Internet-Law

Onlinerecht und Bürgerrechte 2.0

16.5.17

Wieder mal: IP-Adressen als personenbezogene Daten

Der BGH hatte (erneut) die Frage zu entscheiden, ob die vom Betreiber eines Webservers geloggten IP-Adressen der Nutzer der Website als personenbezogene Daten im datenschutzrechtlichen Sinne zu betrachten sind. Der BGH hatte die Frage zunächst an den EuGH vorgelegt und nach der Entscheidung des EuGH nunmehr in der Sache entschieden (Urteil vom 16. Mai 2017 – VI ZR 135/13).

In seiner heutigen Entscheidung bejaht der BGH den Personenbezug von IP-Adressen aus Sicht des Betreibers des Webservers. In der Pressemitteilung des Bundesgerichtshofs heißt es dazu:

Eine dynamische IP-Adresse, die von einem Anbieter von Online-Mediendiensten beim Zugriff einer Person auf eine Internetseite, die dieser Anbieter allgemein zugänglich macht, gespeichert wird, stellt für den Anbieter ein (geschütztes) personenbezogenes Datum dar.

Auch wenn bislang lediglich die Pressemitteilung vorliegt, darf man bezweifeln, dass der BGH die Rechtsprechung des EuGH damit korrekt umsetzt. Denn die Vorlagefrage zum Personenbezug von IP-Adressen hatte der EuGH folgendermaßen beantwortet:

Art. 2 Buchst. a der Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. Oktober 1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr ist dahin auszulegen, dass eine dynamische Internetprotokoll-Adresse, die von einem Anbieter von Online-Mediendiensten beim Zugriff einer Person auf eine Website, die dieser Anbieter allgemein zugänglich macht, gespeichert wird, für den Anbieter ein personenbezogenes Datum im Sinne der genannten Bestimmung darstellt, wenn er über rechtliche Mittel verfügt, die es ihm erlauben, die betreffende Person anhand der Zusatzinformationen, über die der Internetzugangsanbieter dieser Person verfügt, bestimmen zu lassen.

Entscheidend ist also, ob der Betreiber des Onlinediensts/Webservers über rechtliche Mittel verfügt, die es ihm erlauben, mithilfe des Access-Providers die Nutzer zu identifizieren. Solche rechtlichen Mittel gibt es in Deutschland allerdings nicht allgemein, sondern nur in Ausnahmefällen aufgrund puntktueller gesetzlicher Regelungen wie z.B. § 101 Abs. 2 und Abs. 9 UrhG oder im Falle von strafbarem Verhalten über den Umweg als Betroffener Einsicht in die Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft nehmen zu können. Grundsätzlich verfügt der Betreiber eines Webservers also nicht über die rechtlichen Mittel, einen User anhand der IP-Adresse zu identifizieren.

posted by Stadler at 12:23  

5.4.17

BGH zum Zueigenmachen von Inhalten durch ein Bewertungsportal

Nach einer Entscheidung des BGH vom 04.04.2017 (Az.: VI ZR 123/16) macht sich der Betreiber eines Bewerungsportals eine Bewertung durch einen Nutzer zu eigen, wenn er den Text der Bewertung eigenmächtig und ohne Rücksprache mit dem Nutzer abändert.

In der Pressemitteilung des BGH heißt es dazu:

Der unter anderem für den Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts zuständige VI. Zivilsenat hat die vom Oberlandesgericht zugelassene Revision zurückgewiesen. Der Beklagte hat sich die angegriffenen Äußerungen zu eigen gemacht, so dass er als unmittelbarer Störer haftet. Er hat die Äußerungen des Patienten auf die Rüge der Klägerin inhaltlich überprüft und auf sie Einfluss genommen, indem er selbständig – insbesondere ohne Rücksprache mit dem Patienten – entschieden hat, welche Äußerungen er abändert oder entfernt und welche er beibehält. Diesen Umgang mit der Bewertung hat er der Klägerin als der von der Kritik Betroffenen kundgetan. Bei der gebotenen objektiven Sicht auf der Grundlage einer Gesamtbetrachtung aller Umstände hat der Beklagte somit die inhaltliche Verantwortung für die angegriffenen Äußerungen übernommen. Da es sich bei den Äußerungen um unwahre Tatsachenbehauptungen und um Meinungsäußerungen auf unwahrer Tatsachengrundlage und mit unwahrem Tatsachenkern handelt, hat das Recht des Beklagten auf Meinungsfreiheit hinter dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht der Klägerin zurückzutreten.

Hierzu ist zunächst zu beachten, dass der VI. Zivilsenat – anders als der I. Senat – zwischen mittelbarem und unmittelbarem Störer differenziert. Was der VI. Senat unmittelbaren Störer nennt, ist nach der Diktion des I. Senats der Täter. Der Portalbetreiber haftet damit uneingeschränkt für unwahre Tatsachenbehauptungen wie der eigentliche Täter, wenn er eine Äußerung des Nutzers – ohne Rücksprache – modifiziert. Ob jede Modifikation zu einem solchen Zueigenmachen führen soll, wird sich erst beurteilen lassen, wenn die vollständigen Urteilsgründe vorliegen.

posted by Stadler at 11:50  

8.12.16

BGH zum Umfang zulässiger Kritik an journalistischer Arbeit

In einer lesenswerten aktuellen Entscheidung nimmt der Bundesgerichtshof zur Abgrenzung zwischen Verdachtsberichterstattung (Tatsachenbehauptung) und Meinungsäußerung (Werturteil) Stellung, sowie zum Umfang zulässiger Kritik an journalistischer Arbeit (Urteil vom 27.09.2016, Az.: VI ZR 250/13).

Schlussfolgerungen aus unstreitigen Tatsachen betrachtet der BGH als Werturteil und nicht als Tatsachenbehauptung. Hierzu führt er im konkreten Fall aus:

Die Auffassung des Berufungsgerichts, durch die Äußerung „[e]rst streitet M. mit Z. um Geld, dann dreht M.‘s guter Bekannter einen kritischen Bericht über das Unternehmen? Die ?Frontal 21?-Macher halten das ebenfalls für puren Zufall“ werde in Bezug auf die Motivation des Klägers in unzulässiger Weise der Verdacht geäußert, der Kläger habe den Bericht als Reaktion auf die unterbliebene Bezahlung des M. verfasst, erweist sich als rechtsfehlerhaft. Es handelt sich nicht um einen Fall der Verdachtsberichterstattung. Der Autor stellt mögliche Schlussfolgerungen auf der Grundlage unstreitiger Tatsachen in den Raum. Darin liegt ein hinzunehmendes Werturteil.

Bereits unzählige Male hat der BGH einen der wesentlichen Grundsätze des Äußerungsrechts wiederholt, so auch in dieser Entscheidung:

Zur Erfassung des vollständigen Aussagegehalts muss die beanstandete Äußerung stets in dem Gesamtzusammenhang beurteilt werden, in dem sie gefallen ist. Sie darf nicht aus dem sie betreffenden Kontext herausgelöst einer rein isolierten Betrachtung zugeführt werden (st. Rspr., Senatsurteile vom 12. April 2016 – VI ZR 505/14, VersR 2016, 938 Rn. 11; vom 27. Mai 2014 – VI ZR 153/13, AfP 2014, 449 Rn. 13; vom 14. Mai 2013 – VI ZR 269/12, BGHZ 197, 213 Rn. 14; vom 18. November 2014 – VI ZR 76/14, BGHZ 203, 239 Rn. 19; vom 22. November 2005 – VI ZR 204/04, AfP 2006, 65, 66 jeweils mwN).

Leider wird das immer noch und immer wieder falsch gemacht. Anschließend befasst sich der BGH damit, inwieweit die Form einer Frage eine Tatsachenbehauptung oder ein Werturteil darstellt und unterscheidet hierbei zwischen echten (offenen) Fragen und rhetorischen Fragen:

Nach den vom Bundesverfassungsgericht (BVerfGE 85, 23, 31) entwickelten Grundsätzen zur Beurteilung von Äußerungen, die in Frageform gekleidet sind, unterscheiden sich Fragen von Werturteilen und Tatsachenbehauptungen dadurch, dass sie keine Aussage machen, sondern eine Aussage herbeiführen wollen. Sie sind auf eine Antwort gerichtet. Diese kann in einem Werturteil oder einer Tatsachenmitteilung bestehen.

Ist ein Fragesatz nicht auf eine Antwort durch einen Dritten gerichtet oder nicht für verschiedene Antworten offen, so handelt es sich ungeachtet der geläufigen Bezeichnung als „rhetorische Frage“ tatsächlich nicht um eine Frage. Fragesätze oder Teile davon, die nicht zur Herbeiführung einer inhaltlich noch nicht feststehenden Antwort geäußert werden, bilden vielmehr Aussagen, die sich entweder als Werturteil oder als Tatsachenbehauptung darstellen und rechtlich wie solche zu behandeln sind (vgl. Senatsurteil vom 9. Dezember 2003 – VI ZR 38/03, NJW 2004, 1034, 1035). Rhetorische Fragen sind nur scheinbare Fragen. Echte Fragen stehen unter dem Gesichtspunkt der Meinungsfreiheit Werturteilen gleich (BVerfGE 85, 23, 32). Die Unterscheidung zwischen echten und rhetorischen Fragen muss mit Hilfe von Kontext und Umständen der Äußerung erfolgen (Senatsurteil vom 9. Dezember 2003 – VI ZR 38/03, NJW 2004, 1034, 1035).

(…)

Um eine Meinungsäußerung – in Form eines Werturteils – handelt es sich aber auch dann, wenn man nicht von einer offenen Frage ausgeht, sondern den Aussagegehalt darin sieht, dass der Autor dem Leser die Antwort nahebringen will, dass zwischen dem Streit des M. mit Z. um Geld und der kritischen Repor-tage des Klägers mehr als nur ein zeitlicher Zusammenhang besteht.

Journalisten müssen sich nach Ansicht des BGH, ähnlich wie Gewerbetreibende auch scharfe Kritik gefallen lassen. Die Grenze ist erst dort erreicht, wo schwerwiegende Auswirkungen auf das Persönlichkeitsrecht wie Stigmatisierung oder eine Prangerwirkung drohen. Außerdem muss der Journalist als „Wachhund der Öffentlichkeit“ selbst in verstärktem Maße eine kritischen Berichterstattung dulden, weil etwaige Missstände bei den „Wächtern“ Gegenstand der öffentlichen Diskussion sein können und dürfen:

Hierbei ist auf Seiten des Persönlichkeitsrechtschutzes von Bedeutung, dass die beanstandete Äußerung als Werturteil (bzw. als solches zu behandelnde Frage) die Sozialsphäre des Klägers tangiert. Sie betrifft seine berufliche Tätigkeit, also einen Bereich, in dem sich die persönliche Entfaltung von vornherein im Kontakt mit der Umwelt vollzieht. Äußerungen im Rahmen der Sozialsphäre dürfen nur in Fällen schwerwiegender Auswirkungen auf das Persönlichkeitsrecht mit negativen Sanktionen verknüpft werden, so etwa dann, wenn eine Stigmatisierung, soziale Ausgrenzung oder eine Prangerwirkung zu besorgen sind (vgl. Senatsurteile vom 20. Dezember 2011 – VI ZR 262/10, ZUM-RD 2012, 253 Rn. 12; vom 23. Juni 2009 – VI ZR 196/08, BGHZ 181, 328 Rn. 31; vom 17. November 2009 – VI ZR 226/08, NJW 2010, 760 Rn. 21). Dafür fehlen im Streitfall jegliche Anhaltspunkte. Wie sich ein Gewerbetreibender wertende, nicht mit unwahren Tatsachenbehauptungen verbundene Kritik an seiner gewerblichen Leistung in der Regel auch dann gefallen lassen muss, wenn sie scharf formuliert ist (vgl. nur Senatsurteil vom 16. Dezember 2014 – VI ZR 39/14, AfP 2015, 41 Rn. 21 mwN), muss ein Journalist im Zusammenhang mit seinen Veröffentlichungen das Hinterfragen seiner Motivation und deren kritische Beleuchtung durch andere, auch Pressevertreter, in aller Regel hinnehmen. Die Gewährleistung der Meinungsfreiheit durch Art. 5 Abs. 1 GG dient nämlich auch dazu, den Einfluss, den die journalistische Arbeit durch das öffentliche Medium hindurch unmittelbar auf die öffentliche Meinungsbildung nimmt, durch Einsichten in die Einstellung von Journalisten zu Nachrichten und ihrem Publikum in der Öffentlichkeit bewusst zu machen und durch Diskussion kontrollierbar zu halten (vgl. Senatsurteil vom 20. Januar 1981 – VI ZR 163/79, VersR 1981, 384, 385).

(…)

Bei der Abwägung ist zunächst zu berücksichtigen, dass die beanstandeten Äußerungen als Meinungsäußerungen ohne Weiteres dem Schutz von Art. 5 GG unterfallen. Zu Gunsten ihrer Zulässigkeit fällt erheblich ins Gewicht, dass der Artikel einen Beitrag zum geistigen Meinungskampf in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage liefert, weshalb bereits eine Vermutung für die Zulässigkeit der freien Rede spricht (Senatsurteile, vom 11. März 2008 – VI ZR 7/07, AfP 2008, 297 Rn. 31; vom 16. Juni 1998 – VI ZR 205/97, BGHZ 139, 95, 102; vom 12. Oktober 1993 – VI ZR 23/93, AfP 1993, 736, 737 sowie BGH, Urteil vom 24. Januar 2006 – XI ZR 384/03; BGHZ 166, 84 Rn. 100; BVerfGE 85, 1, 16, jeweils mwN). Denn die Presse nimmt im demokratischen Rechtsstaat als „Wachhund der Öffentlichkeit“ eine wichtige Funktion wahr, indem sie die Bevölkerung informiert und gegebenenfalls auf öffentliche Missstände hinweist, womit sie eine bedeutende Rolle im Rahmen der öffentlichen Meinungsbildung übernimmt (vgl. Senatsurteile vom 30. September 2014 – VI ZR 490/12, AfP 2014, 534, 537; vom 15. November 2005 – VI ZR 286/04, AfP 2006, 62, 65). Diese Funktion kann sie jedoch nur dann sachgerecht wahrnehmen, wenn die handelnden Journalisten sachlich unabhängig berichten. Für den Erhalt dieser Wächterfunktion ist es danach unabdingbar, dass etwaige Missstände bei den „Wächtern“ Gegenstand der Berichterstattung und der öffentlichen Diskussion sein können.

posted by Stadler at 12:02  

24.11.16

BGH verneint Störerhaftung bei passwortgeschütztem W-LAN

Der BGH hat in einer heute verkündeten Entscheidung eine Störerhaftung des Inhabers eines Internetanschlusses verneint, wenn das W-LAN ausreichend (WPA2) verschlüsselt ist. Hierzu reicht nach Ansicht des BGH auch die Benutzung des vom Routerhersteller auf das Gerät aufgebrachten 16-stelligen Schlüssels, wenn es sich hierbei um ein Passwort handelt, das vom Hersteller für jedes Gerät individuell vergeben wird (Urteil vom 24.11.2016, Az.: I ZR 220/15). Das klang beim I. Zivilsenat in der Entscheidung „Sommer unseres Lebens“ noch anders.

Die Bedeutung der Entscheidung für Fälle des Filesharing ist allerdings begrenzt. Denn der BGH geht zunächst einmal von der Vermutung aus, dass der Anschlussinhaber die Rechtsverletzung begangen hat. Zur Störerhaftung – die eine Haftung für Rechtsverletzungen Dritter ist – gelangt man überhaupt erst dann, wenn man ausreichend darlegen kann, dass eine Rechtsverletzung durch einen Dritten ernsthaft und konkret in Betracht kommt. Wenn es sich hierbei um einen unbekannten Dritten handeln soll, der den Router gehackt hat, dann müssen die konkreten Umstände dargelegt werden, unter denen sich der Dritte den unberechtigten Zugang verschafft hat. Das ist im Zweifel kaum möglich. Im vorliegenden Fall wird sich der BGH mit dieser Frage vermutlich nicht näher befasst haben, weil er insoweit auf die Tatsachenfeststellungen der Vorinstanzen zurückgegriffen hat und an diese auch gebunden ist.

In den typischen Fällen des Filesharings wird diese Entscheidung den Anschlussinhabern also nicht helfen.

posted by Stadler at 17:50  

25.10.16

Aktuelle Rechtsprechung des BGH zum Filesharing

Die am 12.05.2016 verkündeten Entscheidungen des BGH zu Filesharingkonstellationen ( (Az.: I ZR 272/14, I ZR 1/15, I ZR 43/15, I ZR 44/15, I ZR 48/15 und I ZR 86/15) liegen nunmehr im Volltext vor.

In der Entscheidung I ZR 86/15 führt der BGH aus, dass der Inhaber eines Internetanschlusses, anders als Eltern gegenüber ihren minderjährigen Kindern, grundsätzlich keine Aufsichtspflicht gegenüber volljährigen Mitbewohnern oder Gästen hat, die Grundlage einer Belehrungspflicht über die Gefahren der Nutzung von Internettauschbörsen sein kann. Eine Haftung des Anschlussinhabers für volljährige Mitbewohner oder Gäste scheidet folglich aus. Mit dem Vortrag, ein konkret und namentlich benannter Gast oder Mitbewohner habe die Urheberrechtsverletzung begangen, kann sich der in Anspruch genommene Anschlussinhaber grundsätzlich also exkulpieren.

In der Entscheidung I ZR 48/15  führt der BGH zum Umfang der sog. sekundären Darlegungslast des Anschlussinhabers folgendes aus:

Allerdings spricht eine tatsächliche Vermutung für eine Täterschaft des Anschlussinhabers, wenn zum Zeitpunkt der Rechtsverletzung keine anderen Personen diesen Internetanschluss benutzen konnten (BGHZ 200, 76 Rn. 15 – BearShare; BGH, GRUR 2016, 191 Rn. 37 – Tauschbörse III).

Eine die tatsächliche Vermutung ausschließende Nutzungsmöglichkeit Dritter ist anzunehmen, wenn der Internetanschluss zum Verletzungszeitpunkt nicht hinreichend gesichert war oder bewusst anderen Personen zur Nutzung überlassen wurde. In solchen Fällen trifft den Inhaber des Internetanschlusses jedoch eine sekundäre Darlegungslast. Diese führt weder zu einer Umkehr der Beweislast noch zu einer über die prozessuale Wahrheitspflicht und Erklärungslast (§ 138 Abs. 1 und 2 ZPO) hinausgehenden Verpflichtung des Anschlussinhabers, dem Anspruchsteller alle für seinen Prozesserfolg benötigten Informationen zu verschaffen. Der Anschlussinhaber genügt seiner sekundären Darlegungslast vielmehr dadurch, dass er dazu vorträgt, ob andere Personen und gegebenenfalls welche anderen Personen selbständigen Zugang zu seinem Internetanschluss hatten und als Täter der Rechtsverletzung in Betracht kommen. In diesem Umfang ist der Anschlussinhaber allerdings im Rahmen des Zumutbaren zu Nachforschungen sowie zur Mitteilung verpflichtet, welche Kenntnisse er dabei über die Umstände einer eventuellen Rechtsverletzung gewonnen hat. Die pauschale Behauptung der bloß theoretischen Möglichkeit des Zugriffs von im Haushalt des Beklagten lebenden Dritten auf seinen Internetanschluss wird den an die Erfüllung der sekundären Darlegungslast zu stellenden Anforderungen daher nicht gerecht.

(…)

Entgegen der Auffassung der Revision kommt ein Eingreifen der tatsächlichen Vermutung der Täterschaft des Anschlussinhabers auch dann in Betracht, wenn der Internetanschluss – wie bei einem Familienanschluss – regelmäßig von mehreren Personen genutzt wird. Für die Frage, wer als Täter eines urheberrechtsverletzenden Downloadangebots haftet, kommt es nicht auf die Zugriffsmöglichkeit von Familienangehörigen im Allgemeinen, sondern auf die Situation im Verletzungszeitpunkt an (BGH, GRUR 2016, 191 Rn. 39 Tauschbörse III). Der Inhaber eines Internetanschlusses wird der ihn treffenden sekundären Darlegungslast in Bezug darauf, ob andere Personen als Täter der Rechtsverletzung in Betracht kommen, erst gerecht, wenn er nachvollziehbar vorträgt, welche Personen mit Rücksicht auf Nutzerverhalten, Kenntnisse und Fähigkeiten sowie in zeitlicher Hinsicht Gelegenheit hatten, die fragliche Verletzungshandlung ohne Wissen und Zutun des Anschlussinhabers zu begehen.

Die sekundäre Darlegungslast geht also nach Ansicht des BGH nicht so weit, den Täter der Urheberrechtsverletzung zu benennen. Allerdings muss konkret vorgetragen werden, dass in Betracht kommende Angehörige zum fraglichen Zeitpunkt zuhause waren, das Internet konkret genutzt haben könnten und über welche Endgeräte sie das Internet nutzen und ob ihr übliches Nutzungsverhalten und ihre Kenntnisse die Rechtsverletzung plausibel erscheinen lassen. Die Hürden des BGH sind also sehr hoch, um die von ihm postulierte Vermutung, der Anschlussinhaber sei auch der Täter – die man durchaus für zweifelhaft halten kann – zu erschüttern.

In derselben Entscheidung nimmt der BGH außerdem an, dass im Wege der Lizenzanalogie in Fällen des Filesharings für einen jeden geteilten einzelnen Musiktitel ein Schadensersatz von pauschal EUR 200,- angemessen ist.

Zum Gegenstandswert bei Unterlassungsansprüchen führt der BGH in der Entscheidung I ZR 1/15 aus, dass das öffentliche Zugänglichmachen eines durchschnittlich erfolgreicher Spielfilms nicht allzu lange nach seinem Erscheinungstermin regelmäßig einen Gegenstandswert des Unterlassungsanspruchs von nicht unter 10.000 EUR rechtfertigt. Liegt die Verletzungshandlung noch vor dem Beginn der Auswertung mittels DVD, kann auch ein noch höherer Gegenstandswert anzunehmen sein.

posted by Stadler at 11:00  

12.10.16

BGH zu notariellen Unterlassungserklärungen

Die seit einigen Jahren kontrovers geführte Diskussion, ob es sinnvoll ist, anstelle einer schrifltichen Unterlassungserklärung eine solche in notarieller Form mit Unterwerfung unter die Zwangsvollstreckung aus der Notarurkunde abzugeben, dürfte durch eine gerade veröffentlichte Entscheidung des BGH (Urteil vom 21.04.2016, Az.: I ZR 100/15) beendet worden sein.

Der BGH geht davon aus, dass eine notariellen Unterlassungserklärung noch nicht das Rechtsschutzbedürfnis des Gläubigers für eine gerichtliche Verfolgung des Unterlassungsanspruchs beseitigt, sondern die Wiederholungsgefahr erst durch die Zustellung des Beschlusses über die Androhung von Ordnungsmitteln gem. § 890 Abs. 2 ZPO beim Schuldner entfällt. Ähnlich hatte bereits das OLG Düsseldorf entschieden.

Der BGH weist ausdrücklich darauf hin, dass es dem Gläubiger freisteht, die Androhung von Ordnungsmitteln zu beantragen, er aber auch davon abzusehen und einen Unterlassungstitel erwirken kann.

Von der Abgabe derartiger notarieller Unterlassungserklärungen ist daher dringend abzuraten, da man als Schuldner weiterhin der Gefahr einer einstweilige Verfügung oder Unterlassungsklage ausgesetzt bleibt. Der Sinn und Zweck der Unterlassungserklärung, nämlich die Beseitigung der Gefahr einer gerichtlichen Inanspruchnahme, wird durch eine notarielle Unterwerfungserklärung nicht erreicht.

posted by Stadler at 15:27  

7.10.16

Anspruch auf Veröffentlichung eines Unterlassungsurteils auf Facebook?

Der BGH hat in einem aktuellen Beschluss über eine Nichtzulassungsbeschwerde entschieden, dass der Antrag auf Veröffentlichung von Rubrum und Unterlassungstenor eines Unterlassungsurteils auf Facebook, durch das dem Beklagten ehrverletzende Äußerungen untersagt werden, auf Folgenbeseitigung gerichtet ist und dieser Folgenbeseitigungsanspruch als selbständige Rechtsfolge neben die Verpflichtung zur Unterlassung hinzutritt (Beschluss vom 16.08.2016, Az.: VI ZB 17/16).

Diesem Folgenbeseitigungsanspruch kommt nach Ansicht des BGH ein eigener Wert zu, der mit dem Wert des Unterlassungsantrags zusammenzurechnen ist und damit insgesamt den Streitwert des Verfahrens erhöht.

Auch wenn der BGH hier keine Sachentscheidung über eine Verpflichtung des Äußernden, ein gegen ihn gerichtetes Urteil auf Facebook zu veröffentlichen, trifft, macht der Beschluss dennoch deutlich, dass ein solcher Anspruch grundsätzlich bestehen kann.

Der BGH hat schon vor längerer Zeit entschieden, dass speziell bei ehrverletzenden Werturteilen, die öffentlich geäußert worden sind, regelmäßig auch ein Anspruch darauf besteht, dass der Äußernde das gegen ihn ergangene Unterlassungsurteil öffentlich bekannt macht. Diese Rechtsprechung erscheint auf ehrverletzende Äußerungen, die über soziale Medien wie Facebook oder Twitter verbreitet werden, grundsätzlich übertragbar. Bei ehrverletzenden Werturteilen, die ohnehin nur dann rechtswidrig sind, wenn die Grenze zur sog. Schmähkritik überschritten wird, wird man regelmäßig also auch daran denken können, dass der Rechtsverletzer zusätzlich dazu verpflichtet werden kann, das Urteil (Rubrum und Tenor) dort zu veröffentlichen, wo er zuvor die untersagte Äußerung veröffentlicht hatte.

posted by Stadler at 16:39  

27.9.16

BGH zur Veröffentlichung von Fotos, die einen Politiker in privater Situation zeigen

Der BGH hat mit Urteil vom 27.09.2016  (Az.: VI ZR 310/14) Entscheidungen des Landgerichts Berlin und des Kammergerichts aufgehoben und eine Klage des früheren Regierenden Bürgermeisters von Berlin Klaus Wowereit auf Unterlassung der Veröffentlichung von Fotos, die den Politiker bei einem Barbesuch zeigen, abgewiesen.

Entscheidend war für den BGH, dass die Veröffentlichung in einen politischen Kontext eingebunden war und in Zusammenhang mit der Berichterstattung über ein bedeutendes politisches Ereignis stand. In der Pressemitteilung des BGH heißt es hierzu:

Im Zusammenhang mit der Presseberichterstattung über ein bedeutendes politisches Ereignis (hier: Misstrauensabstimmung im Berliner Abgeordnetenhaus) kann die ohne Einwilligung erfolgende Veröffentlichung von Fotos, die den davon betroffenen Regierenden Bürgermeister am Vorabend in einer für sich genommen privaten Situation zeigen, durch das Informationsinteresse der Allgemeinheit gerechtfertigt sein. Die Bilder zeigten, wie der – von ihm unbeanstandet – als „Partybürgermeister“ beschriebene Kläger in der Öffentlichkeit am Vorabend des möglichen Endes seiner politischen Laufbahn mit dieser Belastung umging und zwar – wie im Kontext beschrieben – entspannt „bei einem Drink“ in der Paris-Bar. Durch die beanstandete Bildberichterstattung wurden auch keine berechtigten Interessen des abgebildeten Klägers im Sinne des § 23 Abs. 2 KUG verletzt. Sie zeigte den Kläger in einer eher unverfänglichen Situation beim Abendessen in einem bekannten, von prominenten Personen besuchten Restaurant. Er konnte unter diesen Umständen – gerade am Vorabend der Misstrauensabstimmung – nicht damit rechnen, den Blicken der Öffentlichkeit und der Presse entzogen zu sein.

Politiker müssen, auch wenn sie sich privat im öffentlichen oder halböffentlichen Raum bewegen, häufig mit einer Bildberichterstattung leben, weil sie zu den Personen des öffentlichen Lebens zählen, deren Persönlichkeitsrecht oftmals dem Informationsinteresse der Allgemeinheit weichen muss.

posted by Stadler at 11:06  

3.9.16

BGH: „Auf fett getrimmt“

Eine gerade veröffentlichte Entscheidung des BGH beschäftigt sich mit der Frage, unter welchen Voraussetzung eine Veränderung einer Fotografie mittels Bildbearbeitung die urheberrechtlichen Voraussetzungen einer sog. freien Benutzung (§ 24 UrhG) in Form einer Parodie erfüllt (Urteil vom 28.07.2016, Az.: I ZR 9/15).

Ein Internetportal hatte seine Leser unter der Überschrift „Promis im Netz auf fett getrimmt“ aufgefordert, Fotos von Prominenten so zu verfremden, dass sie möglichst fettleibig erscheinen. Eine betroffener Fotograf klagte gegen die Bearbeitung seines Fotos auf Schadensersatz und Geldentschädigung.

Der BGH nimmt zunächst auf seine ältere Rechtsprechung Bezug, wonach eine freie Benutzung voraussetzt, dass angesichts der Eigenart des neuen Werkes die entlehnten eigenpersönlichen Züge des geschützten älteren Werkes verblassen.

Der BGH betont sodann, dass der Begriff der Parodie mittlerweile ein eigenständiger Begriff des Unionsrechts ist und nimmt auf die Rechtsprechung des EuGH Bezug:

Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist der in Art. 5 Abs. 3 Buchst. k der Richtlinie 2001/29/EG verwendete Begriff „Parodie“ ein eigenständiger Begriff des Unionsrechts (EuGH, Urteil vom 3. September 2014 – C-201/13, GRUR 2014, 972 Rn. 17 = WRP 2014, 1181 – Deckmyn und Vrijheidsfonds/Vandersteen u.a.). Die wesentlichen Merkmale der Parodie bestehen darin, zum einen an ein bestehendes Werk zu erinnern, gleichzeitig aber ihm gegenüber wahrnehmbare Unterschiede aufzuweisen, und zum anderen einen Ausdruck von Humor oder eine Verspottung darzustellen. Der Begriff „Parodie“ im Sinne dieser Bestimmung hängt nicht von der weiteren Voraussetzung ab, dass die Parodie einen eigenen ursprünglichen Charakter hat, der nicht nur darin besteht, gegenüber dem parodierten ursprünglichen Werk wahrnehmbare Unterschiede aufzuweisen. Zu den Voraussetzungen einer Parodie gehört es außerdem nicht, dass sie vernünftigerweise einer anderen Person als dem Urheber des ursprünglichen Werkes zugeschrieben werden kann, dass sie das ursprüngliche Werk selbst betrifft oder dass sie das parodierte Werk angibt (EuGH, GRUR 2014, 972 Rn. 33 – Deckmyn und Vrijheidsfonds/Vandersteen u.a.). Bei der Anwendung der Schutzschranke der Parodie in einem konkreten Fall muss ein angemessener Ausgleich zwischen den Interessen und Rechten der in den Art. 2 und 3 der Richtlinie 2001/29/EG genannten Personen auf der einen und der freien Meinungsäußerung des Nutzers eines geschützten Werkes, der sich auf die Ausnahme für Parodien beruft, auf der anderen Seite gewahrt werden (EuGH, GRUR 2014, 972 Rn. 34 – Deckmyn und Vrijheidsfonds/Vandersteen u.a.).

Der BGH geht im Lichte der Rechtsprechung des EuGH zwar vom Vorliegen einer Parodie aus, meint gleichwohl, das Berufungsgericht hätte berücksichtigen müssen, dass die Parodie eine Entstellung des Werks beinhaltet und sich die Bearbeitung nicht unmittelbar mit dem Ausgangswerk auseinandersetzt. Im Ergebnis hält der BGH einen Schadensersatzanspruch des Fotografen für denkbar und führt aus, dass das Vorliegen einer freien Benutzung im Sinne von § 24 UrhG jedenfalls mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung nicht bejaht werden kann. Der BGH hat die Entscheidung des OLG aufgehoben und die Sache zurückverwiesen.

posted by Stadler at 09:23  

24.8.16

Manipulation von ebay-Geboten, oder wie man für 1,50 EUR ein Auto kauft

Der BGH hat heute einen interessanten Fall zum sog. Shill Bidding entschieden (Urteil v. 24.08.2016, Az.: VIII ZR 100/15).

Ein Verkäufer hatte bei eBay ein KFZ zum Startgebot von 1 EUR eingestellt. Das einzige nach Ansicht des BGH reguläre Gebot hat der Kläger zum Preis von 1,50 EUR abgegeben. Zwar wurde der Kaufpreis insgesamt auf 17.000 EUR hochgeboten, was aber nur daraus resultierte, dass der beklagte Verkäufer über ein zweites Benutzerkonto Eigengebote abgab, die der Kläger immer wieder überboten hat.

Der BGH geht davon aus, dass bei Eigengeboten nach vertragsrechtlichen Grundsätzen schon deshalb kein Kaufvertrag zustande kommen kann, weil die Schließung eines Vertrags nach § 145 BGB stets einem anderen angetragen werden muss. Das einzig reguläre Gebot stammte daher vom Kläger zu 1,50 EUR, wodurch das Vertragsangebot des Käufers angenommen wurde. In der Pressemitteilung des BGH heißt es hierzu:

Das höchste zum Auktionsablauf abgegebene Gebot stammte daher vom Kläger. Es betrug allerdings – entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts – nicht 17.000 €, sondern lediglich 1,50 €. Denn auch wenn er seine zahlreichen Maximalgebote immer wieder und zuletzt auf 17.000 € erhöhte, gab er damit noch keine auf das jeweilige Maximalgebot bezifferte und auf den Abschluss eines entsprechenden Kaufvertrages gerichteten Annahmeerklärungen ab. Deren Inhalt erschöpfte sich vielmehr darin, das im Vergleich zu den bereits bestehenden Geboten regulärer Mitbieter jeweils nächsthöhere Gebot abzugeben, um diese Gebote um den von eBay jeweils vorgegebenen Bietschritt zu übertreffen und auf diese Weise bis zum Erreichen des von ihm vorgegebenen Maximalbetrages Höchstbietender zu werden oder zu bleiben. Nachdem aber außer den unwirksamen Eigengeboten des Beklagten nur ein einziges reguläres Gebot in Höhe von 1 € auf den Gebrauchtwagen abgegeben worden war, wurde der Kläger mit dem nächsthöheren Gebot von 1,50 € Höchstbietender.

Es begründet keine Sittenwidrigkeit des Kaufvertrages, dass dieser damit im Ergebnis zu einem weit unter dem Verkehrswert liegenden Betrag zustande kam, da es – wie der Senat in der Vergangenheit bereits entschieden hat – gerade den Reiz einer Internetauktion ausmacht, den Auktionsgegenstand zu einem „Schnäppchenpreis“ erwerben zu können. Dass der Kläger nach dem Auktionsergebnis die Lieferung des Fahrzeugs für einen eher symbolischen Kaufpreis von 1,50 € hat beanspruchen können, beruht allein auf dem erfolglosen Versuch des Beklagten, den Auktionsverlauf in unlauterer Weise zu seinen Gunsten zu manipulieren.

Letztlich bejaht der BGH also einen Vertragsschluss zum Kaufpreis von EUR 1,50. Der manipulativ agierende eBay-Verkäufer hat mit Zitronen gehandelt.

posted by Stadler at 14:41  
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