Die Diskussion über eine Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung ist in vollem Gange. Der Bundesvorstand der CDU hat in seiner sog. Mainzer Erklärung verlauten lassen, man wolle die Vorratsdatenspeicherung gemäß den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts ermöglichen. Das bedeutet nichts anderes, als dass man Telekommunikationsverbindungsdaten aller Bürger dieses Landes ohne jeden Anlass auf Vorrat speichern will und zwar exakt bis an die Grenze dessen, was das Verfassungsgericht zulässt. Demgegenüber hat Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger erklärt, dass eine Neuauflage der Vorratsdatenspeicherung nicht zu machen sei. Vielmehr plädiert sie für das sog. Quick-Freeze-Verfahren, das sie um eine kurzfristige Speicherung von IP-Adressen von sieben Tagen ergänzen möchte. Einen ähnlichen Vorschlag hatte der Bundesdatenschutzbeauftragte Schaar vor zwei Monaten schon gemacht.
In der Diskussion ist bislang zu selten auf den Zusammenhang zwischen Datenschutz und Vorratsdatenspeicherung hingewiesen worden. Der Umstand, dass die Ermittler beklagen, ihnen würde der Ermittlungsansatz IP-Adresse praktisch nicht mehr zur Verfügung stehen, hat seine Ursache darin, dass Internet Service Provider die IP-Adressen mit denen ihre Kunden online gehen, entweder gar nicht mehr aufzeichnen oder, wie die Telekom, nur noch für sieben Tage. Das war bis vor einigen Jahren anders, weil Verbindungsdaten, also auch IP-Adressen, früher zu Abrechnungszwecken üblicherweise 80 Tage lang gespeichert worden sind. Nachdem aber die Flatrates Einzug gehalten haben, haben die Provider – zumeist nicht freiwillig, sondern auf Druck der Datenschutzbehörden – ihre Speicherpraxis entsprechend umgestellt.
Die jetzige Situation ist also in gewisser Weise paradox. Weil wir ein so strenges Datenschutzrecht haben und es auch fast nirgendwo so eng ausgelegt wird, beklagen sich die Strafverfolgungsbehörden über Ermittlungslücken, was konservativen Sicherheitspolitikern wiederum als Argument für die Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung dient. Das Datenschutzrecht fordert aber genau das Gegenteil dessen, was die Vorratsdatenspeicherung will. Datenvermeidung und Datensparsamkeit sind die obersten gesetzlichen Ziele des Datenschutzrechts, während die Vorratsdatenspeicherung darauf abzielt, Unmengen von personenbezogenen Daten anzuhäufen.
Dennoch stellen sich Mitglieder der Bundesregierung wie Ilse Aigner oder Thomas De Maiziere immer wieder hin und versprechen eine Verbesserung des Datenschutzes, während sie beinahe im selben Atemzug die Vorratsdatenspeicherung fordern. Dass Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger eine andere Position einnimmt, zeugt davon, dass sie Bürgerrechte auch immer noch als Abwehrrechte gegen den Staat betrachtet und nicht versucht, den Schwerpunkt der Diskussion allein auf datensammelwütige US-Unternehmen zu verlagern. Ihr Vorschlag eines Quick-Freeze, neuerdings ergänzt um eine siebentägige Vorratsdatenspeicherung, dient aber wohl auch nur dem politischen Zweck, eine Alternative zur Vorratsdatenspeicherung präsentieren zu können, die in Wirklichkeit freilich keine ist. Das von ihr hierzu vorgestellte „Eckpunktepapier“ wirft zudem neue Fragen auf, insbesondere unter welchen erleichterten Voraussetzungen dieses „Quick-Freeze“ zulässig sein soll und inwieweit dadurch das Erfordernis eines konkreten Tatverdachts aufgeweicht werden wird. Auch hier schließen sich verfassungsrechtliche Fragen an.
Man muss die Diskussion daher anders führen und auf die zentralen Fragen zuspitzen, die lauten: Wollen wir dem Staat erlauben, die Verbindungsdaten aller Bürger – und zwar ohne jeden konkreten Anlass – für längere Zeit zu speichern, damit er anschließend die Möglichkeit hat, diese Daten für strafrechtliche Ermittlungen zu benutzen. Oder wird damit vielmehr die Grenze zum Überwachungsstaat bereits überschritten?
Im Internet hinterlassen die Menschen mehr (Daten-)Spuren als in der realen Welt, wodurch auch die Ermittlung von Straftaten in vielen Fällen erleichtert wird. Hieraus resultiert dann auch eine beachtlich hohe Aufklärungsquote bei Online-Straftaten. Eigentlich müsste dieser Umstand aus Sicht der Bürgerrechte dazu führen, dass man die Ermittlungsbefugnisse einschränkt. Das Gegenteil ist freilich der Fall, weil man offenbar der Ansicht ist, dass man alles was technisch möglich ist, auch machen sollte.
Hierbei wird vergessen, dass sich genau an diesem Punkt der Rechtsstaat vom Unrechtsstaat unterscheidet. Der Rechtsstaat kann gerade nicht alles zulassen, was technisch möglich ist und muss auf manches verzichten, was in einem Unrechtsstaat geht. Dieser Unterschied scheint vielen Sicherheitspolitikern, gerade aus den Reihen der Union, nicht mehr geläufig zu sein. Wie selbstverständlich gehen sie davon aus, dass natürlich alles, was technisch machbar ist, vom Staat auch praktiziert werden soll. Denjenigen, die gegen diese Haltung rechtsstaatliche Bedenken vorbringen, wird gerne Verantwortungslosigkeit vorgeworfen.
In der alten Offline-Welt haben sich diese Fragen oft deshalb nicht gestellt, weil man bereits aus tatsächlichen Gründen keine Spuren mehr gefunden hat. Das ist online anders, weil man im Grunde alles später noch nachvollziehen kann, wenn man nur vorher genügend Daten gespeichert hat. Dieser Umstand legitimiert aber nicht die Ausweitung von Ermittlungsbefugnissen.
Der Abbau der Grundrechte ist in den letzten zwanzig Jahren kontinuierlich vorangetrieben worden, u.a. von Innenpolitikern wie Wolfgang Schäuble und Otto Schily. Diese Entwicklung hat leider auch vor dem Bundesverfassungsgericht nicht Halt gemacht. Eine Regelung wie die zur Vorratsdatenspeicherung wäre in Karlsruhe vor 20 Jahren in Gänze als offensichtlich verfassungswidrig qualifiziert worden. Allein die Diskussion darüber, TK-Verbindungsdaten ohne jeden Anlass für längere Zeit zu speichern, hätte man damals als orwellsche Überwachungsfantasie betrachtet.
Vor diesem Hintergrund muss man sich eben irgendwann auch hinstellen und sagen: Bis hierhin und nicht weiter. Die Vorratsdatenspeicherung ist aus grundsätzlichen rechtsstaatlichen Erwägungen heraus abzulehnen und es hat dabei zu bleiben, dass deutschen Ermittlungsbehörden nicht dieselben Imstrumente an die Hand gegeben werden dürfen, wie den Behörden totalitärer Staaten. Zudem wäre wünschenswert, dass die Diskussion um die Vorratsdatenspeicherung stärker in den Kontext des Datenschutzes gestellt wird. Denn die Politik kann nicht einerseits ein hohes Datenschutzniveau, das nur durch die gesetzlich normierten Ziel der Datenvermeidung und Datensparsamkeit erreichbar ist, propagieren und andererseits eine Vorratsdatenspeicherung fordern. Diese beiden Forderungen sind nicht in Einklang zu bringen.