechs Monaten gespeichert werden. Das geht quantitativ und qualitativ erheblich über die frühere Speicherpraxis hinaus.

Auch die Aussage, die Verbindungsdaten würden wegen der vielen Flatrates anders als früher von den Telekommuniaktionsunternehmen nicht mehr gespeichert ist, ist zumindest in Teilen falsch. Wie eine Aufstellung der Generalstaatsanwaltschaft München belegt, ist die tatsächliche Speicherpraxis der TK-Unternehmen doch deutlich anders, als Minister Herrmann behauptet. Einige Provider speichern auch ohne Vorratsdatenspeicherung sogar noch länger als früher die Telekom.

In diesem Zusammenhang scheint mir auch immer eine Gesamtbetrachtung relevant, die der Bundesdatenschutzbeauftragte einmal als „Überwachungsgesamtrechnung“ bezeichnet hat. Den meisten Bürgern ist überhaupt nicht bewusst, über welche Fülle an Möglichkeiten die Polizeibehörden im Bereich der Telekommunikationsüberwachung verfügen und in welchem Umfang Telekommuniaktionsdaten von Bürgern auch ohne Vorratsdatenspeicherung erfasst werden. Vor diesem Hintergrund erscheint es geradezu zynisch, wenn man dem Bürger immer wieder vorgaukelt, der Staat würde sich ohnehin maßvoll verhalten und der Normalbürger hätte eh nichts zu befürchten. Dass sich der Staat gerade nicht maßvoll verhält, sondern in zahlreichen Fällen jedwede Verhältnismäßigkeitsbetrachtung vermissen lässt, belegen Fälle wie die der Funkzellenüberwachung in Dresden Anfang des Jahres.

Der Staat verfügt insgesamt in mehr als ausreichemdem Maße über Befugnisse, um terroristische Vereinigungen und Mörder zu verfolgen. Darum geht es bei der Vorratsdatenspeicherung aber, entgegen anderslautender Behauptungen, auch gar nicht. Mit diesem Instrument kann man allenfalls im Bereich der Massenkriminalität einen geringfügigen zusätzlichen Effekt erzielen. Und genau das sollte man dem Normalbürger sagen.

Dass die Ermittlungen im Zusammenhang mit der Zwickauer Terrorzelle über 10 Jahre hinweg derart desaströs verlaufen sind, liegt nicht an fehlenden gesetzlichen Möglichkeiten, sondern an einem Versagen der Ermittlungs- und Verfassungsschutzbehörden bundesweit. Vor der zentralen Rolle, die bayerische Behörden in dieser Frage spielen, verschließt Innenminister Herrmann übrigens weiterhin die Augen, obwohl fünf der Morde auf bayerischem Boden stattgefunden haben.

Wenn man bei derartigen Ermittlungen nachhaltige Verbesserungen erreichen will, dann muss man an die Strukturen ran. Das V-Mann-Wesen muss vollständig umgestaltet werden, die Verfassungsschutzbehörden müssen abgeschafft oder komplett umgebaut werden. Wesentlich ist es sicherzustellen, dass alle behördlichen Erkenntnisse auch tatsächlich zu den gerade ermittelnden Polizeibehörden durchdringen. Und vor allen Dingen müssen die Polizeibehörden sachlich und personell besser ausgestattet werden. Diejenigen Maßnahmen, die tatsächlich sinnvoll sind, kosten allerdings entweder Geld oder werden auf erheblichen Widerstand in Teilen der Verwaltung stoßen. Da ist es natürlich allemal einfacher, den Populisten zu geben und nach einer Vorratsdatenspeicherung zu rufen. Dass er das kann, hat Joachim Herrmann bereits bewiesen. Ob er allerdings auch in der Lage ist, notwendige und sinnvolle Reformen bei den Polizei- und Verfassungsschutzbehörden anzustoßen und auf den Weg zu bringen, darf man bezweifeln. Denn damit hätte Herrmann schließlich längst beginnen können.

posted by Stadler at 11:49  
« Vorherige SeiteNächste Seite »